Ö
ökörtilos
Guest
Ich fand diesen Spiegel Artikel von 1978, der die verkommenen Verhältnisse in den Reihen der sowjetischen Streitkräfte sehr interessant beschreibt.
Am schlimmsten ist es nachts
Am schlimmsten ist es nachts
Von Podrabinek, Kirill
Drill und Schikane bei der Ausbildung sowjetischer Rekruten beschreibt der Wehrpflichtige Kirill Podrabinek aus Moskau, 25, der seine zweijährige Dienstzeit in einer Kaserne in Turkmenistan ableistete. So wie die Freiwilligen der US-Marine-Infanterie (Seite 65), erfahren die sowjetischen Wehrpflichtigen Härte und Erniedrigung, aber noch mehr -- Hunger, Prügel und Diebstahl durch Dienstältere und Vorgesetzte: "Natürlich wird der Rekrut nicht jeden Tag verprügelt, Fußtritte aber sind alltäglich." Von seinem Manuskript, das in Moskau beschlagnahmt wurde, leitete Podrabinek dem SPIEGEL eine Kopie zu. Er wurde im März wegen "illegalen Waffenbesitzes" zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Sein Bruder Alexander, ein aktiver Menschenrechtler, kam im Mai ins Gefängnis.
Drill und Schikane bei der Ausbildung sowjetischer Rekruten beschreibt der Wehrpflichtige Kirill Podrabinek aus Moskau, 25, der seine zweijährige Dienstzeit in einer Kaserne in Turkmenistan ableistete. So wie die Freiwilligen der US-Marine-Infanterie (Seite 65), erfahren die sowjetischen Wehrpflichtigen Härte und Erniedrigung, aber noch mehr -- Hunger, Prügel und Diebstahl durch Dienstältere und Vorgesetzte: "Natürlich wird der Rekrut nicht jeden Tag verprügelt, Fußtritte aber sind alltäglich." Von seinem Manuskript, das in Moskau beschlagnahmt wurde, leitete Podrabinek dem SPIEGEL eine Kopie zu. Er wurde im März wegen "illegalen Waffenbesitzes" zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Sein Bruder Alexander, ein aktiver Menschenrechtler, kam im Mai ins Gefängnis.
"Aufstehen!" brüllt der Unteroffizier. Von den Oberbetten fallen die Jung-Rekruten wie die Erbsen herunter. In den Unterbetten dagegen träumen die Längerdienenden weiter. Ort der Handlung ist eine Kaserne der Sowjet-Armee in Turkmenistan in Mittelasien.
Hier wird streng die Hierarchie eingehalten -- nach Dienstjahren und Dienstjahrgängen. Die Rekruten im ersten Jahr sind völlig rechtlos, die des zweiten Dienstjahres Herren über das Schicksal der Jung-Rekruten.
Es gibt aber auch Zwischenstufen. So gehören die Rekruten, die im ersten Halbjahr dienen, zu der niedrigsten Kaste. Die im zweiten Halbjahr haben zwar offiziell keine Privilegien, werden aber seltener beispielsweise zum Waschen der Fußlappen für die Längerdienenden eingeteilt.
Nach einem Dienstjahr aber geschieht mit dem Rekruten eine wunderbare Metamorphose -- aus dem Jung-Rekruten wird ein Kandidat. Seine Funktionen sind die eines strafenden, für die "Ordnung" verantwortlichen Polizisten. Nach einem weiteren Halbjahr ist der Kandidat ein Längerdienender -- die Creme der Kaserne sozusagen. Die höchste Stufe der Macht ist jedoch die Position eines "Großvaters". Das ist ein Längerdienender, der schon kurz vor der Entlassung steht, aber noch in der Kaserne wohnt.
Nach dem Aufstehen beginnt, unter der Leitung von Unteroffizieren im zweiten Dienstjahr, die körperliche Ertüchtigung. Sie ähnelt sehr der Folter. Nach 20 bis 40 "Beugen rückwärts" über eine Bank, die Füße an einem in die Erde eingelassenen Rohr festgehakt. schmerzt den Jung-Rekruten der ganze Körper. Rundum stehen die Längerdienenden und kommentieren rauchend die Ertüchtigung.
Im sogenannten Hippodrom rennen die Rekruten im Kreis herum. Die Längerdienenden schließen Wetten ab, wer schneller rennt. Ein "Pferdchen", das zurückbleibt, wird mit Fußtritten aufgemuntert. Der Soldat Sch. wurde so lange getrieben, bis seine Operationsnähte am Bauch platzten.
Wo aber sind die Offiziere? Natürlich zu Hause. Die Offiziere erscheinen nur zum Morgenappell, und da auch nicht oft. Wenn, dann wird die Kompanie zur Übung geschickt, der Offizier aber verschwindet in der Schreibstube, zum Rauchen.
Die Folter der Korperertüchtigung wiederholt sich mehrmals im Laufe des Tages. Die Offiziere überlassen das alles den Unteroffizieren und widmen sich in Ruhe ihren Geschäften.
Nach der Körperertüchtigung wird der Rekrut in die Kaserne gejagt und muß die Räume in Ordnung bringen. Zwei Mann müssen die Kaserne reinigen, der Rest muß Betten bauen -- seine und die der "Aristokratie".
Die Offiziere fordern eine hohe Qualität des Bettenbaus, die Unteroffiziere eine noch höhere. Die Kanten der Zudecke, fordern sie, müssen so scharf sein, daß "einem Käfer die Eier abgeschnitten werden". Stellt sich der Idealzustand nicht ein, wird auch mal befohlen: "Mit den Händen können Sie nicht arbeiten, versuchen Sie es mit den Zähnen." So wird die Zudecke festgebissen!
Sobald die Betten fertig sind, werfen sich die Kandidaten und Längerdienenden darauf. Das ist an sieh verboten, aber wer achtet schon auf Vorschriften? So müssen die Betten im Laufe des Tages mehrmals gerichtet werden.
Dann kommt der Morgen-Appell. Alles muß sauber sein -- saubere Kragen, blankgeputzte Stiefel, frische Uniform. Vom Sold wird regelmäßig Geld zum Ankauf von Seife, Zahnbürsten und -paste, Schuhbürsten und -creme abgezogen. Der Spieß kauft ein und behält den Löwenanteil des Gekauften für die künftigen Längerdienenden. Der Rest wird aufgeteilt.
