?[QUOTE[h=1]"Nun wisst ihr auch, was euch erwartet"[/h]Vor zehn Jahren wurde Theo van Gogh von einem radikalen Muslim ermordet. Die tabufreien Debatten in den Niederlanden waren schlagartig vorbei – die liberale Gesellschaft hat nichts daraus gelernt.
Mit Theo van Goghs Ermordung gibt es inmitten der laizistischen Gesellschaften Europas wieder Themen, über die man besser nicht redet. Jedenfalls nicht ohne Gefahr für Leib und LebenFoto: REUTERS
Vor zehn Jahren war das noch unerhört: Im Namen Allahs schnitt ein radikaler Muslim einem wehrlosen Mitteleuropäer die Kehle durch, nachdem er ihn mit acht Schüssen niedergestreckt hatte. Das Opfer am Morgen des 2. November 2004: der niederländische Filmregisseur und Kolumnist Theo van Gogh. Damals war noch nicht abzusehen, dass die grauenvolle Mordmethode Zukunft haben würde. Ein Jahrzehnt später schneiden radikale Muslimkrieger wehrlosen Westlern, derer sie sich in den Kriegsgebieten des Orients bemächtigen, wieder die Köpfe ab. Wie van Goghs Mörder Mohammed Bouyeri stammen viele von ihnen aus Westeuropa, und wie er berufen sie sich bei ihren Taten lauthals auf ihre Religion.
Hat also der friedliche Radfahrer Theo van Gogh, als er auf dem Bürgersteig der belebten Linnaeusstraat seinem Mörder begegnete, den Zusammenstoß zweier Zivilisationen mit dem Leben bezahlen müssen? Eher handelt es sich wohl um den Kollaps einer einzigen Kultur, nämlich der westlichen. Denn Mohammed Bouyeri ist zwar marokkanischer Abkunft, wurde aber in Amsterdam geboren, im holländischen Schulsystem sozialisiert, hatte es als Kommunalpolitiker eine Zeitlang bei den Sozialdemokraten versucht und sogar bemühte Artikel für eine Stadtteilzeitung verfasst.
[h=2]Williger Talkshow-Pöbler, rüder Zeitungskolumnist[/h]Dieser engagierte Bürger konnte zwar den Koran nicht in der Originalsprachelesen. Aber die Provokationen, mit denen van Gogh die niederländische Mediengesellschaft lustvoll fütterte, konnte er mühelos verstehen. Dass Theo, dieser mittelmäßige Filmregisseur als williger Talkshow-Pöbler und rüder Zeitungskolumnist, gezielte Geschmacklosigkeiten gegen Christen und Juden, Linke und Rechte, Frauen und Männer verteilte, war dem Mörder gleichgültig. Doch bei seinem Prozess ließ er die Öffentlichkeit wissen, er habe einen Menschen hingerichtet, der Allah beleidigt habe: "Wäre es mein Vater oder mein kleiner Bruder, hätte ich genauso gehandelt."
Was hatte Theo van Gogh genau verbrochen? Er hatte nach einer Idee der aus Somalia stammenden Aktivistin Ayaan Hirsi Ali ein Filmchen namens "Unterwerfung" hergestellt, das die Beschneidung, die Rechtlosigkeit, die Unterdrückung vieler Millionen Frauen in islamischen Kulturen thematisiert. Koransuren wurden einer anonymen Akteurin auf den Körper gemalt. In Kolumnen hatte van Gogh seine Mitbürger mit islamischem Migrationshintergrund zudem unsanft in der ihm eigenen Manier als "Ziegenficker" qualifiziert. Nun war er auf dem Weg zur Endabnahme eines Thrillers über den Mord am niederländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn, der als Erster die sonderbare Wehrlosigkeit seiner Landsleute gegenüber islamischer Gewalt angesprochen hatte – und dafür 2002 ermordet worden war.
