Die Kirchenzustände im türkischen Albanien
Ein geistlicher Visitationsbericht über die Diözese Alessio
aus dem Jahre 1753
Von: Peter Bartl
Albanien befand sich schon fast drei Jahrhunderte unter türkischer Herrschaft, als Antonio
Criesesi (Kryezezi), Bischof von Alessio (Lezha), eine Visitationsreise durch seine Diözese
unternahm. Die Türkenherrschaft hatte die Verhältnisse im Lande grundlegend geändert.
Stärker als anderswo auf dem Balkan war es in Albanien zu einer Islamisierung der
einheimischen Bevölkerung gekommen, die gerade im 18. Jahrhundert einen Höhepunkt
erreichte.1 Die katholische Kirche versuchte, dem Fortschreiten der Islamisierung Einhalt zu
gebieten und kümmerte sich spätestens seit dem 1. Albanischen Nationalkonzil von 1703, das
der Erzbischof von Antivari (Bar) Vinzenz Zmajevic veranlaßt hatte2, verstärkt um die
katholischen Gemeinden, die sich "in partibus infidelium" befanden. Dafür zuständig war die
1622 gegründete Kongregation 'de Propaganda Fide', die die albanischen Bischöfe
verpflichtete, regelmäßig Berichte über die Situation in ihrem Amtsbereich nach Rom zu
senden. Diese Berichte, die nur zum geringen Teil publiziert sind,3 stellen eine wertvolle Quelle
nicht nur zur Kirchen-, sondern auch zur Volksgeschichte der Albaner dar und verdienen mehr
Aufmerksamkeit, als ihnen bisher zuteil wurde.
Antonio Criesesi hatte sein Amt 1750 im Alter von etwa 40 Jahren angetreten. Er
stammte aus Alessio und gehörte dem observanten Zweig des Franziskanerordens an. Er hatte
am Collegio Urbano der Propagandakongregation in Rom studiert und war bis zu seiner
Ernennung zum Bischof Abt der Mirdita gewesen.4 Criesesi schloß seine Visitationsreise mit
einem Bericht ab, den er am 17. September 1753 nach Rom schickte.5
Die Diözese Alessio, deren Anfänge bis auf das 6. Jahrhundert zurückgehen6, war Suffragan
des Erzbistums Antivari und zählte damals noch 24 Pfarreien, die von Criesesi allesamt besucht
wurden. Sein Bericht folgt einem einheitlichen Schema: Zunächst werden die Kirchen und deren Bauzustand beschrieben. Es folgen Angaben über das Einkommen der Pfarrei, über die
dort tätigen Pfarrer und deren Qualitäten, über die Zahl der katholischen Gläubigen sowie über
die Anzahl derjenigen, die wegen Verstößen gegen das Kirchenrecht exkommuniziert oder
vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen wurden. Von Fall zu Fall berichtet Criesesi auch
über das geistliche Schulwesen, über Konflikte mit 'Türken', (d.h. muslimischen Albanern),
über gegenseitige Raubüberfälle, über die Stellung der Frau in der nordalbanischen
Gesellschaft,7 über die Blutrache, die Islamisierung und über die Geschichte der Mirditenabtei.8
Criesesi beginnt seinen Bericht mit einer Lagebeschreibung: Seine Diözese grenzte an das
Gebiet der Diözesen Durazzo, Skutari und Sappa sowie an das Territorium von Gjakova
(Djakovica); sie umfaßte auch die später abgetrennte Landschaft Mirdita.9
Alessio, der Hauptort der Diözese, war damals schon nicht mehr Bischofssitz. Dieser befand
sich in Veglia (Velja) in einiger Entfernung von der Stadt - eine Erscheinung, die auch in
anderen albanischen Diözesen zu beobachten war: Die Bischöfe verließen die muslimisch
dominierten Städte, um sich auf dem Lande in einer überwiegend katholischen Umgebung
niederzulassen.
Criesesi beschreibt Alessio als halb zerstörte Ortschaft. Von den Altertümern waren nur noch
die Festung,10 die Marienkirche jenseits des Drin sowie die in eine Moschee umgewandelte
Nikolauskirche erhalten. Letztere war einst Kathedrale und Grabstätte Skanderbegs, was
Criesesi eigenartigerweise nicht erwähnt.11 Dies ist um so verwunderlicher, als seine Vorgänger
und Nachfolger den Hinweis auf den albanischen Nationalhelden nie ausgelassen haben.12
Zur Pfarrei Alessio zählten 1753 79 Häuser mit 480 Seelen, für die zwei Gotteshäuser zur
Verfügung standen: die etwas außerhalb gelegene und von Franziskanern unterhaltene
Marienkirche, in der die Katholiken auch ihre Toten bestatteten und eine neue, dem hl.
Nikolaus geweihte kleine Kirche, errichtet auf den Resten der alten Stadtmauern, der auch ein
Pfarrhaus angeschlossen war. Fünf Geistliche betreuten die wenigen Gläubigen in Alessio - drei
Franziskaner, die in einem Kloster bei der Marienkirche wohnten sowie zwei Weltgeistliche.
Pfarrer war der 67jährige Marino Scura, der Italienisch beherrschte, etwas schreiben konnte
und den Kindern auch Religionsunterricht erteilte. Sein Gehilfe war Stefano Suma, der 57
Jahre alt war, etwas Italienisch und sehr wenig schreiben konnte. Die Pfarrei bezog aus den
eigenen Ländereien, zu denen auch die der einstigen Kathedrale gehörten, ein jährliches
Einkommen von zusammen 25 Rubbia13 Getreide. Die Türken hatten sich bemüht, die Ländereien der Kathedrale für ihre Moschee zu beanspruchen, waren von einem
Konstantinopler Gericht aber zurückgewiesen worden, und zwar mit folgender etwas
merkwürdiger Begründung: Ein Muslim kann nicht das Erbe eines Katholiken annehmen.
Nikolaus und Maria seien Geschwister gewesen. Nikolaus wurde Muslim und seine Kirche
Moschee, Maria blieb Christin und ihre Kirche im Besitz der Katholiken. Nach islamischem
Recht könne der einstige Christ und nunmehrige Muslim Nikolaus nicht die Güter besitzen, die
er vor seiner Konversion mit Maria gemeinsam gehabt hatte !
