Die Macht, das Recht – und der Fußball Das Kosovo will Uefa-Mitglied werden, doch Serbien klagt dagegen. Nun entscheidet ein Gericht. Welche Rolle spielt Franz Beckenbauer in der Geschichte?
30.10.2016, von
Michael Martens
Diese Geschichte begann vor mehr als 15 Jahren in Moskau, und enden wird sie, zumindest vorläufig, am Montag dieser Woche in Lausanne. In ihr spielen
Franz Beckenbauer und Wladimir Putin eine Rolle, weshalb es darin um Geld und Macht gehen wird, aber ein wenig auch um Fußball. Die Geschichte beginnt an einem Frühlingstag des Jahres 1999 in Russland, und zwar mit drei Namen, die nicht nur für russische Ohren fremdländisch klingen: Mabetex ist der erste, Behgjet Pacolli der zweite, Carla Del Ponte der dritte. Mabetex ist zu dieser Zeit ein Baukonzern mit Sitz im schweizerischen Lugano, Herr Pacolli sein Besitzer und Frau Del Ponte die oberste Staatsanwältin der Schweiz.
Bei gemeinsamen Ermittlungen mit Russlands Generalstaatsanwalt Jurij Skuratow ist sie dem Umstand nachgegangen, dass Mabetex im Reich des siechen russischen Präsidenten
Boris Jelzin auffällig viele staatliche Großaufträge erhalten hat, unter anderem zur Renovierung des Kremls. Skuratow und Del Ponte hegen den Verdacht, dass Mabetex Aufträge im Wert von mehreren hundert Millionen Dollar nur durch massive Bestechung von Jelzin und dessen Umfeld gewonnen hat. Im Kreml ist man erbost über die staatsanwaltlichen Schnüffeleien und fordert Skuratow zum Rücktritt auf. Doch der unbequeme oberste Ankläger weigert sich.
[h=2]Mabetex-Besitzer Behgjet Pacolli[/h]Dann sendet das russische Fernsehen eines Nachts Ausschnitte eines Videos, das den Generalstaatsanwalt mit zwei Prostituierten im Bett zeigt. Der in der Öffentlichkeit seines Landes kaum bekannte Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, ein gewisser Herr
Putin, versichert, die Aufnahmen seien „authentisch“. Nachdem der Herr Putin bald darauf Regierungschef und dann Präsident Russlands geworden ist, setzt er Skuratows Amtsenthebung durch. Seither erfrechen sich russische Staatsanwälte nicht mehr, gegen die Mächtigen ihres Landes zu ermitteln. Die Hintergründe des Falls Mabetex bleiben im Dunkeln.
Der Mabetex-Besitzer aber macht weiter Geschäfte in Russland und einige Jahre später auch wieder Schlagzeilen. Behgjet Pacolli ist Schweizer, geboren wurde er im Kosovo. Als sich abzeichnet, dass die ehemalige serbische Provinz mit westlicher Hilfe ihre Unabhängigkeit erklären und ein eigener Staat werden wird, beginnt Pacolli in seiner Heimat aktiv zu werden. Er gründet im Jahr 2006 eine eigene Partei, lässt sich als reichster Albaner des Planeten feiern, prunkt mit seinen Bauprojekten in Russland und Kasachstan oder seinen guten Verbindungen zu Libyens Staatschef
Muammar al Gaddafi.
Wählt ihr mich, wird das Kosovo so erfolgreich sein wie Mabetex, lautet seine Botschaft. Im Kosovo wird gespottet, Pacollis Politik bestehe darin, alle und alles zu kaufen. Doch der Unternehmer hat Erfolg. Viele Kosovaren glauben ihm. Im Februar 2011 wird er zum Staatspräsidenten des Kosovos gewählt. Seine Karriere als Oberhaupt des ärmsten Staates Europas währt allerdings nur fünf Wochen, dann muss Pacolli zurücktreten. Das
Verfassungsgericht hat grobe Unregelmäßigkeiten bei seiner Wahl festgestellt.
Eines ist ihm in seiner kurzen Amtszeit aber gelungen: Er hat einen Kaiser im Kosovo empfangen. Am 4. März 2011 besucht Franz Beckenbauer auf Einladung Pacollis die kosovarische Hauptstadt Prishtina. Er besichtigt das Fußballstadion der Stadt und spricht mit Funktionären des kosovarischen Fußballverbands.
