Obwohl drei Attentate angeblich vom IS verübt worden sind, bombardiert die türkische Luftwaffe in erster Linie Stellungen der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei
PKK und nicht den IS in Nordsyrien. Sogar nach dem Anschlag in Ankara
setzte sie ihre Luftangriffe fort. Dabei hat die PKK, die das Land ihrerseits mit Gewalt überzogen und in den vergangenen Wochen Dutzende Soldaten und Polizisten getötet hat, kürzlich einen vorläufigen Gewaltverzicht erklärt. Die Lethargie der Mächtigen, wann immer Gegner von Staatspräsident
Recep Tayyip Erdogan die Opfer sind, die vorschnelle Schuldzuweisung bei den drei Terrorakten ohne Belege, die herablassende Nichtbeantwortung von kritischen Fragen - all das nährt den geradezu monströsen Verdacht vieler Oppositioneller, dass der Staat selbst in die Anschläge verwickelt sein könnte.
Auf Gewalt droht Gegengewalt
Der
anonyme Whistleblower Fuat Avni, der seit Jahren - oft präzise - Interna der Regierung per Twitter verrät, schreibt jetzt, Erdogan sei gewillt, einen Bürgerkrieg anzuzetteln. Ihn treibe, vermuten viele, die Angst vor den Wahlen am 1. November, die abgehalten werden müssen, weil die AKP nach dem Verlust ihrer Alleinherrschaft bei der Wahl im Juni nicht fähig war, eine Koalition zu bilden.
Weil die Umfragen aber darauf hindeuten, dass die Partei auch dieses Mal keine absolute Mehrheit erreichen, Erdogan mithin seinen Traum von einem Präsidialsystem nicht umsetzen können dürfte, wolle Erdogan das Land ins Chaos stürzen, die Wahlen verschieben und seine Macht auf diese Weise für längere Zeit sichern.
Wenn das der Plan sein sollte, geht er zum Teil schon jetzt auf: Viele Türken und Kurden stehen sich sogar im persönlichen Umgang wieder feindselig gegenüber,
auch in Deutschland. Das Land ist zerrissen. Und die HDP, der im Juni die Sensation gelungen war, als erste prokurdische Partei ins Parlament einzuziehen, hat immer größere Mühe, die aufgebrachte kurdische Jugend zu kontrollieren und von Rachegedanken abzubringen. Auf Gewalt droht Gegengewalt zu folgen. Wer auch immer für den Terror verantwortlich ist - die Türkei steht nun in einer Reihe mit Ländern, in denen Gewalt zum Instrument der politischen Auseinandersetzung wird. Die Regierung lässt nicht erkennen, dass sie an Frieden interessiert ist. Einzelne wichtige Akteure nehmen Terror offenbar als politisches Mittel in Kauf.
Das ist einer Demokratie unwürdig.