Griechenland
Das Coronavirus durchkreuzt Athens Privatisierungspläne
Die Pandemie bremst in Griechenland den Verkauf von Staatsbeteiligungen in Milliardenhöhe. Ausgerechnet das lukrativste Privatisierungsprojekt steht jetzt auf der Kippe.
13.04.2020 | von Gerd Höhler
Flughafen vor dem Verkauf © Laurent GRANDGUILLOT/REA/laif
Athen Es sollte ein Superjahr werden: Fast zweieinhalb Milliarden Euro hoffte der griechische Finanzminister Christos Staikouras 2020 mit
Privatisierungen zu erlösen. Es wäre der höchste Betrag gewesen seit dem Start des Programms im Jahr 2011.
Aber Covid-19 macht dem Politiker einen Strich durch die Rechnung. In Athener Finanzkreisen erwartet man jetzt für dieses Jahr günstigstenfalls Privatisierungseinnahmen von etwa 300 Millionen Euro.
Für Finanzminister Staikouras ist der Rückschlag besonders misslich, weil er die erhofften Privatisierungserlöse von 2,44 Milliarden Euro
fest im diesjährigen Haushalt eingeplant hatte.
Der Haushaltsplan wird nicht mehr einzuhalten sein: Analysten schätzen, dass das Bruttoinlandsprodukt in Griechenland im Zuge einer Rezession um fünf bis 15 Prozent zurückgehen wird und die Steuereinnahmen damit einbrechen werden.
Zugleich muss die Regierung einen zweistelligen Milliardenbetrag für Kurzarbeitergeld und die Stützung gefährdeter Unternehmen ausgeben. Da wiegt der Ausfall bei den Privatisierungseinnahmen besonders schwer.
Es ist nicht der erste Rückschlag für Griechenlands Privatisierungsvorhaben. Das Programm gehört zu den Reformauflagen, die Athen im Gegenzug zu den Hilfskrediten umsetzen muss, die das Land zur Bewältigung seiner Staatsschuldenkrise von den Euro-Partnern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erhielt.
2011 legte die damalige sozialdemokratische Regierung von Giorgos Papandreou ein ambitioniertes Verkaufsprogramm vor. Es sah Privatisierungserlöse von 50 Milliarden Euro innerhalb von fünf Jahren vor.
Diese Planung erwies sich aber schon bald als völlig illusionär. Bis 2015 kamen nur 3,2 Milliarden Euro in die Kasse. Unter dem Strich sind es inzwischen rund neun Milliarden Euro. Davon wurden 1,2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr erzielt.
Privatisierungen oft verzögert
Dass das Verkaufsprogramm bislang so langsam vorangeschritten war, hatte mehrere Gründe. Oft verzögerten sich Privatisierungen wegen rechtlicher Hürden und bürokratischer Hindernisse. Viele Projekte scheiterten auch daran, dass sich in den Jahren der Griechenlandkrise keine Käufer fanden.
Überdies gab es starke politische Widerstände: Politiker sträubten sich dagegen, die Kontrolle über die Staatsbetriebe abzugeben. Denn diese Unternehmen spielen eine Schlüsselrolle im berüchtigten griechischen Klientelsystem: Sie dienen dazu, Günstlinge der jeweiligen Regierung mit lukrativen Jobs zu versorgen.
Der seit Juli 2019 amtierende konservative Premier Kyriakos Mitsotakis will mit dieser Tradition brechen. Mitsotakis arbeitete unter anderem als Investmentbanker bei Chase und als Analyst beim Beratungsunternehmen McKinsey, bevor er in die Politik ging. Er ist ein leidenschaftlicher Befürworter von Privatisierungen.
2020 sollte das Programm einen großen Fortschritt machen. Autobahnen, Gasversorger, ein Mineralölkonzern, Jachthäfen, Liegenschaften, Hafengesellschaften: Rund zehn Projekte standen für dieses Jahr auf dem Plan der Privatisierungsbehörde HRADF.