Im Zusammenhang mit Alessio wird das erste Mal auf eine Erscheinung hingewiesen, die in der
Diözese im 18. Jahrhundert weit verbreitet gewesen sein muß, denn sie taucht auch an anderen
Stellen des Berichts auf - das Kryptochristentum14: Ein Gemeindemitglied wurde
exkommuniziert, weil es den Behörden gegenüber den Islam angenommen hatte, insgeheim
aber Christ blieb - nur so kann man die Bemerkung des Visitators interpretieren, der
Betreffende könne sich im Augenblick nicht als Christ deklarieren.
Von Alessio aus besuchte Criesesi die Pfarreien Baldreni und Caccaricchi. Baldreni (Balldreni)
lag eine Wegstunde von der Stadt entfernt und besaß eine der hl. Veneranda15 geweihte Kirche
mit Glockenturm. Die Einkünfte der Pfarrei beliefen sich auf 6 Scudi16 von den Gläubigen und
16 Scudi aus den Erträgen der Ländereien und Weinberge, die der Kirche gehörten. Pfarrer
war Marco Matrysi. Er war 35 Jahre alt, sprach schlecht Italienisch und konnte kaum
schreiben, war aber sehr eifrig in seiner Amtsführung. Die Pfarrei zählte 22 katholische Häuser
mit 159 Seelen. Als besonderes Vorkommnis erwähnt Criesesi, daß das Pfarrhaus im
Berichtsjahr von einer aus Berdizza (Bërdica bei Skutari) geflohenen türkischen Familie besetzt
worden war. Dem Bischof gelang es nur mit Mühe, die Eindringlinge zu vertreiben.
Caccaricchi (Kakarriqi) war zwei Stunden von Alessio entfernt und besaß eine dem hl.
Nikolaus geweihte Kirche, die durch ein Erdbeben beschädigt worden war. Eine Reparatur
wurde von den Türken nicht gestattet. Die Pfarrei hatte ein jährliches Einkommen von 24
Scudi in Getreide, davon stammte Getreide im Wert von 7 Scudi aus den eigenen Ländereien.
Zur Pfarrei gehörte auch das Dorf Cuculi (Kukël in der Zadrima), das zwei Stunden entfernt
von Caccaricchi an der Grenze zum Bistum von Skutari lag. Pfarrer war Antonio Cryta. Er war
46 Jahre alt, konnte Italienisch, aber nur mittelmäßig schreiben. Sein Gehilfe war Antonio
Ghysici, der 63 Jahre alt war, gut Italienisch und lesen, aber nicht schreiben konnte. Die Pfarrei
zählte 45 katholische Häuser mit 506 Bewohnern. Sowohl Caccaricchi als auch Baldreni
wurden oft von türkischen Überfällen heimgesucht, die die Bevölkerung zur Flucht in die
Berge zwangen.
Zweieinhalb Wegstunden von Caccaricchi entfernt lag Calmeti (Kallmeti). Die der hl.
Euphemia geweihte Pfarrkirche befand sich in den Bergen etwa eine Stunde außerhalb der
Ortschaft. Vom Alter und vom Erdbeben17 schwer beschädigt, wurde die Kirche von der
Bevölkerung wieder aufgebaut. In ihr wurden auch die Toten der Gemeinde bestattet. Wegen
der großen Entfernung der Kirche wurde im Ort selbst eine gleichfalls der hl. Euphemia
geweihte Kapelle errichtet, in der täglich die Messe gefeiert wird. Zur Pfarrei gehörte auch das
Dorf Bardagni (?) mit einer Johannes dem Täufer gewidmeten Kirche. Diese war verfallen,
könnte aber mit einem Aufwand von 25 Scudi repariert werden. Die Pfarrei verfügte über ein
Einkommen von 20 Rubbia Getreide und 25 Somme18 Wein; hinzu kamen Spenden der
Gläubigen in Form von Käse, Öl, Gemüse, usw. . Die Pfarrei befand sich fest in der Hand des
Clans der Morici (Muriqi?): Pfarrer war der etwa 53 Jahre alte Antonio Morici, der am Kolleg
der Propaganda Fide studiert hatte. Seine Gehilfen waren der 45jährige Giacomo Morici, der
zwar lesen, aber nicht schreiben und nur wenig Italienisch konnte, der 37jährige Giovanni
Teodori, der etwas schreibkundig war und Italienisch sprach, sowie Giovanni Morici, der die
gleichen Fähigkeiten besaß. Als Meßdiener (chierici) hielten sich zwei weitere Mitglieder der
Familie Morici, nämlich der 32jährige Pietro Paolo und der 12jährige Giovanni im
Pfarrhaushalt auf. Dem Berichterstatter muß aufgefallen sein, daß es etwas viele Morici waren,
denn er betonte ausdrücklich, daß es sich bei diesen um eine im Lande angesehene Familie (di
casa riguardevole in questi paesi) handelte. Die Pfarrei Calmeti zählte 133 katholische Häuser
mit 996 Bewohnern. Von der Gemeinde waren drei namentlich genannte Personen
exkommuniziert, weil sie neben der legitimen Ehefrau noch eine Konkubine hatten.
Von Calmeti brauchte man zwei Stunden bis zur nächsten Pfarrei, Mercigna (Merqin). Die
Pfarrkirche war der Enthauptung Johannes des Täufers gewidmet. In ihr hatte Erzbischof
Vinzenz Zmajevic 1703 das erste albanische Nationalkonzil abgehalten. Die Einkünfte der
Pfarrei betrugen 15 Rubbia Getreide, 20 Somme Wein, außerdem die üblichen Spenden an
Käse, Leinen, Bohnen etc.. Die Pfarrer waren außergewöhnlich hohen finanziellen Belastungen
ausgesetzt, denn sie mußten dreimal im Jahr den 22 muslimischen Häusern des Dorfes
Geschenke machen und waren außerdem gezwungen, die muslimischen Dorfbewohner ständig
zu bewirten. Pfarrer war der 67jährige Marco Poppa, einst Schüler der Propaganda Fide,
inzwischen aber zur Ausführung seines Amtes nicht mehr fähig. Seine Gehilfen waren Niccolo
Negri im Alter von 44 Jahren, der Italienisch und etwas schreiben konnte, und der 37jährige
Paolo Stampaneo, schreibkundig und auch ein wenig des Italienischen mächtig. Mercigna hatte
82 katholische Häuser mit 932 Bewohnern. Exkommuniziert war Giacomo Doda, weil er sich
ein Landstück aneignete, das sein Schwiegervater der Kirche vermacht hatte.