[h=2]Merkwürdige Schattierungen[/h]Am Tag nach van Goghs eigener Ermordung kam es zu einer eindrucksvollen Mobilisierung mit 20.000 Demonstranten auf dem zentralen Amsterdamer Dam-Platz. Doch zeigten sich sofort merkwürdige Schattierungen: Als zwei Moscheen und eine Islamschule von durchgedrehten Hooligans in Brand gesetzt wurden, eilten Königin Beatrix und der Ministerpräsident flugs zu den Gemeinden. Für van Goghs Familie tat es auch ein Trostbrief. Und schon fünf Jahre nach der Schreckenstat traf sich nurmehr ein Grüppchen von Freunden zur Erinnerung am Tatort, wo inzwischen ein Denkmal steht, welches bereits von Al-Qaida-Sympathisanten beschmiert wurde. Die rostfreie Stahlskulptur des Künstlers Jeroen Henneman zeigt eine Silhouette und heißt "Der Schrei". Dieser Aufschrei ist in der Gesellschaft indes kaum mehr zu hören.
Grund dafür ist die Angst, die van Goghs Mörder ganz bewusst verbreiten wollte. Propaganda war mehr noch als Rache Teil der Tat. Bouyeri hatte einen fassungslosen Passanten neben dem blutigen Leichnam angemotzt, was es denn da zu glotzen gebe. Auf die schockierte Bemerkung "Das kannst du doch nicht machen!" gab es die coole Antwort: "Und ob ich das kann! Und nun wisst ihr auch, was euch erwartet." Im Jahr danach kam es zu den angezettelten Gewaltausbrüchen, später Mordversuchen im Streit über die dänischenMohammed-Karikaturen. In Deutschland wird gerade der Kabarettist Dieter Nuhrwegen einiger kritischer Anmerkungen zur islamischen Gewalt verklagt.
[h=2]Wer will schon enden wie Theo van Gogh?[/h]In den Niederlanden ging die Einschüchterung viel schneller, da bekannten gleich nach dem Mord Autoren, Fernsehkomiker, Publizisten, dass sie sich ab sofort massiv selbst zensieren. Wer will schon enden wie Theo van Gogh?
Auf einen Schlag hatten sich Anfang November 2004 in einem Musterstaat der europäischen Liberalität alle Fronten verschoben. Linke Künstler und rechte Muslimkritiker saßen unversehens in einem Boot. Dabei hatte alles ganz anders angefangen. Die langhaarigen Provos im Amsterdam der 60er-Jahre hatten nicht nur Häuser besetzt und fleißig gekifft, sondern rüttelten bewusst an den Tabus der bürgerlichen Gesellschaft: Endlich sollte offen über Sex geredet werden, über Ausbeutung und die Verdrängung historischer Schuld. Vor allem ging es aber gegen die Religion, die mit ihren konfessionell bestens organisierten "Säulen" die Niederlande immer noch dominierte. Der schwule Romancier Gerard Reve wurde durch einen Blasphemie-Prozess berühmt, nachdem er Jesus und einen Esel recht unanständig miteinander verkehren ließ. Nach dem missglückten Prozess gab es in Kunst, Literatur und Kabarett keine Tabus mehr.
Theo van Gogh sah sich in dieser Tradition. Weil ihm alle Duckmäuserei ein Gräuel war, hatte er gegen jeden vorauseilenden Islam-Bonus gelästert. Der Schriftsteller Leon de Winter, einer von van Goghs Lieblingsfeinden, beschrieb es so: "Sein Widerwille gegen alles Mittelmäßige war so groß, dass er es als seine Pflicht empfand, die Beleidigung zur Kunstform zu erheben." Leon de Winter selbst war von van Gogh übelst beschimpft worden; in Deutschland wären dessen Pöbeleien über Auschwitz, Sex und Judentum nicht ohne Schauprozess abgegangen. Die Niederlande – und de Winter – hielten die Provokation aus. Nicht zufällig war es hinterher de Winter, der dem Intimfeind van Gogh in seinem Roman "Ein gutes Herz" voll zärtlichem Sarkasmus ein literarisches Denkmal setzte.
