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foxy black
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Noch ihre Eltern haben im Krieg gegeneinander gekämpft
Von Magdalena Schüßler
Montagabend im Kino Bosna. Volkslieder dröhnen durch den Zigarettenrauch. Zwei alte Männer singen, nach den ersten Tönen hört man sie nicht mehr. Die Jungen stimmen ein. Das ehemalige Theater in Sarajevo ist der Treffpunkt für die Jugend in Bosnien und Herzegowina.
Marina und Senka sind mitten drin, lachen, feiern. Noch. Wenn alles so läuft wie geplant, sind die beiden jungen Frauen bald weg. Senka ist 20 und studiert Journalismus. Sie will ihr Masterstudium im Ausland absolvieren. Genau wie Freundin Marina ist sie vom Bildungssystem in ihrem Land enttäuscht: "Ich denke, wenn ich hier bleibe und die ganzen fünf Jahre hier studiere, habe ich nicht so gute Aussichten für die Zukunft. Aber das heißt nicht, dass ich nicht wiederkommen würde und in Bosnien arbeite, wenn ich die Chance bekomme." Erst einmal aber zieht es sie in die Fremde.
So wie Marina und Senka denken die meisten jungen Bosnier. Etwa 70 Prozent würden das Land gerne verlassen. Das haben Untersuchungen der Youth Information Agency, einer unabhängigen Agentur für Jugendarbeit und -politik, ergeben. Doch anders als die beiden Freundinnen möchten viele nicht wiederkommen.
Eldar ist einer von ihnen. Er lehnt mit einem Freund an der Theke, in der einen Hand das Bier, die andere in der Hosentasche. Der 25-Jährige ist fast jeden Montag hier und genießt die besondere Stimmung zwischen abbröckelndem Putz und abgewetzten Theatersitzen: "So was findest du nur in diesem Land." Doch eine Zukunft sieht er hier nicht für sich: "Erstens ist der Gesamtlohn sehr sehr gering und zweitens gibt es hier überhaupt keine Arbeit." Jeder zweite junge Bosnier ist arbeitslos.
Arbeitslosigkeit, ein Bildungssystem, das dem internationalen Vergleich nicht standhält - die Situation für die erste Generation nach dem Krieg ist nicht einfach. Wie soll sie die Zukunft gestalten, wenn sie sich immer wieder an der Vergangenheit stößt?
Zwar ist der Krieg seit mittlerweile 17 Jahren vorbei, trotzdem bestimmt er immer noch das Leben der Jugend in Bosnien und Herzegowina. Er zieht sich auch durch das Kino Bosna. So wenig greifbar und so beständig wie der dichte Nebel aus Zigarettenrauch. Denn die jungen Leute, die hier zusammen singen und trinken, sind nicht einfach nur Bosnier. Sie sind muslimische Bosniaken, orthodoxe Serben oder katholische Kroaten. In Bosnien und Herzegowina macht das einen Unterschied. Ihre Eltern haben im Krieg gegeneinander gekämpft. So etwas verschwindet nicht in einer Generation.
Für Marina spielen Religion und Nationalität keine große Rolle, in Sarajevo gibt es damit wenig Probleme. Aber auch die Wirtschaftsstudentin erlebt die Spaltung, die sich an diesen Kategorien entlang durchs Land zieht. Für zwei Jahre besuchte sie eine Schule in Mostar - einer geteilten Stadt: "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute dort - 20-Jährige, die sich nicht mal an den Krieg erinnern können - nicht die Straße überquert haben, weil die Leute auf der anderen Seite eine andere Ethnie haben." Sie schüttelt den Kopf: "Etwas, was völlig verrückt ist für mich, ist für diese Leute alltäglich. Dabei sind wir eine Generation."
Samir Mahmic kennt das. Der 23-Jährige ist selbst Teil der neuen Generation und arbeitet für die Youth Information Agency. Mit Jugendprogrammen kämpft er gegen die alten Vorurteile aus Kriegszeiten. Er erklärt: "Kinder, mit denen ich arbeite, sind jetzt in der Highschool. Sie wissen nicht, was die alten nationalistischen Schimpfwörter bedeuten, aber sie benutzen sie, weil sie es von ihren Eltern und älteren Freunden vorgemacht bekommen." Besonders in kleinen, ländlichen Gemeinden hätten die Kinder und Jugendlichen kaum Kontakt zu anderen Religionen oder Nationalitäten. Mahmic spricht von einer Art "Ghetto": "Wenn man in einer solchen Gemeinschaft lebt, wird man sich auch verhalten wie alle anderen."