"Manche vergraben ihr Eigentum sogar in der Erde."
"Taschen nach außen und Inhalt vorzeigen!" kommandiert der Unteroffizier. Wehe, wenn er eine Zahnbürste, einen Brief, einen Rasierapparat findet: "Marsch, zum Kloputzen! Später passiert noch was mit dir!"
Diese Praxis ist sehr sinnvoll -- der Rekrut soll nichts besitzen, alles soll der Kasernen-Aristokratie gehören. Verstecken kann der Rekrut ja nirgendwo etwas, außer am eigenen Körper. Sein Privatbeutel wird kontrolliert,
das Bett natürlich auch. Entweder wird
* Angehörige der "Taman"-Division, einer bei Moskau stationierten Elite-Einheit.
dem Rekruten alles abgenommen oder geklaut.
Diebstahl ist in der Kaserne alltäglich. Die Längerdienenden beklauen alle, die Rekruten bestehlen sich gegenseitig. Jeder versucht, seine Sachen zu verstecken: im Kampfwagen, im Funkraum, im Wachlokal, manche vergraben ihr Eigentum sogar in der Erde.
Die schönsten Übungen sind die Polit-Informationen. Da wird von den Rekruten nur eines verlangt: ruhig vorne sitzen, aufmerksam dem Offizier zuhören un<l mit dem Rücken die schlafenden Längerdienenden abschirmen.
Es ist bekannt, daß der Soldatenfraß keine französische Küche ist. Wenn der Soldat aber alles, was ihm zusteht, auch aufessen könnte, gäbe es keinen Hunger in der Kaserne. Zwischen der Verpflegung der Garnison aber und dem Speisetisch des Soldaten liegen zwei Stationen -- Magazin und Küche. Abends sieht man die Unterleutnante mit dicken Taschen heimwärts streben, und in der Küche bereiten die Köche Festmähler für die Längerdienenden. Den Rekruten steht eine neue Folter bevor -- die Hungerfolter.
An einem Tisch sitzen zehn Leute -- fünf "Aristokraten" und fünf "Sklaven". Die Aristokraten sitzen dort, wo der Kübel steht. Das Austeilen übernimmt ein Rekrut, der eine besondere Vertrauensperson der Längerdienenden ist. Die Aristokraten kriegen, soviel sie wollen, dann nimmt der Austeiler sich seinen Teil. Den Rest kriegt die andere Seite des Tisches -- die Sklaven.
Wenn in dem Kübel allerdings etwas ganz Besonderes ist, zum Beispiel Kartoffeln statt Grütze, dann bekommen die Sklaven gar nichts. Aber selbst Grütze bekommt der letzte am Tisch -~ der schwächste Rekrut oder einer, der besonders gern gequält wird -- nicht immer.
Kein Jung-Rekrut darf das Brot, die Butter, den Zucker, abends ein Stück Fisch vor dem Längerdienenden nehmen. Danach stürzt er sich auf die Reste. Wer näher an den Aristokraten sitzt, ist im Vorteil. Jeder Platz ist streng reglementiert, wird durch die Kraft, die Geschicklichkeit, das Liebedienern vor der Aristokratie der Kaserne, durch Frechheit und Gemeinheit bestimmt. So ist es nicht verwunderlich, daß die Rekruten immer hungrig sind. "Mit einem Fußtritt aus dem Bett befördert."
Vielleicht helfen aber Päckchen oder Geldüberweisungen von den sorgenden Verwandten? Vergebliche Hoffnung. Der Kompanie-Briefträger, natürlich ein Längerdienender, hält die strenge Regel ein, über jeden Posteingang dem Spieß Meldung zu erstatten. So geht der glückliche Rekrut mit seinem Unteroffizier oder Längerdienenden zur Post. holt das Päckchen ab und bringt es selbst in die Kaserne.
Dann beginnen die Längerdienenden mit dem Festmahl. Wenn der Rekrut Geld bekommt, geschieht dasselbe -- er holt es bei der Post ab und händigt es dem verehrten Herrn aus. Manchmal fällt für ihn auch ein Rubel oder ein Stück Brot ab.
Arbeit ist die nächste Folter in der Kaserne. Am schlimmsten ist die Küchenarbeit -- Tag und Nacht rennt der Rekrut herum, trägt das Wasser, reinigt die Kessel, spült Geschirr, schält Kartoffeln, deckt die Tische, ohne Pause und ständig angetrieben. Aber selbst ein Rekrut kann nicht schnell wie eine Antilope sein. Dann gibt es Schläge. Es gibt echte Sklavenverhältnisse. Jeder Längerdienende achtet eifersüchtig darauf, daß "seine" Rekruten nicht von einem anderen Kollegen beschäftigt werden. Manchmal werden die Sklaven aber auch den Freunden von einer anderen Kompanie überstellt. Wenn ein Sklave ohne Erlaubnis "ausgeliehen" wird, so wird er dann von seinem "Herrn" noch obendrein verprügelt.
Die Uniformen der Rekruten sind alt und schmutzig -- die neuen Stiefel, Mützen, Handschuhe, kurzum alles nimmt die Aristokratie weg. Schmutzig sind sie, weil die Rekruten immer arbeiten und keine Zeit haben, sie in Ordnung zu halten. Die Stiefel der älteren dagegen glänzen, deren Uniform ist gewaschen und gebügelt, sie dürfen die Haare länger halten und sich einen Schnurrbart wachsen lassen. Zwei Ärmelstreifen zeigen ihre Stellung an -- zwei Jahre im Dienst.
Der Rekrut muß den Gürtel buchstäblich enger schnallen als der Längerdienende: Zwei Aristokraten lassen es sich nicht nehmen, seinen Gürtel gemeinsam so eng zu ziehen wie möglich. So muß er in der Kaserne herumlaufen. Das ist eine der schlimmsten Foltern: Nach einer halben Stunde geht die Luft aus.
Das Mittagessen ist vorbei. Nach einer Pause von einer halben Stunde ist fast immer Waffenreinigung. Die Längerdienenden tun, wie immer, nichts, die Rekruten reinigen alle Gewehre. Dann wieder Übungen und Arbeiten.
