In Eintracht verfeindet, in Zwietracht vereint
Von wegen Bewältigung: Viele Anführer der früheren Kriegsparteien auf dem Balkan sind heute die gefeierten Staatschefs.
25.03.2016 - 06:00
Zu 40 Jahren Haft ist der bosnische Serbenführer Radovan Karadzic am Donnerstag vom UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verurteilt worden. Ein Schuldspruch zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Bosnien-Kriegs. Ein dunkles Kapitel sei abgeschlossen, gar eine neue Ära könne auf dem Balkan beginnen, heißt es jetzt in Diplomatenkreisen. Aber
in Ex-Jugoslawien wird heute nichts gemeinsam beklagt und erst recht nichts bereut. Die beweinten Opfer der einen Seite sind die gefeierten Helden der anderen.
"Der Krieg ist der Vater aller Dinge", so wird der griechische Philosoph Heraklit zitiert. In jedem Falle ist der Krieg der Vater aller jugoslawischen Nachfolgestaaten. Ohne Krieg gäbe es sie nicht; kein Wunder, dass sie sich alle weigern, sein Andenken zu schmähen. Fast überall sind die Anführer der einstigen Kriegsparteien heute die gefeierten Staatsgründer.
In Belgrad regieren in trauter Koalition ein früherer Minister und ein früherer Pressesprecher von Slobodan Milosevic. Der Sozialminister, auch zuständig für Flüchtlingsfragen, erschien erst kürzlich persönlich am Grabe des toten Volksführers. In Kroatien regiert wieder die Partei des Staatsgründers Franjo Tudjman und agitiert wie damals gegen Serben und "Volksverräter". Bei den bosnischen Serben eröffnete gerade der Präsident persönlich ein Studentenheim mit dem Namen "Dr. Radovan Karadzic". Unter den bosnischen Muslimen sind es immer mehr die Islamisten, die das Gedenken an die Morde und Massaker für sich beanspruchen.
Vor rund zehn Jahren kamen Versöhnungsgesten in Mode. Politiker schüttelten Hände und verneigten sich vor den Gräbern der je anderen Seite. Zu bereinigen, zu revidieren aber hatten sie nichts. Warum sollten sie auch? Mit dem Ergebnis des Krieges sind die Händeschüttler beider Seiten zufrieden. Gut zwei Jahrzehnte hat das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag versucht, seelische Reinigung zu erreichen. Vergebens: Gegen den stillen Triumph der Sieger aller Nationen kam der gute Wille nicht an. Schließlich hatten die Kriegsparteien ja bloß die Geschichte Europas nachgespielt: Krieg, Versöhnung, EU. Inzwischen ist die Ära der Versöhnung vorbei.
Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens werden gebraucht - als Verbündete bei der Abwehr von Flüchtlingen.
Mazedonien, das Balkanland mit der kriminellsten Regierung, tut sich in der Rolle des Grenzwächters am eifrigsten hervor. Je weniger sich Europa als Gemeinschaft benimmt, desto schlechter kann es auf dem Balkan Geschichtsunterricht erteilen.