Wer Jahrzehnte in D (oder A, CH) lebt, der nimmt auch etwas davon an, da ist jedes Leugnen sinnlos. Es ist nur immer die Frage, wie sich was in den Vordergrund drängt. Klar, hier in der Diaspora definiert man sich mit seiner Balkanidentität, das macht uns anders, besonders, interessanter und oft muß es als Entschuldigung herhalten. Und natürlich reagiert auch das Umfeld entsprechend, je stärker man sich selbst dazu bekennt, Serbe, Albaner, grieche, Kroate usw. zu sein, umso stärker wird man auch so wahrgenommen (und umso weniger als Deutscher).
Aber mal ganz ehrlich: Wenn es morgen hieße "zurück in die Heimat!", da würden einige ziemlich sparsam gucken. Zu sehr hat man sich an das Leben hier gewöhnt. An Zuverlässigkeit von Verkehrsmitteln. An Unbestechlichkeit von Beamten. An eine gewisse Sicherheit, daß die Produkte, die man kaufen kann auch gewisse Mindeststandards erfüllen. An eine Auswahl im Supermarkt. Einfach an gewisse Standards halt. Und in der "Heimat" wäre man dann am Nörgeln, warum dies nicht, warum das nicht. Nicht sofort, aber nach ein paar Wochen, wenn die Romantik zu Ende ist, schon. Und die Freunde und Verwandten ziehen einen damit auf, daß man schon zu deutsch geworden ist. Ganz abgesehen von der Freiheit, zu tun und zu lassen, was man will, ohne auf die Meinung von Nachbarn u. ä. Rücksicht nehmen zu müssen. Es läßt sich nicht leugnen.
Aber umgekehrt hinterläßt man auch hier Spuren. Ćevapčići gehören schon fest in die deutsche Küche. Und alles was wir tun und sagen, wird von unserer Umwelt reflektiert, durch jeden einzelnen hier wird Deutschland (oder Österreich oder die Schweiz) von Tag zu Tag ein bißchen balkanischer.
Und was macht es schon für einen Unterschied? Alle sind wir verschieden, aber alle sind wir Menschen. Was zählt da ein Stück Papier mit einem Stempel drauf, auf dem unsere Nationalität festgeschrieben steht? Sind wir denn schon so deutsch, daß wir an bestempeltes Papier glauben?