Nach dem Abendessen gibt es anderthalb Stunden sogenannter Privatzeit -- aber nur für Kandidaten und Längerdienende. Die Jung-Rekruten müssen derweil für die Aristokraten arbeiten: Kragen annähen, Stiefel putzen und tausend andere Dinge.
Der Sold beträgt in der Regel drei Rubel und 80 Kopeken monatlich (12,50 Mark) und wird durch den Kompaniechef ausgehändigt. Das geht so: Der Kompaniechef sitzt in der Schreibstube, der Rekrut tritt ein, quittiert und nimmt das Geld in Empfang. Draußen händigt er dem ihn erwartenden Längerdienenden so um die zwei Rubel aus.
Der Rest des Geldes reicht nicht einmal für eigenen Tabak. Denn es ist ratsam. immer ein Päckchen Zigaretten bei sich zu bewahren. Nachts wird der Rekrut nämlich des öfteren durch einen Fußtritt von unten aus dem Bett befördert: "In zwei Minuten besorgst du mir was zu rauchen!" Wo soll er nachts Zigaretten auftreiben, wenn er keine Reserveschachtel hat?
An den Tagen. an denen Wehrsold ausgegeben wird, erwartet den Jung-Rekruten die sogenannte Nacht der Trauer. Mit dem erhaltenen und den anderen abgenommenen Geld lassen sich die Längerdienenden von den Rekruten Wein besorgen, was strafbar ist. Dann besaufen sie sich und schlagen anschließend die Rekruten zusammen. "Die Fuße beginnen
vor Feuchtigkeit zu faulen."
Bei Alarm muß der Rekrut in 45 Sekunden angezogen sein. Daraus entsteht eine neue Schikane: "In 45 Sekunden ausziehen!" schreit der Unteroffizier. Der Rekrut rennt zu seinem Bett, zieht sich im Laufen aus. Das ackurate Zusammenlegen der Kleider ist in den 45 Sekunden drin. "In 45 Sekunden anziehen!" brüllt der Unteroffizier: Die Rekruten-Herde rennt wieder in den Gang, zieht sich im Laufen an. Wer sich verspätet, muß lange "trainieren". Die Längerdienenden, die es beobachten, haben ihren Spaß daran.
Der Rekrut steht in Unterwäsche vor dem Bett. Die beste Unterwäsche haben die Längerdienenden kassiert -- deshalb wirkt der Rekrut komisch in seiner löcherigen Wäsche. Oft sind Löcher an den interessantesten Stellen.
"Ins Bett!" schreit der Unteroffizier. Die Rekruten springen in die Betten. "Aufstehen!" brüllt er im nächsten Augenblick. Die Rekruten springen herunter. "Aufstehen, ins Bett, aufstehen, ins Bett!" Wie Eichhörnchen springen die Rekruten zwischen dem Fußboden und den Oberbetten hin und her -- bis einer auf dem anderen landet.
Dann ist der offizielle Teil des Abends zu Ende. Die Längerdienenden waschen sich, flanieren in der Kaserne. Die Rekruten schaffen es nicht immer, sich abends noch zu waschen. Sie haben kaum Handtücher, insbesondere selten Fußhandtücher. Die Längerdienenden nehmen den Rekruten gern die Gesichts-Handtücher weg -- für ihre Füße.
Pantoffeln gibt es kaum. Zum Füßewaschen geht der Rekrut in seinen schmutzigen Stiefeln, anschließend zieht er sie mit nassen Füßen wieder an. Die Stiefel sind immer feucht -- im Sommer vom Schweiß, im Winter vom Wasser.
In der Kaserne gibt es keine Zentralheizung, nur einige Öfen. Die Längerdienenden hängen die Fußlappen neben den Öfen auf und stellen ihre Stiefel zum Trocknen dazu. Die Rekruten dürfen auch das nicht. Damit es aber in der Kaserne nicht zu sehr stinkt, wird von den Rekruten verlangt, daß sie saubere Fußlappen haben. Der Rekrut wäscht also abends seine Fußlappen aus, kann sie aber nicht zum Trocknen aufhängen. So zieht er morgens die nassen Fußlappen wieder an. Die Füße beginnen von ständiger Feuchtigkeit zu faulen; alle Rekruten leiden darunter.
Endlich geht das Licht aus. Die Dienstzeit hat sich um einen Tag verringert. "Ich wünsche allen Vätern eine gute Nacht!" schreit der Rekrut. "Danke, mein Sohn!" erwidern die Längerdienenden im Chor. Der Abend ist zu Ende, es folgt die Nacht.
In einer Ecke singen die Längerdienenden, in einer anderen spielt ein Kandidat Gitarre. Hier wird gesoffen, dort geredet. Einige massieren die heiligen Körper der "Väter". Das Leben in der Kaserne steht nie still.
Mit einem Besucher im Majors-Rang (ii.
Nun kommt für den Rekruten auch die Stunde der am meisten angewandten Folter, der Prügelfolter. Geschlagen wird der Rekrut natürlich auch am Tage, am schlimmsten ist es jedoch nachts. Mal wird er für ein Verschulden geprügelt, mal nur so.
Der Rekrut bekommt den Befehl: "Aufstehn!" Um dem Befehl Nachdruck zu verleihen, erfolgt ein Tritt, der ihn aus dem Bett wirft. "Stillgestanden!" Der "Sohn" steht stramm. "30 Kniebeugen!" kommandiert der "Vater". Danach: "Stillgestanden! Heute hast du einiges falsch gemacht, mein Söhnchen." Es folgen ein paar Schläge ins Gesicht. Der Rekrut fällt um. "Stillgestanden!" brüllt der "Vater". Der Rekrut steht auf, Blut fließt ihm vom Gesicht. Manchmal darf er nicht vom Boden aufstehen und wird mit den Füßen traktiert.
Ganze Gruppen von Längerdienenden beteiligen sich häufig an der Exekution eines Rekruten. Die Prügel sind vorbei, der Rekrut geht in den Waschraum. Wenn er nicht mehr selbst gehen kann, schleppen ihn andere Rekruten hin, die man dafür weckt.
Jetzt kommt der nächste dran. Niemand weiß, wer an der Reihe ist. Einige Dutzend Rekruten liegen in ängstlicher Erwartung. Dies ist die Angst-Folter. Die Längerdienenden wissen um diese demoralisierende Macht genau -- sie alle haben sie erlebt.
