[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Bei der Mazedonienfrage, die das Verhältnis Athens zu Skopje seit langem stört, geht es nicht «lediglich» um einen Namen, sondern um weit mehr. Der titoistischen Doktrin, die per Diktat einen geographischen in einen ethnischen Begriff umfunktionierte, wohnt ein expansionistisches Moment inne, von dem sich die heutige Führung in Skopje noch nicht losgelöst hat. Titos «Mazedonentum» ist ein typisches Beispiel für die verhängnisvolle Verflechtung der Proklamierung einer imaginären Nation mit territorialem Expansionsdrang.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]In meinem kürzlich im Universitätsverlag Freiburg Schweiz erschienenen Buch «Die Identitätssuche des neuen Griechentums. Eine Studie zur Nationalfrage mit besonderer Berücksichtigung des Makedonienproblems» behandle ich ausführlich den postkommunistischen Neonationalismus Skopjes, wie dieser etwa in bestimmten Partien der Verfassung der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien, in der Umschreibung der Geschichte in Skopje und in der Aneignung des althellenischen Sterns von Vergina zum Ausdruck kommt. Im vorliegenden Artikel fasse ich einige Ergebnisse meiner Untersuchung zusammen.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Umfunktionierung eines geographischen Begriffs[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Mazedonien ist ein geographischer Begriff. Das Gebiet war lange Zeit Teil des Osmanischen Reichs. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde Mazedonien teils wegen der Gemengelage der Nationalitäten, teils wegen der strategischen und ökonomischen Bedeutung der Region zum klassischen Beispiel innerbalkanischen nationalistischen Irredentismus. Griechen, Bulgaren und Serben machten Ansprüche auf den Zankapfel Mazedonien geltend. Die 1893 ins Leben gerufene bulgarische «Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation» (IMRO oder VMRO) führte dort den Untergrundkampf mit autonomistischen Parolen. Die Losung der Schaffung eines autonomen Mazedoniens war mit sozialistischen Vorstellungen verknüpft. In den Augen bestimmter bulgarischer Politiker war allerdings das Autonomiepostulat bloss ein taktisches Mittel zur leichteren Erreichung des Grossbulgarienziels. Im Laufe der Zeit jedenfalls geriet die Agitation der Untergrundkämpfer, der sogenannten Komitadschi, immer mehr ins Fahrwasser des Gross-bulgarien-Nationalismus.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Im Frieden von Bukarest vom 10. 8. 1913 (Rumänien, Griechenland, Montenegro und Serbien einerseits, Bulgarien andererseits) musste Bulgarien den Traum von seiner Vormachtstellung auf dem Balkan begraben. Der grösste Teil Mazedoniens wurde zwischen Griechenland und Serbien aufgeteilt. Die Regelung von Bukarest bedeutete für Griechenland zwar keine volle, aber immerhin eine weitgehende Befriedigung der nationalen Ansprüche. Im Zuge der Balkankriege nahm das Territorium des griechischen Staates um etwa 90 % zu. Griechenlands Bevölkerung wuchs von 2,6 auf 4,7 Millionen Einwohner.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Keine mazedonische Ethnie[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Von Mazedonentum als Ethnie war vor der Errichtung des titoistischen Vielvölkerstaates keine Rede. In der 1924 in Leipzig erschienenen «Ethnographie von Mazedonien» des Balkanforschers Gustav Weigand (1860-1930) figurierten keine Mazedonier als gesonderte Nation, sondern Bulgaren, Griechen, Juden, Aromunen, Türken und Albaner. Wie Edgar Hösch bemerkt, fehlten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert noch die inneren Voraussetzungen (Schriftsprachlichkeit, tragfähiges mazedonisches Gemeinschaftsbewusstsein u.a.) für eine «mazedonische» Lösung1. Im Einklang mit der Linie der Kommunistischen Internationale (Komintern) propagierten die Kommunisten der Balkanländer in der Zwischenkriegszeit die Schaffung eines «einheitlichen und unabhängigen Mazedonien und Thrakien» im Rahmen einer kommunistischen Balkanföderation. Schon auf der in Jajce (Bosnien) am 29.11.1943 abgehaltenen zweiten Tagung des Antifaschistischen Volksbefreiungsrates Jugoslawiens hatte Tito die Grundlagen für seinen Vielvölkerstaat (einschliesslich einer besonderen «mazedonischen Nation») geschaffen. Am 2.8.1944 rief die lokale Partisanenführung eine mazedonische Republik aus. Sie unterstellte dabei, dass der IMRO-Kampf eine Erhebung des «mazedonischen Volkes» gewesen sei. Sie setzte sich damit über eindeutige historische Fakten hinweg.