CrashBandicoot
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Sulukule Roma-Land älter als Istanbul Die Geschichte der Roma wird einfach von die türken mit Polizei weggebaggert und die ganze Welt schaut zu
Sie haben für römische Kaiser aufgespielt und für Atatürk: Seit 1000 Jahren leben die Roma im Istanbuler Stadtteil Sulukule. Doch jetzt kämpfen seine Bewohner einen verzweifelten Kampf gegen Stadtplaner, Bulldozer und Spekulanten.
Dabei ist Sulukule älter als Istanbul. Vor tausend Jahren berichteten byzantinische Schreiber erstmals von dem Volk, das sich in schwarzen Zelten an dem gewaltigen Wall des Kaisers Theodosius II. niedergelassen hat. Als Musiker und Magier, Pferdehändler und Bärenführer verdienten die Roma ihr Geld. Für byzantinische Kaiser und Sultane haben sie musiziert, und später auch für Atatürk.
Straßenansicht von Sulukule (Photo/Quelle: Wikipedia.de)
Fernsehnstation
Türkische Polizei gegen Roma Kinder in Roma-Viertel
Istanbul - Die Nacht war finster in Sulukule und der Morgen fahl. Die Bulldozer kamen mit dem ersten Ruf des Muezzins. Wie Panzer rollten sie voran, erzählt Ferdin Davaroglu, wie Donner dröhnten ihre Motoren. "Ich wusste, von nun an sind sie nicht mehr aufzuhalten."
Ferdin Davaroglu knetet eine hölzerne Gebetskette. Er lässt sie von seiner linken Hand in die rechte wandern. Er legt den Kopf schief. "Sie müssen uns schon erschießen, lebend kriegen sie uns nicht hier raus."
Davaroglu, Pullover-Verkäufer, 40 Jahre alt, wohnt im Istanbuler Stadtteil Sulukule, dem ältesten Roma-Viertel der Welt. Seit 1000 Jahren leben und musizieren Roma hier. Sie schlugen ihre Zelte auf, da war Istanbul noch nicht türkisch. Von Sulukule schwärmten die Roma aus nach Europa. Doch nun soll das Viertel abgerissen werden. Die Stadtverwaltung will Platz schaffen für teure Apartments und Boutiquen.
20 Häuser mussten den Bulldozern schon weichen
"Eine jahrhundertealte Kultur steht auf dem Spiel", sagt Neze Ozan. Die Bürgerrechtlerin setzt sich gemeinsam mit Istanbuler Anwälten, Architekten und Künstlern für den Erhalt des Roma-Viertels ein. "Wenn Sulukule stirbt, stirbt ein Teil unserer Geschichte", sagt sie.
20 Häuser hat die Stadtverwaltung seit Mai vergangenen Jahres abreißen lassen, Hunderte weitere sollen folgen. Ferdin Davaroglu schlurft durch die leeren Straßen Sulukules, sein Gang ist gebückt, seine Arme baumeln an seinem Körper. "Menschen lebten hier, schöne Menschen", sagt er. "Die Kinder spielten in den Gassen, die Weiber trugen flatternde Tücher und schillernde Ohrringe." Davaroglu seufzt. "Heute lacht und singt und tanzt niemand mehr in Sulukule. Die Menschen haben Angst. Sie fürchten um ihre Existenz."
Auf die Wellblechdächer der verzogenen Hütten trommelt der Regen. Von der ersten Abrisswelle sind Gerippe aus Stein geblieben – Häuser ohne Wände, ohne Türen, ohne Dächer. "Die Politiker wollen Sulukules Bürger einschüchtern", sagt Neze Ozan.
Aus Protest haben sie 40 Tage und Nächte musiziert
Sie hat einen Verein gegründet, den "Verein zur Rettung Sulukules". Ozan und ihre Mitstreiter haben den Protest auf die Straße getragen. 40 Tage und 40 Nächte lang haben sie musiziert und demonstriert. "Wir haben nicht aus Freude gespielt, sondern aus Wut", sagt Ozan. An Istanbuler Zeitungen hat sich der Verein gewandt und an die Vereinten Nationen.