Gryka, eineinhalb Stunden von Mercigna entfernt, hatte eine den hl. Kosmas und Damian
geweihte Kirche, die von den Türken zerstört, von den Gläubigen aber in einiger Entfernung
vom alten Platz wieder aufgebaut worden war. Die Einkünfte des Klerus bestanden aus ca. 23
Rubbia Getreide aus eigenen Ländereien und dem Gewinn aus einer Mühle, die gemeinsam mit
dem Pfarrer von Manathia betrieben wurde. Hinzu kamen 12 Somme Wein und einige wenige
Spenden. Auch in Gryka mußte der Pfarrer dreimal im Jahr die 24 türkischen Häuser des
Dorfes beschenken. Gryka zählte 72 katholische Häuser mit 969 Einwohnern. Zwei
Gemeindemitglieder waren exkommuniziert, weil sie sich weigerten, kirchlich zu heiraten.
Pfarrer war Antonio Trasci. Er war 42 Jahre alt, konnte - als einer der wenigen in diesem
Bericht genannten Geistlichen - gut lesen und schreiben und sprach etwas Italienisch. Als Koadiutor stand ihm der 50jährige Paolo Steppa zur Seite. Dieser konnte gut lesen, wenig
schreiben, kein Italienisch.
Das nächste von Criesesi beschriebene Dorf war Manathia (Manatia) und lag zwei Stunden von
Gryka entfernt. Die Pfarrkirche war S. Biagio (Blasius) gewidmet. Manathia war ein rein
katholisches Dorf und zählte 83 Häuser mit 745 Seelen. Pfarrer war Paolo Trasci. Er war 48
Jahre, konnte gut lesen, aber nicht schreiben und sprach wenig Italienisch. Sein Gehilfe war der
43jährige Niccolo Negri, sehr gut in allem (grosso in tutto), was auch immer das bedeuten
mag. Die Einkünfte der Pfarrei betrugen 20 Rubbia Getreide (u.a. aus der gemeinsam mit
Gryka betriebenen Mühle) und etwa 20 Somme Wein.
Das nächste Dorf war Trynsci (Tresh). Die dem hl. Demetrius geweihte Pfarrkirche war von
den Ungläubigen angezündet und zerstört worden. Die Bewohner haben aber eine neue kleine
Kirche beim Pfarrhaus hoch auf einem Berg errichtet. Pfarrer war Giorgio Grecu. Er war ca.
38 Jahre alt, konnte nur wenig schreiben und ebenso wenig Italienisch. An Einkommen bezog
er 10 Rubbia Getreide und 20 Somme Wein. Spenden bekam er keine, weil die Dorfbewohner
sehr arm waren. Auch Grecu mußte dreimal im Jahr die Muslime im Dorf beschenken. Die
Gemeinde zählte 42 katholische Häuser mit 457 Seelen.
Eineinhalb Stunden von Trynsci entfernt lag das Dorf Bocchiana.19 Die dem hl.
Alexander geweihte Pfarrkirche lag auf einem Berg und war von den Türken angezündet, 1682
aber wieder aufgebaut worden. Pfarrer war der 58jährige Stefano Sergni, sein Koadiutor war
der 54jährige Andrea Trasci. Beide konnten schreiben, sprachen Italienisch und waren sehr
angesehen. Als Meßdiener hatten sie den 26jährigen Antonio Trasci, der lesen und etwas
schreiben konnte. Sie bezogen aus der Pfarrei ein Einkommen von 20 Rubbia Getreide, 20
Somme Wein und Spenden. Bocchiana hatte 32 katholische Häuser mit 338 Einwohnern. Zur
Pfarrei gehörten auch die beiden Weiler Ghesei (?) und Spittani (Spitani).
Eine Fußstunde von Bocchiana lag die Pfarrei Zoimendi (Zojmeni). Deren sehr alte und dem hl.
Nikolaus geweihte Kirche war durch ein Erdbeben beschädigt, 1606 aber wieder restauriert
worden. Pfarrer war Paolo Milotti. Dieser war 53 Jahre, konnte Italienisch und schreiben. Sein
Gehilfe, der 59jährige Pietro Ghinati, konnte keines von beiden. Als Meßdiener hatten sie den
19jährigen Marco Sadrima. An Einnahmen aus den Ländereien erzielten sie 30 Rubbia Getreide
und 15 Somme Wein, die Bevölkerung spendete Käse und Gemüse. In Zoimendi war wieder
die Erscheinung des Kryptochristentums zu beobachten: Die Gemeinde zählte 46 offene
(scoperte) katholische Häuser mit 434 Seelen und 9 heimliche (occulte) katholische Häuser mit
98 Seelen. Exkommuniziert war der Gemeindevorsteher Primo Milotti (ein Verwandter des
Pfarrers?), weil er sich zu seiner legitimen Ehefrau noch eine zweite genommen hatte.
Unweit von Zoimendi (eine halbe Stunde) befand sich die Pfarrei Pedana (Pëdhana) mit einer
Kirche der hl. Barbara oberhalb des Mat-Flusses. Pfarrer war Antonio Belli. Er war 47 Jahre
alt, konnte Italienisch und schreiben. Seine Gehilfen bzw. Gefährten waren der blinde und mehr
als 100jährige (!) Marco Scura und Niccolo Zucchi. Letzterer war 32 Jahre alt, konnte etwas
Italienisch und schreiben. An Einkommen bezogen sie 30 Rubbia Getreide und 20 Somme
Wein; außerdem erhielten sie von der Bevölkerung größere Zuwendungen als anderswo. Auch
in Pedana war das Kryptochristentum verbreitet: Der Ort zählte 101 offen katholische Häuser
mit 1136 Personen und 10 Häuser mit 42 Personen, die heimlich zum Christentum konvertiert waren. Letztere baten den Hl. Stuhl um Tolerierung, weil sie als Sklaven verkauft werden
würden, wenn sie sich offen als Christen deklarierten. Ihre Familien wären immer türkisch
gewesen und nicht zuerst zum Islam übergetreten, um dann zum Christentum zurückzukehren.
