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Tabuisierung von SFRJ, Geschichtsrelativismus und die EU

Naravno.

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Voll Stylisch ey
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Was ich an einigen Beiträgen hier befremdlich finde ist die herablassende Art und Weise mit der die sogenannten "Diaspora-Kinder" von der offensichtlichen Pro-Jugoslawien Fraktion (Frieden, Lubenica etc.) bedacht werden. In den Sozialwissenschaften ist eine der ersten Sachen die man lernt, dass man durch die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft oder Gemeinschaft NICHT mehr über die Mechanismen und die Funktion der Gesellschaft selbst weiß. Das bedeutet, dass niemand besser weiß wie Jugo war nur weil er darin gelebt hat bzw. es keine direkte Korrelation zwischen den beiden Sachen gibt. Vor allem in von Propaganda geprägten Gesellschaften wie dem Titoismus bzw. dem Kommunismus wie er in der SRFJ angewandt wurde.

Die Aussage "Ich habe in Jugoslawien gelebt und du nicht und weiß deswegen besser wie Jugoslawien war." ist also kein Argument, sondern ein ad-hominem weil den Betreffenden offenbar entweder keine ad hoc Argumente einfallen oder es eventuell keine stichhaltigen Argumente gibt. Auf so eine Aussage ließe sich beispielsweise relativ einfach ebenfalls mit einem provokativen ad-hominem replizieren: "Klar war alles besser, damals warst du noch jung und konntest Mädchen nachlaufen. Außerdem hat dir damals der Rücken nicht weh getan."

Wer meint, dass man in Jugoslawien frei war und sagen konnte was man wollte sollte sich beispielsweise mit dem Fall der entlassenen Philosophieprofessoren in Belgrad auseinandersetzen. Diese haben nach dem Bruch mit der Sowjetunion zuerst die Mängel des Stalinismus thematisiert und haben von der Partei breite Unterstützung bekommen. Sobald aber in deren theoretischen Abhandlungen auch Kritik am Titoismus aufkam (weil schlichtweg auch kein System perfekt sein kann), verloren sie Ihre Professuren. In Kroatien stimmte man im Diskurs beispielsweise den Belgrader Professoren auch zu, formulierte es aber viel vorsichtiger und nicht so eindeutig. Natürlich landete deswegen keiner der Professoren in einem Gefängnis, wenn sich eine Regierung allerdings in den wissenschaftlichen Diskurs selbst einmischt ist das ein relativ klares Zeichen für die Unterdrückung spezifischer Meinungen - wie auch immer diese geartet sind.

Das Problem war also nicht wie man behandelt wurde, wenn man mitspielte und ein glühender Titoist, Jugoslawe, Kommunist oder wie auch immer war. Das Problem war die Behandlung, wenn man als "systemfeindliches Element" klassifiziert wurde. Und da waren die Zuchthäuser in der DDR noch bei weitem liberaler als ein Gulag wie Goli Otok, welches eines der Indizien ist die SFRJ als totalitäres System zu klassifizieren.

Als Balkanerin sind für mich Aussagen wie "picka ti materina" und "argumentum ad hominem" völlig gleichberechtigt. Beides kann man sowohl mir als auch anderen entgegenhalten, die im Unterschied zu dir, sehr wohl den Eingangs-Thread verstanden haben, auch wenn sie in deinen Augen nicht diskursfähig sind. Mir ging es gerade nicht um eine Pro/Contra-Diskussion.


Dass die Zuchthäuser in der DDR noch bei weitem liberaler als ein Gulag wie Goli Otok waren, ist als Argument schon deswegen wenig überzeugend, weil nasser als nass nicht funktioniert. Das ist genauso, wie wenn jmd sagt, die Österreicher waren die noch viel schlimmeren Nazis als die Deutschen: was können wir aus so einem Best-of-Böse-Ranking gewinnen? Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich jmd, der Opfer eines DDR-Zuchthauses war, dadurch ernst genommen fühlt oder gar glücklich und zufrieden machen lässt, indem man ihm entgegenhält: "Es gibt noch viel, viel Schlimmeres als du erlebt hast - du warst nicht auf Goli Otok!"

Und wenn du schon auf so einem hohen Ross daherkommst, dann solltest du dich wenigsten in den wissenschaftlichen Methoden in der Soziologie etc. auskennen, sonst ist es iwie peinlich (und das sage ich als Nicht-Soziologin).


Und sind das auch argumenta ad hominem, wenn Goli Otok überlebende wie etwa Nikola Golubovic (Ex-Jugoslawe und Montenegriner, Montenegriner und dann Westbalkaner, er ist im Alter von 92 verstorben) und Radovan Hrast (Ex-Jugoslawe und Slowene, jetzt Slowene und EU-Bürger 2. Klasse) unabhängig voneinander meinen, zu Titos Zeiten sei das Leben besser gewesen oder dass man Arbeiter mit Respekt behandelte und sie ihre Würde hatten?

