Terrorkurse im deutschen Tagungshotel
Für die PKK bleibt Deutschland eine ihrer wichtigsten Stützen. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes gehören rund 12.000 Kurden in Deutschland extremistischen Organisationen an.
Von Boris Kalnoky
Istanbul - Kurdische Terroristen hatten vergangene Woche eine Botschaft an jene vier Millionen Deutschen, die jährlich die Türkei besuchen. Es war eine Botschaft an jeden Besucher des Landes, überbracht durch fünf Bomben in Istanbul, Marmaris und Antalya. Kommt nicht in dieses Land, lautete die Nachricht, denn "wir werden die Türkei in eine Hölle verwandeln". So stand es im Bekennerschreiben einer Gruppe namens Freiheitsfalken Kurdistans (TAK). Sie hatten entschieden, dass Ausländer sterben müssen, damit die kurdische Sache Gehör findet. Drei Menschen starben, fast 100 wurden verletzt, darunter drei Deutsche.
Schon im vergangenen Sommer hatte die TAK Touristen getötet. Bei einem Anschlag in Kusadasi kamen fünf Menschen ums Leben. Einer der Täter ist mittlerweile gefasst. Sein Lebenslauf legt nahe, dass die Freiheitsfalken auch in Deutschland präsent sind. Ob sie auch Anschläge in Deutschland verüben könnten, das muss ab sofort eine Sorge der Sicherheitsbehörden sein.
Mehmet Sirac Keskin, der Täter von Kusadasi, gab vor Gericht an, er sei 1996 nach Deutschland gegangen. Dort sei er von der Kurdenorganisation PKK angeworben worden. Keskin wurde in Holland und Deutschland zum Terroristen ausgebildet, wobei die deutschen PKK-Lehrgänge in kleineren Hotels stattfanden, die zu dem Zweck komplett gebucht wurden. Danach ging er in den Nordirak. Über den Unterschied zwischen PKK und TAK sagt Keskin, es gebe eigentlich keinen. Ihm zufolge hat "man sich unter den Namen TAK" zum Anschlag in Kusadasi bekannt, "weil Zivilisten dabei gestorben sind".
Die Freiheitsfalken wurden im Sommer 2003 von der obersten PKK-Führung gegründet, mit der Aufgabe, ausschließlich zivile Ziele anzugreifen. Das jedenfalls sagt Hidir Sarikaya, der selbst bis 2004 zur PKK-Führung gehörte, sich dann aber von der Organisation trennte. Neben Mehmet Keskin haben die türkischen Behörden auch einen weiteren TAK-Terroristen gefasst, Mehmet Berk. Der sagte aus, Murat Karayilan persönlich habe ihm seine Befehle gegeben. Karayilan ist der "militärische" Befehlshaber der PKK.
Warum aber wählt die PKK neuerdings das Mittel gezielten Terrors gegen Touristen? Die Organisation geriet 2003 in Bedrängnis. Ein Waffenstillstand seit 1998 und Reformen der türkischen Regierung hatten die Kontrolle der PKK über die kurdische Bevölkerung verringert, interne Zerwürfnisse drohten die Gruppe zu zerstören. Das mag der Hintergrund der doppelten Entscheidung gewesen sein, den Kampf wieder aufzunehmen (ab Juni 2004) und zum Mittel des Terrors zu greifen.
Für die PKK bleibt Deutschland eine ihrer wichtigsten Stützen. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes gehören rund 12 000 der 500 000 Kurden in Deutschland extremistischen Organisationen an. Von hier fließt Geld, gelangen Kämpfer an die "Front". Der türkische Geheimdienst geht davon aus, dass 700 hauptberufliche PKKler in Deutschland aktiv sind, in ganz Europa 3000. Dem stehen rund 5300 PKK-Kämpfer im Nordirak und in der Türkei gegenüber. Diese Zahlen machen klar, welche Bedeutung Westeuropa und Deutschland für die PKK haben.
Sind Anschläge in Deutschland denkbar? Der seit Ende der 90er-Jahre inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan hat oft genug damit gedroht. Im Januar 1996 drohte er mit einem "massiven Aufstand der Kurden in Europa", mit "hohen Verlusten, besonders in Deutschland". Im März 1996 sagte er: "Deutschland hat der PKK den Krieg erklärt ... Wir können den Schaden erwidern. Jeder Kurde ist ein potenzieller Selbstmordbomber." Vorangegangen war 1993 ein Verbot der PKK.
Später änderte Öcalan seine Haltung. Die Freiheitsfalken, die sich vorbehaltlos zu Öcalan bekennen, haben nun jedoch eine seiner damaligen Drohungen wahr gemacht. Sie greifen die türkischen Touristengebiete an. Das ist eine Idee Öcalans, und es ist nicht undenkbar, dass eine in die Enge getriebene und immer terroristischer agierende PKK zu noch radikaleren Mitteln greift. Die Vorraussetzungen dafür hätte sie vor allem in Deutschland.
Artikel erschienen am Mo, 4. September 2006