[h=2]Worte statt Morde[/h]Mit dem Mord war die Epoche der tabufreien Debatten im Leser- und Plaudervolk der Niederlande schlagartig vorbei. "Gnade! Wir können doch drüber reden!", waren van Goghs letzte Worte an seinen Killer, und sie beschreiben messerscharf den Abgrund, der sich auftut. Seit den Religionskriegen kämpfte die Aufklärung über 300 Jahre lang dafür, Konflikte auf der diskursiven Ebene auszutragen: Worte statt Morde. Mit Theo van Goghs Ermordung gibt es inmitten der laizistischen Gesellschaften Europas wieder Themen, über die man besser nicht redet. Jedenfalls nicht ohne Gefahr für Leib und Leben.
Insofern sind die Jahre seit dem Mord – das beweisen schon allein die Mordvideos aus den Kriegsgebieten in Syrien und im Irak – zehn verlorene Jahre. Der Mörder Bouyeri äußert in Briefen an islamische Hilfsorganisationen, die ihn von außen unterstützen, bis heute seinen Triumph: Er habe keine Sekunde Bedauern verspürt. Der Iman Fawaz Jneid, der Tage vor dem Mord van Gogh einen grausamen Krebstod an den Hals gewünscht und damit Bouyeri zur Tat aufgestachelt hatte, blieb in seiner Den Haager Moschee wohlgemerkt bis 2012 unbehelligt im Amt.
Immerhin sang der Kabarettist Hans Teeuwen 2007 bei der Einweihung des Van-Gogh-Monuments ein herzerfrischendes Couplet zur Verteidigung des freien Wortes – ein Liedchen, das vor Gotteslästerung, Pornografie und Sarkasmus nur so strotzt. Es endet mit dem Hinweis, das Opfer sei nun mal ein Bonvivant gewesen und dadurch so dick, dass ihn der Täter gar nicht verfehlen konnte: "Selber schuld!"
[h=2]Ein Theaterstück zum Mord[/h]Ganz im Ernst tauchen solche Scheinargumente aber immer wieder auf: Wer wie Fortuyn oder van Gogh die Muslimgemeinde derart provoziere, der habe sich die Folgen eben zuzuschreiben. Van Goghs Drehbuchschreiber Theodor Holman attackierte einen prominenten Filmproduzenten, der in einem Interview genau das behauptet hatte. Der Krieg, den Holman solchen Zynikern erklärt, wird – das ist der Unterschied – nicht per Halsabschneiden ausgetragen, sondern rein diskursiv.
Holman schreibt gegen das Verdrängen seit Jahren Theo-Sonette, Erinnerungsbücher, Kolumnen. Er ist nicht ganz allein. 2005 bereits gab es den Film "Allerseelen", in dem holländische Regisseure ihrem Kollegen die Ehre erweisen; es gibt Theo-Rocksongs, es gibt ein schön zerknautschtes Theo-Wandbild in der Amsterdamer Warmoestraat und inzwischen sogar ein Theaterstück über den Mord.
Alles in allem jedoch wirkt das Gedenken übersichtlich und hilflos. Wie hatte Leon de Winter über van Gogh, den Urgroßneffen des Einohrmalers, geschrieben? "Er war in dem Zwergenland, zu dem ihn der Zufall seiner Geburt verurteilt hatte, immer ein unverstandener Künstler geblieben." Oder hat man seinen Tod, anders als seine etwas wirren Billigfilme, viel zu gut verstanden? Und hält deswegen lieber betreten den Mund?
[h=2]Wo bleiben die Gotteslästerungsparagrafen?[/h]Die Reaktionen der politischen Klasse waren jedenfalls eindeutig. Hollands calvinistischer Justizminister Donner forderte bereits vier Tage nach dem Mord – nein, nicht die konsequente Verfolgung religiös motivierter Gewalt. Er rief vielmehr öffentlich nach der Wiedereinführung des Gotteslästerungsparagrafen und gab damit van Gogh implizit selbst die Schuld für sein brutales Ende. Das hat der Tod dieses "Dorfclowns", wie er sich selber bezeichnete, also deutlich gemacht: wie viel Sorge Politik und Administration inzwischen tragen, damit "uns der Laden nicht um die Ohren fliegt". So das längst sprichwörtliche Motto des früheren Amsterdamer Bürgermeisters und Oppositionsführers Job Cohen.
