Kriegsherr Milosevic wird reingewaschen
Zehn Jahre nach seinem Tod blickt Serbiens Öffentlichkeit zunehmend milder auf die von Kriegen geprägte Ära des
nationalistischen Ex-Autokraten zurück.
11.03.2016 Von Thomas Roser, SZKorrespondent in Belgrad
Die Nachricht vom einsamen Tod des langjährigen Autokraten in
einer Gefängniszelle in Den Haag traf seine Anhänger in der
serbischen Heimat am 11. März 2006 wie ein Keulenschlag. Von
WeinKrämpfen geschüttelt und mit betrübten Mienen drängten vor
einem Jahrzehnt Zehntausende Serben in Belgrad an die Straßen,
um dem Sarg von Slobodan Milosevic mit „Slobo, Slobo“Rufen das
letzte Geleit zu geben.
13 Jahre hatte der serbische Nationalist von 1987 bis 2000 sein Land
mit eiserner Hand geführt. Politische Gegner und lästige Journalisten
ließ er liquidieren. In seinem Windschatten mutierten windige
Geschäftsleute, düstere Mafiosi und Kriegsherren zu steinreichen
Kriegs und Transformationsgewinnern. Der einzige Totengräber
Jugoslawiens war er keineswegs. Doch nicht zuletzt sein Versuch der
Verwirklichung eines „Großserbiens“ bescherte dem zerfallenen
Vielvölkerstaat ein Jahrzehnt der Kriege, Massaker und
Vertreibungen.
Zu Lebzeiten hatte er seine Landsleute entzweit, mit seinem Tod
aber zumindest die nationalistischen Kräfte Serbiens wieder kurz
geeint: Vom heutigen Staatschef Tomislav Nikolic, über den jetzigen Premier Aleksander Vucic bis zum amtierenden
Außenminister Ivica Dacic reichte die Riege seiner einstigen Mitstreiter, die bei der Trauerfeier vor zehn Jahren ihren einstigen
Vormann als Patrioten und Kämpfer für die serbischen Interessen priesen.
An seinem Todestag pflegen mittlerweile nur noch wenige Hundert treue Anhänger zu seinem Grab im Garten des FamilienAnwesens
in Pozarevac zu pilgern: Selbst die von ihm gegründete, aber heute stramm auf EUKurs segelnde SPS pflegt zu dem
Pflichttermin meist nur noch abgedankte Altpolitiker der zweiten Garde zu entsenden.
Mit seiner Politik des unablässigen Waffenrasselns haben seine entschlossen an die Futtertröge der EU drängenden Erben nur
noch wenig gemein. Dennoch scheint Serbiens Öffentlichkeit die blutige Ära des langjährigen Landesvaters stets milder zu
beurteilen: Es sind nicht nur Serbiens Dauerkrise und die tiefe Enttäuschung über den ausgebliebenen Aufbruch in bessere Zeiten
nach seinem Sturz im Oktober 2000, die die Erinnerung an die bleierne MilosevicZeit verklären: Auch die Tatsache, dass seine
einstigen Epigonen in Belgrad wieder das Sagen haben, erklärt den weichgespülten Rückblick auf Milosevic.
Milosevic habe an der Wiege von zwei der wichtigsten Dokumente für Serbien gestanden, würdigt dessen früherer Sprecher Dacic
dessen politisches Erbe: Mit dem DaytonFriedensabkommen von 1995 habe er dem bosnischen Teilstaat der Republika Sprska
die Existenz und mit der UnoResolution 1 244 Serbiens Einfluss in Kosovo gesichert. Mit seinem „heldenhaften Kampf“ vor dem
UnoTribunal habe Milosevic „die serbische Nation verteidigt“, lobte der nationalistische SRSChef Vojislav Seselj.
Seine früheren, aufs politische Abstellgleis oder auf die Oppositionsbänke gerutschten Kritiker sehen in der Kriegspolitik von
Milosevic hingegen bis heute die Wurzel von Serbiens unzähligen Problemen. Als auffälligste Stimme im Chor der
Geschichtsklitterer reiht die staatliche Zeitung Politika Milosevic derweil in die lange Reihe von Serbiens Nationalhelden ein: Erst
hätten die Serben ihn „vergöttert“, dann verteufelt und bewerteten ihn nun so, wie er es „verdiene“: als „tragische Persönlichkeit
der nationalen Mythologie“.
SZ-Online: Kriegsherr Milosevic wird reingewaschen