Armenier
Der Völkermord an den Armeniern (im Armenischen Aghet oder auch Metz Jeghern) war ein Völkermord (auch Genozid) am Anfang des 20. Jahrhunderts, bei dem im Zusammenhang mit dem armenischen Unabhängigkeitskampf und den Bestrebungen, einen homogenen türkischen Nationalstaat zu schaffen, eine große Zahl von Armeniern in der heutigen Türkei durch das Osmanische Reich – dem Vorgängerstaat der Türkei – getötet wurden. Im engeren Sinn versteht man unter diesem Begriff die Morde von 1915–1917.
Bei den größten Massakern und auf den Todesmärschen 1915–1917, sowie während des Türkischen Befreiungskrieges 1919-1921 kamen je nach Schätzung 600.000 bis 1,5 Millionen Armenier um. Die Übergriffe in den beiden vorausgehenden Jahrzehnten hatten bereits weitere hunderttausende Armenier das Leben gekostet.
Die Aufarbeitung dieser Geschehnisse ist bis heute schwierig. Während viele Armenier den Massenmord als ungesühntes Unrecht empfinden und eine angemessene Erinnerung fordern, bestreiten die türkische Regierung und die meisten Türken entweder, dass es überhaupt Massentötungen gegeben habe, oder stellen sie als gerechtfertigte Reaktionen auf armenische Übergriffe oder unvermeidliche Geschehnisse im Rahmen des Krieges dar.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte
Um 1800 lebten die christlichen Armenier teils unter dem Schah von Persien, teils in einer weiten Diaspora zwischen Indien und England, mehrheitlich aber unter osmanischer Herrschaft. Im Osmanischen Reich siedelten die Armenier konzentriert (1) im heutigen Ostanatolien, im Gebiet von Erzurum, Kars, Van und Diyarbakir, (2) in Kilikien bei Adana und Maraş und (3) in den osmanischen Metropolen Alexandrien, Smyrna (Izmir) und vor allem Konstantinopel (Istanbul), wo um 1870 250.000 bis 300.000 armenische Christen wohnten (geschätzt 20 % der Stadtbevölkerung). Die Expansion Russlands in den Kaukasus im 19. Jahrhundert und der allmähliche Niedergang des Osmanischen Reichs sowie zunehmende Repressionen führten zu Bestrebungen eines Teils der Armenier, einen unabhängigen Staat einzurichten. Diese Bestrebungen der Armenier innerhalb des Osmanischen Reichs wurden vom orthodoxen Russland aus religiösen und geopolitischen Gründen unterstützt und führten schließlich außerhalb des Osmanischen Reiches zur Gründung zweier armenischer Parteien (1887 und 1890), die jedoch nur einen kleinen Teil der Bevölkerung hinter sich bringen konnten.
Gleichzeitig wurde in der Türkei, wie in vielen europäischen Ländern, der Nationalstaatsgedanke stärker. Das im Niedergang befindliche, multiethnische Osmanische Reich versuchte in der Tanzimat-Periode (1839–1879), den Staat durch Übernahme westlicher Konzepte zu reformieren und gleichzeitig äußere Einflüsse zurückzudrängen. Zunehmend wurde die Notwendigkeit von Reformen auch von den europäischen Mächten angemahnt und auf dem Berliner Kongress (1878) auch festgeschrieben, die dabei allerdings nicht frei von kolonialistischen Eigeninteressen waren. Eine Gleichstellung von türkischen Muslimen und christlichen Minderheiten wurde bis zum Sturz des Sultans Abdülhamid II. (1909) nicht realisiert; die in Artikel 61 in Berlin für die Armenier vereinbarten Reformen wurden nicht umgesetzt, sondern führten zu einer Verschlimmerung der Lage der Armenier. In der Folge der Reformbestrebungen entstand die jungtürkische Bewegung, die nach einer anfänglich vertretenen osmanistischen Ideologie das Ziel eines sprachlich und kulturell einheitlichen Staats vertrat. Nachdem die Jungtürken an die Macht gekommen waren, begannen sie, die Armenier, die nicht nur eine andere Sprache und Schrift hatten, sondern als Christen auch eine andere Religion praktizierten, als Fremdkörper in diesem angestrebten Staat anzusehen. Auch standen die seit Jahrtausenden in Ostanatolien beheimateten Armenier panturkistischen Bestrebungen im Wege, die eine Vereinigung der Turkvölker vom Balkan bis in die Mongolei erträumten.
