„Breaking the Silence“
Erschütternde Zeugnisse israelischer Soldaten
Sie sind eingesetzt in Gaza, im Westjordanland und in Ostjerusalem. Ihr offizieller Auftrag: Aufrechterhalten der Ordnung, Sicherung der Staatsgrenze und Schutz der israelischen Siedler vor palästinensischem Terror. Doch der Alltag der israelischen Soldaten in den besetzten Gebieten sieht anders aus. Ehemalige Armeeangehörige berichten von gewalttätigen Übergriffen auf die palästinensische Zivilbevölkerung, von Einschüchterung, Plünderung und Misshandlung. Viele kehren traumatisiert zurück.
Ihre in einem Buch zusammengefassten Protokolle, die in Israel und den USA bereits für Aufregung sorgten, erscheinen Mitte September auf Deutsch. Zeitgleich eröffnet eine Ausstellung zum Thema im Willy-Brandt-Haus in Berlin.
Das Schweigen brechen
Weil er nicht länger über seine Erfahrungen schweigen wollte, gründete der israelische Ex-Soldat Jehuda Shaul gemeinsam mit anderen Reservisten 2004 die Bürgerrechtsbewegung „Breaking the Silence“. Sie bietet Armeeangehörigen eine Plattform für ihre Schilderungen. Ihr Ziel ist die Aufklärung über die Realität in den besetzten Gebieten. „Ich fühle mich dazu moralisch verpflichtet“, sagt Jehuda Shaul. „Die israelische Gesellschaft muss wissen, was in ihrem Namen geschieht.“
Gegen Recht und Moral
Was die Soldaten erzählen, erschüttert das Bild von den israelischen Streitkräften als Verteidigungsarmee. Allzu oft verletzen die Soldaten bei ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten Recht und Moral. Palästinensische Zivilisten werden drangsaliert und gedemütigt. Ihr Eigentum wird bei Durchsuchungen mutwillig zerstört. Es herrscht eine Atmosphäre der Einschüchterung und Angst.
Alltägliche Repression
So verhängte das Militär während der Zweiten Intifada im Herbst 2000 umfassende Ausgangssperren, die ein normales Leben völlig unmöglich machten. Die Arbeitslosigkeit stieg von 20 auf über 70 Prozent.
Jehuda Shaul zitiert Befehle, nach denen junge Soldaten auch auf bewohnte Gebiete schießen mussten. Während seiner Dienstzeit habe er sich nicht dagegen gewehrt. Doch nach seiner Entlassung seien ihm Zweifel gekommen – wie vielen anderen auch.
Nachdem „Breaking the Silence“ im Juni 2004 in Tel Aviv eine Ausstellung mit Fotos und Videos gezeigt hatte, meldeten sich immer mehr Soldatinnen und Soldaten. Mittlerweile hat „Breaking the Silence“ weit über 700 Protokolle gesammelt und veröffentlicht – alle von mehreren Seiten bestätigt und von der Militärzensur freigegeben.
Zwiespältiges Echo
In Israel stößt die Arbeit der NGO auf ein zwiespältiges Echo. Premierminister Netanjahu hat die Initiatoren in die Nähe staatsfeindlicher Terroristen gerückt und das Ausland aufgefordert, sie nicht länger finanziell zu unterstützen.
Andererseits zeichnete sie die „Vereinigung für Bürgerrechte in Israel“ 2008 mit dem Emil-Grünzweig-Menschenrechtspreis aus.
Und Avi Primor, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland, betont: „Diese jungen Frauen und Männer wollen niemanden verleumden, sie wiederholen keinen Tratsch und Klatsch, sie verbreiten keine Gerüchte. Sie erzählen nur das, was sie selbst gesehen haben oder sogar: was sie selbst getan haben.“
Eines hat „Breaking the Silence“ mit Sicherheit erreicht – in Israel eine intensive Debatte über den Alltag in den besetzten Gebieten zu entfachen.
DasErste.de - ttt - „Breaking the Silence“ (16.09.2012)