Doch die Stadtverwaltung zeigt sich unbeeindruckt. Gegenwärtig ruhen die Bagger, aber spätestens im Frühjahr sollen die Arbeiten wieder aufgenommen werden. Die regierende AKP treibt die Stadterneuerung im ganzen Land voran. Im Jahr 2005 hat sie ein Gesetz verabschiedet, das es den Kommunen erlaubt, Viertel niederzureißen, wenn es einem höheren städtebaulichen Interesse dient.
Das Gesetz kommt Istanbuls Oberbürgermeister Kadir Topbas, neben Premier Erdogan einer der mächtigsten Vertreter der AKP, gerade recht. Zwar hat die Unesco die Wälle, die Sulukule umschließen, schon vor Jahren zum Weltkulturerbe ernannt, aber, so argumentiert Topbas, der Neubau Sulukules ist Teil eines viel größeren Projekts: In der historischen Altstadt, die von der Hagia Sofia bis zu den Wällen Sulukules reicht, soll das Osmanische Reich wieder auferstehen. Mächtige Paläste will Topbas bauen und neue Holzhäuser im "osmanischen Stil".
3500 Menschen werden umgesiedelt
Dass sich ihr Viertel mit der Idee der "Museumsstadt" nicht verträgt, haben die Roma aus der Zeitung erfahren, und auch dass der Abriss ihrer Häuser schon kurz bevor steht. Wohnungsbesitzer sollen enteignet werden, Mieter müssen sich eine neue Bleibe suchen – am besten am Stadtrand. 3500 Menschen sind von den Umsiedlungsplänen betroffen.
"Wo sollen wir leben? Uns will doch niemand", sagt Ferdin Davaroglu. Die Tür zum Teehaus quietscht, als er sie öffnet. Zigarettenrauch steht in der Luft. Davaroglu setzt sich zu vier alten Männern an den Tisch. "In Sulukule hilft jeder jedem", sagt er, "draußen können wir nicht überleben."
Fast ein Drittel der Menschen in Sulukule lebt von weniger als 150 Euro im Monat. Viele kommen nur über die Runden, weil Nachbarn und Verwandte sie unterstützen. Sie zerren von dem wirtschaftlichen Mikrokosmos, der sich in Sulukule gebildet hat. "Nur hier kann ich zum Händler sagen: ‚Bruder, ich bezahle später'", erzählt Davaroglu. "Wo sonst in Istanbul bekomme ich Butter, Eier, Käse für einen halben Euro? Wo finde ich eine Wohnung für 50 Euro?
Selbst das Europaparlament befasst sich mit den Plänen
Der "Fall Sulukule" beschäftigt mittlerweile sogar das Europaparlament. Im November trugen Sulukules Roma ihr Anliegen in Brüssel vor, Bezirksbürgermeister Mustafa Demir verteidigte die Interessen der Stadt.
"Der Umbau Sulukules ist das sozialste Projekt überhaupt, ein Geschenk Gottes", sagt Demir. "Die Hütten in Sulukule sind alt, schmutzig und baufällig. Wir bauen neue, bessere, größere Häuser für die Menschen in Sulukule." Und teurer. Die neuen Häuser werden ein Vielfaches von dem kosten, was die alten wert sind. "Das ist Wahnsinn", sagt Bürgerrechtlerin Ozan. "Wie sollen die Roma ihre Häuser je zurückkaufen?" Sie können Kredite aufnehmen, sagt der Bürgermeister. Ozan sagt, die Menschen hätte schon jetzt weder Geld noch Arbeit.
"Das Projekt dient einzig und allein dem Wohl der Menschen von Sulukule", beteuert auch Oberbürgermeister Kadir Topbas. Doch glauben will ihm das in Sulukule niemand.
