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Yunan
Guest
Was den Erfolg dessen angeht, scheiden sich bei uns wohl die Geister, aber ich denke mal dem Rest würde fast jeder, der sein Land aus der Krise wieder hervorheben will zustimmen, es muss aktiv dagegen vorgegangen werden, das stimmt. Nur wie soll das geschehen?
Die breite Bevölkerung hat diese Zustände bereits akzeptiert, die wenigen die noch dagegen halten, schaden uns letztlich mehr als sie uns nützen. Wie soll man also die Breite der Bevölkerung gegen ihren Staat mobilisieren? Sollen wir uns hier in der Diaspora etwa organisieren und uns einen Plan ausdenken wie wir in Athen dann am bestmöglichsten den Syntagma Platz im Sturm einnehmen? Und was dann? Einen Teil der Regierung als Geiseln halten und die Macht die sie besitzen ihnen absprechen? Sollen wir uns dann vor allen anderen stellen und im ganzen Land verkünden, dass ab jetzt wieder richtige Menschen an der Macht sind? Wir, die durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen sind und sich illegitim an die Macht gehievt haben. Warum sollte man gerade solchen Menschen vertrauen, werden sich die meisten denken, ich kann mir auch nicht beim besten Willen vorstellen, dass man damit Erfolg hat, eher wird das Militär eingreifen, am besten noch durch Unterstützung von Außen und die Menschen die sich durch einen Putsch an die Macht gebracht haben wieder entmachten, mal abgesehen davon, dass man sich sowieso nicht einfach vor ein Podest stellen kann und man daraufhin sagt, wir sind die neue Regierung, ab jetzt tanzt jeder nach unserer Pfeife.
Nun gut, ich ziehe das alles wohl doch zu sehr ins lächerliche, so mein ich das gar nicht, ich stehe auch vollkommen dahinter etwas zu tun nur bin ich sehr skeptisch was den Erfolg angeht. Vor allem, während wir hier über mögliche Hypothesen schwafeln, wie man denn einen Machtwechsel am ehesten vollbringen könnte, ist das was wir letztlich dafür tun gleich null. Oder stellst du dich etwa vor die Massen in Griechenland und rufst dazu auf, gegen diese korrupte Regierung vorzugehen? Verzeih mir wenn ich falsch liege, aber ich denke mal, dass du genau so wie ich und viele andere Diaspora-Griechen bisher nur groß daher reden aber etwas dafür getan, das hat keiner von uns, davon gehe ich jedenfalls mal aus.
Aber jetzt sage mir doch wie dein Plan aussieht. Dann können wir weiter darüber diskutieren.
Ich denke, dass du dir einen revolutionären Vorgang zu idealisiert vorstellst. Die Glorifizierung der Abläufe von Revolutionen und ihrer Motive ist im historischen Kollektivbewusstsein präsent und prägt das Bild von "der" perfekten Revolution. Damit entzieht jede Abweichung von einer solchen Revolution jedem anderen, evtl. nötigen Verlauf einer Revolution die Daseinsberechtigung. Man kann sich nicht auf die Straße stellen, die Revolution ausrufen und die Massen auf dem Weg zu einem symbolischen Platz wie dem Syntagma spontan mobilisieren um sich am nächsten Tag in einer perfekten Demokratie wiederzufinden. Von dieser Illusion sollte man sich verabschieden wenn man den ernsthaften Willen zu einer Revolution hat.
Es gab und gibt keine Revolutionen, in denen die Mehrheit einer Bevölkerung aktiv oder passiv beteiligt war. Jede Revolution, die französischen mit eingeschlossen, war die Revolution einer Minderheit gegen bzw. parallel zur (gleichgültigen) trägen Volksmehrheit. Gerade einmal vier Prozent der französischen Bevölkerung war an der Revolution direkt beteiligt während 96% der Franzosen nichts taten. In ähnlichen Größenordnungen spielten sich alle anderen nennenswerten Revolutionen ab und ich schließe hiervon bewusst die sogenannten Revolutionen des Ostblocks von 1989-91 aus. Sie waren gezielt hervorgerufen, manipuliert und durchgeführt nach speziellen verabschiedeten Direktiven Ronald Reagans, auch in Jugoslawien. Sie sind als Revolutionen zu betrachten die sich nicht eigenständig entwickelt haben.
Der "Arabische Frühling" bietet ein gutes Beispiel dafür, wie Revolutionen Sache einer Minderheit in vorausschauender Abstimmung im Sinne der Mehrheit waren, zumindest solange die Revolutionäre nicht an der Macht waren oder sich später in Revolutionen "einkauften" wie es die Muslimbrüder in Ägypten taten. In Syrien sind ca. 60.000 Menschen aktiv am Kampf gegen die Regierung beteiligt. Das macht ca. 3% der syrischen Bevölkerung aus. Die überwältigende Mehrheit ist in den Revolutionären Prozess aus verschiedensten Gründen gar nicht beteiligt. Zu einer Teilnahme kann man die Menschen ja auch schlecht zwingen.