Wenn aber ein Rekrut nach Ansicht der Kasernen-Aristokratie ernsthaft gefehlt hat,
wird er im Waschraum verprügelt. Das ausgewählte Opfer wird nachts abgeholt und in den Waschraum gebracht; eine Gruppe Längerdienender schlägt besonders hart zu -- dies sind die Todesprügel.
Den bewußtlos geprügelten Rekruten läßt man auf dem Zementboden liegen. er wird mit kaltem Wasser begossen, dann wird der Waschraum zugemacht. Morgens wird der Rekrut in die Kaserne geschleppt und aufs Bett geworfen.
Eine besondere Prügelform heißt "zum Wolodka rollen" (Wolodka ist Wladimir Iljitsch Lenins Kosename). Am Ende eines Ganges steht auf einem mit rotem Stoff verhüllten Podest die Büste Lenins. Der Gang ist etwa 30 Meter lang. Der Rekrut wird geschlagen und fällt, steht auf, wird wieder geschlagen und fällt wieder. So wird er immer näher zu Lenin geprügelt -- das ist das "Rollen" zu Lenin.
Eine Kaserne ist das Spiegelbild unserer Gesellschaft. Natürlich treten in einer Kaserne die Gegensätze schärfer hervor; ihr Wesen ist jedoch mit dem der Gesellschaft identisch. Ein Teil der Gesellschaft lebt auf Kosten des anderen. Die Beziehungen zwischen den Gruppen und in den Gruppen selbst werden durch Gewalt geregelt.
Nicht die ziemlich unvollkommenen -- Gesetze und Vorschriften regeln das Kasernenleben, sondern Gewohnheit und Tradition. Um die äußere Legalität zu wahren, werden Traditionen oft zu Vorschriften erhoben; das Ergebnis ist Gesetz- und Rechtlosigkeit. Die Offiziere kennen selbstverständlich das System in der Kaserne, bekämpfen es aber nicht, denn es ist bequem für sie. Äußerlich ist alles in Ordnung, wenn nur die Hälfte der Kompanie beschäftigt ist. Kein Rekrut wagt es, sich offen zu beschweren. Um das System zu ändern, bedarf es einschneidender Maßnahmen.
Die Offiziere aber scheuen Publizität. Wer will schon zugeben, daß solche Dinge in seiner Einheit passieren? Das kann die Karriere kosten. So werden auch weiterhin Politstunden und Komsomol-Versammlungen durchgeführt.
Der nachts verprügelte Rekrut gibt große Worte über die Kameradschaft der Kämpfer von sich. Der Längerdienende, der ihn verprügelt hat, verbreitet sich ausführlich über den Moralkodex der Erbauer des Kommunismus. Die Versammlung nimmt einstimmig neue Verpflichtungen für den nächsten Parteitag an. Die zufriedenen Offiziere schreiben ihre Berichte.
"Lieber bin ich mit allen zusammen im Unrecht", sagte ein Rekrut, "als alleine.
leine im Recht." Denn um seine Rechte in der Kaserne zu verteidigen, muß man physisch sehr stark sein oder sehr schlau, unbedingt aber von unerhörter moralischer Kraft -- und das kommt selten vor.
Einen sportlichen Typ, der nicht nur boxen, sondern auch Karate konnte und der auch gegen zehn Angreifer zu bestehen vermochte, dazu noch das Leben riskierte und den Längerdienenden wahre Schlachten lieferte -- den ließen sie dann in Ruhe.
Der Gefreite P. wiederum begriff die Lage sofort, als er in die Kaserne kam. Nach jedem Prügeln machte er Meldung -- trotz Drohungen, ja Todesdrohungen. Er zwang die Offiziere, sich mit seinem Schicksal zu befassen. Er erklärte ihnen, daß er mit seinem provozierenden Ungehorsam sich selbst vors Militärgericht bringen und dort dann auspacken wolle.
Dem Anführer der Längerdienenden erklärte er, daß er ihn, im Falle neuer Prügel, nachts im Bett umbringen würde, ohne Rücksicht auf die Folgen für ihn selbst. So konnte er den Erniedrigungen und Foltern entgehen, wandte sie selbst auch nicht an und verbesserte letzten Endes das Klima in der KaserNicht alle Rekruten halten dieses Leben aus -- Selbstmorde sind die häufige Folge. Meistens erschießen sich die Jungen beim Wacheschieben. Einige erhängen sich. Viele versuchen zu desertieren. Wenn sie geschnappt werden, kommen sie wieder in dieselbe Kaserne -- sie sind dann die doppelt Unglücklichen. Diejenigen, die nicht gleich geschnappt werden, kommen in Strafbataillone und Gefängnisse. Das hier Niedergeschriebene geschah während meines Dienstes in Turkmenistan 1974 bis 1976. Natürlich wird der Rekrut nicht jeden Tag verprügelt. Fußtritte aber sind alltäglich. Nicht jeden Tag kommt ein Rekrut mit gebrochenen Rippen ins Hospital, blaue Flecken aber sind alltäglich. Nicht jeden Tag wird eine Soldaten-Leiche im Zinksarg an die Eltern geschickt. Die Erniedrigung jedoch ist alltäglich.
Alles hier Beschriebene sind Tatsachen, die zeitlich zusammengerafft sind. Soweit es mir bekannt ist, stehen die Dinge nur in den Wehrkreisen Moskau und Leningrad besser.
Unrecht hat auch, wer meint: "Verständlich das alles -- das war ja in Asien." In meiner Einheit waren zum Beispiel je 30 Prozent Russen, Deutsche und Kasachen. Ich habe mich oft genug davon überzeugt, daß die Nationalität keinerlei Bedeutung hat. Es gab unter Moskauer Landsleuten von mir entsetzliche Schurken, und manche Kasachen waren gute Kameraden.
"Dieses System ruft tierische Instinkte wach."
Natürlich untergräbt dieses Kasernen-System die Kampfbereitschaft der Armee. Wird es zu Kampfhandlungen kommen, dann wird die eine Hälfte der Kompanie auf die andere schießen. Hin und wieder kommt so etwas im Wachdienst vor. Ein zum Äußersten getriebener Rekrut beginnt plötzlich, aus einer MP auf die Längerdienenden zu schießen. Der Diensthabende erschießt ihn durch Schüsse in den Rücken.
