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"Was sich in Sotschi verändert hat, ist fantastisch"[/h] Die Berichte ausländischer Medien sind eine Frechheit, sagt Margarita Simonjan, Chefredakteurin der Nachrichtenagentur Russland heute. Olympia habe Wohlstand gebracht.
ZEIT ONLINE: Was schauen Sie denn so von den Olympischen Spielen?
Margarita Simonjan: Ich gucke alles. Jetzt gerade Biathlon. Eiskunstlauf mag ich am liebsten. Julia Lipnitskaja ist ein Wunder, so ein tolles Mädchen! Sie treibt mir die Tränen in die Augen.
ZEIT ONLINE: Sie waren kürzlich in Sotschi. Wie war es dort?
Simonjan: Sotschi ist meine Heimatstadt. Was sich dort alles verändert hat, ist fantastisch. Ich bin oft dort, mehrmals im Jahr. In den letzten fünf Jahren habe ich die Stadt jedes Mal nicht wiedererkannt. Auf dem Weg zum Haus meiner Großmutter gibt es jetzt eine neue Straße, eine neue Brücke, neue Tunnel, eine neue Schule, ein tolles neues Krankenhaus. Aus der Sicht der Menschen, die in Sotschi leben, ist Großartiges mit ihrer Stadt geschehen. Sie sind sehr dankbar.
ZEIT ONLINE: Manche sagen, früher sei es schöner gewesen.
Simonjan: Nein, es ist jetzt sehr schön. Der Olympische Park zum Beispiel sieht toll aus, wenn man mit dem Flugzeug ankommt, vor allem, wenn abends alle Lichter an sind. Dort war vorher ja nur Sumpf. Nichts war da. Ein bisschen Gras, ein paar Kartoffeln wurden da angebaut.
ZEIT ONLINE: Natur ist zerstört worden.
Simonjan: Das war doch keine Natur! Sumpf war das, lange schon. Sumpf klingt so natürlich – aber es war nur ein Stück Land, wo Bohnen gezüchtet wurden, noch nicht einmal Wald. Um Land für Bohnenanbau ist es nicht schade, davon gibt es in Russland genug.
ZEIT ONLINE: Ihre Familie freut sich also über die Veränderungen?
Simonjan: Meine Familie und viele Leute in Sotschi waren ursprünglich gegen die Spiele. Sie haben befürchtet, dass schicke Hotels und teure Restaurants gebaut werden, dass es den Leuten nichts bringt. Eingetreten ist das Gegenteil. Die Geschäfte laufen jetzt viel, viel besser.
In dem Dorf, aus dem ich komme, haben viele kleine Geschäfte aufgemacht. Vor sieben Jahren gab es nur eine Videothek und wir hatten eine Hähnchenbraterei. Jetzt haben alle Nachbarn ein Business. Der eine hat eine Apotheke, der andere ein Hotel, einen Imbiss oder eine Herberge. Und wir haben jetzt ein Restaurant. Einen Monat vor den Spielen war Eröffnung. Das ist ein Beispiel dafür, wie viele Menschen dank der Olympischen Spiele ein vernünftiges Unternehmen aufmachen konnten.
ZEIT ONLINE: Wird das mit dem Geschäft nach den Spielen so weiter gehen?
Simonjan: Die Infrastruktur und die Umweltbedingungen sind jetzt viel besser. Früher war das Meer sehr schmutzig. Es gab keine richtige Kanalisation, das Abwasser floss direkt ins Meer. Baden war vor allem für Kinder riskant. Dank der Olympischen Spiele ist das jetzt vorbei, denn es wurde eine Kanalisation gebaut. Auch die großen Müllkippen wurden geschlossen.
Wir waren im Januar vor den Spielen zum Skifahren über die Feiertage dort. Aber wir konnten nicht fahren, weil so viele Menschen da waren, dass es im Skiverleih nicht mehr genug Skier gab. Da kann man sich vorstellen, wie es im Sommer aussieht. Weil die Stadt so viel attraktiver für Touristen geworden ist, werden auch nach den Spielen in der Winter- und Sommersaison sehr viele Gäste kommen.
ZEIT ONLINE: Uns haben
Menschen aus Sotschi erzählt, dass sie das Gegenteil fürchten, weil Sotschi seinen Charme als Badeort verloren hat.
