Also, mir geht es hier nicht um eine moralische Bewertung. Ich habe vollen Respekt für Pazifisten und die generelle Ablehnung von Gewalt, leider funktioniert aber die Welt nicht so - Pazifismus bleibt eine marginale Bewegung.
Das sehe ich auch so. Für mich stellt das eine Art Paradoxon dar.
Der Fakt ist: so lange es die Türkei nicht schafft, die PKK unter der kurdischen Bevölkerung zu marginalisieren (und mein Eindruck ist, dass sie es nicht geschafft hat), ist sie, wenn wir es mögen oder nicht, ein Verhandlungspartner. Ich meine, ist mir klar dass nicht alle Kurden PKK-Sympathisanten sind, vielleicht nicht mal die Mehrheit davon, es sieht aber so aus dass sie in Teilen der kurdischen Bevölkerung in bestimmten Gebieten immer noch Sympathien hat. Das heißt, der Weg zum Frieden kann nicht an sie vorbei führen. Das hat die Geschichte in vielen Fällen von terroristischen Organisationen bewiesen.
Es sind zu viele Kurden, die zur Türkei halten und zu wenige, die zur PKK halten und es sind zu viele Kurden, die zur PKK halten und zu wenige, die zur Türkei halten. That's it.
Verstehe mich nicht falsch. Im Gegensatz zu der Mehrheit in unserer Gesellschaft vertete ich die Ansicht, dass verhandelt werden muss. Einzig das Staatsterritorium ist unantastbar, mehr nicht, was ja auch völlig in Ordnung ist. Denn lügen die PKK-nahen Politiker nicht, geht es ihnen in erster Linie nur um kulturelle Autonomie (die es so nie ganz geben kann, weil sich Türken und Kurden zu ähnlich sind in ihrer Tadition und in ihren Bräuchen).
Die Türkei mag eine große Nation sein, sie kann aber nicht das bewerkstelligen, was GB, FR, E, China usw. nicht geschafft haben.
Das weiß Erdogan. Deshalb handelt er anders und spricht er anders. Von allen Nachbarstaaten der Türkei ist der Nordirak - Kurdistan - der von ihr am abhängigste. Ökonomisch, militärisch, politisch haben sich dermaßen starke Bände entwickelt, dass es sogar us-amerikanische Denkfabriken gibt, die Türkei und Kurdistan gemeinsam in einem Staat betrachten. Nicht so extrem, aber in diese Richtung geht auch meine These.
Kurdistan wäre der engste, der beste Verbündete der Türkei, wenn man keinen Krieg führt und gegenseitig die Grenzen akzeptiert. Kurden werden in der Türkei immer noch von der absoluten Mehrheit der Türken gemocht, andersherum mögen noch mehr Kurden die Türken sogar. Unabhänige Umfragen belegen das. Araber und Perser aber hassen sie. Unter Arabern und Persern - egal ob christlich oder islamisch - gelten Kurden als die Schachfiguren der USA. "Kurde" ist im Libanon und Syrien eine wüste Beleidigung.
Nun schau dich um. Die Kurden haben im Falle ihrer Unabhängigkeit niemanden an ihrer Seite in ihrer geografischen Lage. Sie sind auf die Türkei angewiesen wie die Türkei auf sie angewiesen ist. Der (Nord)Irak ist für uns unter öknomischen Gesichtspunkten bedeutungsvoller als Griechenland.
Kurzum, was ich damit sagen will: Selbst wenn ein Kurdistan entsehen würde (die Türkei erkennt erste Papiere mit diesem Namen bereits an), dieses Land wäre mittel- und langfristig ein Verbündeter der Türkei.
Viele Türken und Europäer fassen die Gründung eines kurdischen Staates als Untergang der Türkei auf, das ist falsch und extrem naiv. Wenn, ja wenn die Türken nur klug genug handeln, wird Kurdistan die türkische Machtbasis im Nahen Osten sogar festigen und ausbauen.
Jede Option ist gleichermaßen real. Manche Entwicklungen lassen sich jetzt schon absehen. Die Türkei unterstützt und schützt die irakischen Kurden gegen Bagdat, was auch nur wenige Menschen wissen. Es liegt an der innertürkischen Dynamik, dass die Erdogan-Regierung vieles leise und ruhig macht.
Sehr interessant auf jeden Fall.