Andererseits ruft dieses System in den Soldaten die tierischsten Instinkte wach. Wenn es Unruhen im Lande gibt, wird der Soldat auf alles schießen, wie befohlen, und damit den Weg zu noch größerer Willkür freigeben.
Die Verteidiger dieses Systems behaupten, daß es in den Soldaten Kühnheit erzeuge. Das ist Quatsch! Die Soldaten werden dadurch zu Feiglingen. Ein Sklave, der sich in sein Schicksal ergibt, ist immer feige. Feige sind auch die Längerdienenden -- sie sind auch Sklaven im Inneren ihres Herzens. Das kann im Kriege böse Folgen haben.
Und im Frieden? Das Hauptübel besteht darin, daß die menschlichen Seelen verkrüppeln: Ein junger Mensch kommt zur Armee. Hier versucht man, ihn zu brechen, und zwingt ihn dazu, äußerste Erniedrigung und Rechtlosigkeit zu erleiden. Wenn er heimkommt, hat er die Menschenwürde verloren und ist seelisch erniedrigt.
Und durch diese Armee gehen jährlich Millionen junger Menschen! Vor ihrem innerei Blick erscheinen immer wieder die Tage des Kasernenlebens. Sie werden nicht fähig sein, Bürger zu sein, sie können nur noch gehorchen.
Hier wird streng die Hierarchie eingehalten -- nach Dienstjahren und Dienstjahrgängen. Die Rekruten im ersten Jahr sind völlig rechtlos, die des zweiten Dienstjahres Herren über das Schicksal der Jung-Rekruten.
Es gibt aber auch Zwischenstufen. So gehören die Rekruten, die im ersten Halbjahr dienen, zu der niedrigsten Kaste. Die im zweiten Halbjahr haben zwar offiziell keine Privilegien, werden aber seltener beispielsweise zum Waschen der Fußlappen für die Längerdienenden eingeteilt.
Nach einem Dienstjahr aber geschieht mit dem Rekruten eine wunderbare Metamorphose -- aus dem Jung-Rekruten wird ein Kandidat. Seine Funktionen sind die eines strafenden, für die "Ordnung" verantwortlichen Polizisten. Nach einem weiteren Halbjahr ist der Kandidat ein Längerdienender -- die Creme der Kaserne sozusagen. Die höchste Stufe der Macht ist jedoch die Position eines "Großvaters". Das ist ein Längerdienender, der schon kurz vor der Entlassung steht, aber noch in der Kaserne wohnt.
Nach dem Aufstehen beginnt, unter der Leitung von Unteroffizieren im zweiten Dienstjahr, die körperliche Ertüchtigung. Sie ähnelt sehr der Folter. Nach 20 bis 40 "Beugen rückwärts" über eine Bank, die Füße an einem in die Erde eingelassenen Rohr festgehakt. schmerzt den Jung-Rekruten der ganze Körper. Rundum stehen die Längerdienenden und kommentieren rauchend die Ertüchtigung.
Im sogenannten Hippodrom rennen die Rekruten im Kreis herum. Die Längerdienenden schließen Wetten ab, wer schneller rennt. Ein "Pferdchen", das zurückbleibt, wird mit Fußtritten aufgemuntert. Der Soldat Sch. wurde so lange getrieben, bis seine Operationsnähte am Bauch platzten.
Wo aber sind die Offiziere? Natürlich zu Hause. Die Offiziere erscheinen nur zum Morgenappell, und da auch nicht oft. Wenn, dann wird die Kompanie zur Übung geschickt, der Offizier aber verschwindet in der Schreibstube, zum Rauchen.
Die Folter der Korperertüchtigung wiederholt sich mehrmals im Laufe des Tages. Die Offiziere überlassen das alles den Unteroffizieren und widmen sich in Ruhe ihren Geschäften.
Nach der Körperertüchtigung wird der Rekrut in die Kaserne gejagt und muß die Räume in Ordnung bringen. Zwei Mann müssen die Kaserne reinigen, der Rest muß Betten bauen -- seine und die der "Aristokratie".
Die Offiziere fordern eine hohe Qualität des Bettenbaus, die Unteroffiziere eine noch höhere. Die Kanten der Zudecke, fordern sie, müssen so scharf sein, daß "einem Käfer die Eier abgeschnitten werden". Stellt sich der Idealzustand nicht ein, wird auch mal befohlen: "Mit den Händen können Sie nicht arbeiten, versuchen Sie es mit den Zähnen." So wird die Zudecke festgebissen!
Sobald die Betten fertig sind, werfen sich die Kandidaten und Längerdienenden darauf. Das ist an sieh verboten, aber wer achtet schon auf Vorschriften? So müssen die Betten im Laufe des Tages mehrmals gerichtet werden.
Dann kommt der Morgen-Appell. Alles muß sauber sein -- saubere Kragen, blankgeputzte Stiefel, frische Uniform. Vom Sold wird regelmäßig Geld zum Ankauf von Seife, Zahnbürsten und -paste, Schuhbürsten und -creme abgezogen. Der Spieß kauft ein und behält den Löwenanteil des Gekauften für die künftigen Längerdienenden. Der Rest wird aufgeteilt.
"Manche vergraben ihr Eigentum sogar in der Erde."
"Taschen nach außen und Inhalt vorzeigen!" kommandiert der Unteroffizier. Wehe, wenn er eine Zahnbürste, einen Brief, einen Rasierapparat findet: "Marsch, zum Kloputzen! Später passiert noch was mit dir!"
Diese Praxis ist sehr sinnvoll -- der Rekrut soll nichts besitzen, alles soll der Kasernen-Aristokratie gehören. Verstecken kann der Rekrut ja nirgendwo etwas, außer am eigenen Körper. Sein Privatbeutel wird kontrolliert,
das Bett natürlich auch. Entweder wird
* Angehörige der "Taman"-Division, einer bei Moskau stationierten Elite-Einheit.
dem Rekruten alles abgenommen oder geklaut.
Diebstahl ist in der Kaserne alltäglich. Die Längerdienenden beklauen alle, die Rekruten bestehlen sich gegenseitig. Jeder versucht, seine Sachen zu verstecken: im Kampfwagen, im Funkraum, im Wachlokal, manche vergraben ihr Eigentum sogar in der Erde.