In den letzten zehn Jahren ist dies sogar einigermaßen gelungen, obwohl die Niederlande nach van Goghs Tod die erwartbar starke Anti-Islam-Partei desRechtspopulisten Geert Wilders bekamen, der zur Belohnung für seine Koranphobie unter Personenschutz im Versteck leben muss. Ayaan Hirsi Ali, van Goghs unbeugsame Co-Autorin, hat die Niederlande längst resigniert verlassen und arbeitet lieber in den USA. Vor vier Wochen erst ordnete der aktuelle Justizminister Plasterk neue Ermittlungen zu möglichen Mittätern Bouyeris und sogar zu einer möglichen Verstrickung des holländischen Geheimdienstes AIVD an – auch das nicht gerade ein Indiz dafür, dass der Rechtsstaat schnell reinen Tisch machen konnte.
Nun laufen, pünktlich zum zehnten Jahrestag, in den niederländischen Fernsehnachrichten Hassvideos aus Nahost, auf denen Jugendliche im Amsterdamer Slang drohen, den Feinden des Islam die Köpfe abzuschneiden. Ein paar Hundert dieser Nachahmungstäter befinden sich in Syrien und im Irak. Und während viele Niederländer jetzt merken, dass die Gefahr nicht gebannt, sondern allenfalls übergangsweise exportiert wurde, ist der stumme Nachhall von Theo van Goghs Gnadenruf immer schwerer zu überhören: "Wir können doch drüber reden!" Aber können wir das wirklich?][/QUOTE]
[*=right]
Von Dirk Schümer
Mit Theo van Goghs Ermordung gibt es inmitten der laizistischen Gesellschaften Europas wieder Themen, über die man besser nicht redet. Jedenfalls nicht ohne Gefahr für Leib und LebenFoto: REUTERS
Vor zehn Jahren war das noch unerhört: Im Namen Allahs schnitt ein radikaler Muslim einem wehrlosen Mitteleuropäer die Kehle durch, nachdem er ihn mit acht Schüssen niedergestreckt hatte. Das Opfer am Morgen des 2. November 2004: der niederländische Filmregisseur und Kolumnist Theo van Gogh. Damals war noch nicht abzusehen, dass die grauenvolle Mordmethode Zukunft haben würde. Ein Jahrzehnt später schneiden radikale Muslimkrieger wehrlosen Westlern, derer sie sich in den Kriegsgebieten des Orients bemächtigen, wieder die Köpfe ab. Wie van Goghs Mörder Mohammed Bouyeri stammen viele von ihnen aus Westeuropa, und wie er berufen sie sich bei ihren Taten lauthals auf ihre Religion.
Hat also der friedliche Radfahrer Theo van Gogh, als er auf dem Bürgersteig der belebten Linnaeusstraat seinem Mörder begegnete, den Zusammenstoß zweier Zivilisationen mit dem Leben bezahlen müssen? Eher handelt es sich wohl um den Kollaps einer einzigen Kultur, nämlich der westlichen. Denn Mohammed Bouyeri ist zwar marokkanischer Abkunft, wurde aber in Amsterdam geboren, im holländischen Schulsystem sozialisiert, hatte es als Kommunalpolitiker eine Zeitlang bei den Sozialdemokraten versucht und sogar bemühte Artikel für eine Stadtteilzeitung verfasst.