Auch durch die Politik ziehen sich die alten Strukturen. Es gibt eine Partei für die Serben, es gibt eine Partei für die Bosniaken, eine für die Kroaten. Kompromisse sind selten, Veränderung auch. Das Vertrauen in die Politik ist dahin, sagt Mahmic. Nur sehr wenige junge Bosnier glaubten heute noch daran, dass sie selbst etwas im Land verändern könnten. Die große Mehrheit habe resigniert.
So wie Ena. Ein paar Stunden, bevor im Kino Bosna der Platz knapp wird, steht die 20-Jährige im leichten Regen vor der Uni und wartet auf eine Freundin. Eine zierliche Gestalt, die Schultern hochgezogen, die Stimme leise. Die Medizinstudentin liebt ihr Land und möchte es nicht verlassen. Die Probleme hier kennt sie, spricht von Drogen und Kriminalität. Manchmal schaut sie aber auch lieber weg. Sie fühlt sich hilflos. "Ich habe sehr viele Wünsche für dieses Land, aber leider kann ich nichts ausrichten. Nur einflussreiche Leute könnten hier wirklich etwas verändern, aber sie wollen nicht. Warum, weiß ich nicht. Was kann ich schon tun?"
Dabei liegt ein großes Potenzial in ihrer Generation. Sie ist aufgeschlossener, toleranter, weiß Samir Mahmic. Darin ruht seine große Hoffnung: "Wenn man Kindern schon von klein auf beibringt, dass sie in Bosnien und Herzegowina leben, dann werden sie irgendwann verstehen, dass sie alle Bosnier sind, dass dies ihr Land ist. Also müssen sie auch hier versuchen glücklich glücklich zu werden, nicht woanders."
Glücklich werden im eigenen Land - im Kino Bosna scheint das an diesem Abend nicht unmöglich. Doch die Probleme warten vor der Tür. Den Glauben an eine Zukunft in ihrer Heimat haben viele junge Bosnier trotzdem noch nicht aufgegeben, Marina jedenfalls bleibt optimistisch: "Ich verliere die Hoffnung nicht. Ich liebe dieses Land aus vielen Gründen und gleichzeitig mag ich es nicht. Auch dafür habe ich viele Gründe. Aber dies ist meine Heimat und hier will ich Verantwortung übernehmen."
Die Rhein-Neckar-Zeitung im Web - RNZ-Zeitjung
Von Magdalena Schüßler
Montagabend im Kino Bosna. Volkslieder dröhnen durch den Zigarettenrauch. Zwei alte Männer singen, nach den ersten Tönen hört man sie nicht mehr. Die Jungen stimmen ein. Das ehemalige Theater in Sarajevo ist der Treffpunkt für die Jugend in Bosnien und Herzegowina.
Marina und Senka sind mitten drin, lachen, feiern. Noch. Wenn alles so läuft wie geplant, sind die beiden jungen Frauen bald weg. Senka ist 20 und studiert Journalismus. Sie will ihr Masterstudium im Ausland absolvieren. Genau wie Freundin Marina ist sie vom Bildungssystem in ihrem Land enttäuscht: "Ich denke, wenn ich hier bleibe und die ganzen fünf Jahre hier studiere, habe ich nicht so gute Aussichten für die Zukunft. Aber das heißt nicht, dass ich nicht wiederkommen würde und in Bosnien arbeite, wenn ich die Chance bekomme." Erst einmal aber zieht es sie in die Fremde.
So wie Marina und Senka denken die meisten jungen Bosnier. Etwa 70 Prozent würden das Land gerne verlassen. Das haben Untersuchungen der Youth Information Agency, einer unabhängigen Agentur für Jugendarbeit und -politik, ergeben. Doch anders als die beiden Freundinnen möchten viele nicht wiederkommen.
Eldar ist einer von ihnen. Er lehnt mit einem Freund an der Theke, in der einen Hand das Bier, die andere in der Hosentasche. Der 25-Jährige ist fast jeden Montag hier und genießt die besondere Stimmung zwischen abbröckelndem Putz und abgewetzten Theatersitzen: "So was findest du nur in diesem Land." Doch eine Zukunft sieht er hier nicht für sich: "Erstens ist der Gesamtlohn sehr sehr gering und zweitens gibt es hier überhaupt keine Arbeit." Jeder zweite junge Bosnier ist arbeitslos.
Arbeitslosigkeit, ein Bildungssystem, das dem internationalen Vergleich nicht standhält - die Situation für die erste Generation nach dem Krieg ist nicht einfach. Wie soll sie die Zukunft gestalten, wenn sie sich immer wieder an der Vergangenheit stößt?