Die schönsten Übungen sind die Polit-Informationen. Da wird von den Rekruten nur eines verlangt: ruhig vorne sitzen, aufmerksam dem Offizier zuhören un<l mit dem Rücken die schlafenden Längerdienenden abschirmen.
Es ist bekannt, daß der Soldatenfraß keine französische Küche ist. Wenn der Soldat aber alles, was ihm zusteht, auch aufessen könnte, gäbe es keinen Hunger in der Kaserne. Zwischen der Verpflegung der Garnison aber und dem Speisetisch des Soldaten liegen zwei Stationen -- Magazin und Küche. Abends sieht man die Unterleutnante mit dicken Taschen heimwärts streben, und in der Küche bereiten die Köche Festmähler für die Längerdienenden. Den Rekruten steht eine neue Folter bevor -- die Hungerfolter.
An einem Tisch sitzen zehn Leute -- fünf "Aristokraten" und fünf "Sklaven". Die Aristokraten sitzen dort, wo der Kübel steht. Das Austeilen übernimmt ein Rekrut, der eine besondere Vertrauensperson der Längerdienenden ist. Die Aristokraten kriegen, soviel sie wollen, dann nimmt der Austeiler sich seinen Teil. Den Rest kriegt die andere Seite des Tisches -- die Sklaven.
Wenn in dem Kübel allerdings etwas ganz Besonderes ist, zum Beispiel Kartoffeln statt Grütze, dann bekommen die Sklaven gar nichts. Aber selbst Grütze bekommt der letzte am Tisch -~ der schwächste Rekrut oder einer, der besonders gern gequält wird -- nicht immer.
Kein Jung-Rekrut darf das Brot, die Butter, den Zucker, abends ein Stück Fisch vor dem Längerdienenden nehmen. Danach stürzt er sich auf die Reste. Wer näher an den Aristokraten sitzt, ist im Vorteil. Jeder Platz ist streng reglementiert, wird durch die Kraft, die Geschicklichkeit, das Liebedienern vor der Aristokratie der Kaserne, durch Frechheit und Gemeinheit bestimmt. So ist es nicht verwunderlich, daß die Rekruten immer hungrig sind. "Mit einem Fußtritt aus dem Bett befördert."
Vielleicht helfen aber Päckchen oder Geldüberweisungen von den sorgenden Verwandten? Vergebliche Hoffnung. Der Kompanie-Briefträger, natürlich ein Längerdienender, hält die strenge Regel ein, über jeden Posteingang dem Spieß Meldung zu erstatten. So geht der glückliche Rekrut mit seinem Unteroffizier oder Längerdienenden zur Post. holt das Päckchen ab und bringt es selbst in die Kaserne.
Dann beginnen die Längerdienenden mit dem Festmahl. Wenn der Rekrut Geld bekommt, geschieht dasselbe -- er holt es bei der Post ab und händigt es dem verehrten Herrn aus. Manchmal fällt für ihn auch ein Rubel oder ein Stück Brot ab.
Arbeit ist die nächste Folter in der Kaserne. Am schlimmsten ist die Küchenarbeit -- Tag und Nacht rennt der Rekrut herum, trägt das Wasser, reinigt die Kessel, spült Geschirr, schält Kartoffeln, deckt die Tische, ohne Pause und ständig angetrieben. Aber selbst ein Rekrut kann nicht schnell wie eine Antilope sein. Dann gibt es Schläge. Es gibt echte Sklavenverhältnisse. Jeder Längerdienende achtet eifersüchtig darauf, daß "seine" Rekruten nicht von einem anderen Kollegen beschäftigt werden. Manchmal werden die Sklaven aber auch den Freunden von einer anderen Kompanie überstellt. Wenn ein Sklave ohne Erlaubnis "ausgeliehen" wird, so wird er dann von seinem "Herrn" noch obendrein verprügelt.
Die Uniformen der Rekruten sind alt und schmutzig -- die neuen Stiefel, Mützen, Handschuhe, kurzum alles nimmt die Aristokratie weg. Schmutzig sind sie, weil die Rekruten immer arbeiten und keine Zeit haben, sie in Ordnung zu halten. Die Stiefel der älteren dagegen glänzen, deren Uniform ist gewaschen und gebügelt, sie dürfen die Haare länger halten und sich einen Schnurrbart wachsen lassen. Zwei Ärmelstreifen zeigen ihre Stellung an -- zwei Jahre im Dienst.
Der Rekrut muß den Gürtel buchstäblich enger schnallen als der Längerdienende: Zwei Aristokraten lassen es sich nicht nehmen, seinen Gürtel gemeinsam so eng zu ziehen wie möglich. So muß er in der Kaserne herumlaufen. Das ist eine der schlimmsten Foltern: Nach einer halben Stunde geht die Luft aus.
Das Mittagessen ist vorbei. Nach einer Pause von einer halben Stunde ist fast immer Waffenreinigung. Die Längerdienenden tun, wie immer, nichts, die Rekruten reinigen alle Gewehre. Dann wieder Übungen und Arbeiten.
Nach dem Abendessen gibt es anderthalb Stunden sogenannter Privatzeit -- aber nur für Kandidaten und Längerdienende. Die Jung-Rekruten müssen derweil für die Aristokraten arbeiten: Kragen annähen, Stiefel putzen und tausend andere Dinge.
Der Sold beträgt in der Regel drei Rubel und 80 Kopeken monatlich (12,50 Mark) und wird durch den Kompaniechef ausgehändigt. Das geht so: Der Kompaniechef sitzt in der Schreibstube, der Rekrut tritt ein, quittiert und nimmt das Geld in Empfang. Draußen händigt er dem ihn erwartenden Längerdienenden so um die zwei Rubel aus.
Der Rest des Geldes reicht nicht einmal für eigenen Tabak. Denn es ist ratsam. immer ein Päckchen Zigaretten bei sich zu bewahren. Nachts wird der Rekrut nämlich des öfteren durch einen Fußtritt von unten aus dem Bett befördert: "In zwei Minuten besorgst du mir was zu rauchen!" Wo soll er nachts Zigaretten auftreiben, wenn er keine Reserveschachtel hat?
An den Tagen. an denen Wehrsold ausgegeben wird, erwartet den Jung-Rekruten die sogenannte Nacht der Trauer. Mit dem erhaltenen und den anderen abgenommenen Geld lassen sich die Längerdienenden von den Rekruten Wein besorgen, was strafbar ist. Dann besaufen sie sich und schlagen anschließend die Rekruten zusammen. "Die Fuße beginnen
vor Feuchtigkeit zu faulen."