Verlauf
Die Massaker von 1894 und 1896
Der wachsende Nationalismus führte zu Spannungen zwischen Kurden, die vielfach die gleichen Gebiete wie die Armenier bewohnten, und Armeniern, mit zunehmenden Verfolgungen der Armenier durch Kurden. Zusätzlich wurden den Armeniern sehr hohe Steuern auferlegt, die dem nach Unabhängigkeit strebenden Teil zusätzlich Anlässe zum Aufruhr lieferten.
Als 1894 Armenier in Sasun, einem Teil von Siirt (Provinz), in einer entlegenen Region südwestlich des Vansees gelegen, sich weigerten, die Steuern zu zahlen und sich gegen die Regierung auflehnten, töteten türkische Truppen mit Hilfe der Kurden tausende von Armeniern und brannten mehrere armenische Dörfer nieder.
Zwei Jahre später, am 26. August 1896, besetzten armenische Separatisten gewaltsam die Ottomanische Bank in Istanbul, um Autonomie für die armenischen Provinzen unter der Aufsicht europäischer Mächte, Freilassung armenischer Gefangenen und die Rückgabe beschlagnahmten Eigentums durchzusetzen. Ihre Forderungen wurden nicht erfüllt, sie konnten aber freien Abzug nach Marseille erreichen. Als Reaktion auf diesen Zwischenfall wurden zahlreiche Armenier verhaftet oder von aufgebrachten Menschenmengen unter Beteiligung von Regierungsstellen getötet. Man schätzt etwa 50.000 armenische Opfer.
Die Zeit von 1896 bis 1915
Sowohl zwischen den Massakern von 1894 und 1896 als auch danach gingen die armenisch-türkischen Konflikte in ähnlicher Art, wenn auch weniger intensiv, weiter; es kam zu einer Reihe weiterer Verfolgungen und Pogromen an den Armeniern. Hierfür wurde aus ehemaligen Sträflingen und anderen Freiwilligen eine eigene Miliz gebildet, die direkt dem Sultan unterstand und deshalb seinen Namen (Hamidie) trug.
1909 wurden während eines Aufstandes gegen die seit 1908 regierenden Jungtürken im kilikischen Adana und umliegenden Gebieten 20.000 bis 30.000 Armenier von Aufständischen als angebliche Unterstützer der neuen Regierung ermordet.
Schätzungen zufolge liegt die Gesamtzahl der armenischen Opfer von 1894 bis zum Beginn des Genozids von 1915 bei 200.000–300.000 Menschen.
Der Genozid von 1915
Im Ersten Weltkrieg (1914–1918) kämpfte das Osmanische Reich auf der Seite der Mittelmächte gegen die Entente, zu der auch Russland gehörte. Im russisch-türkischen Konflikt im Kaukasus unterstützte eine Minderheit der Armenier in der Hoffnung auf Unabhängigkeit die russische Seite; es gab auf russischer Seite armenische Freiwilligenbataillone.
Nach dem Scheitern der türkischen Offensive gegen Russland im Januar 1915 und dem Beginn von Operationen und Anwerbungen armenischer Kämpfer hinter den türkischen Linien machte die Staatsführung des Osmanischen Reichs die Armenier für die militärischen Probleme in Ostanatolien verantwortlich. Das jungtürkische „Komitee Einheit und Fortschritt“ beschloss die Vernichtung der Armenier und stellte dafür die Spezialeinheit Çete auf. Die armenischen Soldaten der türkischen Armeen wurden entwaffnet, in Arbeitsbataillonen zusammengefasst und schließlich fast alle ermordet.
Am 24. und 25. April 1915 wurden alle armenischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Führer, die sich in Konstantinopel aufhielten, verhaftet, deportiert und später großteils ermordet – insgesamt über 2.000 Personen.
Bis Juli des Jahres wurden die Armenier in ihren Hauptsiedlungsgebieten an sieben Orten konzentriert. Sie wurden entweder gleich dort von türkischen Polizisten und Soldaten oder kurdischen Hilfstruppen ermordet oder auf Befehl von Innenminister Talaat ab dem 27. Mai 1915 auf Todesmärsche über unwegsames Gebirge oder durch die Wüste Richtung Aleppo geschickt. Dabei ging es nicht um eine Umsiedlung; Talaat hatte den ausdrücklichen Befehl gegeben, „alle Armenier, die in der Türkei wohnen, gänzlich auszurotten“. In den folgenden zwei Jahren wurden nach und nach auch die in den westanatolischen Provinzen lebenden Armenier – mit Ausnahme von Konstantinopel und Smyrna, wo sich der deutsche General Liman von Sanders unter Androhung von militärischen Gegenmaßnahmen gegen die Deportationen und Massaker stellte – deportiert oder ermordet.