2. Teil: Sulukule ist älter als Istanbul
Auf den Plänen der Gemeinde sehen die künftigen Bauten aus wie Villen, mit Swimmingpool und Garage. "Wozu bräuchten wir Parkplätze?", fragt Ferdin Davaroglu. "Hier haben mehr Leute Esel als ein Auto." "Und warum stellt der Bürgermeister sein Projekt auf Immobilienmessen vor?" Davaroglu formt seine Hände zu einem Revolver. "Die Politiker belügen uns. Sie wollen uns Roma hier raus haben."
Tatsächlich liegt Sulukule in Fatih, dem konservativsten Stadtteil Istanbuls. Die Roma gelten den Gläubigen hier als Menschen ohne Moral, als Zuhälter und Sklavenhalter. In Büchern des türkischen Erziehungsministeriums werden sie als Diebe und Wucherer beschrieben, sie seien "schmutzig und primitiv, sie stehlen Kinder und verkaufen sie, und ihre Frauen gehen auf den Strich".
Dabei ist Sulukule älter als Istanbul. Vor tausend Jahren berichteten byzantinische Schreiber erstmals von dem Volk, das sich in schwarzen Zelten an dem gewaltigen Wall des Kaisers Theodosius II. niedergelassen hat. Als Musiker und Magier, Pferdehändler und Bärenführer verdienten die Roma ihr Geld. Für byzantinische Kaiser und Sultane haben sie musiziert, und später auch für Atatürk.
Bis in die neunziger Jahre fiel der Istanbuler Geldadel nach Mitternacht in Sulukules Kneipen ein. In den "Vergnügungshäusern" des Viertels musizierten die Männer und tanzten die Frauen. Die Kunden staunten und aßen und tranken und zahlten. Die Stadtoberen aber witterten Unmoral – und so schickten sie Mitte der Neunziger Istanbuls berüchtigtsten Polizeichef "Schlauch-Süleyman" nach Sulukule. Süleyman peinigte seine Opfer in Verhören mit einem Gartenschlauch; die Vergnügungshäuser mussten schließen und mit Sulukule ging es bergab.
Spekulanten verdienen an der Angst der Bewohner
Nun droht Sulukule der letzte Stoß. "Die Politiker nennen es Entwicklung, doch für uns bedeutet es das Ende", sagt Ferdin Davaroglu . Rund 20.000 Euro zahlt die staatliche Wohnbaugesellschaft den Roma für ein Haus. Wer nicht verkauft, muss damit rechnen, am Ende ohne Heim und ohne Geld dazustehen. Sulukule ist zum Spielplatz für Spekulanten geworden. Immobilienmakler bieten den Menschen in Sulukule doppelt so viel für ihre Häuser wie die Stadt – in der Hoffnung sie später für den zehnfachen Preis weiter verkaufen zu können.
"Der Makler stellte mir 40.000 Euro in Aussicht. Also habe ich verkauft", erzählt Hüseyin Atasyar, 53. Wie er handeln viele. Sie glauben nicht mehr daran, den Abriss Sulukules noch aufhalten zu können – und geben sich deshalb mit einer Abfindung zufrieden.
Hüseyin Atasyar sitzt an einem Holztisch im Neonlicht des Teehaus von Sulukule. "Nichts hat es mir gebracht, gar nichts!", ruft er. "Sulukule zu verlassen, war der größte Fehler meines Lebens."
Hüseyin wurde in der neuen Umgebung nicht glücklich. Anders als in Sulukule durfte der Kutscher in Tasoluk, seinem neuen zu Hause, seine Pferde nicht vor seiner Wohnung abstellen. "Sinti und Roma, deine Pferde stinken, und du stinkst auch!", riefen die Nachbarn. Freunde fand Hüseyin in Tasoluk keine. Und so kommt der Kutscher weiter jeden Tag nach Sulukule. "So lange ein Haus steht", sagt er, "werde ich um Sulukule kämpfen."
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,529467-2,00.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Sulukule
Sulukule gilt als das älteste Roma-Viertel der Welt. Hier leben schon seit mehr als tausend Jahren [1] Roma. Die legendären Musiker des Viertels waren im byzantinisch-kaiserlichen Hof gefragt.