Pacolli ernennt Beckenbauer zum „Ehrenbotschafter des kosovarischen Fußballs“ und bittet ihn, er möge „tun, was er kann“, damit das bisher vom internationalen Fußball ausgeschlossene Kosovo in die
Uefa aufgenommen werde, den europäischen Fußballverband. Beckenbauer sagt zu: Politische Konflikte könne der Sport zwar nicht lösen, „aber wenn ich bei dem sportlichen Aspekt helfen kann, dann werde ich das tun“. Beckenbauer werde das Kosovo bei der Annäherung an die Uefa beraten, verkünden kosovarische
Was genau Beckenbauers Rolle im Kosovo war oder womöglich noch ist, lässt sich nicht ergründen. Denn der kosovarische Fußballverband teilt dazu wenig und Beckenbauers Manager Marcus Höfl gar nichts mit. Eine telefonische Anfrage der F.A.S. in Höfls Büro zu den Umständen von Beckenbauers Engagement für das Kosovo führte zu der Aufforderung, man möge die Frage schriftlich übersenden. Das geschah auch, und danach geschah, was in solchen Fällen üblich ist, nämlich nichts. Was also tat der Kaiser auf dem Amselfeld? Für wen tat er es und für was? Man weiß es nicht.
Aber man weiß, dass das Kosovo am 3. Mai dieses Jahres, auf dem 40. ordentlichen Kongress des europäischen Fußballverbands, abgehalten in Budapest, offiziell als Mitglied aufgenommen wurde. Und wenige Tage danach auch in den Weltverband Fifa. Deshalb darf eine kosovarische Fußballmannschaft jetzt an der Qualifikation für die Fußball-WM in Russland teilnehmen. Oder auch nicht. Fifa-Mitglied kann nämlich nur ein Verband sein, der zuvor in die Uefa aufgenommen wurde. Uefa-Mitglied wiederum können laut Artikel 5 von deren Satzung nur Verbände eines europäischen Landes werden, „das ein von den Vereinten Nationen anerkannter, unabhängiger Staat ist“. Doch das Kosovo gehört den Vereinten Nationen nicht an.
[h=2]Uefa-Mitglied Nummer 55[/h]Die Aufnahme eines Staates in die Vereinten Nationen ist in deren Charta klar geregelt. Sie erfolgt durch Beschluss der UN-Vollversammlung auf Empfehlung des UN-Sicherheitsrats. Der kann eine solche Empfehlung im Fall Kosovo aber nicht aussprechen. Das ständige Sicherheitsratsmitglied Russland, das als Serbiens Verbündeter die von Washington und der EU getragene Unabhängigkeit des Kosovos ablehnt, verhindert dies mit einem Veto.
Die Unterstützer des Kosovos schlugen deshalb auf dem Kongress in Budapest eine Satzungsänderung vor: Zur Aufnahme in die Uefa hätte es demnach künftig reichen sollen, „von einer Mehrheit der Staatengemeinschaft in Europa“ anerkannt zu sein. Dieser Vorschlag erhielt aber nicht die nötige Zweidrittelmehrheit der Delegierten und fiel durch.
Was danach geschah, ist bemerkenswert: Es wurde nämlich ungerührt trotzdem über die Aufnahme des Kosovos abgestimmt. Nicht wie üblich offen, sondern auf Antrag der Schweiz in geheimer Wahl. Dabei sprachen sich 28 Verbände für, 24 gegen eine Aufnahme des Kosovos aus, zwei enthielten sich. Ergebnis: Das Kosovo wurde mit sofortiger Wirkung Mitglied Nummer 55 in der Uefa – obwohl nach den Statuten des Verbandes und nach dem Scheitern der Satzungsänderung die Voraussetzungen für eine Abstimmung gar nicht gegeben waren.
Was danach folgte und am Montag seinen Höhepunkt finden wird, ist ein sportpolitischer Krimi. Der serbische Fußballverband legte beim Sportgerichtshof in Lausanne Berufung gegen die Aufnahme des Kosovos ein. In die Enge getrieben, betreibt die Uefa seither einen extrem hohen Aufwand zu ihrer Verteidigung. Der Verband verpflichtete mehrere internationale Spitzenanwälte und lässt sich die Causa Kosovo viel Geld kosten.
So engagierte die Uefa unter anderem Sir Daniel Bethlehem, einen Kronanwalt der Königin, ehemals Rechtsberater des britischen Außenministeriums. Bethlehem ist Träger von Titeln, Diplomen, Orden und Auszeichnungen, dass einem die Ohren schlackern. Unterzeichnet wurde die am 4. August dieses Jahres vorgelegte Entgegnung der Uefa auf die serbische Berufung jedoch von Emilio Garcia, dem „Uefa-Direktor für Disziplinarangelegenheiten und Integrität“, sowie von Jan Kleiner, einem auf internationales Sportrecht spezialisierten Anwalt der Zürcher Kanzlei Bär&Karrer.