Das kann natürlich nicht stimmen, vielmehr dürften die Vorfahren dieser heimlichen Christen
schon so früh zum Islam übergetreten sein, daß man sich daran nicht mehr erinnerte. In diesem
Falle würde es sich um eine heimliche Christianisierung handeln, die sonst in Albanien nicht
belegt ist.
Die Pfarrei Bulgheri (Bulgëri) lag vier Stunden von Pedana entfernt. Die Pfarrkirche St.
Nikolaus befand sich auf einem Berggipfel nahe dem Pfarrhaus und dem Dorf, das ganz
katholisch geblieben war. Es hatte 124 Häuser mit 1248 Einwohnern. Pfarrer war Andrea
Logorezzi. Dieser war 50 Jahre alt, sprach gut Italienisch, konnte schreiben und - in Albanien
sicher selten - sogar etwas Latein. Seine beiden Gehilfen stachen in dieser Hinsicht von ihm ab:
Pietro Tacci, 47 Jahre, konnte zwar gut lesen, aber nicht schreiben und verstand nur wenig
Italienisch; Pietro Miriditi konnte auch nicht schreiben und verstand überhaupt kein Italienisch.
Ihre Einkünfte beliefen sich auf 17 Rubbia Getreide, etwa 15 Somme Wein, etwas Käse,
Gemüse u.a. Spenden. Von den Gemeindemitgliedern waren 14 exkommuniziert, zwei wegen
Konkubinen neben den Ehefrauen und 12 wegen der Beraubung und Ermordung eines Türken;
sie weigerten sich, das geraubte Geld den Nachkommen des Ermordeten zurückzugeben.
Eineinhalb Stunden von Bulgheri, in Rubico (Rubiku) befand sich ein Hospitz der Franziskaner
mit einer nach dem SS.mo Salvatore benannten Kirche.20 Diese war früher Klosterkirche
gewesen, befand sich seit 40 Jahren im Besitz der Franziskaner, die von Spenden lebten - im
Berichtsjahr waren es zwei Priester und ein Laienbruder.
Die nächste Pfarrei war Cryesesi (Kryezezi), zweieinhalb Stunden von Rubico entfernt gelegen.
Der Ort gehörte früher zur Pfarrei Veglia, wurde aber 1748 von Bischof Paolo Campsi zur
eigenen Pfarrei erhoben, da der Weg nach Veglia zu weit war. Die Kirche war dem hl. Georg
gewidmet. Der ganze Ort war katholisch geblieben, war aber sehr arm, denn in der gebirgigen
Umgebung gab es kaum Ackerland. Cryesesi zählte 70 Häuser mit 579 Bewohnern. Pfarrer
war der 43jährige Stefano Negri, der etwas Italienisch, aber nicht schreiben konnte. Er bezog
ein Einkommen von 5 Rubbia Getreide, 10 Somme Wein und etwas Käse.
Veglia (Velja), zweieinhalb Wegstunden von Cryesesi, lag am Rande des gleichnamigen
Gebirges (Mali i Veljës). Die alte der hl. Veneranda geweihte Kirche war verfallen, die neue
Pfarrkirche hieß SS.mo Salvatore und wurde früher von Franziskanern betreut. In Veglia, das
128 katholische Häuser mit 982 Personen zählte, befand sich auch die Residenz des Bischofs,
der gleichzeitig das Amt des Dorfpfarrers wahrnahm. Der Bischof, also Criesesi selbst, gab
dort Religionsunterricht und predigte an den Festtagen. Seine Mitarbeiter waren Marco Xiuppa
(52 Jahre, er konnte Italienisch und schreiben) und Antonio Stampaneo (36 Jahre, er konnte
etwas Italienisch, aber nicht schreiben). Sie bezogen ein für albanische Verhältnisse
außerordentlich hohes Einkommen, nämlich 30 Rubbia Getreide und 50 Somme Wein aus
Ländereien, die der Kirche testamentarisch vermacht worden waren, u.a. von Bischof Giorgio
Vladagni (1656-1692 Bischof von Alessio). Hinzu kamen noch ausreichende Mengen an Öl,
Gemüse, Käse und Leinen. In Veglia befand sich auch die einzige Ausbildungsstätte für den
geistlichen Nachwuchs in der Diözese. Sie war 1751 von der Propaganda Fide errichtet worden und reichte für 6-8 Schüler und einen Lehrer. Der erste Lehrer war Pietro Bianchi
gewesen, der dann Abt der Mirdita wurde. Sein Nachfolger war Marco Guga aus der Diözese
Skutari, der in Ragusa und in Dalmatien auf Kosten seiner Familie studiert hatte. Criesesi
betont in seinem Bericht die Bedeutung der Schule: Angesichts der großen Unwissenheit des
Klerus, die sich auch während der Visitation gezeigt hatte, sei eine solche Ausbildungsstätte
dringend notwendig. Im Berichtsjahre studierten dort 6 junge Diözesanen (Giacomo
Stampaneo, Giovanni Zura, Gerardo und Antonio Xiuppa, Giuseppe Trasci sowie Giovanni
Bianchi). Der Bischof hatte außerdem vier weitere Jugendliche in seinem Hause, die er auf die
geistliche Laufbahn vorbereitete. Unterrichtet wurde an der Schule, die sich stolz Gymnasium
nannte, Lesen und Schreiben, Italienisch und Latein. In Velja waren einige Personen von den
Sakramenten ausgeschlossen: Lazzaro Cola, weil er seine Braut vor Erreichen des
vorgeschriebenen Alters zu sich genommen hatte, Gerardo Doca, weil er ohne kirchliche
Heirat mit einer Frau zusammenlebte und Pietro Paoli, weil er ein notorischer Räuber war.
