Ludwigshafen und die gefährlichen Reflexe
Günther Hörbst über Vorwürfe nach der Feuer-Katastrophe
Wir wollen kein zweites Solingen erleben". Dieser Satz des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan im Zusammenhang mit der Brandkatastrophe in Ludwigshafen hat in Deutschland und der Türkei einen heftigen Reflex ausgelöst. Bei den Bürgern. Bei den Medien. Vor allem aber bei den Politikern.
In Solingen starben 1993 nach einem Brandanschlag durch Rechtsradikale fünf Mitglieder einer türkischen Familie. Solingen steht seither für die hässliche Fratze, die Deutschland seinen ausländischen Bürgern entgegenstreckt.
In Ludwigshafen starben sogar neun Menschen im Feuer. Alle waren Türken. Es ist verständlich, dass Angehörige und Landsleute angesichts einer derartig grauenvollen Katastrophe Antworten verlangen. Sie möchten wissen, wer für den Tod dieser Menschen verantwortlich war. Und es ist auch zutiefst nachvollziehbar, dass sich Trauernde jede sich bietende Möglichkeit zu Eigen machen, um ihre verletzten Seelen von der quälenden Ungewissheit zu befreien.
Dass sich allerdings Medien und Politiker auch dieser Mittel bedienen, ist nicht nur moralisch verwerflich. Es ist auch gefährlich. Zumal in einer Zeit, in der die Gemüter in Deutschland durch Roland Kochs Kampagne gegen kriminelle ausländische Jugendliche ohnehin schon erhitzt genug sind.
Fakt ist: Derzeit weiß man schlicht nicht, warum das Feuer in dem Mehrfamilienhaus am Danziger Platz ausgebrochen ist. Zwei Mädchen wollen einen Mann gesehen haben, der ein brennendes Stöckchen in den Eingang geworfen hat. Eine Beschreibung dieses Mannes gibt es bislang nicht. Und die zwei in Nazirunen am Hauseingang hingeschmierten Wörter "Hass" sind laut Polizei sehr viel älter als der Brand.
Gestern, als der türkische Ministerpräsident die Unglücksstelle besuchte, wurden Plakate mit der Aufschrift
"Gestern Juden, heute Moslems" in die Höhe gestreckt. Diesen Menschen möchte man spontan einen Gutschein für die Volkshochschule in die Hand drücken: Grundkurs Rechtsstaatlichkeit. In einem solchen gilt nämlich zunächst die Unschuldsvermutung. Auch in einem Fall mit derart tragischen Ausmaßen. Nein - gerade in einem solchen Fall.
Denn man wird niemandem gerecht, wenn die Suche nach Gründen und Verantwortlichen mit Ressentiments und Vorverurteilungen betrieben wird. Die Familien leiden weiter, denn in der derzeitigen Atmosphäre wird die Arbeit der Ermittler extrem erschwert. Die Gesellschaft läuft Gefahr, statt dringend nötiger Integration nur weitere Eskalation zu erfahren. Und die Politik schließlich büßt weiter an Glaubwürdigkeit und Zutrauen in ihre Problemlösungskompetenz ein. Da also mit der derzeitigen Vorgehensweise alle Beteiligten nur verlieren können, sollten die Verantwortlichen schnell umdenken - allein schon der Opfer und ihrer Angehörigen wegen.
Aus der Berliner Morgenpost vom 8. Februar 2008
http://www.morgenpost.de/content/200...ik/945707.html