Etwa 100.000 Armenier überlebten die Todesmärsche, etwa 500.000 gelang die Flucht. Je nach Schätzung kamen etwa 600.000 bis 1.500.000 Armenier um. Hunderttausende Armenier, die den Völkermord überlebten, mussten emigrieren.
Weiterer Verlauf bis Kriegsende
Bis Juni 1916 besetzten russische Truppen den größten Teil West-Armeniens. Armenische Verbände, die mit der russischen Armee 1917 in die Türkei einrückten, nahmen Rache für den Völkermord und ermordeten besonders Kurden. Die Angaben über die Zahl der Toten in dieser Zeit schwanken zwischen einigen Zehntausend und 128.000.
1919 machten Militärgerichte der Sultansregierung den Führern der jungtürkischen Bewegung wegen des verlorenen Krieges den Prozess nach osmanischem Recht – die meisten von ihnen entzogen sich dem Todesurteil durch Flucht nach Europa.
Nach dem Vertrag von Sèvres von 1920 war die Gründung eines unabhängigen armenischen Staates vorgesehen, dessen Grenzen der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson im Auftrag der Signatarmächte des Vertrages festlegte. Dem versuchte die türkische Regierung durch Vollendung des Völkermords an den Armeniern zuvorzukommen und eine Gründung des Staats in Ostanatolien zu verhindern. Deshalb ließ sie noch einmal etwa 50.000 Armenier in Adana und 20.000 Armenier in Marasch ermorden. Trotzdem die Ententemächte den Armeniern vor dem Krieg Hilfe zugesichert hatten, schritten sie nicht ein. Die USA, aus denen seit 1894 Millionen Dollar private Hilfsgelder für die Armenier geflossen waren, waren ebensowenig bereit, ein Mandat für ein unabhängiges Armenien zu übernehmen.
Nach dem Zusammenbruch der russischen Regierung im Kaukasusgebiet infolge der Oktoberrevolution marschierten dort türkische Truppen ein, um die Armenier auch dort zu vernichten und die Schaffung eines armenischen Staates zu verhindern. Dabei wurden etwa 175.000 Armenier ermordet. Der Vormarsch der Türken konnte durch die zahlenmäßig weit unterlegenen Truppen der 1918 gegründeten Armenischen Republik in der Schlacht bei Sardarapat aufgehalten werden. Die fortdauernde Bedrohung der jungen Republik wurde schließlich durch das Eingreifen der 11. Armee der Roten Arbeiter- und Bauernarmee gestoppt. 1922 wurde Ost-Armenien (in den Grenzen der heutigen unabhängigen Republik Armenien) Teil der Sowjetunion.
Nach schweren Rückschlägen für die christlichen Bevölkerungsgruppen im türkisch-griechischen Krieg 1922 begannen in der Türkei im Rahmen der sogenannten Kleinasiatischen Katastrophe erneut Massaker an Christen in Smyrna (heute İzmir), bei denen etwa 25.000 bis 100.000 Christen ermordet wurden, vor allem Griechen, aber auch Armenier, darunter die gesamte armenische Gemeinde Smyrnas.
Nachkriegszeit
Der Großwesir Damad Ferid Pascha gestand am 11. Juni 1919 die Verbrechen öffentlich ein. In den sogenannten Istanbuler Prozessen (Unionistenprozesse) 1919–1921 wird auf Druck der alliierten Mächte vor einem Kriegsgericht des osmanischen Staates der in der Rechtsgeschichte erstmalige Versuch unternommen, Staats- und Kriegsverbrechen auf Regierungsebene zu ahnden. Mit den 31 Ministern der Kriegskabinette, die dem Komitee für Einheit und Fortschritt (Ittihat ve terakki cemiyeti), vulgo Jungtürken, angehört hatten, und zahlreichen regionalen und lokalen Beamten, Offizieren, Funktionären wird nach außen hin der Versuch unternommen, die Hauptverantwortlichen des Völkermordes zur Rechenschaft zu ziehen. Unter den Angeklagten findet sich unter anderem Talaat Pascha (ehemaliger Großwesir), Enver Pascha (ehemaliger Kriegsminister), Djemal Pascha (ehemaliger Marineminister). Diese werden in Abwesenheit zum Tode verurteilt, entzogen sich dem Prozess und Urteil jedoch durch Flucht nach Deutschland. Lediglich nachgeordnete Beamte werden zur Verantwortung gezogen.