Die nächste Pfarrei, Freghna (Fregna), gehörte wie die nachfolgend genannten Pfarreien bereits
zum Territorium der Mirdita.21 Die Pfarrei bestand aus zwei Ortschaften: Freghna und
Ungherei (Ungrej) und hatte eine der hl. Maria gewidmete Kirche, die eine halbe Stunde von
beiden Siedlungen entfernt lag. Pfarrer war der 48jährige Paolo Biba, der etwas Italienisch und
schreiben konnte und für seinen vorbildlichen Lebenswandel bekannt war. Sein Koadiutor war
Primo Morici. Dieser war 40 Jahre alt, konnte weder Italienisch noch schreiben. Sie und ein
ebenfalls im Pfarrhaus lebender 30jähriger Meßdiener hatten 7 Rubbia Getreide, 25 Somme
Wein und die üblichen Spenden wie Käse usw. als Einkommen. Die Gemeinde zählte 32
katholische Häuser mit 362 Bewohnern. Ein Gemeindemitglied war exkommuniziert, weil es
eine von ihrem Ehemann geflohene Frau aufgenommen hatte.
Eineinhalb Wegstunden von Freghna lag die Pfarrei Castignetti (Kashnjeti) mit einer dem
Erzengel Michael geweihten Kirche. Pfarrer war Paolo Morici im Alter von 42 Jahren, der gut
lesen, aber kaum schreiben und nur wenig Italienisch konnte. Sein Koadiutor war Niccolo
Ducagini, der weder schreiben noch Italienisch konnte. Im Pfarrhaus wohnte außerdem noch
ein 33jähriger Meßdiener. Als Einkommen bezogen sie 9 Rubbia Getreide und 20 Somme
Wein von den Gläubigen. Die Pfarrei hatte keine eigenen Ländereien, da sie erst 1722
eingerichtet worden war. Castignetti hatte 64 katholische Häuser mit 587 Einwohnern. Ein
Gemeindemitglied war wegen Meineides exkommuniziert.
Cortepula (Korthpula) lag dreieinhalb Stunden von Castignetti, zu dessen Pfarrei das Dorf
einst gehört hatte. Es war wiederum Bischof Paolo Campsi, der um 1748 die Propaganda Fide
dafür gewann, dort einen eigenen Pfarrer einzusetzen. Das Dorf befand sich in einer besonders
schwierigen Lage, denn es war kurz zuvor von den Leuten eines Begolli genannten Paschas22
besetzt worden. Diese brannten die Kirche S. Croce nieder und usurpierten auch die
kirchlichen Ländereien, die die Christen für sie bearbeiten mußten. Criesesi ließ für den Pfarrer
ein kleines Haus errichten und er erreichte auch, daß die das Dorf beherrschende Familie
Begai23 dem Pfarrer einige Ländereien zur Verfügung stellte, die zu seinem Unterhalt dienen
sollten. Pfarrer war Pietro Canci. Er war 50 Jahre alt, konnte etwas Italienisch und schreiben
und lebte von den 20 Scudi, die ihm die Propagandakongregation jährlich zahlte sowie aus den Einkünften der neuen Ländereien (6 Rubbia Getreide, 4 Somme Wein). An Festtagen hielt er in
der Ruine der niedergebrannten Kirche S. Croce Gottesdienst. Cortepula zählte 16 katholische
Häuser mit 452 Bewohnern. Die nächste Pfarrei in Criesesis Bericht ist San Giorgio di Diberi
(Shën Gjergji im Bajrak Dibrri). Die Pfarrei bestand aus drei Dörfern: Gasoli (Gazulli),
Cakalori (Kalori) und Ranzi (?). Alle drei lagen von der Pfarrkirche weit entfernt - eine,
zweieinhalb bzw. vier Stunden. Criesesi ordnete an, daß das am weitesten entfernte Dorf
(Ranzi) fortan von Freghna betreut werden sollte, zu dem man nur eine Stunde brauchte. Der
Bischof hatte nicht mit dem Widerstand der Dorfbewohner gerechnet, die an der Kirche ihrer
Vorfahren festhalten wollten. Er mußte einen Kompromiß schließen: Ranzi sollte von beiden
Pfarrern betreut werden, bis man gewillt war, sich für die nächstgelegene Kirche zu
entscheiden. Pfarrer von S. Giorgio war der 39jährige Giovanni Suma, dem der Visitator zwar
geringe Intelligenz, aber Eifer im Dienst bescheinigte. Er hatte 7 Rubbia Getreide, 12 Somme
Wein, Käse etc. sowie 20 Scudi von der Propaganda Fide als Einnahmen. S. Giorgio umfaßte
78 Häuser mit 665 Einwohnern. Drei Häuser hatten sich bisher als türkisch bezeichnet, obwohl
sie christlich waren. Sie wurden von Criesesi aufgefordert, davon künftig zu lassen.
Die Pfarrei Cacinari (Kaçinari)24 hatte eine Mariae Geburt gewidmete Kirche, die einen Innenund
einen Außenaltar hatte, weil das Kircheninnere allein den Zustrom der Gläubigen nicht
fassen konnte. Die Pfarrei bestand aus 10 Weilern, die eine Viertel bis eineinhalb Stunden von
der Kirche entfernt lagen. Deren Namen sind zum Teil nicht verifizierbar, da sie auf keiner
Karte verzeichnet sind. Der Pfarrer Marco Busciati war bereits 67 Jahre alt, konnte Italienisch
und etwas schreiben. Sein Koadiutor war der 43jährige Marco Ghenati; er war
schreibunkundig und konnte auch kein Italienisch. Ihre Einkünfte bestanden aus 12 Rubbia
Getreide und 15 Somme Wein. Zur Pfarrei Cacinari gehörten 125 Häuser mit 1186
Bewohnern. Die Bevölkerung wird von Criesesi als sehr arm geschildert; sie lebte
hauptsächlich von Raub. Sehr viele waren exkommuniziert oder von den Sakramenten
ausgeschlossen. Grund für die Kirchenstrafen war bei den meisten, daß sie nach der Flucht
ihrer angetrauten Ehefrauen, die bei Türken und Renegaten in anderen Diözesen Aufnahme
fanden, entgegen den Geboten der Kirche andere Frauen geheiratet hatten. Andere heirateten
schon deshalb nicht kirchlich, weil sie die Flucht der Frauen fürchteten. Sie wollten sich nicht
binden und lebten deshalb in kirchlichen Augen im Konkubinat zusammen. Der
Gemeindevorsteher Giovanniccola Bizzi, dessen legitime Ehefrau ihm keinen männlichen Erben
geboren hatte, lebte mit einer anderen Frau zusammen und war deshalb von den Sakramenten
ausgeschlossen.