Fakt ist dass für den Erfolg einer Revolution die Akzeptanz der jetzigen Zustände durch die Mehrheit keine Rolle spielt weil sie sich auch bei viel schlimmeren Zuständen nicht beteiligen würde. In dem Sinne kann man noch nicht einmal von Demokratie sprechen wenn die Leute selbst sich nicht an der Volksherrschaft beteiligen. Wahre Volksherrschaft geht unter solchen Umständen nur von denen aus, die sich für die Volksherrschaft einsetzen und nicht durch die, die sowohl Volksherrschaft als auch Diktatur akzeptieren und diese beiden Dinge so auf eine Stufe stellen. In Griechenland akzeptiert die Mehrheit die gerade eingeführte Wirtschafts- und Finanzdiktatur, in Syrien duldet die Mehrheit den Konflikt beider Kriegsparteien, im Irak dasselbe, in westlichen Ländern dulden die Menschen die Unterwanderung der Demokratie durch die dem Kapital verpflichtete Elite. Wahre Demokratie ist der Widerstand gegen die Diktatur und die Fremdbestimmung, nicht die Akzeptanz und Duldung ebendieser.
Insofern kann die Akzeptanz der jetzigen Zustände als nicht zu ahndende, stille, nicht-fahrlässige und unbewusste Mittäterschaft durch die Mehrheit verstanden werden(aus rechtlicher Betrachtung des politischen Prozesses und der Akteure, der Gesellschaft und der dem Westen verpflichteten Oberschicht). Diese Haltung ist in ihrem Grundsatz antidemokratisch, mit ihr muss aber definitiv sehr vorsichtig umgegangen werden weil es sich hierbei nicht um bewusste, unbeeinflusste Handlungen der Menschen selbst handelt sondern um eine kollektive Trägheit des Volkskörpers, für die der einzelne aus seiner individuellen Situation heraus nichts kann solange ihm seine eigenen Einflussmöglichkeiten nicht bewusst sind und seine persönlichen Umstände es nicht zulassen.
Ich möchte hierbei hervorheben, dass es eine heilige moralische Verpflichtung der an der Revolution Beteiligten gegenüber der nicht beteiligten Mehrheit gibt, einen postrevolutionären Zustand herzustellen, der im Sinne der vorliegenden Mehrheitsmeinung ist unter der einzigen Voraussetzung des freien Zugangs zu größtmöglich neutralen Informationen für das Volk. Nur so kann es möglich sein, einen demokratischen Prozess nach einer Revolution in Gang zu setzen an dessen Ende ein verwirklichbares Höchstmaß an Demokratie entstehen kann.
Für Revolutionäre bedeutet dies, dass sie die Passivität der Mehrheit zu akzeptieren und zu respektieren haben und in ihrem Sinne handeln müssen ohne dazu aufgefordert werden zu müssen. Das ist der einzige Weg, den Worten Taten folgen zu lassen und die Glaubwürdigkeit der Revolution zu manifestieren.
Nun hast du die berechtigte Frage gestellt, weshalb die Menschen den Revolutionären Glauben schenken sollten, wo sie sich doch den Prozessen der parlamentarischen "Demokratie" entzogen haben. Dazu möchte ich vorab sagen dass dieses Misstrauen zu einem großen Teil daher rührt, dass es gängige Meinung der Bevölkerungen in aller Welt ist, dass die Parlamentarische Demokratie die einzig legitime Form der Demokratie ist. Dem widerspreche ich hier und setze die Realität der Resultate westlicher und griechischer Demokratie-"Experimente" entgegen. Die Parlamentarische Demokratie ist ein in der Theorie demokratie-ähnliches gesellschaftliches Organisationsprinzip, dass aber weit entfernt vom tatsächlichen Potenzial und Sinn der Demokratie ist.
Tatsache ist, dass die westlichen Demokratien nicht nur in höchstem Maße undemokratisch sind(man werfe einen Blick auf die Schichtung der Gesellschaft, die Macht der Eliten, das Monopol zur Manipulation durch die Eliten mittels der Medien als Propagandaplattform, Vermögensungleichheiten, Manipulation demokratischer Institutionen, die Ideologisierung und Idealisierung von Gesellschaftsmodellen durch die Elite[Bürgertum, Kosmopolitismus, Zivilgesellschaft] etc.), sondern auch jede Form der Weiterentwicklung bzw. Überwindung undemokratischer Systeme durch die Vereinnahmung des Demokratiebegriffes und die Propagierung der Parlamentarischen Demokratie als einzig wahre Form der Demokratie, verhindern.
Die Parlamentarische Demokratie ist heutzutage durch geschickte Manipulation demokratischer Prozesse zu einem ideologischen Konstrukt verkommen, dass den herrschenden Kreisen als Institution zur Verschleierung ihrer Absichten dient und nur deshalb als nützlich betrachtet und erhalten wird.