1920 bezeichnete Kemal Atatürk, der Vater der Türken, den Völkermord an den Armeniern vor dem Parlament als „eine Schandtat der Vergangenheit“. Zu den drei jungtürkischen Führern hatte er ein gespanntes Verhältnis. Diese gelten als Hauptverantwortliche der Deportation, in Folge dessen wollte er sie auch nicht in den Reihen der türkischen Nationalbewegung sehen. Einem amerikanischen Diplomaten gegenüber ging Atatürk von 800.000 Toten aus und befürwortete eine harte Bestrafung der Täter.
Spätere türkische Regierungen leugneten dagegen den Völkermord an den Armeniern und stellten die Ermordungen als Folgen von Kriegshandlungen dar, ohne sich davon zu distanzieren. Während andere westeuropäische Staaten auf eine Verurteilung des Völkermordes drängten, unterstützte die deutsche Regierung lange Zeit die Position der türkischen Führung. Eine Dokumentation des deutschen Geistlichen und Orientkenners Johannes Lepsius zum Völkermord an den Armeniern wurde im August 1916 von der Reichsregierung verboten. Lepsius konnte jedoch nach dem Krieg eine Sammlung von aussagekräftigen Aktenstücken des deutschen auswärtigen Amtes publizieren, die bis heute eine der Hauptquellen für die Vorgänge ist (jetzt in einer ergänzten Neuauflage, hrsg. von Wolfgang Gust, die auch im Internet zugänglich ist, s. u.).
Am 15. März 1921 erschoss der armenische Student Soghomon Tehlirian im Berliner Exil den ehemaligen Innenminister Talaat Pascha, einen der Hauptverantwortlichen für den Genozid. Aufgrund der Darlegung der Geschehnisse in Armenien durch Augenzeugen (z. T. Überlebende wie Bischof Krikor Balakian) wurde der Täter aber vor Gericht freigesprochen. Wie sich später herausstellte, war Tehlerjan Mitglied eines armenischen Geheimbundes namens Nemesis, der Beteiligte an dem Völkermord ermordete. Er hatte zuvor bereits in İstanbul einen türkischen Politiker erschossen.
Am 31. März 1923 erklärte die Regierung Mustafa Kemal Atatürks eine allgemeine Amnestie für die im Zusammenhang mit dem Völkermord Angeklagten.
Vermutlich von dem Antisemiten Max Erwin von Scheubner-Richter, der auf Seiten der türkischen Armee gekämpft hatte, erfuhr Adolf Hitler Details über den Völkermord. Am 22. August 1939 sagte Hitler vor hohen Militärs und Kommandeuren der SS-Todesschwadronen: Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier? Damit versuchte er das Unrechtsbewusstsein der Täter zu beruhigen und ihnen die Angst vor Bestrafung zu nehmen.
Es gibt seitens des türkischen Staates auch heute noch Querschüsse. So ist das dem Minister Hüseyin Çelik unterstehende und von der EU subventionierte Erziehungsministerium noch im April 2003 mit Verleumdungsdekreten den EU-Kommissaren negativ aufgefallen. Das Erziehungsministerium veranlasste die türkische Schüler dazu, an einem Aufsatzwettbewerb gegen die angebliche "Völkermordlüge" der Armenier, Pontosgriechen sowie Syrisch-Orthodoxen mitzuwirken. Gleichzeitig verpflichtete das Ministerium die türkische Lehrerschaft zur Teilnahme an dazu passenden Fortbildungsmaßnahmen und hat die Neuauflagen veralteter türkischer Schulbücher vorgenommen, in denen Nicht-Muslime in der Türkei als "Spione", "Verräter" sowie "Barbaren" bezeichnet werden. Es fehlt auch nicht der Hinweis, dass deren Schulen, Kirchen sowie Synagogen "schädliche Gemeinden" sind. Obwohl die Türkei inzwischen von der EU für diese Verfügungen gerügt worden ist, blieb der umstrittene Hüseyin Çelik im Amt.
Einschätzung
Auch nach dem Völkermord und der Vertreibung der Armenier ging in der Türkei die Zerstörung armenischer Kulturgüter weiter. Noch 1998 wurde die Kirche Surb Arakelots in Kars in eine Moschee umgewandelt.
Völkermord-Mahnmal (erbaut 1965–1967) in Eriwan, Armenien
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Völkermord-Mahnmal (erbaut 1965–1967) in Eriwan, Armenien
In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts brachten eine Vielzahl von Terroranschlägen der armenischen Terrorgruppe Asala auf türkische Einrichtungen weltweit die Situation der Armenier und auch die Geschichte des Völkermordes in Erinnerung. Dabei ermordeten sie 46 Menschen und verletzten 81 Menschen schwer.