Von Cacinari bis zur Pfarrei Nderfandena (Ndërfandën) waren es dreieinhalb Stunden. Die
Pfarrkirche war ebenfalls Mariae Geburt gewidmet. Sie war alt und stammte noch aus der Zeit,
als im Ort Mönche lebten. Die Pfarrei bestand aus drei Weilern, die in einiger Entfernung von
der Kirche lagen: Nderfandena, Ghesicci (Gziqi) und Mondega (Munega). Pfarrer war der
49jährige Paolo Cacinari. Er sprach Italienisch, konnte etwas schreiben, war aber ein
liederlicher Mensch. Seine Einkünfte bestanden aus 7 Rubbia Getreide, 8 Somme Wein, Käse
usw. . Nderfandena befand sich in Dauerfehde mit der Nachbargemeinde Chesella (Kthella)
und mit anderen Orten in 'Makedonien', wie das Territorium der Diözese Durazzo in den
kirchlichen Berichten häufig genannt wurde. Nderfandena bestand aus 36 Häusern mit 357
Bewohnern. Vier Personen waren exkommuniziert, wie üblich wegen Konkubinat.
Die Pfarrei Blinisti (Blinishti) hatte eine dem hl. Stefan geweihte Kirche, deren Pfarrer
Alessandro Dedi war. Dieser hatte bereits das 80. Lebensjahr überschritten, war aber von
robuster Natur. Er konnte weder Italienisch, noch schreiben. Sein Koadiutor Niccola Costendini (58 Jahre) konnte ebenfalls nicht schreiben, aber etwas Italienisch. Ihr Einkommen
bestand aus 10 Rubbia Getreide, etwa 17 Somme Wein, Käse, Gemüse etc. . Blinisti bestand
aus 58 Häusern mit 449 Einwohnern, von denen vier aus den bekannten Gründen
exkommuniziert waren.
Dem geistlichen Zentrum der Mirdita, der Abtei des hl. Alexander, widmete sich Criesesi
besonders ausführlich: Die Abtei lag früher auf dem höchsten Berg der Mirdita, der noch heute
'Berg des Heiligen' (Monte Santo, Mali i Shënjit) genannt wird. Auf ihm ließ Bischof Giorgio
Vladagni (1656-1692 Bischof von Alessio) eine große steinerne Kirche errichten, die aber bald
wieder zusammenstürzte, ob wegen der Unerfahrenheit der Bauleute oder wegen des zu
großen Gewichts des Gewölbes ist unklar. Über die Geschichte der Mirditenabtei gibt es keine
historischen Dokumente, der Überlieferung nach bestand aber vor der türkischen Eroberung in
'Meredita' ein Benediktinerkloster, in dem ein Abt mit 12 Mönchen lebte.25 Die Mönche haben
dann den Hl. Berg verlassen, angeblich, weil es dort zu kalt war. Sie zogen sich in einen tiefer
gelegenen Ort namens Rena zurück, wo der Abt heute noch residiert. Das gegenwärtige
Pfarrhaus und die Kirche wurden von den Bischöfen aus der Familie Vladagni errichtet, die
viele Jahre die Diözese Alessio leiteten (Giorgio und Niccolo Vladagni, 1656-1703). Die
Kirche war sehr gut ausgestattet. Als wertvollste Reliquie barg sie den Kopf des hl. Alexander
in einem silbernen Schrein, der 15 Pfund wog und sehr alt war.26 Die Abtei hatte früher viele
Besitzungen in 'Makedonien', die alle von Türken aus der Gegend, also von muslimisch
gewordenen Albanern, okkupiert wurden. Im Berichtszeitraum hatte die Abtei nur noch einige
Wiesen und Weinberge. Sie lebte vom Zehnten der angeschlossenen Pfarrei und von den
Spenden, die dem Heiligen gemacht wurden. Das Territorium der Abtei bestand aus 8 Dörfern:
Lagge (Lagje), Mastricori (Mashtërkori), Zaisse (Zajsi), S. Maria (Shmia), Spacciagni (Spaçi)
und Legini (?).27 Abt und Pfarrer war der 39jährige Pietro Bianchi. Dieser hatte nicht in Italien
studiert, sondern nur die Schule in Velja besucht, besaß aber trotzdem ausreichende Kenntnisse
in der lateinischen und der italienischen Sprache. Criesesi hielt Bianchi für den fähigsten
Geistlichen der ganzen Diözese. Sein Kaplan war Alessandro Pedana. Er war 40 Jahre alt,
konnte etwas schreiben und Italienisch. Außerdem befanden sich noch drei Meßdiener in der
Pfarrei, die der Abt auf die geistliche Laufbahn vorbereitete: Giorgio Sesa (24 Jahre), Primo
Bukmiri (23 Jahre) und Marco Morici (14 Jahre). Exkommuniziert waren Dede Giovanni, ein
lokaler Chef namens Giovan Maco, Paolo Pren Doda, Peppe Marcu, Paolo Colla und Primo
Docca, alle wegen Verstößen gegen das kirchliche Eherecht. Anderen wurden die Sakramente
verwehrt, weil sie sich weigerten, kirchlich zu heiraten. Das Gebiet der Mirditenpfarrei zählte
177 Häuser mit 1848 Bewohnern.
Die Pfarrei Fandi lag vier Wegstunden von der Mirditenpfarrei entfernt. Sie hatte eine dem hl.
Markus gewidmete Kirche, die nahe dem Fluß Fandi inmitten aller Dörfer lag, die zur Pfarrei
gehörten. Fandi bestand aus 5 Dörfern: Byssachi (Bisakët), San Giovanni (Shëngjini), Giuggia
(Gjugja), Domgioni (Domgjoni) und Condagni (Konaj). Zur Pfarrei gehörten 141 Häuser mit
1566 Einwohnern. Pfarrer war Antonio Morici. Er war 33 Jahre alt, konnte schreiben und
Italienisch und war ein guter Priester. Sein Koadiutor war der 28jährige Pietro Tragacci, der
weder schreiben noch Italienisch konnte. Auch in Fandi waren viele von den Sakramenten ausgeschlossen, die meisten, weil sie ohne Heirat mit Frauen zusammenlebten. Einer hatte
seine Tochter einem orthodoxen Christen (Greco Scismatico) zur Frau gegeben. Auch
Bluträcher unterlagen in Fandi dieser Kirchenstrafe. Neben der Pfarrkirche gab es im Sprengel
von Fandi noch zahlreiche verfallene Kirchen: In Domgioni eine dem hl. Barnabas geweihte, in
Giuggia eine Johannes des Täufers, in San Giovanni eine des hl. Elias, in Condagni eine des hl.