Simonjan: Keine Ahnung, wer so etwas sagt. Wir waren vor Kurzem auf der Strandpromenade, das ist wie auf der Brooklyn Bridge! Eine Sehenswürdigkeit. Früher gab es in Sotschi nicht wirklich was zu sehen. Meer und Berge. Jetzt gibt es dort Olympiapaläste. Das Meer ist immer noch da, die Berge auch. Aber jetzt gibt es Infrastruktur, Angebote für Touristen. Man kann in der Stadt jetzt was erleben. Früher gab es nichts Vernünftiges zu essen, keine Sporteinrichtungen.
Noch vor einem halben Jahr war dort, wo jetzt das olympische Dorf steht, nicht etwa eine Uferpromenade, sondern Sand und Gras, auf dem Kühe rumliefen und Fladen hinterließen. Jetzt ist das Ufer neu gemacht. Mein Bruder hat mir gerade erzählt, dass er dort jeden Morgen Fahrrad fährt.
ZEIT ONLINE: Umweltaktivisten sehen das kritischer.
Simonjan: Ich kann nur sagen, dass die Spiele in Sotschi einen großen Nutzen gebracht haben. Weil Bäume gefällt wurden, haben die Umweltaktivisten Druck gemacht. Und sie haben ja auch etwas erreicht. Das finde ich richtig.
ZEIT ONLINE: Vor ein paar Tagen wurde der
Umweltaktivist Jewgenij Witischki zu drei Jahren Lager verurteilt, weil er Parolen gesprüht hat.
Simonjan: Das ist schlecht. Ich hoffe, das war eine Fehlentscheidung. Ich hoffe, dass die Entscheidung revidiert wird. Die Strafe ist viel zu hoch für das, was ihm vorgeworfen wird. Seine Anwälte werden sich für ihn einsetzen und die Strafe wird geändert werden.
ZEIT ONLINE: Sie sind Chefredakteurin des
Auslands-TV-Senders RT und seit Januar auch Chefredakteurin der neu gegründeten Nachrichtenagentur Rossija Segonja. Was ist ihr Ziel?
Simonjan: Rossija Segonja wird eine internationale Nachrichtenagentur sein, so wie der Fernsehsender international ist. Die Nachrichtenagentur Ria Nowosti …
ZEIT ONLINE: …
die vor Kurzem geschlossen wurde und deren Budget an sie übergeht …
Simonjan: … genau. Ria Nowosti sollte zwar international sein, arbeitete aber nicht im Ausland. Sie war auf Russland ausgerichtet. Wir werden uns künftig an die Welt wenden. Auch die Stimme Russlands (Golos Rossij) geht in der Agentur auf. So bündeln wir unsere Kräfte, unsere Ressourcen.
ZEIT ONLINE: Ria Nowosti galt als relativ kritisch.
Simonjan: Die Ideologie von Ria Nowosti fand ich nicht besonders interessant. Es ist klar, dass die neue Agentur, so weit das von mir abhängt, den russischen Blick auf die Ereignisse in Russland und in der Welt verbreiten wird – für ein internationales Publikum.
ZEIT ONLINE: Wie sieht dieser russische Blick aus?
Simonjan: Das werden Sie ja sehen. Auf jeden Fall werden wir nicht wie einige unserer westlichen Kollegen Bilder aus der Ukraine aus dem Jahr 2011 zeigen und behaupten, es sei 2014 in Sotschi. Wenn ausländische Medien über Sotschi schreiben, dass dort alles fürchterlich ist, dann ist das nicht richtig und nicht objektiv. Ehrlich gesagt ist es eine Frechheit. Ihre eigenen Kunden wollen das nicht mehr hören.
ZEIT ONLINE: Es muss ja nicht das eine oder andere Extrem sein. Werden sie auch kritisch berichten?
Simonjan: Das haben wir sieben Jahre lang in Bezug auf Sotschi getan. Wir berichten von den Olympischen Spielen nicht erst seit gestern, sondern haben den ganzen Prozess begleitet. Wir haben den Bau verfolgt, die Probleme, Fragen der Umsiedlung, der Korruption, Fragen, warum alles so teuer wurde … Wir versuchen nur, objektiver zu sein als die anderen. Wir halten uns aber nicht mit Nebensächlichkeiten auf. Es ist nie alles schlecht. Natürlich gab es bei der Vorbereitung der Spiele Probleme. Aber jetzt haben wir eine tolle Bühne, zufriedene Sportler, zufriedene Zuschauer.
ZEIT ONLINE: Sind die Spiele für Sie Fluch oder Segen?
Simonjan: Ich bin dem russischen Volk sehr dankbar, dass wir das alles geschafft und möglich gemacht haben.
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