Von Hasnain Kazim - Afghanistan / Handelskonzerne / Streit im Netz / Jugendduft
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Am vergangenen Montag wurde auf Anordnung der herrschenden Taliban in Afghanistan das gesamte Land vom Netz genommen. Kein Internet. Da es in dem Land wenig Festnetzleitungen gibt und das Telefon vor allem übers Internet funktioniert, war das Land auch telefonisch abgeschaltet. Es war keine technische Panne, kein für irgendwelche Reparaturen oder Infrastrukturmaßnahmen notwendiger Schritt, nein, es war der Wunsch der Taliban, um “Sünde und Unmoral einzudämmen”.
Nun ist Pornografie in Afghanistan weit verbreitet, so wie in allen verklemmten Gesellschaften, denn was verboten ist, ist besonders interessant, ähnlich wie mit Alkohol in Ländern mit Prohibition. Aber in Afghanistan geht es, wenn von “Sünde und Unmoral” die Rede ist, nicht nur um sexuelle Inhalte, sondern: um Musik, um Kultur, um Bilder ganz allgemein, denn die Taliban wollen nicht, dass Menschen abgebildet werden, schon gar nicht, ohgottohgott, Frauen! So ist in Afghanistan ja auch Plakatwerbung mit Bildern von Menschen verboten, und wenn man mal in der Millionenstadt Kabul nach dem Konzertplan oder dem Theaterangebot oder der Kinoprogramm sucht, sucht man lange - es gibt so gut wie nichts. Und das Verbot von Videos verkündete ein Talib, kein Witz!, per Video.
Seit vier Jahren regieren die Taliban in Afghanistan, sie haben Frauen so gut wie komplett aus der Öffentlichkeit verdrängt, sie dürfen die Schule nur bis zur sechsten Klasse besuchen, keine weiterführenden Schulen, keine Universitäten, keine Berufsausbildung. Wenn sie einkaufen gehen, dann nur, wenn es unbedingt nötig ist und ein Mann aus der Familie sie begleitet und sie bitte vollständig verhüllt sind, inklusive Gesicht. Am besten sollen sie zu Hause bleiben, und es gibt auch eine Anordnung der Taliban, wonach sie bitte nicht an Fenster herantreten, die zur Straßenseite hin sind, damit sie von draußen nicht gesehen werden.
Frauen sollen nicht laut lachen, ihre Stimmen sollen in der Öffentlichkeit nicht hörbar sein, jegliche Bücher, die Frauen geschrieben haben, sollen aus Bibliotheken entfernt und vernichtet werden. Kürzlich, nach dem schweren Erdbeben in Afghanistan, gab es Berichte, wonach Helfer Frauen unter den Trümmern liegen ließen, weil sie als Männer keine fremden Frauen anfassen durften/wollten/sollten.
Müsste man das Wort “primitiv” bebildern, es gäbe kaum geeignetere Fotos als die der Taliban. Vielleicht sind sie deshalb so sehr gegen Abbildungen. Diese Typen sind die personifizierte Rückständigkeit. Im Eiltempo und mit großen Schritten führen sie ihr Land in die Misere, sehenden Auges. Aber für sie ist das das Ziel: ein Leben in einer Gesellschaft wie zu Zeiten des Propheten, wie vor eineinhalb Jahrtausenden. Irgendwann schaffen sie auch Strom und Autos ab.
Das Abschalten des Netzes dauerte vorerst 48 Stunden, es gingen kaum noch Flüge, die ohnehin schwache Wirtschaft lag darnieder - und für Mädchen und Frauen, die keinen Zugang mehr zu Bildung haben und für die Online-Kurse die einzige Möglichkeit sind, war auch dieses Fenster zur Welt verschlossen. Jetzt geht das Netz wieder, es sollte wohl ein erster Versuch sein, offiziell ist nun plötzlich doch von “Reparaturarbeiten” die Rede, aber die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas künftig häufiger passiert oder gleich dauerhaft eingeführt wird, ist groß.
Mich wundert, wo der Protest zum Beispiel in Deutschland, zum Beispiel in Berlin-Neukölln bleibt. Wo ist der Einsatz für die Rechte der von den Taliban unterdrückten Menschen? Wo der Aufschrei für die wortwörtlich eingesperrten Frauen? Man ist doch sonst so gegen Patriarchat und Unterdrückung, warum jetzt plötzlich so leise? Oder ist es so still, weil man nicht “dem Westen”, “den Kolonialisten”, “dem Kapitalismus”, “den Weißen” die Schuld geben kann? Sind die Typen an der Macht in Afghanistan etwa auch alle “Widerstandskämpfer”?