„Moralische Bankrotterklärung“: LINKE-Abgeordnete verurteilt Riad und Berlin
Das Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ist nach dem Abbruch diplomatischer Beziehungen seitens Riads auf einem Tiefpunkt. Droht nun ein neuer Golfkrieg? „Die saudische Diktatur setzt weiterhin auf Terror“ sagt Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der LINKE im Bundestag. Sie gibt der Bundesregierung eine Mitschuld.
Frau Dagdelen, der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran scheint immer weiter zu eskalieren, Schuld sind die jüngsten Exekutionen im Königreich Saudi-Arabien. Mit welcher Besorgnis sehen Sie die aktuellen Entwicklungen?
Diese Massenhinrichtungen in Saudi-Arabien, wie sie ja auch stattfinden beim Islamischen Staat, die gefährden selbstverständlich den Frieden in der gesamten Region dort. Und insbesondere die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr kommt natürlich einer Kriegserklärung an die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien gleich und ist natürlich auch eine Provokation an den Iran gewesen.
Deshalb waren die Proteste im Iran nachvollziehbar und auch zu erwarten. Die saudische Diktatur setzt weiterhin auf Terror — sowohl im Äußeren als Machterhaltung in der Region, als auch zum Inneren durch die Exekution von Menschen, die friedlich demonstriert haben.
Eine Reaktion der Bundesregierung gab es auf die aktuellen Geschehnisse auch: Man sei „entsetzt“ über die Hinrichtungen in Saudi-Arabien. Das klingt nun so, als ob das politische Berlin bisher immer zufrieden war mit der Politik des Königshauses…
Allein der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung hat getwittert, dass die Berichte ihn entsetzen. Und diese deutsche Unterstützung für das saudische Königshaus muss aufhören. Ich war vor kurzer Zeit mit Außenminister Steinmeier in Saudi-Arabien und habe versucht, all diese Menschenrechtsfragen mit zu beleuchten.
Ich habe im Vorfeld das Auswärtige Amt gebeten, mir den Besuch bei Nimr al-Nimr zu ermöglichen, und auch bei seinem Neffen, Ali al-Nimr, der als 17 —Jähriger zur Enthauptung und anschließender Kreuzigung verurteilt wurde. Das Auswärtige Amt hat mir diesen Besuch untersagt. Sie haben meinen Besuchswunsch weder weitergeleitet, noch bearbeitet, weil sie die Herrschaften in Riad nicht verstimmen wollten. Ich finde, das geht überhaupt nicht. Das zeigt auch, dass die Bundesregierung und die ganze Außenpolitik gar keinen Werte-Kompass mehr haben.
Es ist eine moralische Bankrotterklärung der Bundesregierung, Saudi-Arabien immer weiter hochzurüsten, wo doch die Menschenrechtslage dort katastrophal ist und eine mit dem Islamischen Staat vergleichbare Todesstrafe angewendet wird.
Ist denn dann die Kritik den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Christoph Strässer, Heuchelei?
Es ist natürlich Heuchelei. Man weiß, dass in Saudi-Arabien die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Die Unterdrückung von anders Denkenden, von Journalisten, aber auch der schiitischen Minderheit dort — die steht auf der Tagesordnung. Die aggressive Außenpolitik Saudi-Arabiens, durch die Förderung von islamistischen Terrormilizen, dass weiß man schon seit langem.
Deshalb ist es Heuchelei, auf der einen Seite so zu tun, als Menschenrechtsbeauftragter entsetzt über Massenhinrichtungen zu sein, auf der anderen Seite die strategische Partnerschaft mit Saudi-Arabien zu unterstützen. Man sieht Saudi-Arabien als "Stabilitätsanker", obwohl das Land eine der Hauptursachen für eine Destabilisierung der gesamten Region ist. Man muss sich nur den Krieg im Jemen ansehen: Saudi-Arabien führt mit anderen Golfstaaten einen Angriffskrieg im Jemen, auch mit deutschen Waffen, doch die Bundesregierung schweigt seit Monaten zu diesem Angriffskrieg.
Deshalb ist es mehr als Heuchelei, es ist perfide, es ist verantwortungslos und es zeigt, dass wir dringend eine Wende in unserer Politik gegenüber Saudi-Arabien brauchen. Und man muss natürlich auch im Klaren sein: Wer an diese furchtbare Gewaltdiktatur weiterhin Waffen liefert, destabilisiert die gesamte Region und schafft damit natürlich auch Fluchtursachen.
Abschließend, Frau Dagdelen: Es gibt bereits Stimmen, die einen vierten Golfkrieg befürchten. Dieser könnte dann wohl noch zerstörerischer als die vorherigen Kriege in der Region werden. Wie ist das Ihrer Meinung nach konkret zu verhindern?
Die Gefahr eines neuen Golfkrieges könnte man dadurch verhindern, indem man Saudi-Arabien in die Schranken weist. Die strategische Partnerschaft der USA, der Europäischen Union und insbesondere der Bundesregierung mit Saudi-Arabien muss aufhören. Man muss diese Gewaltherrschaft, diese Diktatur in Saudi-Arabien genauso behandeln, wie man alle anderen Diktaturen auch behandelt. Warum ist die Bundesregierung nicht für einen "Regime Change" in Saudi-Arabien? Warum sagen sie nicht, König Salman muss weg? So wie sie es bei Gaddafi oder Saddam Hussein gemacht haben. Das zeigt doch auch, dass diese ganze Außenpolitik verlogen ist bis ins Mark.
Es muss jetzt natürlich diplomatischer Druck ausgeübt werden, auch muss eine Aufrüstung Saudi-Arabiens durch den Westen aufhören. Und solange man keinen Druck auf diese Monarchen-Diktatur ausübt, schalten und walten sie in dieser Region wie sie es wollen: Sie rüsten islamistische Terrormilizen aus, um ihre Stellvertreterkriege zu führen, vor allem gegen den Iran und gegen Russland.
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