Worum geht es hier in diesem Thread:

1. Definitionsmacht, wer das "zivilisierte" Europa repräsentiert:
Dazu ein sehr spannendes Interview mit S. Zizek

Nach vielen Jahren, in denen die Bürger auf dem Balkan Europa als das «idealisierte Andere» betrachteten, herrscht jetzt gegenseitige Enttäuschung. Hier zweifeln viele, ob Brüssel und die Hauptstädte wirklich die Erweiterung wollen – und tatsächlich ist in Westeuropa die Meinung verbreitet: noch Kroatien und dann Schluss. Gibt es alternative Entwicklungsszenarien?

Lassen sie mich schrittweise antworten. Wo liegt denn Europa? Wir sind in Slowenien. Hier, sagen die Leute, ist gerade noch Europa. Gleich an der Grenze zu Kroatien beginnt der Balkan: Denn Kroatien gehörte zum ungarischen Teil der k. u. k. Doppelmonarchie. Für die Kroaten beginnt der Balkan in Serbien, an der Trennlinie zum christlich-orthodoxen Glauben. Die Serben sehen sich ihrerseits als letzte Bastion des Christentums an der Grenze zum Islam der Albaner und Bosnjaken. Aber gehen sie nach Österreich: Wir sind Europa, heisst es dort. Jenseits der Karawanken in Slowenien herrschen slawische Horden. In Deutschland kann man hören, die Österreicher mit ihrem ererbten Vielvölkermix seien eigentlich Balkaner. Die Franzosen sehen sich dank ihrer «civilisation» als Hochburg Europas, denn östlicher, in Deutschland, droht die Barbarei der Teutonen. Ein englischer Journalist sagte mir, im Grunde genommen sei der ganze Kontinent heute eine Art byzantinisch-balkanisches Reich mit Brüssel als dem neuen Konstantinopel. Nur noch die britische Insel verteidige die Werte Europas. Sie sehen, der Balkan ist kein fester Ort. Es gibt viele Vorurteile über den Balkan. Das dümmste ist, dass er in seiner Geschichte feststecke, dass die Menschen hier die Geschichte nie vergässen und daraus nie etwas lernten. Das Gegenteil stimmt. Und wenn sie heute schauen, dann funktioniert der Balkan im Wesentlichen wie der Westen.

2. Postsozialistische Länder in der EU inkl. ehemalige Teilrepubliken von SFRJ (Slowenien und Kroatien)

In diesem EU-Europa gibt es keinen adäquaten Umgang mit der sozialistischen Vergangenheit, obwohl 13 von 28 Mitgliedern genau eine solche aufweisen. Die Bürger dieser Länder werden als Bürger 2. Klasse betrachtet, insbesondere dann, wenn sie ihrer jeweiligen Vergangenheit irgendetwas positives abgewinnen können. Sie sollen die Vergangenheit endlich hinter sich lassen, denn mit ihren Erinnerungen, die als lächerliche und somit nicht ernstzunehmende "Nostalgie" abgeschmettert werden, beweisen sie lediglich, dass sie sich im sog. Transformationsprozess (oder Transition) an die neuen Gegebenheiten nicht anpassen haben können etc. (=Loser).

Gleichzeitig bringen sie quasi selbst den Beweis dafür, was die osteuropäischen EU-Bürger vom "wahren" und im Falle des Balkans auch noch zusätzlich vom "zivilisierten" Europa trennt. Auf dem Balkan wirkt dies doppelt, weil es immer schon einschlägige Vorurteile gab und diese nunmehr auch noch durch die sozialistische Vergangenheit zusätzlich kompromittiert erscheinen. Das Ende des Sozialismus und der Zerfall von SFRJ und die kriegerischen Auseinandersetzungen erfolgten zeitgleich. Der Begriff vom gewaltbereiten "wilden" Balkanesen wurde trotz aller rassistischer Konnotation ein Teil des Diskurses des "zivilisierten" Europas.



3. Tabuisierung der sozialistischen Vergangenheit

Ich bin für deinen Beitrag sehr dankbar, weil er genau aufzeigt, wie diese Tabuisierung "funktioniert", wenn sie bildungssprachlich daherkommt bzw. gestützt durch die holde Wissenschaft:

Mit einem Verweis auf Goli Otok, Stasi etc. wird der Sozialismus mit dem Faschismus gleichgesetzt. Der Totalitarismus-Vorwurf eignet sich dafür ganz besonders, weil er scheinbar universalisiert und von jedem geschichtlichen Kontext herausgerissen werden kann. Am stärksten prägte den Begriff (Totalitarismus) Hannah Arendt. Wenn man sich mit ihrem Werk auseinandergesetzt hat, dann könnte man zB wissen, dass sie den Nationalsozialismus auf die Zeit 1938 - 1945 und den Stalinismus in der Periode 1930 bis zu seinem Tod begrenzte. Für sie war aber zB sowohl Lenin "on the road" als auch Mao. Auch verstand sie keine Einparteiensysteme oder gar eine Tyranis darunter.