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Umschreibung der Geschichte[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Gegen die Vereinnahmung der IMRO-Tradition durch die titoistischen Kommunisten liesse sich vieles sagen. Hier nur zwei Hinweise: IMRO-Führer Hristo Tatarcev räumt in seinen 1928 in Sofia herausgegebenen Erinnerungen ein, dass diese Bewegung als grossbulgarische Tarnorganisation gedacht war, die mit Rücksicht auf die Grossmächte und die Nachbarstaaten die Autonomie als Vorstufe für den geplanten Anschluss an Bulgarien verstand. Goce Delcev (1872-1903), der von Skopje als Protagonist des «mazedonischen Nationsbildungsprozesses» gefeiert wird, war in den Jahren 1896 bis 1902 Repräsentant der IMRO (VMRO) beim Obersten Mazedonischen Komitee in Sofia.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Im Grunde dekretierte Tito also eine Nation. Dieses Moment des Künstlichen und des Fiktiven kam u.a. in der Erhebung des dem Bulgarischen verwandten lokalen slawischen Dialektes zur Amtssprache und in der Umschreibung der Geschichte im Sinne der titoistischen Staatsdoktrin zum Ausdruck. Ein Beispiel für die Indoktrinierung des Volkes durch die Machthaber: Die Gebrüder D. und K. Miladinov gaben ihrer in Zagreb 1861 erschienenen Folklore-Sammlung den Titel «Bulgarische Volkslieder». Darunter figurierten sehr viele Lieder, die das von Tito ins Leben gerufene Regime als Ausdruck «mazedonischen Kulturlebens» bezeichnete.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Auf dem 10. Zentralkomitee-Plenum der Bulgarischen Arbeiterpartei-Kommunisten wurde am 9. und 10. August 1946 eine Mazedonien-Resolution verabschiedet, in der es hiess, dass sich der grundlegende Teil des mazedonischen Volkes staatlich und national als Volksrepublik Mazedonien innerhalb der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien organisiert habe. Die «Vereinigung der anderen Teile des mazedonischen Volkes», hiess es weiter, werde auf der Basis der mazedonischen Volksrepublik und innerhalb der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien zu vollziehen sein. Bei den anderen Teilen des mazedonischen Volkes, von denen im Papier die Rede war, handelte es sich um die Bewohner der Pirin-Region (Bulgarien) und des griechischen Mazedonien.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Territorialer Expansionsdrang[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Die geheimgehaltene Resolution illustrierte die expansionistischen Gelüste Jugoslawiens und Bulgariens gegenüber Griechenland. Tito und Dimitrov rechneten dabei auch mit einem Sieg der Kommunisten im griechischen Bürgerkrieg (1946-1949), der zu dieser Zeit voll entbrannt war, also mit der Ueberführung des sogenannten Aegäisch-Mazedonien in das «vereinigte Mazedonien». Während des Bürgerkrieges war die Gefährdung der territorialen Integrität Griechenlands gross, denn die Kommunisten jenseits der Grenzen versuchten, sich das «Aegäisch-Mazedonien» bald unter jugoslawischen, bald unter bulgarischen Vorzeichen anzueignen.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Die Historiker des jugoslawischen Mazedonien haben im Rahmen der Neuschreibung der Geschichte die Behauptung aufgestellt, die Makedonen Alexanders des Grossen seien keine Griechen gewesen, die ein Jahrtausend nach Alexander in den Balkan eingedrungenen Slawen hätten sich mit Nachkommen der Altmakedonen gemischt und eine neue Nation gebildet. Hier liegt eine auf imaginären Vorstellungen beruhende Nationalideologie vor - imaginär im Sinne der Ausführungen von Benedict Anderson2 . Ob die Altmakedonen blutmässig reine Griechen gewesen sind, ist eigentlich für unsere Frage irrelevant, denn es steht fest, dass sie keine Slawen waren. Es sei hier lediglich betont, dass viele Altertumsforscher - unter ihnen z.B. die Deutschen Eduard Meyer und Karl Julius Beloch - den hellenischen Charakter des alten Makedonentums bejahen. Im übrigen ist