[h=2]Politik statt Sport[/h]Insgesamt drei Anfragen der F.A.S., mit welchen Argumenten man die Vorgänge in Budapest juristisch rechtfertige, beantwortete die Kanzlei am ersten Tag gar nicht und am zweiten mit der Auskunft, dass man dazu keine Auskunft geben könne. Dank der Hilfe kosovarischer Journalisten liegt das 246 Punkte und fast 50 Seiten umfassende Dokument dieser Zeitung jedoch vor. Es ist, das muss man Sir Bethlehem und seinen Superanwälten lassen, in einigen Passagen ein Meisterwerk abendländischer Rabulistik. In anderen wirft es allerdings die Frage auf, ob man zum Verzapfen von Unsinn in Cambridge studiert haben muss, oder ob das nicht billiger geht.
Die Budapester Abstimmung über die Aufnahme des Kosovos, so behauptet die Uefa, sei „in vollem Respekt für die Statuten und Vorschriften“ der Verbands erfolgt. Diese Behauptung wird auf den folgenden Seiten so oft wiederholt, als hätten die Verfasser ihre Argumente unter dem Einfluss einer Überdosis Thomas-Bernhard-Lektüre kompiliert. Die Uefa argumentiert außerdem, es gebe keinen Grund, „den politischen Wünschen der Regierung Serbiens zu erliegen, indem man dem Fußballverband des Kosovos verbietet, Mitglied der Uefa zu sein“. Die Berufung der Serben habe nämlich „nichts mit Fußball zu tun“. Genau das behaupten die Serben auch: Bei der Aufnahme des Kosovos in die Uefa sei es nicht um Sport, sondern um Politik gegangen.
Aber ist Artikel 5 der Uefa-Statuten nicht eindeutig? I wo, sagen Sir Bethlehem & Co. Der Artikel besage zwar, dass nur ein von den Vereinten Nationen „anerkannter“ Staat der Uefa beitreten könne. Doch es sei darin nicht ausdrücklich davon die Rede, dass dieser Staat auch „Mitglied“ der Vereinten Nationen sein müsse – und was heiße schon „Anerkennung“? Ohnehin könne ein Staat nur von einem anderen Staat anerkannt werden, nicht aber von den Vereinten Nationen als solchen.
„Mit anderen Worten ist es für einen Staat unmöglich, von den Vereinten Nationen anerkannt‘ zu werden.“ Ein Bewerber um die Uefa-Mitgliedschaft könne eine solche Voraussetzung gar nicht erfüllen. Eigentlich dürfte die Uefa gemäß ihrer eigenen Satzung daher überhaupt keine Mitglieder haben – weil schließlich kein Staat der Welt „von den Vereinten Nationen anerkannt“ ist. Die Statuten, sagt die Uefa über ihre Satzung, seien „nicht wirklich klar“, weshalb man sie interpretieren müsse, und zwar so: Artikel 5 bedeute, dass jeder Bewerber aufgenommen werden dürfe, der „von den meisten Mitgliedern der Vereinten Nationen anerkannt wird“. So sagte es auch Uefa-Chefjurist Alasdair Bell in Budapest, nachdem der Versuch fehlgeschlagen war, die Satzung zu ändern.
[h=2]Der Fall Gibraltar[/h]Ob das die Schiedsrichter in Lausanne überzeugt? In einem früheren Fall, vor mehr als einem Jahrzehnt, hat der Wortlaut des Artikels 5 der Uefa-Statuten den Sportgerichtshof in der Schweiz schon einmal beschäftigt. Damals ging es um Gibraltar. Als Gibraltar das Aufnahmegesuch eingereicht hatte, galt noch die alte Version von Artikel 5 der Uefa-Satzung. In der hieß es, Mitglied könne jeder Verband werden, der in Europa seinen Sitz hat und „auf seinem Territorium“ für die Organisation des Fußballsports verantwortlich ist. Weil das der Uefa offenbar reichlich vage erschien, wurde der Passus mit der Anerkennung durch die Vereinten Nationen hinzugefügt.
Zu dem neuen Wortlaut befanden die Richter in Lausanne: „Der Ausschuss interpretiert diesen Text so, dass er bedeutet, dass das betreffende Land als Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen worden sein muss.“ Nur war diese Formulierung eben noch nicht in Kraft, als Gibraltar die Aufnahme beantragte. Der Verband ist heute Mitglied der Uefa, die ihren Statuten einen Passus hinzugefügt hat, der Ausnahmen regelt. In Artikel 69 der Uefa-Satzung heißt es: „Artikel 5 gilt nicht für die folgenden Mitgliedsverbände: England, Schottland, Nordirland, Wales, Färöer-Inseln und Gibraltar.“ Bei der Anhörung am Montag in Lausanne werden die Richter wohl auch über die Frage entscheiden müssen, wie es um die Selbstachtung eines Verbandes bestellt ist, der seine eigenen Statuten ignoriert.
Quelle:
Das Kosovo will Uefa-Mitglied werden
Mit allen Mitteln...