[h=2]Williger Talkshow-Pöbler, rüder Zeitungskolumnist[/h]Dieser engagierte Bürger konnte zwar den Koran nicht in der Originalsprachelesen. Aber die Provokationen, mit denen van Gogh die niederländische Mediengesellschaft lustvoll fütterte, konnte er mühelos verstehen. Dass Theo, dieser mittelmäßige Filmregisseur als williger Talkshow-Pöbler und rüder Zeitungskolumnist, gezielte Geschmacklosigkeiten gegen Christen und Juden, Linke und Rechte, Frauen und Männer verteilte, war dem Mörder gleichgültig. Doch bei seinem Prozess ließ er die Öffentlichkeit wissen, er habe einen Menschen hingerichtet, der Allah beleidigt habe: "Wäre es mein Vater oder mein kleiner Bruder, hätte ich genauso gehandelt."
Foto: picture alliance / AP Photo
"Gnade! Wir können doch drüber reden!", das waren van Goghs letzte Worte an seinen Killer, und sie beschreiben messerscharf den Abgrund, der sich auftutWas hatte Theo van Gogh genau verbrochen? Er hatte nach einer Idee der aus Somalia stammenden Aktivistin Ayaan Hirsi Ali ein Filmchen namens "Unterwerfung" hergestellt, das die Beschneidung, die Rechtlosigkeit, die Unterdrückung vieler Millionen Frauen in islamischen Kulturen thematisiert. Koransuren wurden einer anonymen Akteurin auf den Körper gemalt. In Kolumnen hatte van Gogh seine Mitbürger mit islamischem Migrationshintergrund zudem unsanft in der ihm eigenen Manier als "Ziegenficker" qualifiziert. Nun war er auf dem Weg zur Endabnahme eines Thrillers über den Mord am niederländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn, der als Erster die sonderbare Wehrlosigkeit seiner Landsleute gegenüber islamischer Gewalt angesprochen hatte – und dafür 2002 ermordet worden war.
[h=2]Merkwürdige Schattierungen[/h]Am Tag nach van Goghs eigener Ermordung kam es zu einer eindrucksvollen Mobilisierung mit 20.000 Demonstranten auf dem zentralen Amsterdamer Dam-Platz. Doch zeigten sich sofort merkwürdige Schattierungen: Als zwei Moscheen und eine Islamschule von durchgedrehten Hooligans in Brand gesetzt wurden, eilten Königin Beatrix und der Ministerpräsident flugs zu den Gemeinden. Für van Goghs Familie tat es auch ein Trostbrief. Und schon fünf Jahre nach der Schreckenstat traf sich nurmehr ein Grüppchen von Freunden zur Erinnerung am Tatort, wo inzwischen ein Denkmal steht, welches bereits von Al-Qaida-Sympathisanten beschmiert wurde. Die rostfreie Stahlskulptur des Künstlers Jeroen Henneman zeigt eine Silhouette und heißt "Der Schrei". Dieser Aufschrei ist in der Gesellschaft indes kaum mehr zu hören.
Grund dafür ist die Angst, die van Goghs Mörder ganz bewusst verbreiten wollte. Propaganda war mehr noch als Rache Teil der Tat. Bouyeri hatte einen fassungslosen Passanten neben dem blutigen Leichnam angemotzt, was es denn da zu glotzen gebe. Auf die schockierte Bemerkung "Das kannst du doch nicht machen!" gab es die coole Antwort: "Und ob ich das kann! Und nun wisst ihr auch, was euch erwartet." Im Jahr danach kam es zu den angezettelten Gewaltausbrüchen, später Mordversuchen im Streit über die dänischenMohammed-Karikaturen. In Deutschland wird gerade der Kabarettist Dieter Nuhrwegen einiger kritischer Anmerkungen zur islamischen Gewalt verklagt.
[h=2]Wer will schon enden wie Theo van Gogh?[/h]In den Niederlanden ging die Einschüchterung viel schneller, da bekannten gleich nach dem Mord Autoren, Fernsehkomiker, Publizisten, dass sie sich ab sofort massiv selbst zensieren. Wer will schon enden wie Theo van Gogh?