Man kann deine Frage auch zu einer Gegenfrage umformulieren. Wieso sollten die Menschen weiterhin ihr Vertrauen in das bestehende System erhalten, dass doch offensichtlich nicht nur nicht im Sinne des Volkes sondern auch gegen das Volk agiert? Wieso sollten sie einem solchen System mehr vertrauen als Leuten, die sich für eine Veränderung des Systems zu noch mehr Demokratie einsetzen? Die Antwort liefere ich gleich mit: Sie tun es weil es einen Mangel an Alternativen gibt und vorallem einen Mangel an Menschen, die diese Alternativen inmitten einer tief gespaltenen Gesellschaft mit Erfolg vorantreiben. Griechenland mit seinen Machtstrukturen und Interessensgruppen befindet sich in einer Situation, in der der objektive, neutrale und freie Dialog nicht mehr gewährleistet werden kann ohne theoretische oder praktische, antidemorkatische Beeinflussung von außen. Jeder Dialog, jeder Versuch zu einer Änderung wird im Keim erstickt oder blockiert um eine Ergebnisfindung fortfolgend zu verhindern. Wieso sollte man die gewähren lassen die alles im Sinn haben aber nicht das Wohl des Landes und der Menschen? So werden die Probleme nicht behandelt sondern nur verschoben und noch dazu die kulturelle und politische Assimilation Griechenlands durch den Westen in Kauf genommen.
Wenn also alle Möglichkeiten des Dialogs und der demokratischen Veränderung ausgeschöpft sind und alle Versuche darauf hinauslaufen, die Probleme nicht an ihrer Wurzel anzupacken sondern seine Zeit damit zu verschwenden, Symptome zu bekämpfen, dann ist ein Umsturz mit eventueller Gewaltanwendung gegen die Elite unvermeidlich und sogar Pflicht eines jeden Demokraten und Patrioten. Das Recht zu dieser Art von Widerstand ist im Übrigen in vielen Verfassungen verankert(in den selben Verfassungen befinden sich aber auch Dogmen, die die Parlamentarische Demokratie als einzige Form der Demokratie zulassen. Das System ist in seinen Existenzansprüchen totalitär während es sich freiheitlich und liberal gibt).
Ich denke jedenfalls nicht, dass du das ganze ins Lächerliche ziehst. Viel eher stellst du dir Fragen die gestellt werden müssen und ich versuche eine Antwort darauf zu geben, die auf rationaler Ebene überzeugend ist. Ich denke auch, dass sich niemand von uns vorwerfen muss, bisher nichts getan zu haben weil es bisher noch überhaupt keinen Dialog und keine Verständigung auf Mindestvorraussetzungen zur Aufnahme des Kampfes gab. Der Einzelne ist in diesem System ohne Macht. Zwar werden große Veränderungen nur durch die Veränderung des kollektiven Bewusstseins erreicht, die beim Individuum ansetzen, aber dazu bedarf es eines systemischen Rahmens, der so heute nicht existent ist und auf eine Individualisierung der Gesellschaft im Sinne des Globalen Kapitals hinausläuft. Schließt sich allerdings eine Gruppe zusammen, und hierbei ist die Größe nicht unbedingt entscheidend, so kann sie meiner Auffassung nach alles Erreichen was sie sich zum Ziel macht solange sie auf die Ausgewogen- und Verhältnismäßigkeit ihrer zum Einsatz kommenden Mittel achtet.
Sobald allerdings du und ich und andere die Bereitschaft und Pflichtgefühl zu dieser Art des Handelns haben, wäre es natürlich notwendig, sich konkrete Gedanken über die Realisierung zu machen. Wenn du überzeugt von der Richtigkeit einer Sache bist, dann bist du derjenige der entscheidet ob du deine patriotische Pflicht erfüllen willst oder dich ihr entziehst. Genauso wie ich es bin, der darüber entscheidet.
Du solltest übrigens in Erinnerung behalten, dass es bei einer Revolution nicht darauf ankommt, schon vor einer Revolution einen fertigen, "perfekten" Plan von der Zeit danach zu haben. So wäre keine Revolution der Welt zustande gekommen. Manchmal muss man Revolutionen einfach um der Gerechtigkeit und Richtigkeit Willen beginnen und dann das Beste daraus machen anstatt nichts zu unternehmen bis die Weltformel gefunden wurde. Denn das wird nie geschehen und in der Zwischenzeit werden die Schuldigen ihr Spiel weiterspielen und die Unschuldigen werden darunter leiden.
Den "Plan" würde ich hier nicht so offen reinschreiben sondern lieber per PN. In diesem Thread kann jeder mitlesen auch wenn er nicht angemeldet ist. Wenn du tatsächliches Interesse hast, sag mir bescheid.