Bei Alarm muß der Rekrut in 45 Sekunden angezogen sein. Daraus entsteht eine neue Schikane: "In 45 Sekunden ausziehen!" schreit der Unteroffizier. Der Rekrut rennt zu seinem Bett, zieht sich im Laufen aus. Das ackurate Zusammenlegen der Kleider ist in den 45 Sekunden drin. "In 45 Sekunden anziehen!" brüllt der Unteroffizier: Die Rekruten-Herde rennt wieder in den Gang, zieht sich im Laufen an. Wer sich verspätet, muß lange "trainieren". Die Längerdienenden, die es beobachten, haben ihren Spaß daran.
Der Rekrut steht in Unterwäsche vor dem Bett. Die beste Unterwäsche haben die Längerdienenden kassiert -- deshalb wirkt der Rekrut komisch in seiner löcherigen Wäsche. Oft sind Löcher an den interessantesten Stellen.
"Ins Bett!" schreit der Unteroffizier. Die Rekruten springen in die Betten. "Aufstehen!" brüllt er im nächsten Augenblick. Die Rekruten springen herunter. "Aufstehen, ins Bett, aufstehen, ins Bett!" Wie Eichhörnchen springen die Rekruten zwischen dem Fußboden und den Oberbetten hin und her -- bis einer auf dem anderen landet.
Dann ist der offizielle Teil des Abends zu Ende. Die Längerdienenden waschen sich, flanieren in der Kaserne. Die Rekruten schaffen es nicht immer, sich abends noch zu waschen. Sie haben kaum Handtücher, insbesondere selten Fußhandtücher. Die Längerdienenden nehmen den Rekruten gern die Gesichts-Handtücher weg -- für ihre Füße.
Pantoffeln gibt es kaum. Zum Füßewaschen geht der Rekrut in seinen schmutzigen Stiefeln, anschließend zieht er sie mit nassen Füßen wieder an. Die Stiefel sind immer feucht -- im Sommer vom Schweiß, im Winter vom Wasser.
In der Kaserne gibt es keine Zentralheizung, nur einige Öfen. Die Längerdienenden hängen die Fußlappen neben den Öfen auf und stellen ihre Stiefel zum Trocknen dazu. Die Rekruten dürfen auch das nicht. Damit es aber in der Kaserne nicht zu sehr stinkt, wird von den Rekruten verlangt, daß sie saubere Fußlappen haben. Der Rekrut wäscht also abends seine Fußlappen aus, kann sie aber nicht zum Trocknen aufhängen. So zieht er morgens die nassen Fußlappen wieder an. Die Füße beginnen von ständiger Feuchtigkeit zu faulen; alle Rekruten leiden darunter.
Endlich geht das Licht aus. Die Dienstzeit hat sich um einen Tag verringert. "Ich wünsche allen Vätern eine gute Nacht!" schreit der Rekrut. "Danke, mein Sohn!" erwidern die Längerdienenden im Chor. Der Abend ist zu Ende, es folgt die Nacht.
In einer Ecke singen die Längerdienenden, in einer anderen spielt ein Kandidat Gitarre. Hier wird gesoffen, dort geredet. Einige massieren die heiligen Körper der "Väter". Das Leben in der Kaserne steht nie still.
Mit einem Besucher im Majors-Rang (ii.
Nun kommt für den Rekruten auch die Stunde der am meisten angewandten Folter, der Prügelfolter. Geschlagen wird der Rekrut natürlich auch am Tage, am schlimmsten ist es jedoch nachts. Mal wird er für ein Verschulden geprügelt, mal nur so.
Der Rekrut bekommt den Befehl: "Aufstehn!" Um dem Befehl Nachdruck zu verleihen, erfolgt ein Tritt, der ihn aus dem Bett wirft. "Stillgestanden!" Der "Sohn" steht stramm. "30 Kniebeugen!" kommandiert der "Vater". Danach: "Stillgestanden! Heute hast du einiges falsch gemacht, mein Söhnchen." Es folgen ein paar Schläge ins Gesicht. Der Rekrut fällt um. "Stillgestanden!" brüllt der "Vater". Der Rekrut steht auf, Blut fließt ihm vom Gesicht. Manchmal darf er nicht vom Boden aufstehen und wird mit den Füßen traktiert.
Ganze Gruppen von Längerdienenden beteiligen sich häufig an der Exekution eines Rekruten. Die Prügel sind vorbei, der Rekrut geht in den Waschraum. Wenn er nicht mehr selbst gehen kann, schleppen ihn andere Rekruten hin, die man dafür weckt.
Jetzt kommt der nächste dran. Niemand weiß, wer an der Reihe ist. Einige Dutzend Rekruten liegen in ängstlicher Erwartung. Dies ist die Angst-Folter. Die Längerdienenden wissen um diese demoralisierende Macht genau -- sie alle haben sie erlebt.
Wenn aber ein Rekrut nach Ansicht der Kasernen-Aristokratie ernsthaft gefehlt hat,
wird er im Waschraum verprügelt. Das ausgewählte Opfer wird nachts abgeholt und in den Waschraum gebracht; eine Gruppe Längerdienender schlägt besonders hart zu -- dies sind die Todesprügel.
Den bewußtlos geprügelten Rekruten läßt man auf dem Zementboden liegen. er wird mit kaltem Wasser begossen, dann wird der Waschraum zugemacht. Morgens wird der Rekrut in die Kaserne geschleppt und aufs Bett geworfen.
Eine besondere Prügelform heißt "zum Wolodka rollen" (Wolodka ist Wladimir Iljitsch Lenins Kosename). Am Ende eines Ganges steht auf einem mit rotem Stoff verhüllten Podest die Büste Lenins. Der Gang ist etwa 30 Meter lang. Der Rekrut wird geschlagen und fällt, steht auf, wird wieder geschlagen und fällt wieder. So wird er immer näher zu Lenin geprügelt -- das ist das "Rollen" zu Lenin.