Die Reduzierung des Sozialismus auf seine politischen, repressiven Seiten eignen sich vorzüglich dazu

a) den EU-Bürgern 1. Klasse eine "demokratische" Identität als Gegensatz zu den totalitären Systemen im ehemaligen Ostblock zu verpassen. Der Jargon aus den Zeiten des Kalten Krieges lässt grüßen.

b) den EU-Bürgern 2. Klasse sowie den "Anwärtern" im Westbalkan weiterhin in einem kolonialähnlichem "Verhältnis" verharren zu lassen, die auf ihrem Weg in die EU, ein scheinbar endloser Weg(siehe SLO, Kroatien, und neuerdings auch Griechenland) Unterstützung, Hilfe, Anleitung etc. brauchen. West-Ost wurde nach dem Kalten Krieg durch (reich) Nord-Süd (arm) ersetzt.

Dieses kolonialähnliche "Verhältnis" geht egal ob in BiH oder noch weiter im Süden mit erwachsenen Menschen wie mit Kindern um. Als Bsp nochmals ein Auszug aus dem gleichen interview mit S. Zizek iZm Kosovo:

Und sie behandeln die Einheimischen wie Kinder. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Internationalen Plakate aufhängen liessen, auf denen ein Hund und eine Katze friedlich nebeneinanderliegen. Dabei stand, sinngemäss: «Wenn die es können, warum nicht auch ihr?» Man nimmt die Einheimischen nicht ernst als politische Subjekte.

Wenn sich die Eu-Bürger 2. Klasse sowie die Bürger des Westbalkans positiv an ihre sozialistische Vergangenheit erinnern (falls sie sich überhaupt noch trauen), dann sind sie mA durchaus in der Lage dabei zu differenzieren. Es wird ihnen aber unterstellt, dass sie diesen repressiven, undemokratischen, meschenrechtsverweigernden Aspekt des Sozialismus verleugneten und lediglich die Würde, die sie als Arbeiter hatten, die Sicherheit auf dem Arbeitsplatz, Existenzsicherung, Bildung, Gesundheitsvorsorge etc. hervorheben würden. Manche (Idioten) versteigen sich sogar dazu, zu behaupten, zB Vollbeschäftigung gibt es nur mit Goli Otok. Eine krudere Argumentation kann man sich kaum mehr vorstellen.


Wenn man nämlich von der Totalitarismuskeule, die lediglich Sozialismus mit Faschismus gleichsetzt absieht, wäre man unter Umständen in der Lage, den Sozialismus als Gegensatzpaar zum Kapitalismus bzw. der neoliberalen Variante, wie wir sie jetzt haben, zu sehen. Die einzige Möglichkeit, die sie hätten, sich selbst als ernstzunehmende Subjekte wahrnehmen zu können, sind ihre positiven Erinnerungen als Industriearbeiter. Wenn man das als Nostalgie abtut, wird auch das emanzipatorische Potential, welche diese Erinnerungen haben, völlig vernichtet.

Das gemeinsame, was alle diese Ostblock-Länder haben, ist, dass gerade ihre neoliberalen Eliten ein großes Interesse daran haben, die universellen Werte, wie sie der Sozialismus auch enthält, die im übrigen auch ein Teil der europäischen Aufklärung sind, verleugnet werden. Wer braucht heutzutage selbstbewusste Arbeiter, die auf ihre Rechte pochen?



Das Interview mit S.Z.
Ein Gespräch mit dem slowenischen Philosophen Slavoj ?i?ek: Der Balkan verschwindet - NZZ
 
Du hast ja keine Ahnung Yu war nie ein Utopia wenn es so gut war hätten Leute nie mit dem Krieg begonnen.
Ich hab mich Heute mit einer Alten Dame unterhalten die 95 Jahre alt und geistig und körperlich für ihr Alter im guten Zustand.
Die 50iger und die 60iger waren schreklich.
Freie meinugsauserungen getraut sie sich erst seit 10 jahren.

Meist du in allen erst Yu hätte in die heutige Zeit funktioniert.
Für mich ist es recht so wie es ist, es wäre schön wenn der Zerfall von Yu ohne Krieg stattgefunden hätte.


Daro, also ich soll dir jetzt wirklich glauben, dass sich eine alte Frau auf dem Balkan nicht traut ihre Meinung zu sagen.


Vllt solltest du auch dazusagen, was deine Oma unter freier Meinungsäußerung denn versteht? Was sind das für Sätze, die sie erst seit 10 Jahren aussprechen darf?
 
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