Dann kam das Coronavirus.
Die Pandemie lähmt die globalen Wirtschaftskreisläufe und verunsichert die Investoren. Vor allem ein Vorhaben muss die Regierung vorerst abschreiben: d
en Verkauf eines 30-prozentigen Anteils an der Flughafengesellschaft Athens International Airport (AIA).
Luftfahrtbranche stark betroffen
Das Aktienpaket galt bisher als Perle im Portfolio der Privatisierungsbehörde. Deutlich über eine Milliarde Euro sollten die Anteile einbringen, rund die Hälfte der für dieses Jahr erwarteten Privatisierungserlöse.
Bisher hält der Staat 55 Prozent der Aktien an der AIA. 40 Prozent liegen bei der deutschen AviAlliance. Hinter ihr steht der kanadische Pensionsfonds PSP Investments. Fünf Prozent gehören der griechischen Copelouzos-Gruppe.
Die AIA schrieb seit dem ersten vollen Betriebsjahr 2002 durchgehend schwarze Zahlen, selbst in der globalen Finanzkrise 2009 und in den Jahren der griechischen Schuldenkrise. 2018 erzielt das Unternehmen mit einem Umsatz von 479 Millionen Euro einen Gewinn (Ebitda) von 325,5 Millionen – eine fantastische Rendite.
Kein Wunder, dass die Investoren Schlange standen: Zehn Interessenten gab es, darunter auch der bisherige Großaktionär AviAlliance. So der Stand vom Jahresanfang. Noch im zweiten Quartal sollten die Bewerber bindende Angebote abgeben.
Dramatische Veränderung der Geschäftsentwicklung
Daran ist jetzt nicht mehr zu denken. Denn die Geschäftsentwicklung bei der Flughafengesellschaft hat sich dramatisch verändert: Im März gingen die Passagierzahlen in Athen gegenüber dem Vorjahr um 61,3 Prozent zurück. Für das erste Quartal ergibt sich ein Minus von 20,5 Prozent. Wann sich der Verkehr wieder normalisiert, weiß niemand.
Luftfahrtexperten vermuten, dass es Jahre dauern könnte,
bis Airlines und Flughäfen wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Sowohl die Privatisierungsbehörde als auch die Investoren müssen deshalb die Flughafengesellschaft völlig neu bewerten. Das wird viele Monate dauern.
Zumindest für dieses Jahr dürfte daher das Privatisierungsprojekt vom Tisch sein. Und fraglich ist, ob die Anteile jemals den noch zum Jahresbeginn erwarteten Erlös einbringen werden.
Finanzminister Staikouras kann sich nun glücklich schätzen, dass die linke Vorgängerregierung ein anderes Flughafen-Privatisierungsprojekt bereits vor drei Jahren in trockene Tücher brachte: Im April 2017 übernahm der deutsche Flughafenbetreiber
Fraport 14 griechischen Regionalflughäfen. Für 40 Jahre soll
Fraport die Airports betreiben.
400 Millionen will Fraport bis Ende 2021 in den Ausbau der Flughäfen investieren. Die ersten beiden Geschäftsjahre brachten den Frankfurtern Gewinne von insgesamt knapp 15 Millionen Euro.
Aber im März brachen die Passagierzahlen an den griechischen Flughäfen um 59 Prozent ein. Für den April erwarten Branchenbeobachter einen noch stärkeren Rückgang.
1,234 Milliarden Euro ließ sich Fraport 2017 den Einstieg in Griechenland kosten. Außerdem zahlt der Konzern jährlich eine Pacht von 22,9 Millionen Euro und führt 28,6 Prozent des Bruttogewinns an den Staat ab.
Nach einer Berechnung der Privatisierungsbehörde summieren sich die Einnahmen des Staates über die Vertragsdauer auf stattliche 4,6 Milliarden Euro. Dass die Konzession heute so viel einspielen würde, ist ausgeschlossen.