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Und doch bleibt Karadzic für viele Serben ein Held
Srebrenica, das größte Blutbad seit dem Zweiten Weltkrieg ist gesühnt, der Verantwortliche wegen Völkermordes verurteilt. Fraglich ist jedoch, ob von der Strafe für Karadzic eine Katharsis ausgeht. Von Boris Kalnoky
Gerechtigkeit ist gegeben. Die Wahrheit wurde minutiös aufgedeckt. Radovan Karadzic, "Präsident" und Oberbefehlshaber der Serben im Bosnienkrieg, wurde der Kriegsverbrechen für schuldig befunden, die unter seiner Führung stattfanden. 40 Jahre Haft – er wird wohl bis zu seinem Lebensende hinter Gittern bleiben.
Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien befand ihn unter anderem für schuldig, das Massaker an mehr als 8000 wehrlosen, gefesselten bosnischen Männern 1995 in Srebrenica "nicht verhindert" und teilweise "befohlen" zu haben. Das Gericht befand auf "Völkermord". Der erste Genozid in Europa seit dem Holocaust.
Insofern sind der Prozess und das Urteil mit den Nürnberger Prozessen vergleichbar. Von ihnen ging heilende Wirkung aus, Heilung durch Rechtsprechung: Wahrheit wurde aufgedeckt, Schuld gesühnt, Gewissen geschaffen. Nie wieder, so darf man hoffen, wird Deutschland, ob Regierung oder Gesellschaft, so unrecht handeln.
Kann vom jetzigen Urteil ähnliche Katharsis ausgehen? Eventuell sogar Bosniens Muslime und Serben einander näher bringen? Vorerst wohl nicht. Vielleicht heilt das Urteil die tiefen seelischen Wunden bei Bosniens Muslimen. Aber viele Serben denken, dass sie Karadzic etwas verdanken: ihren dysfunktionalen Teilstaat "Republika Srpska".
Seine schlechten Gedichte. Die Haare
Staatsgründungen gehen oft mit Mythenbildung einher, die dann von den nachfolgenden Generationen gepflegt werden. Ein klassisches Instrument der Politik. Für Bosniens Serben besagt dieser Mythos, dass Karadzic sie davor bewahrte, von Muslimen beherrscht zu werden. Die Kriegsverbrechen? Nicht schlimmer als jene der Gegenseite, sind viele Serben überzeugt. Die internationale Justiz? Siegerjustiz.
Es sei kein Zufall, dass das Urteil just an dem Tag fiel, als sich der Anfang des Luftkrieges der Nato gegen Serbien zum 17. Mal jährte, hört man allenthalben. Ministerpräsident Milorad Dodik benennt Gebäude nach Karadzic und redet ständig davon, dessen Werk vollenden zu wollen – indem er mit einem Referendum droht, um den serbischen Teil Bosniens vom gemeinsamen muslimisch-kroatisch-serbischen Staat abzuspalten.
Und doch. Bosnien hat gerade die EU-Mitgliedschaft beantragt. Das kann andere Identitätsbildungen, andere Zukunftsperspektiven zur Folge haben. Es gibt eine neue Generation junger Menschen, die in Karadzic weder das Gute, noch das Böse, sondern das Lächerliche sehen.
Seine schlechten Gedichte. Die Haare. Der Misserfolg seiner Politik, seine skurrile Verkleidung als "Heilpraktiker" auf der Flucht, seine abstrusen Thesen. In der serbischen Teilrepublik sehen sie weniger nationale Selbstbestimmung als vielmehr eine Sackgasse. Da geht eine neue Saat auf, die Früchte tragen kann. Die Saat des Rechtsstaates, wider die Blut-und-Boden-Mythen des Balkans.
Srebrenica: Und doch bleibt Karadzic für viele Serben ein Held - DIE WELT
Srebrenica, das größte Blutbad seit dem Zweiten Weltkrieg ist gesühnt, der Verantwortliche wegen Völkermordes verurteilt. Fraglich ist jedoch, ob von der Strafe für Karadzic eine Katharsis ausgeht. Von Boris Kalnoky
Gerechtigkeit ist gegeben. Die Wahrheit wurde minutiös aufgedeckt. Radovan Karadzic, "Präsident" und Oberbefehlshaber der Serben im Bosnienkrieg, wurde der Kriegsverbrechen für schuldig befunden, die unter seiner Führung stattfanden. 40 Jahre Haft – er wird wohl bis zu seinem Lebensende hinter Gittern bleiben.
Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien befand ihn unter anderem für schuldig, das Massaker an mehr als 8000 wehrlosen, gefesselten bosnischen Männern 1995 in Srebrenica "nicht verhindert" und teilweise "befohlen" zu haben. Das Gericht befand auf "Völkermord". Der erste Genozid in Europa seit dem Holocaust.
Insofern sind der Prozess und das Urteil mit den Nürnberger Prozessen vergleichbar. Von ihnen ging heilende Wirkung aus, Heilung durch Rechtsprechung: Wahrheit wurde aufgedeckt, Schuld gesühnt, Gewissen geschaffen. Nie wieder, so darf man hoffen, wird Deutschland, ob Regierung oder Gesellschaft, so unrecht handeln.
Kann vom jetzigen Urteil ähnliche Katharsis ausgehen? Eventuell sogar Bosniens Muslime und Serben einander näher bringen? Vorerst wohl nicht. Vielleicht heilt das Urteil die tiefen seelischen Wunden bei Bosniens Muslimen. Aber viele Serben denken, dass sie Karadzic etwas verdanken: ihren dysfunktionalen Teilstaat "Republika Srpska".
Seine schlechten Gedichte. Die Haare
Staatsgründungen gehen oft mit Mythenbildung einher, die dann von den nachfolgenden Generationen gepflegt werden. Ein klassisches Instrument der Politik. Für Bosniens Serben besagt dieser Mythos, dass Karadzic sie davor bewahrte, von Muslimen beherrscht zu werden. Die Kriegsverbrechen? Nicht schlimmer als jene der Gegenseite, sind viele Serben überzeugt. Die internationale Justiz? Siegerjustiz.
Es sei kein Zufall, dass das Urteil just an dem Tag fiel, als sich der Anfang des Luftkrieges der Nato gegen Serbien zum 17. Mal jährte, hört man allenthalben. Ministerpräsident Milorad Dodik benennt Gebäude nach Karadzic und redet ständig davon, dessen Werk vollenden zu wollen – indem er mit einem Referendum droht, um den serbischen Teil Bosniens vom gemeinsamen muslimisch-kroatisch-serbischen Staat abzuspalten.
Und doch. Bosnien hat gerade die EU-Mitgliedschaft beantragt. Das kann andere Identitätsbildungen, andere Zukunftsperspektiven zur Folge haben. Es gibt eine neue Generation junger Menschen, die in Karadzic weder das Gute, noch das Böse, sondern das Lächerliche sehen.
Seine schlechten Gedichte. Die Haare. Der Misserfolg seiner Politik, seine skurrile Verkleidung als "Heilpraktiker" auf der Flucht, seine abstrusen Thesen. In der serbischen Teilrepublik sehen sie weniger nationale Selbstbestimmung als vielmehr eine Sackgasse. Da geht eine neue Saat auf, die Früchte tragen kann. Die Saat des Rechtsstaates, wider die Blut-und-Boden-Mythen des Balkans.
Srebrenica: Und doch bleibt Karadzic für viele Serben ein Held - DIE WELT