Tennisstar Djokovic verzückt Serbien - Mission Nummer eins bei den French Open
In Serbien kann man den Beginn der French Open kaum erwarten. Denn in Paris, wo er am Sonntag seinen 24. Geburtstag feiert, soll Nationalheld Novak Djokovic den Thron der Tenniswelt erklimmen. Schon der Einzug ins Finale reicht dem Belgrader, um die 405 Ranglistenpunkte, die ihn vom Spanier Rafael Nadal trennen, aufzuholen. Doch die Serben wollen mehr, sie wollen alles von Djokovic. Es geht nicht mehr allein um Turniersiege, es geht um Rekorde, um Tennisgeschichte. Kann Djokovic Guillermo Vilas übertreffen, den Argentinier, der seit 1977 mit 46 Erfolgen den Rekord an Siegen en suite hält? Kann "Nole" gar alle vier Grand-Slam-Turniere in dieser Saison gewinnen? Die Australian Open hat er schon.
37 Matches bestritt Djokovic seit Jahresbeginn. Sie reichten für sieben Turniersiege. Saisonübergreifend (inklusive Daviscup-Finale gegen Frankreich im Dezember des Vorjahres) gewann er 39 Spiele in Folge. Dreimal schlug Djokovic den Schweizer Roger Federer, gleich viermal Nadal, den Sandplatzkönig, zuletzt auf dessen Lieblingsbelag in Madrid und Rom jeweils in zwei Sätzen.
Nach einem Zwischenstopp in Cannes, wo er mit Freundin Jelena Ristic anlässlich der Vorführung von Jodie Fosters The Beaver den Roten Teppich schmückte, kommt er jedenfalls als haushoher Favorit nach Paris. Just in Roland Garros erlitt Djokovic seine bisher letzte Niederlage auf Sand - im Vorjahr im Viertelfinale gegen den Niederösterreicher Jürgen Melzer, der nach diesem Fünf-Satz-Sieg im Halbfinale an Nadal scheiterte und ungeachtet seiner Rückenprobleme gewillt ist, heuer die damals gesammelten Ranglistenpunkte zu verteidigen.
Nole-Mania
Djokovic soll angreifen, nicht verteidigen. So vom Tennis besessen wie derzeit war Serbien nicht einmal, als Ana Ivanovic 2008 die French Open gewann und kurzzeitig den Thron der Damen bestieg, während Jelena Jankovic und Djokovic jeweils auf Platz drei rangierten. Wenn Djokovic in diesem Jahr spielt, steht in Serbien alles still. Auf den Straßen ist kaum Verkehr, Geschäftstermine werden verschoben. Alle hocken vor dem Fernseher und durchleben jeden Schlag mit Nole, selbst diejenigen, die sich sonst für Sport nicht interessieren. Wenn der "Supermann", der "Unschlagbare", der "Imperator von Rom" und "Bezwinger von Nadal" den Platz betritt, sind die enorme soziale Misere im Lande und die unstabile politische Lage vergessen. Man identifiziert sich mit "Novak dem Schrecklichen", man zeigt es der ganzen Welt. Der Held ist ein nationales Phänomen geworden.
Djokovic sei ein völlig anderer Spieler als in der vergangenen Saison, jubelt die serbische Presse. Er geriet früher oft außer Atem, hatte Probleme bei langen Ballwechseln, bei hohen Temperaturen, war nicht schnell genug. Nur die Tennislegende John McEnroe erkannte schon vor zwei Jahren in ihm den möglicherweise besten Spieler aller Zeiten. Seit er glutenfreie Produkte zu sich nimmt, habe sich alles verändert, erklärt Djokovic seine Kondition. Er habe an Masse verloren, an Schnelligkeit gewonnen und weniger Probleme mit Heuschnupfen.
Doch auch charakterlich hat sich der Rechtshänder geändert. Anstatt des Witzboldes alter Tage steht eine todernste Tennismaschine auf dem Platz. Er sei nicht mehr so lustig, merkt ein Teil der weiblichen Fans mit Bedauern an.
Patriotischer Botschafter
Die Nation platzt jedenfalls vor Stolz. "Manche Länder haben Erdöl, wir haben Nole", sagte Serbiens Außenminister Vuk Jeremic, der "zufällig" dienstlich in Madrid und in Rom war, als Djokovic finalisierte. Zu Hause gilt Djokovic als großer Patriot, die serbische Fahne hat er immer parat, niemanden stört es da sonderlich, dass er seine Steuern in Monte Carlo bezahlt. Die Dollarmillionen - mehr als 25 allein durch Preisgelder - werden ihm vergönnt. Auf der Tour verletzt er nie die von Sponsoren geforderte politische Korrektheit. Stets fair, höflich und bescheiden, immer mit einem Lob für die Gegner, ist Djokovic für die heimischen Medien der "beste Botschafter, den Serbien je hatte". Da sei es nur billig und recht, dass Djokovic wie alle serbischen Tennisasse mit Diplomatenpass reist.
Kommt nichts dazwischen, wird er so auch problemlos zum Masters-Finale nach London kommen. Sich so früh im Jahr für den Saisonausklang im Dezember zu qualifizieren, ist vor ihm nur Nadal (2009) gelungen. (Andrej Ivanji aus Belgrad, DER STANDARD, Printausgabe, Freitag, 20. Mai 2011)