Ist eine gute Frage. Allgemein war der Balkan stets ein Spielball der Grossmächte und ihrer Einflusssphären wo jetzt irgendwelche Blöcke gebildet werden.
Die EU und vor allem Berlin wollen auf dem Balkan Blockstaaten unter ihrer Obhut haben, die Franzosen stehen irgendwie passiv, aber unterstützen im Grossen und Ganzen Deutschland. Es existiert bereits aber ein gegnerischer Anti-Block "unabhängiger" Staaten unter Londons und Washingtons Einfluss, die soggenannte mitteleuropäische Visegrad Gruppe, als direkter Nachfolger der Kleinen Entente aus 1920. Sie dienen als eine Art Pufferzone zwischen Deutschland und Russland, aber auch der Türkei, um sich nicht (vor allem wirtschaftlich) näher zu kommen.
Der andere inoffizielle Staaten-Bund unter der Führung der Türkei bilden diejenigen mit einem relativ grossen muslimischen Bevölkerungsanteil, sprich Albanien, ein Teil Mazedoniens, Kosovo und auch eben Bosnien. Interessanterweise fällt unter dieser Gruppe auch das "katholische" Italien, dessen Industrie durstig nach Energiequellen ist (und in grosser Konkurrenz mit Deutschland steht) und diese eigentlich nur über Griechenland und der Türkei erhalten kann.
Wieso hört man in Bezug auf Erdogans Säuberungen nach dem Putsch nur von den USA, Deutschland und Frankreich Kritik aber nicht von Grossbritannien? Tja, mit dem "Brexit" haben sie sich in eine Lage gebracht, dass in naher Zukunft ein unabhängiges Türkei und selbst Russland starke Verbündete werden könnten als eine Art Argument und Drohmittel der EU Forderungen zu stellen. Kein Szenario kann man vollständig ausschliessen.
Kroatien ist immer noch auf der Suche nach der Positionierung und ich denke deswegen auch das Taktieren mit Erdogan. Mal davon abgesehen, dass die Slowenen bereits jegliche letzte Souveränität an Deutschland durch die Übergabe ihrer Banken und Wirtschaft abgegeben haben, bleibt noch Kroatien übrig. Es sollte niemand überraschen, dass die Deutsche Bank in Kroatien vor allem jetzt eine Talfahrt nach der anderen erlebt. Es wäre auch ein grosser Zufall, dass auf einmal Italiens "Intesa" und "Unicredit" beide vor dem Bankrott stehen, obwohl Kroatien da keinen Einfluss hat. Das sind Banken die direkt alle Banken in Kroatien beeinflussen. Wieso hat das österreichische OMW alle ihre Pumpen dem russischen Mineralölkonzern Lukoil übergeben?
Kroatien ist meiner Meinung nach immer noch mitten im "Kampf" über die künftige Blockbildungen in ganz Europa und sie liebäugeln ja auch mit türkischen Investitionen die zurzeit gross an der dalmatinischen Küste investieren. Wie gesagt, das alles muss nicht eintreffen aber für meinen Geschmack passiert in der Politik nichts zufällig.
Im Moment wundert mich sehr, dass bei dieser ganzen Brexit Diskussion kaum diskutiert wird, welchen Einfluss das auf den Balkan hat. Hier im Forum sowieso nicht. Und generell scheint man relativ gelassen damit umzugehen, wie sich die Rolle Deutschlands in der EU und vor allem jetzt, mit dem Brexit verändert hat. Früher kamen noch die Mahnungen, dass Deutschland den Binnenmarkt stärken sollte. Durch den Exportschwerpunkt, sollte allen klar sein, dass Deutschland klare Interessen hat und die nicht unbedingt gut sind für die EU-Länder. Die Briten werden sehr fehlen.
Es ist wohl auch kein Zufall, dass gerade Deutschland und Österreich so interessiert am Beitritt Serbiens sind. Österreich, weil sie sowieso stark profitiert haben von der Osterweiterung und bei Deutschland sind es wohl verschiedene Beweggründe. Vucic macht es ja ganz geschickt und hält sich alle Optionen offen.
Kroatien wirkt diesbezüglich wie ein Flummi in der Gummizelle. Die SDP ist ja sehr pro EU, was ja sogar dazu führte, dass Kroatien zumindest von den Gesetzen her, ziemlich liberal wurde. Einiges wurde mittlerweile rückgängig gemacht - Homoehe zb. Und die HDZ orientierte sich eher Richtung Ungarn und scheiterte daran vor ein paar Jahren, zusammen mit den Korruptionsskandalen. Und jetzt wieder, mit einem deutlich noch weiter nach rechts gerückten Karamarko und mehr als nur Hinweisen darauf, dass man sich wieder Richtung Ungarn orientieren wollte. Das gleiche Spielchen, Korruption, Demonstrationen und aus die Maus. Traditionell war man meiner Meinung nach, nicht an Deutschland orientiert, eher frankophil aber dazu gibt es heute kaum noch einen Grund, nicht einmal kulturell. Wenn ich daran denke, dass Matos mal davor gewarnt hat, dass Deutschland mal Kroatiens Untergang wird... - ok, das wäre nicht das erste Mal

Das mit Lukoil hat mich auch sehr gewundert. In HR sind die sicher Marktführer, rein optisch jedenfalls. Auch investieren Russen an der Küste und angeblich soll ja auch die HDZ aus Russland und (glaube) Ungarn finanziert worden sein im Wahlkampf. Ich glaube du hattest mal über den Brüssel Aufenthalt von Milanovic spekuliert


Wünschenswert wäre, dass Italien, Griechenland und Spanien wieder mehr an Bedeutung gewinnen. Und vor allem sollte Kroatien aus Griechenland lernen, besonders was die Landwirtschaft betrifft. Hier rutscht man immer weiter in die Abhängigkeit der EU. War schon blöd für Kroatien, als Russland keine Mandarinen mehr wollte.
Fragt sich, was die USA mit der Türkei vorhat. Ich zweifle irgendwie auch daran, dass die Beziehungen zwischen Russland und den USA wirklich so schlecht sind. Schon merkwürdig, wenn man sich überlegt, dass während der Ukraine-Krise Russlands Wirtschaftsberater, die sich öfter mal den kalten Krieg zurückwünschten, um den Binnenmarkt zu stärken, diesen Wunsch erfüllt bekamen, die USA sich plötzlich schneller von der Krise erholte und hauptsächlich die EU das Nachsehen hatte. Wobei Deutschland natürlich sehr von einem schwachen Euro profitiert.
Für mich ist nur klar, dass Deutschland die Türkei braucht, weil die deutsche Wirtschaft, die Türkei braucht. Und für den gesamten Balkan sehe ich nicht, dass die blockfreie Zeit so schnell zurück kommt, wobei man ja heute weiß, dass blockfrei gar nicht so blockfrei war. Was Erdogan betrifft, ist er entweder verrückt geworden oder benutzt die Krise einfach massiv für seinen Machtausbau, mit Mitteln, die seiner Wählerschaft entsprechen. Gülen scheint der USA allerdings nicht unsympathisch, ein scheinbar westlich gerichteter Hodza, der dem Papst die Hand küsst. Ich persönlich halte Gülen für gefährlicher als Erdogan, auch wenn beide nicht alle Latten am Zaun haben