hervorzuheben, dass das Abstellen auf die Reinheit des Blutes wissenschaftlich unhaltbar ist. Auch die alten Griechen waren ein Gemisch von verschiedenen Stämmen. Entscheidend ist die Zugehörigkeit der Altmakedonen zur hellenischen Kulturwelt, eine Zugehörigkeit, die von den sensationellen Entdeckungen des Archäologen Manolis Andronikos in Vergina 1977 eindeutig belegt wurde. Entscheidend ist der Beitrag der Altmakedonen zu jener Welt, die seit Johann Gustav Droysen (1808-1884) hellenistisch genannt wird. In seinem zweibändigen Werk «Kulturgeschichte des Hellenismus» hebt Carl Schneider den hellenischen Charakter und die zivilisatorische Bedeutung dieser Epoche hervor.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Vereinnahmung der Slawenapostel[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Ein weiteres Beispiel für die Umschreibung der Geschichte durch die Skopje-Propagandisten ist in der Vereinnahmung der grossen Slawenapostel Kyrillos und Methodios zu erblicken, die «sicherlich Griechen und keine Slawen» waren.3 Nach den Worten eines apostolischen Rundschreibens von Papst Johannes Paul II.: «Cyrillus autem et Methodius fratres, Graeci, Thessalonicae nati...» Die ideologische Vereinnahmung von Kyrillos und Methodios diente u.a. der vom Titoismus initiierten Schaffung einer autokephalen mazedonischen Kirche. Auch diesem Schritt lag machtpolitisches Kalkül zugrunde.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Für Griechenland ist das Wort Mazedonien lediglich ein geographischer Begriff. Der Begriff umfasst auch griechisches Territorium, und zwar zum gröss-ten Teil (51,5 %). Eine - undifferenziert so genannte - mazedonische Nation gibt es nicht. Die Bewohner der Skopje-Republik sind zu einem grossen Teil Slawen. Nicht wenige von ihnen sympathisieren mit Bulgarien. Nach Darstellung Tiranas besteht die «mazedonische Bevölkerung» zu 40 % aus Albanern. Selbst nach offiziellen Angaben in Skopje beträgt der Albaner-Anteil 20 %. Die Umfunktionierung des Wortes Mazedonien in einen Ausdruck der nationalen Identität durch Skopje ist daher geschichtswidrig und dient Gelüsten nach Erweiterung der Grenzen. Für diesen Expansionismus ist aufschlussreich genug, dass Skopje den strahlend goldenen Stern auf der in Vergina (Nordgriechenland) ausgegrabenen Totenurne Philipps II., des Vaters Alexanders des Grossen, zum Staatsemblem erhoben hat. Ausserdem birgt die undifferenzierte Benutzung des Namens Mazedonien die Gefahr von Verwechslungen zwischen der ehemaligen Teilrepublik Titos und der hellenischen Provinz Mazedonien (Makedonia) in sich.[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Die Problematik der Nationalismen und Neonationalismen[/FONT]
[FONT=Geneva,Arial,Helvetica]Waren die Jugoslawien-Krise, der Zwist zwischen Athen und Skopje und die daraus resultierenden Belastungen und Gefahren für die involvierten Völker und überhaupt für die internationale Gemeinschaft vermeidbar? Darüber wird erst der zukünftige Historiker ein gewissermassen sachgerechtes Urteil fällen können. Sicher ist, dass die Völkergemeinschaft auf die Problematik der Nationalismen und Neonationalismen bzw. auf die Destabilisierungsgefahr nach dem Zusammenbruch des Kommunismus im Osten oft nicht adäquat reagierte. Man begegnete dem Streben alter und junger Nationen oder Volksgruppen nach Selbstbestimmung mit begründeter Sympathie. Aber man schätzte die sich aus der nationalistischen Agitation ergebenden Risiken gering. Das Ergebnis waren und sind endlose Konflikte, in denen sozusagen alle gegen alle kämpfen. In der leidigen Mazedonienfrage wurde die Chance verpasst, rechtzeitig eine vernünftige Regelung zu treffen, welche auf der klaren Unterscheidung zwischen dem geographischen Begriff Mazedonien und dem slawischen ethnischen Charakter des grösseren Teils der Einwohner der Skopje-Republik beruhen würde. Eine solche Regelung hätte u.a. folgende Vorteile: Sie würde Verwechslungen mit dem griechischen Mazedonien verhindern. Sie würde gemäss der historischen Entwicklung klarlegen, dass die Slawomazedonier oder, wie sie im Schrifttum auch heissen, Makedoslawen mit den Altmakedonen Alexanders des Grossen nichts zu tun haben. Und sie würde Grenzzwistigkeiten mit Griechenland ausschliessen.[/FONT]