Also vor die Türken
Sie haben für römische Kaiser aufgespielt und für Atatürk: Seit 1000 Jahren leben die Roma im Istanbuler Stadtteil Sulukule. Doch jetzt kämpfen seine Bewohner einen verzweifelten Kampf gegen Stadtplaner, Bulldozer und Spekulanten.
Dabei ist Sulukule älter als Istanbul. Vor tausend Jahren berichteten byzantinische Schreiber erstmals von dem Volk, das sich in schwarzen Zelten an dem gewaltigen Wall des Kaisers Theodosius II. niedergelassen hat. Als Musiker und Magier, Pferdehändler und Bärenführer verdienten die Roma ihr Geld. Für byzantinische Kaiser und Sultane haben sie musiziert, und später auch für Atatürk.
Fernsehnstation
Türkische Polizei gegen Roma Kinder in Roma-Viertel
Istanbul - Die Nacht war finster in Sulukule und der Morgen fahl. Die Bulldozer kamen mit dem ersten Ruf des Muezzins. Wie Panzer rollten sie voran, erzählt Ferdin Davaroglu, wie Donner dröhnten ihre Motoren. "Ich wusste, von nun an sind sie nicht mehr aufzuhalten."
Ferdin Davaroglu knetet eine hölzerne Gebetskette. Er lässt sie von seiner linken Hand in die rechte wandern. Er legt den Kopf schief. "Sie müssen uns schon erschießen, lebend kriegen sie uns nicht hier raus."
Davaroglu, Pullover-Verkäufer, 40 Jahre alt, wohnt im Istanbuler Stadtteil Sulukule, dem ältesten Roma-Viertel der Welt. Seit 1000 Jahren leben und musizieren Roma hier. Sie schlugen ihre Zelte auf, da war Istanbul noch nicht türkisch. Von Sulukule schwärmten die Roma aus nach Europa. Doch nun soll das Viertel abgerissen werden. Die Stadtverwaltung will Platz schaffen für teure Apartments und Boutiquen.
20 Häuser mussten den Bulldozern schon weichen
"Eine jahrhundertealte Kultur steht auf dem Spiel", sagt Neze Ozan. Die Bürgerrechtlerin setzt sich gemeinsam mit Istanbuler Anwälten, Architekten und Künstlern für den Erhalt des Roma-Viertels ein. "Wenn Sulukule stirbt, stirbt ein Teil unserer Geschichte", sagt sie.
20 Häuser hat die Stadtverwaltung seit Mai vergangenen Jahres abreißen lassen, Hunderte weitere sollen folgen. Ferdin Davaroglu schlurft durch die leeren Straßen Sulukules, sein Gang ist gebückt, seine Arme baumeln an seinem Körper. "Menschen lebten hier, schöne Menschen", sagt er. "Die Kinder spielten in den Gassen, die Weiber trugen flatternde Tücher und schillernde Ohrringe." Davaroglu seufzt. "Heute lacht und singt und tanzt niemand mehr in Sulukule. Die Menschen haben Angst. Sie fürchten um ihre Existenz."
Auf die Wellblechdächer der verzogenen Hütten trommelt der Regen. Von der ersten Abrisswelle sind Gerippe aus Stein geblieben – Häuser ohne Wände, ohne Türen, ohne Dächer. "Die Politiker wollen Sulukules Bürger einschüchtern", sagt Neze Ozan.
Aus Protest haben sie 40 Tage und Nächte musiziert
Sie hat einen Verein gegründet, den "Verein zur Rettung Sulukules". Ozan und ihre Mitstreiter haben den Protest auf die Straße getragen. 40 Tage und 40 Nächte lang haben sie musiziert und demonstriert. "Wir haben nicht aus Freude gespielt, sondern aus Wut", sagt Ozan. An Istanbuler Zeitungen hat sich der Verein gewandt und an die Vereinten Nationen.