Auf einen Schlag hatten sich Anfang November 2004 in einem Musterstaat der europäischen Liberalität alle Fronten verschoben. Linke Künstler und rechte Muslimkritiker saßen unversehens in einem Boot. Dabei hatte alles ganz anders angefangen. Die langhaarigen Provos im Amsterdam der 60er-Jahre hatten nicht nur Häuser besetzt und fleißig gekifft, sondern rüttelten bewusst an den Tabus der bürgerlichen Gesellschaft: Endlich sollte offen über Sex geredet werden, über Ausbeutung und die Verdrängung historischer Schuld. Vor allem ging es aber gegen die Religion, die mit ihren konfessionell bestens organisierten "Säulen" die Niederlande immer noch dominierte. Der schwule Romancier Gerard Reve wurde durch einen Blasphemie-Prozess berühmt, nachdem er Jesus und einen Esel recht unanständig miteinander verkehren ließ. Nach dem missglückten Prozess gab es in Kunst, Literatur und Kabarett keine Tabus mehr.
Foto: Getty Images
Der niederländische Filmregisseur Theo van Gogh wurde am 2. November 2004 ermordetTheo van Gogh sah sich in dieser Tradition. Weil ihm alle Duckmäuserei ein Gräuel war, hatte er gegen jeden vorauseilenden Islam-Bonus gelästert. Der Schriftsteller Leon de Winter, einer von van Goghs Lieblingsfeinden, beschrieb es so: "Sein Widerwille gegen alles Mittelmäßige war so groß, dass er es als seine Pflicht empfand, die Beleidigung zur Kunstform zu erheben." Leon de Winter selbst war von van Gogh übelst beschimpft worden; in Deutschland wären dessen Pöbeleien über Auschwitz, Sex und Judentum nicht ohne Schauprozess abgegangen. Die Niederlande – und de Winter – hielten die Provokation aus. Nicht zufällig war es hinterher de Winter, der dem Intimfeind van Gogh in seinem Roman "Ein gutes Herz" voll zärtlichem Sarkasmus ein literarisches Denkmal setzte.
[h=2]Worte statt Morde[/h]Mit dem Mord war die Epoche der tabufreien Debatten im Leser- und Plaudervolk der Niederlande schlagartig vorbei. "Gnade! Wir können doch drüber reden!", waren van Goghs letzte Worte an seinen Killer, und sie beschreiben messerscharf den Abgrund, der sich auftut. Seit den Religionskriegen kämpfte die Aufklärung über 300 Jahre lang dafür, Konflikte auf der diskursiven Ebene auszutragen: Worte statt Morde. Mit Theo van Goghs Ermordung gibt es inmitten der laizistischen Gesellschaften Europas wieder Themen, über die man besser nicht redet. Jedenfalls nicht ohne Gefahr für Leib und Leben.
Insofern sind die Jahre seit dem Mord – das beweisen schon allein die Mordvideos aus den Kriegsgebieten in Syrien und im Irak – zehn verlorene Jahre. Der Mörder Bouyeri äußert in Briefen an islamische Hilfsorganisationen, die ihn von außen unterstützen, bis heute seinen Triumph: Er habe keine Sekunde Bedauern verspürt. Der Iman Fawaz Jneid, der Tage vor dem Mord van Gogh einen grausamen Krebstod an den Hals gewünscht und damit Bouyeri zur Tat aufgestachelt hatte, blieb in seiner Den Haager Moschee wohlgemerkt bis 2012 unbehelligt im Amt.
Immerhin sang der Kabarettist Hans Teeuwen 2007 bei der Einweihung des Van-Gogh-Monuments ein herzerfrischendes Couplet zur Verteidigung des freien Wortes – ein Liedchen, das vor Gotteslästerung, Pornografie und Sarkasmus nur so strotzt. Es endet mit dem Hinweis, das Opfer sei nun mal ein Bonvivant gewesen und dadurch so dick, dass ihn der Täter gar nicht verfehlen konnte: "Selber schuld!"