Alexander und in Byssachi eine Mariae Himmelfahrt.
Auf Fandi müßte eigentlich die Pfarrei von Monte Negro (Mali i Zi)28 folgen, schreibt Criesesi.
Sie gab es aber nicht mehr, weil die christliche Bevölkerung vor mehr als 40 Jahren das Gebiet
verlassen hatte oder zum Islam übergetreten war. Katholisch geblieben waren nur noch die
Familie von Antonio Gioni und etwa 100 Frauen. In das Haus von Gioni kommt ab und zu der
Pfarrer von Fandi, um die Messe zu lesen. Über die genaue Lage der Pfarrei findet sich in
Criesesis Bericht nichts, nur daß sie mehr als eine Tagesreise von Fandi entfernt lag. 50 Jahre
zuvor, im Visitationsbericht von Vinzenz Zmajevic von 1703, existierte die Pfarrei noch, war
aber bereits im Niedergang begriffen. Auf Grund der von Zmajevic genannten Ortsnamen läßt
sich die ungefähre Lage von Montenegro rekonstruieren: es lag am linksufrigen Oberlauf des
vereinigten Drin. Einige der Ortsnamen finden sich auf der Karte von Louis - so Duccagini
(Dukagjini), Stano (Shtanë), Mengula (Mgulla) etc. 1703 zählten zur Pfarrei 14 Siedlungen mit
zusammen 98 katholischen Häusern und 766 Bewohnern. Diese waren aber nur dem Namen
nach Christen: "Li habitanti hanno solam.te il nome de Christiani, nel resto rozzi, e privi d'ogni
cognit.ne della fede."29 Im ganzen Gebiet gab es keine intakte Kirche mehr, sondern nur noch
Ruinen von denselben.
Die letzte Pfarrei, die Criesesi besuchte, war Calivaria (Kalivarja) mit einer Kirche des hl.
Demetrius. Calivaria bestand aus 5 Siedlungen, die in ein bis zwei Stunden Entfernung von der
Kirche lagen: Gojani, Domi, Mesulli, Chimeza (Kimza) und Schosa (Shkoza). Pfarrer war der
60jährige Giovanni Sesa, der die Kirche erweitert und ein neues Pfarrhaus gebaut hatte. Sein
Koadiutor Antonio Giecci war 30 Jahre alt, konnte schreiben und Italienisch. Im Pfarrhaus
lebte auch ein 15jähriger Meßdiener, der für den geistlichen Dienst vorbereitet wurde. Die
Geistlichen bezogen ein Einkommen von 13 Rubbia Getreide und 25 Somme Wein, den
üblichen Käse etc. . Zur Pfarrei gehörte auch der Weiler Giegiena (Gjegjani) mit 3 Häusern und
45 Seelen. Insgesamt zählte Calivaria 81 Häuser mit 1026 Bewohnern. Es waren wiederum
viele exkommuniziert oder von den Sakramenten ausgeschlossen, aus den bereits früher
genannten Gründen.
Am Schluß seines Visitationsberichtes bringt Criesesi eine Zusammenfassung: Die Diözese
Alessio hatte danach 49 Welt- und 5 Ordensgeistliche, zwei Klöster, ein Hospiz und zählte
1924 katholische Häuser mit 18.504 Einwohnern.30 Die Kirchen hatten alle Taufbecken, alle
Pfarrer lasen Messen, einige nur an den Feiertagen, andere jeden Sonntag. Der Bischof nahm
bei dieser ersten Visitation an 649 Knaben und 533 Mädchen die Firmung vor. Am 20. Februar
1753 hielt er eine Diözesansynode ab und versuchte, einige Mißbräuche abzustellen - welche,
wird nicht gesagt. Es gelang ihm auch, Frieden zwischen vier seit Jahren verfeindeten Dörfern
zu stiften: Zwischen Xiuppi (?) und Calmeti, sowie zwischen Caccaricchi und Ghiadri (Gjadri
in der Diözese Sappa). In Velja hatte er eine neue Schule eingerichtet, in Cryesesi und Cortepula neue Pfarrhäuser bauen lassen. Vorbereitungen zur Restaurierung der vom Einsturz
bedrohten Kirche von Velja waren getroffen.
Der Bericht von Criesesi über die Diözese Alessio ist ein ganz 'normaler' Visitationsbericht. Er
bringt nichts Spektakuläres, sondern kirchliche Alltagsarbeit. Von den türkischen Behörden
war außerhalb der Stadt Alessio augenscheinlich nichts zu spüren. Von türkischen Überfällen
und der Zerstörung von Kirchen wird zwar berichtet, bei diesen 'Türken' dürfte es sich aber in
den meisten Fällen um islamisierte Albaner gehandelt haben, die manchmal von den
katholischen Geistlichen auch Geschenke und die Ausrichtung von Gastmählern verlangten.
Manchmal wird die steuerliche Belastung der Christen erwähnt - so mußten der Bischof und
der Pfarrer von Fandi jene einsame katholischen Familie Gioni in Monte Negro finanziell
unterstützen, damit diese den Tribut (Kopfsteuer) zahlen konnte.31 Die Gemeinden waren
ausreichend mit Pfarrern versorgt, und diese waren in der Regel auch nicht überaltert. An ihrer
Amtsführung hatte der Bischof nichts auszusetzen, wohl aber an ihrer Bildung, was nicht
verwundert, denn nur drei der in der Diözese tätigen Geistlichen hatten überhaupt studiert. 14
Pfarrer konnten überhaupt nicht, 16 nur mehr oder weniger schlecht schreiben. 8 Priester
konnten kein, 18 nur schlecht Italienisch. Nur drei Priester hatten Kenntnisse in der lateinischen
Sprache.