Zwar ist der Krieg seit mittlerweile 17 Jahren vorbei, trotzdem bestimmt er immer noch das Leben der Jugend in Bosnien und Herzegowina. Er zieht sich auch durch das Kino Bosna. So wenig greifbar und so beständig wie der dichte Nebel aus Zigarettenrauch. Denn die jungen Leute, die hier zusammen singen und trinken, sind nicht einfach nur Bosnier. Sie sind muslimische Bosniaken, orthodoxe Serben oder katholische Kroaten. In Bosnien und Herzegowina macht das einen Unterschied. Ihre Eltern haben im Krieg gegeneinander gekämpft. So etwas verschwindet nicht in einer Generation.
Für Marina spielen Religion und Nationalität keine große Rolle, in Sarajevo gibt es damit wenig Probleme. Aber auch die Wirtschaftsstudentin erlebt die Spaltung, die sich an diesen Kategorien entlang durchs Land zieht. Für zwei Jahre besuchte sie eine Schule in Mostar - einer geteilten Stadt: "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute dort - 20-Jährige, die sich nicht mal an den Krieg erinnern können - nicht die Straße überquert haben, weil die Leute auf der anderen Seite eine andere Ethnie haben." Sie schüttelt den Kopf: "Etwas, was völlig verrückt ist für mich, ist für diese Leute alltäglich. Dabei sind wir eine Generation."
Samir Mahmic kennt das. Der 23-Jährige ist selbst Teil der neuen Generation und arbeitet für die Youth Information Agency. Mit Jugendprogrammen kämpft er gegen die alten Vorurteile aus Kriegszeiten. Er erklärt: "Kinder, mit denen ich arbeite, sind jetzt in der Highschool. Sie wissen nicht, was die alten nationalistischen Schimpfwörter bedeuten, aber sie benutzen sie, weil sie es von ihren Eltern und älteren Freunden vorgemacht bekommen." Besonders in kleinen, ländlichen Gemeinden hätten die Kinder und Jugendlichen kaum Kontakt zu anderen Religionen oder Nationalitäten. Mahmic spricht von einer Art "Ghetto": "Wenn man in einer solchen Gemeinschaft lebt, wird man sich auch verhalten wie alle anderen."
Auch durch die Politik ziehen sich die alten Strukturen. Es gibt eine Partei für die Serben, es gibt eine Partei für die Bosniaken, eine für die Kroaten. Kompromisse sind selten, Veränderung auch. Das Vertrauen in die Politik ist dahin, sagt Mahmic. Nur sehr wenige junge Bosnier glaubten heute noch daran, dass sie selbst etwas im Land verändern könnten. Die große Mehrheit habe resigniert.
So wie Ena. Ein paar Stunden, bevor im Kino Bosna der Platz knapp wird, steht die 20-Jährige im leichten Regen vor der Uni und wartet auf eine Freundin. Eine zierliche Gestalt, die Schultern hochgezogen, die Stimme leise. Die Medizinstudentin liebt ihr Land und möchte es nicht verlassen. Die Probleme hier kennt sie, spricht von Drogen und Kriminalität. Manchmal schaut sie aber auch lieber weg. Sie fühlt sich hilflos. "Ich habe sehr viele Wünsche für dieses Land, aber leider kann ich nichts ausrichten. Nur einflussreiche Leute könnten hier wirklich etwas verändern, aber sie wollen nicht. Warum, weiß ich nicht. Was kann ich schon tun?"
Dabei liegt ein großes Potenzial in ihrer Generation. Sie ist aufgeschlossener, toleranter, weiß Samir Mahmic. Darin ruht seine große Hoffnung: "Wenn man Kindern schon von klein auf beibringt, dass sie in Bosnien und Herzegowina leben, dann werden sie irgendwann verstehen, dass sie alle Bosnier sind, dass dies ihr Land ist. Also müssen sie auch hier versuchen glücklich glücklich zu werden, nicht woanders."
Glücklich werden im eigenen Land - im Kino Bosna scheint das an diesem Abend nicht unmöglich. Doch die Probleme warten vor der Tür. Den Glauben an eine Zukunft in ihrer Heimat haben viele junge Bosnier trotzdem noch nicht aufgegeben, Marina jedenfalls bleibt optimistisch: "Ich verliere die Hoffnung nicht. Ich liebe dieses Land aus vielen Gründen und gleichzeitig mag ich es nicht. Auch dafür habe ich viele Gründe. Aber dies ist meine Heimat und hier will ich Verantwortung übernehmen."
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