Doch die Stadtverwaltung zeigt sich unbeeindruckt. Gegenwärtig ruhen die Bagger, aber spätestens im Frühjahr sollen die Arbeiten wieder aufgenommen werden. Die regierende AKP treibt die Stadterneuerung im ganzen Land voran. Im Jahr 2005 hat sie ein Gesetz verabschiedet, das es den Kommunen erlaubt, Viertel niederzureißen, wenn es einem höheren städtebaulichen Interesse dient.
Das Gesetz kommt Istanbuls Oberbürgermeister Kadir Topbas, neben Premier Erdogan einer der mächtigsten Vertreter der AKP, gerade recht. Zwar hat die Unesco die Wälle, die Sulukule umschließen, schon vor Jahren zum Weltkulturerbe ernannt, aber, so argumentiert Topbas, der Neubau Sulukules ist Teil eines viel größeren Projekts: In der historischen Altstadt, die von der Hagia Sofia bis zu den Wällen Sulukules reicht, soll das Osmanische Reich wieder auferstehen. Mächtige Paläste will Topbas bauen und neue Holzhäuser im "osmanischen Stil".
3500 Menschen werden umgesiedelt
Dass sich ihr Viertel mit der Idee der "Museumsstadt" nicht verträgt, haben die Roma aus der Zeitung erfahren, und auch dass der Abriss ihrer Häuser schon kurz bevor steht. Wohnungsbesitzer sollen enteignet werden, Mieter müssen sich eine neue Bleibe suchen – am besten am Stadtrand. 3500 Menschen sind von den Umsiedlungsplänen betroffen.
"Wo sollen wir leben? Uns will doch niemand", sagt Ferdin Davaroglu. Die Tür zum Teehaus quietscht, als er sie öffnet. Zigarettenrauch steht in der Luft. Davaroglu setzt sich zu vier alten Männern an den Tisch. "In Sulukule hilft jeder jedem", sagt er, "draußen können wir nicht überleben."
Fast ein Drittel der Menschen in Sulukule lebt von weniger als 150 Euro im Monat. Viele kommen nur über die Runden, weil Nachbarn und Verwandte sie unterstützen. Sie zerren von dem wirtschaftlichen Mikrokosmos, der sich in Sulukule gebildet hat. "Nur hier kann ich zum Händler sagen: ‚Bruder, ich bezahle später'", erzählt Davaroglu. "Wo sonst in Istanbul bekomme ich Butter, Eier, Käse für einen halben Euro? Wo finde ich eine Wohnung für 50 Euro?
Selbst das Europaparlament befasst sich mit den Plänen
Der "Fall Sulukule" beschäftigt mittlerweile sogar das Europaparlament. Im November trugen Sulukules Roma ihr Anliegen in Brüssel vor, Bezirksbürgermeister Mustafa Demir verteidigte die Interessen der Stadt.
"Der Umbau Sulukules ist das sozialste Projekt überhaupt, ein Geschenk Gottes", sagt Demir. "Die Hütten in Sulukule sind alt, schmutzig und baufällig. Wir bauen neue, bessere, größere Häuser für die Menschen in Sulukule." Und teurer. Die neuen Häuser werden ein Vielfaches von dem kosten, was die alten wert sind. "Das ist Wahnsinn", sagt Bürgerrechtlerin Ozan. "Wie sollen die Roma ihre Häuser je zurückkaufen?" Sie können Kredite aufnehmen, sagt der Bürgermeister. Ozan sagt, die Menschen hätte schon jetzt weder Geld noch Arbeit.
"Das Projekt dient einzig und allein dem Wohl der Menschen von Sulukule", beteuert auch Oberbürgermeister Kadir Topbas. Doch glauben will ihm das in Sulukule niemand.