Interessant ist, daß es scheinbar immer wieder die gleichen Familien waren, die den Klerus der
Diözese Alessio stellten. Am häufigsten tauchen die Namen Morici (neunmal), Trasci
(fünfmal), Negri (viermal), Bianchi und Xiuppa (je dreimal) auf. Die Mehrzahl der Pfarreien
verfügte über eigenes Land, dessen Einkünfte die Versorgung der Geistlichkeit sicherten. Aus
dem Visitationsbericht geht hervor, daß in den nordalbanischen Berggebieten im 18.
Jahrhundert noch die Naturalwirtschaft vorherrschte. Von Geld ist nur in Ausnahmefällen die
Rede. Die Pfarrer erhielten von der Bevölkerung oder von den eigenen Ländereien Getreide,
Wein (es ist erstaunlich, daß damals selbst in der hochgelegenen Mirdita Wein angebaut
wurde), Käse, Gemüse und andere landwirtschaftliche Produkte. Die Propagandakongregation
mußte nur in zwei Fällen (Cortepula, S. Giorgio) durch jährliche Subsidienzahlungen für
den Unterhalt der Pfarrer sorgen.
Die Bevölkerung der Diözese Alessio war Mitte des 18. Jahrhunderts noch überwiegend
katholisch. Eine Tendenz zur Islamisierung war zwar bemerkbar, sie machte aber nur sehr
langsam Fortschritte. Nur die Pfarrgemeinde Monte Negro mit 766 Gläubigen mußte
aufgegeben werden. Sonst berichtet Criesesi nur von zwei Pfarreien mit einem muslimischen
Bevölkerungsanteil: Mercigna mit 22 (23%) und Gryka mit 24 (25%) türkischen Häusern.
Vergleicht man die von Criesesi 1753 angegebenen Zahlen mit denen von Vinzenz Zmajevic
für 1703, so ist ein starkes Anwachsen der katholischen Bevölkerung festzustellen, das mit
einem allgemeinen Bevölkerungswachstum in Nordalbanien einhergegangen sein muß.
Während Zmajevic 1703 für die Diözese Alessio 1.075 katholische Häuser mit 7.645
Bewohnern angibt32, waren es 1753, obwohl mit Montenegro eine ganze Pfarrei weggefallen
war, doppel soviel: 1.924 (bzw. 1.916) katholische Häuser mit 18.504 (18.599) Bewohnern.
Ein Vergleich der Zahlen für die einzelnen Gemeinden möge das verdeutlichen. Dabei ist zu
berücksichtigen, daß zwischen 1703 und 1753 die Anzahl der Pfarreien von 17 auf 24
gestiegen ist, die Größe der Gemeinden sich also in einigen Fällen verändert haben dürfte: 12
Selbst wenn sich die Größe der Pfarrsprengel verändert haben sollte, was sicher der Fall war,
und wenn die Diözesangrenzen geändert wurden, worüber nichts bekannt ist, war in der
Diözese Alessio innerhalb von 50 Jahren ein starkes Bevölkerungswachstum unverkennbar.
Während das Vordringen des Islam der katholischen Geistlichkeit offensichtlich nicht allzu
große Probleme machte, war ihr Kampf gegen einige Mißbräuche, die hauptsächlich auf dem in
Nordalbanien praktizierten Gewohnheitsrecht beruhten, schier aussichtslos. Es ging dabei vor
allem um die Heiratspraktiken der Albaner, die mit der kirchlichen Lehre nicht zu vereinbaren
waren. Die Frau hatte in der nordalbanischen Gesellschaft eine sehr schwache Stellung. Sie war
hauptsächlich dazu da, um zu arbeiten und Kinder (männliche) zu gebären. War sie zu
letzterem nicht in der Lage, nahm sich der Mann eine andere Frau in das Haus, was von der
Kirche natürlich als Konkubinat betrachtet wurde. Die Flucht der Frauen vor ihren
Ehemännern muß in Nordalbanien eine weitverbreitete Erscheinung gewesen sein, denn alle
Visitationsberichte schreiben darüber.
Eine weitere Erscheinung, gegen die die Pfarrer ankämpfen mußten, war die Blutrache, die
nach Criesesi besonders im Gebiet der Mirditenabtei sehr häufig praktiziert wurde. Allerdings
wird nur bei der Pfarrei Fandi darüber berichtet, daß Gemeindemitglieder von den Sakramenten
ausgeschlossen wurden, weil sie Bluträcher waren.
Auch in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Diözese gibt Criesesis Bericht einige
Einblicke. Einige Dörfer waren so arm, daß die Bewohner förmlich gezwungen waren, von
Raubzügen zu leben - so in Cacinari.
Criesesis Bericht an die Propaganda Fide bringt nur das, was seiner Meinung nach die
Empfänger in Rom interessierte. Über politische Ereignisse, türkische Truppenbewegungen,
Fehden türkischer Paschas untereinander, das Bandenunwesen und die im Lande herrschende
Rechtslosigkeit usw. erzählt der Bischof nichts. Er bringt auch nichts über die angeblich
althergebrachte Autonomie der Mirdita,33 die im 19. und 20. Jahrhundert auch in der
politischen Geschichte Albaniens eine Rolle spielen sollte.34 Trotzdem ist der Bericht
außerordentlich aufschlußreich, denn er macht nicht nur Angaben über die kirchlichen
Verhältnisse in einer nordalbanischen Diözese, sondern kann auch als Quelle für die
demographische Entwicklung in Nordalbanien dienen, wozu allerdings noch frühere und
spätere Berichte herangezogen werden müßten, was der Verfasser im Rahmen einer größeren
Quellenedition zu tun gedenkt. Eine Quelle ist der Bericht auch für die historische Landes- und
Volkskunde im nordalbanischen Bergland. Er gehört damit in die Reihe jener geistlichen
Visitationsberichte, die dazu beitragen können, unser Wissen über die inneren Verhältnisse im
türkischen Albanien zu erweitern.
http://www.albanisches-institut.ch/pdf/bartl.pdf
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Ist sehr interessant zu lesen,vorallem da es ein zeitzeuge es beschrieben hat,auch wenn nicht viel über das leben sondern nur das was Rom eben interessiert hat.