Eine Kaserne ist das Spiegelbild unserer Gesellschaft. Natürlich treten in einer Kaserne die Gegensätze schärfer hervor; ihr Wesen ist jedoch mit dem der Gesellschaft identisch. Ein Teil der Gesellschaft lebt auf Kosten des anderen. Die Beziehungen zwischen den Gruppen und in den Gruppen selbst werden durch Gewalt geregelt.
Nicht die ziemlich unvollkommenen -- Gesetze und Vorschriften regeln das Kasernenleben, sondern Gewohnheit und Tradition. Um die äußere Legalität zu wahren, werden Traditionen oft zu Vorschriften erhoben; das Ergebnis ist Gesetz- und Rechtlosigkeit. Die Offiziere kennen selbstverständlich das System in der Kaserne, bekämpfen es aber nicht, denn es ist bequem für sie. Äußerlich ist alles in Ordnung, wenn nur die Hälfte der Kompanie beschäftigt ist. Kein Rekrut wagt es, sich offen zu beschweren. Um das System zu ändern, bedarf es einschneidender Maßnahmen.
Die Offiziere aber scheuen Publizität. Wer will schon zugeben, daß solche Dinge in seiner Einheit passieren? Das kann die Karriere kosten. So werden auch weiterhin Politstunden und Komsomol-Versammlungen durchgeführt.
Der nachts verprügelte Rekrut gibt große Worte über die Kameradschaft der Kämpfer von sich. Der Längerdienende, der ihn verprügelt hat, verbreitet sich ausführlich über den Moralkodex der Erbauer des Kommunismus. Die Versammlung nimmt einstimmig neue Verpflichtungen für den nächsten Parteitag an. Die zufriedenen Offiziere schreiben ihre Berichte.
"Lieber bin ich mit allen zusammen im Unrecht", sagte ein Rekrut, "als alleine.
leine im Recht." Denn um seine Rechte in der Kaserne zu verteidigen, muß man physisch sehr stark sein oder sehr schlau, unbedingt aber von unerhörter moralischer Kraft -- und das kommt selten vor.
Einen sportlichen Typ, der nicht nur boxen, sondern auch Karate konnte und der auch gegen zehn Angreifer zu bestehen vermochte, dazu noch das Leben riskierte und den Längerdienenden wahre Schlachten lieferte -- den ließen sie dann in Ruhe.
Der Gefreite P. wiederum begriff die Lage sofort, als er in die Kaserne kam. Nach jedem Prügeln machte er Meldung -- trotz Drohungen, ja Todesdrohungen. Er zwang die Offiziere, sich mit seinem Schicksal zu befassen. Er erklärte ihnen, daß er mit seinem provozierenden Ungehorsam sich selbst vors Militärgericht bringen und dort dann auspacken wolle.
Dem Anführer der Längerdienenden erklärte er, daß er ihn, im Falle neuer Prügel, nachts im Bett umbringen würde, ohne Rücksicht auf die Folgen für ihn selbst. So konnte er den Erniedrigungen und Foltern entgehen, wandte sie selbst auch nicht an und verbesserte letzten Endes das Klima in der KaserNicht alle Rekruten halten dieses Leben aus -- Selbstmorde sind die häufige Folge. Meistens erschießen sich die Jungen beim Wacheschieben. Einige erhängen sich. Viele versuchen zu desertieren. Wenn sie geschnappt werden, kommen sie wieder in dieselbe Kaserne -- sie sind dann die doppelt Unglücklichen. Diejenigen, die nicht gleich geschnappt werden, kommen in Strafbataillone und Gefängnisse. Das hier Niedergeschriebene geschah während meines Dienstes in Turkmenistan 1974 bis 1976. Natürlich wird der Rekrut nicht jeden Tag verprügelt. Fußtritte aber sind alltäglich. Nicht jeden Tag kommt ein Rekrut mit gebrochenen Rippen ins Hospital, blaue Flecken aber sind alltäglich. Nicht jeden Tag wird eine Soldaten-Leiche im Zinksarg an die Eltern geschickt. Die Erniedrigung jedoch ist alltäglich.
Alles hier Beschriebene sind Tatsachen, die zeitlich zusammengerafft sind. Soweit es mir bekannt ist, stehen die Dinge nur in den Wehrkreisen Moskau und Leningrad besser.
Unrecht hat auch, wer meint: "Verständlich das alles -- das war ja in Asien." In meiner Einheit waren zum Beispiel je 30 Prozent Russen, Deutsche und Kasachen. Ich habe mich oft genug davon überzeugt, daß die Nationalität keinerlei Bedeutung hat. Es gab unter Moskauer Landsleuten von mir entsetzliche Schurken, und manche Kasachen waren gute Kameraden.
"Dieses System ruft tierische Instinkte wach."
Natürlich untergräbt dieses Kasernen-System die Kampfbereitschaft der Armee. Wird es zu Kampfhandlungen kommen, dann wird die eine Hälfte der Kompanie auf die andere schießen. Hin und wieder kommt so etwas im Wachdienst vor. Ein zum Äußersten getriebener Rekrut beginnt plötzlich, aus einer MP auf die Längerdienenden zu schießen. Der Diensthabende erschießt ihn durch Schüsse in den Rücken.
Andererseits ruft dieses System in den Soldaten die tierischsten Instinkte wach. Wenn es Unruhen im Lande gibt, wird der Soldat auf alles schießen, wie befohlen, und damit den Weg zu noch größerer Willkür freigeben.
Die Verteidiger dieses Systems behaupten, daß es in den Soldaten Kühnheit erzeuge. Das ist Quatsch! Die Soldaten werden dadurch zu Feiglingen. Ein Sklave, der sich in sein Schicksal ergibt, ist immer feige. Feige sind auch die Längerdienenden -- sie sind auch Sklaven im Inneren ihres Herzens. Das kann im Kriege böse Folgen haben.
Und im Frieden? Das Hauptübel besteht darin, daß die menschlichen Seelen verkrüppeln: Ein junger Mensch kommt zur Armee. Hier versucht man, ihn zu brechen, und zwingt ihn dazu, äußerste Erniedrigung und Rechtlosigkeit zu erleiden. Wenn er heimkommt, hat er die Menschenwürde verloren und ist seelisch erniedrigt.
Und durch diese Armee gehen jährlich Millionen junger Menschen! Vor ihrem innerei Blick erscheinen immer wieder die Tage des Kasernenlebens. Sie werden nicht fähig sein, Bürger zu sein, sie können nur noch gehorchen.