2. Teil: Sulukule ist älter als Istanbul
Auf den Plänen der Gemeinde sehen die künftigen Bauten aus wie Villen, mit Swimmingpool und Garage. "Wozu bräuchten wir Parkplätze?", fragt Ferdin Davaroglu. "Hier haben mehr Leute Esel als ein Auto." "Und warum stellt der Bürgermeister sein Projekt auf Immobilienmessen vor?" Davaroglu formt seine Hände zu einem Revolver. "Die Politiker belügen uns. Sie wollen uns Roma hier raus haben."
Tatsächlich liegt Sulukule in Fatih, dem konservativsten Stadtteil Istanbuls. Die Roma gelten den Gläubigen hier als Menschen ohne Moral, als Zuhälter und Sklavenhalter. In Büchern des türkischen Erziehungsministeriums werden sie als Diebe und Wucherer beschrieben, sie seien "schmutzig und primitiv, sie stehlen Kinder und verkaufen sie, und ihre Frauen gehen auf den Strich".
Dabei ist Sulukule älter als Istanbul. Vor tausend Jahren berichteten byzantinische Schreiber erstmals von dem Volk, das sich in schwarzen Zelten an dem gewaltigen Wall des Kaisers Theodosius II. niedergelassen hat. Als Musiker und Magier, Pferdehändler und Bärenführer verdienten die Roma ihr Geld. Für byzantinische Kaiser und Sultane haben sie musiziert, und später auch für Atatürk.
Bis in die neunziger Jahre fiel der Istanbuler Geldadel nach Mitternacht in Sulukules Kneipen ein. In den "Vergnügungshäusern" des Viertels musizierten die Männer und tanzten die Frauen. Die Kunden staunten und aßen und tranken und zahlten. Die Stadtoberen aber witterten Unmoral – und so schickten sie Mitte der Neunziger Istanbuls berüchtigtsten Polizeichef "Schlauch-Süleyman" nach Sulukule. Süleyman peinigte seine Opfer in Verhören mit einem Gartenschlauch; die Vergnügungshäuser mussten schließen und mit Sulukule ging es bergab.
Spekulanten verdienen an der Angst der Bewohner
Nun droht Sulukule der letzte Stoß. "Die Politiker nennen es Entwicklung, doch für uns bedeutet es das Ende", sagt Ferdin Davaroglu . Rund 20.000 Euro zahlt die staatliche Wohnbaugesellschaft den Roma für ein Haus. Wer nicht verkauft, muss damit rechnen, am Ende ohne Heim und ohne Geld dazustehen. Sulukule ist zum Spielplatz für Spekulanten geworden. Immobilienmakler bieten den Menschen in Sulukule doppelt so viel für ihre Häuser wie die Stadt – in der Hoffnung sie später für den zehnfachen Preis weiter verkaufen zu können.
"Der Makler stellte mir 40.000 Euro in Aussicht. Also habe ich verkauft", erzählt Hüseyin Atasyar, 53. Wie er handeln viele. Sie glauben nicht mehr daran, den Abriss Sulukules noch aufhalten zu können – und geben sich deshalb mit einer Abfindung zufrieden.
Hüseyin Atasyar sitzt an einem Holztisch im Neonlicht des Teehaus von Sulukule. "Nichts hat es mir gebracht, gar nichts!", ruft er. "Sulukule zu verlassen, war der größte Fehler meines Lebens."
Hüseyin wurde in der neuen Umgebung nicht glücklich. Anders als in Sulukule durfte der Kutscher in Tasoluk, seinem neuen zu Hause, seine Pferde nicht vor seiner Wohnung abstellen. "Sinti und Roma, deine Pferde stinken, und du stinkst auch!", riefen die Nachbarn. Freunde fand Hüseyin in Tasoluk keine. Und so kommt der Kutscher weiter jeden Tag nach Sulukule. "So lange ein Haus steht", sagt er, "werde ich um Sulukule kämpfen."
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,529467-2,00.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Sulukule
Sulukule gilt als das älteste Roma-Viertel der Welt. Hier leben schon seit mehr als tausend Jahren [1] Roma. Die legendären Musiker des Viertels waren im byzantinisch-kaiserlichen Hof gefragt.
Also vor die Türken