Bis heute versucht die türkische Regierung, eine Bewertung der Vorgänge als Völkermord zu verhindern. Deshalb gab es heftige diplomatische Auseinandersetzungen, so z. B. 2001 den Versuch, eine entsprechende Resolution der Französischen Nationalversammlung zu verhindern, die die Leugnung des Völkermords unter Strafe stellt. Gleichwohl haben inzwischen viele Parlamente entsprechende Verlautbarungen abgegeben (u. a. Belgien, Griechenland, Italien, Niederlande, Russland, Schweden, Schweiz, die Slowakei, Zypern, und 2004 auch Kanada) sowie internationale Organisationen wie der Europarat.
Brandenburg setzte 2002 als erstes Bundesland den Völkermord an den Armeniern auf den Lehrplan im Fach Geschichte. Nach Interventionen des türkischen Generalkonsuls wurde die entsprechende Stelle in den Richtlinien Anfang 2005 gestrichen, jedoch Ende Januar nach Protesten in der Öffentlichkeit in geänderter Form wieder aufgenommen. (FAZ 24.01.2005, Hamburger Abendblatt 27.01.2005)
Der Deutsche Bundestag debattierte in seiner Sitzung vom 24. April 2005 erstmals eine von CDU/CSU vorgelegte Entschließung, die die Türkei aufforderte, sich zu ihrer historischen Verantwortung für die Massaker an armenischen Christen im Osmanischen Reich zu bekennen. Redner verwiesen dabei auf die deutsche Mitverantwortung für die Gewalttaten durch das Wegschauen der deutschen Regierung, die durch ihre Gesandten über die Geschehnisse genau im Bilde war. Den Begriff des Völkermords vermied die Entschließung. Mit Rücksicht auf den Besuch von Kanzler Schröder in der Türkei wurde ihre Verabschiedung auf die Zeit nach der Reise verschoben.
In der zionistischen Bewegung war die Sicht auf den Völkermord von Anfang an sehr unterschiedlich: Während in Palästina unter Osmanischer Herrschaft geborene Juden sich „loyal“ verhielten und unterwürfig schwiegen, betrachteten russische Juden die Ereignisse kritischer:
„Wir, die Zionisten, empfinden aufrechtes Mitgefühl mit dem Schicksal des armenischen Volkes“.
Als im April 2000 Israels Erziehungsminister Yossi Sarid den armenischen Genozid in den Unterricht einzubringen versuchte, kam es zu einer Staatskrise mit der Türkei, da in einer Broschüre des israelischen Außenministeriums folgende Formulierung verwendet wurde:
„Nach dem ersten Weltkrieg, mit der Aufnahme von Flüchtlingen vom Massaker in Anatolien, vor allem dem Massenmord von 1915, wuchs die armenische Gemeinde“
Nach türkischer Intervention wurde diese geändert in:
„Nach dem ersten Weltkrieg wuchs die armenische Gemeinde.“
Um nicht dem türkischen Druck ausgesetzt zu sein, erkennt Israel das Leid der Armenier an, vermeidet jedoch eine Festlegung auf die historischen Umstände und die Schuldigen für das Geschehen. Jede Erwähnung von Völkermord und Genozid in Verbindung mit Türkei und Türken unterbleibt mit Rücksicht auf türkische Empfindlichkeiten. Die empörte armenische Reaktion darauf wird in einer offiziellen Stellungnahme beantwortet mit der Verlagerung in eine Historikerdebatte:
„Die Erforschung der Ereignisse bei diesem delikaten Thema muss durch eine öffentliche Diskussion und durch Historiker geschehen, natürlich nur aufgrund von Dokumenten und Tatsachen.“
Der Völkermord an den Armeniern ist in den letzten dreißig Jahren von einer Vielzahl von international renommierten Wissenschaftlern auf der Grundlage der diplomatischen Archive des (kriegsverbündeten) Deutschen Reichs, zahlreicher Augenzeugenberichte von US-amerikanischen Konsuln und Missionaren sowie der Zeugnisse von Überlebenden historisch erforscht und in seinen Grundzügen detailliert dargestellt worden. Die einschlägigen Vereinigungen international anerkannter Genozid-Forscher (z. B. die Association of Genocide Scholars) sowie führende Erforscher des jüdischen Holocaust wie Yehuda Bauer, Israel Charny und Stephen Feinstein haben entsprechende Resolutionen abgegeben und die Vorgänge eindeutig als Genozid bezeichnet. Teilaspekte des Geschehens sind jedoch aufgrund der Unauffindbarkeit eines Teils der osmanischen Archive und weiterer wichtiger Quellen nicht restlos aufgeklärt. Eine differenzierte Bewertung wird durch die offizielle Leugnungspolitik der Türkei erschwert.