[h=2]Ein Theaterstück zum Mord[/h]Ganz im Ernst tauchen solche Scheinargumente aber immer wieder auf: Wer wie Fortuyn oder van Gogh die Muslimgemeinde derart provoziere, der habe sich die Folgen eben zuzuschreiben. Van Goghs Drehbuchschreiber Theodor Holman attackierte einen prominenten Filmproduzenten, der in einem Interview genau das behauptet hatte. Der Krieg, den Holman solchen Zynikern erklärt, wird – das ist der Unterschied – nicht per Halsabschneiden ausgetragen, sondern rein diskursiv.
Holman schreibt gegen das Verdrängen seit Jahren Theo-Sonette, Erinnerungsbücher, Kolumnen. Er ist nicht ganz allein. 2005 bereits gab es den Film "Allerseelen", in dem holländische Regisseure ihrem Kollegen die Ehre erweisen; es gibt Theo-Rocksongs, es gibt ein schön zerknautschtes Theo-Wandbild in der Amsterdamer Warmoestraat und inzwischen sogar ein Theaterstück über den Mord.
Foto: Getty Images
Die rostfreie Stahlskulptur des Künstlers Jeroen Henneman zeigt eine Silhouette und heißt "Der Schrei"Alles in allem jedoch wirkt das Gedenken übersichtlich und hilflos. Wie hatte Leon de Winter über van Gogh, den Urgroßneffen des Einohrmalers, geschrieben? "Er war in dem Zwergenland, zu dem ihn der Zufall seiner Geburt verurteilt hatte, immer ein unverstandener Künstler geblieben." Oder hat man seinen Tod, anders als seine etwas wirren Billigfilme, viel zu gut verstanden? Und hält deswegen lieber betreten den Mund?
[h=2]Wo bleiben die Gotteslästerungsparagrafen?[/h]Die Reaktionen der politischen Klasse waren jedenfalls eindeutig. Hollands calvinistischer Justizminister Donner forderte bereits vier Tage nach dem Mord – nein, nicht die konsequente Verfolgung religiös motivierter Gewalt. Er rief vielmehr öffentlich nach der Wiedereinführung des Gotteslästerungsparagrafen und gab damit van Gogh implizit selbst die Schuld für sein brutales Ende. Das hat der Tod dieses "Dorfclowns", wie er sich selber bezeichnete, also deutlich gemacht: wie viel Sorge Politik und Administration inzwischen tragen, damit "uns der Laden nicht um die Ohren fliegt". So das längst sprichwörtliche Motto des früheren Amsterdamer Bürgermeisters und Oppositionsführers Job Cohen.
In den letzten zehn Jahren ist dies sogar einigermaßen gelungen, obwohl die Niederlande nach van Goghs Tod die erwartbar starke Anti-Islam-Partei desRechtspopulisten Geert Wilders bekamen, der zur Belohnung für seine Koranphobie unter Personenschutz im Versteck leben muss. Ayaan Hirsi Ali, van Goghs unbeugsame Co-Autorin, hat die Niederlande längst resigniert verlassen und arbeitet lieber in den USA. Vor vier Wochen erst ordnete der aktuelle Justizminister Plasterk neue Ermittlungen zu möglichen Mittätern Bouyeris und sogar zu einer möglichen Verstrickung des holländischen Geheimdienstes AIVD an – auch das nicht gerade ein Indiz dafür, dass der Rechtsstaat schnell reinen Tisch machen konnte.
Nun laufen, pünktlich zum zehnten Jahrestag, in den niederländischen Fernsehnachrichten Hassvideos aus Nahost, auf denen Jugendliche im Amsterdamer Slang drohen, den Feinden des Islam die Köpfe abzuschneiden. Ein paar Hundert dieser Nachahmungstäter befinden sich in Syrien und im Irak. Und während viele Niederländer jetzt merken, dass die Gefahr nicht gebannt, sondern allenfalls übergangsweise exportiert wurde, ist der stumme Nachhall von Theo van Goghs Gnadenruf immer schwerer zu überhören: "Wir können doch drüber reden!" Aber können wir das wirklich?][/QUOTE]