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Wirtschaftswachstum in der Türkei Der Bauboom am Bosporus[/h] Gerd Höhler, 04.05.2013 16:12 Uhr
In Istanbul wird die Bahn tiefergelegt. Der Bau des Eisenbahntunnels unter dem Bosporus hindurch ist bald abgeschlossen.Foto: dpa
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Ankara/Istanbul - Für kapitalstarke Investoren, kompetente Konstrukteure und leistungsfähige Baukonzerne gibt es zurzeit viel zu tun in der Türkei. Am Freitag schrieb die Regierung in Ankara gleich zwei Megaprojekte aus. Zum einen soll der Bau des weltgrößten Flughafens westlich von Istanbul in Angriff genommen werden – rund sieben Milliarden Euro wird das Projekt kosten. Zum anderen wird ein neues Atomkraftwerk gebaut. Es wird auf 17 Milliarden Euro veranschlagt. Doch das sind nur zwei von einem Dutzend Jahrhundertvorhaben, mit denen Ministerpräsident Tayyip Erdogan sein Land bis 2023, wenn sich die Gründung der Republik zum 100. Mal jährt, unter die zehn größten Wirtschaftsnationen der Erde führen will. Derzeit liegt die Türkei global auf Rang 17.
Aber beim Wirtschaftswachstum wird die Türkei nicht an europäischen Maßstäben gemessen: 2010 und 2011 lag sie mit Wachstumsraten von neun und 8,5 Prozent gleichauf mit China. Und wenn, wie 2012, das Bruttoinlandsprodukt nur um 2,2 Prozent zulegt, dann spricht man bereits von einer Rezession. In diesem Jahr soll die Wirtschaftsleistung aber wieder um mehr als fünf Prozent zulegen. Um diesen Prozentsatz ist die türkische Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren im jährlichen Durchschnitt gewachsen, und dabei soll es auch im kommenden Jahrzehnt bleiben.
Infrastrukturprojekte im Volumen von umgerechnet 200 Milliarden Euro sind in der Planung. Zu ihrer Verwirklichung setzt die Regierung in Ankara vor allem auf privates Kapital. „Ich lade sie ein, im Zentrum der Welt zu investieren“, sagte Verkehrsminister Binali Yildirim Ende März selbstbewusst auf einer Konferenz in London. Der wichtigste Wachstumsmotor des Landes wird die 15-Millionen-Metropole Istanbul sein. Hier geht eines der ehrgeizigen Großprojekte bereits seiner Vollendung entgegen: Marmaray, ein fast 14 Kilometer langer Eisenbahntunnel, der den Bosporus unterquert und die bisher getrennten Schienennetze im europäischen und asiatischen Teil der Metropole miteinander verknüpft. Damit entsteht zugleich eine durchgängige Eisenbahnverbindung vom Balkan in den Nahen Osten.
Die meisten Projekte werden in Istanbul realisiert
Auch überirdisch soll es in Zukunft reibungsloser laufen zwischen den beiden Kontinenten. In Kürze beginnt der Bau einer dritten Hängebrücke über den Bosporus. Das auf 3,5 Milliarden Euro bezifferte Brückenprojekt ist Teil der geplanten Marmara-Autobahn, die als Europastraße 80 von Lissabon in Portugal über Istanbul bis zur iranischen Grenze führen soll. Die Fernstraße wird auch an den geplanten Istanbuler Großflughafen angebunden. Er soll 2017 in Betrieb gehen und anfangs für 70 Millionen Passagiere im Jahr ausgelegt sein. In der zweiten Ausbaustufe wird der riesige Airport mit sechs Start-und-Lande-Bahnen sogar 150 Millionen Fluggäste pro Jahr abfertigen können. Er wäre damit nach heutigen Maßstäben der größte der Welt. Neben dem türkischen Flughafenbetreiber TAV hat auch die Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport Interesse an dem Projekt angemeldet. Der deutsche Betreiber Fraport ging bei der am Freitag durchgeführten Auktion für den Betrieb des neuen Flughafens aber leer aus. Die Frankfurter sind von einem Konsortium türkischer Bauunternehmen überboten worden, das mit einer Offerte von 22,15 Milliarden Euro den Zuschlag bekam.
Unweit des Flughafens in Istanbul soll ein weiteres Milliardenprojekt entstehen, der Istanbul-Kanal, eine künstliche Wasserstraße vom Schwarzen Meer zum Marmarameer. Ein japanisch-französisches Konsortium gilt als Favorit für den Bau des zweiten türkischen Atomkraftwerks bei Sinop an der Schwarzmeerküste. Bis 2023 will die Türkei insgesamt drei Atommeiler ans Netz bringen. Auch die verheerende Katastrophe im japanischen Fukushima hat den Glauben der islamisch-konservativen Regierung an die Atomenergie nicht erschüttern können.
Erdogan wird das Jubiläumsjahr 2023 zwar nicht mehr als Regierungschef erleben, denn nach den Statuten seiner Partei darf er bei den Wahlen im Juni 2015 nicht ein viertes Mal kandidieren. Deshalb dürfte Tayyip Erdogan versuchen, im kommenden Jahr die Nachfolge von Staatspräsident Abdullah Gül anzutreten. Erdogan könnte dann den 100. Geburtstag der Republik im höchsten Staatsamt feiern. Bis zu jenem Zeitpunkt soll auch ein weiteres Großprojekt fertig sein, das dem frommen Premierminister besonders am Herzen liegt. Vergangenen Monat begannen auf dem Camlica-Hügel über Istanbul die Arbeiten zum Bau einer Moschee. Das gigantische Gotteshaus soll 30 000 Gläubigen Platz bieten und sechs Minarette haben, „die höchsten der Welt“, wie Erdogan verspricht.
Wirtschaftswachstum in der Türkei: Der Bauboom am Bosporus - Politik - Stuttgarter Zeitung