"... Ich studierte damals meine Sketche mit Hilfe einer kleinen, auf einem Stativ befestigten Videokamera ein, die an einen Monitor angeschlossen war, auf dem ich meine Intonationen, meine Mimik, meine Gesten live überwachen konnte. Ich hatte mir seit langem ein einfaches Prinzip zu eigen gemacht: Wenn ich zu irgendeinem Zeitpunkt in Lachen ausbrach, dann hiess das, dass das Publikum an dieser Stelle höchstwahrscheinlich ebenfalls lachen würde. Während ich mir diese Kassetten ansah, stellte ich fest, dass mir dabei immer unbehaglicher zumute wurde, ein Gefühl, das manchmal in Ekel umschlug. Zwei Wochen vor der Premiere wurde mir der Grund für dieses Unbehagen plötzlich klar:
Weder mein Gesicht noch der stereotype Charakter mancher Mimiken aus dem Standardrepertoire jedes Komikers, die auch ich verwenden musste, waren daran schuld - nein, ich ertrug das Lachen nicht mehr, das Lachen als solches, diese plötzliche, heftige Verzerrung des Gesichts, die ihm augenblicklich alle Würde nimmt. Nicht umsonst ist der Mensch das einzige Lebewesen, das diese grässliche Gesichtsverzerrung zur Schau stellt, denn er ist auch der einzige, der den Egoismus der Tiernatur überwunden und das unterträgliche höchste Stadium erreicht hat: die Grausamkeit.
Die drei Wochen, in denen ich fast jeden Abend auf der Bühne stand, waren für mich ein Leidesweg ohne Ende; zum erstenmal erfuhr ich, welch furchtbarer Schmerz sich hinter dem Ausdruck ein trauriger Clown verbirgt; zum erstenmal verstand ich wirklich die Menschheit. Ich hatte das Räderwerk der Maschine blossgelegt und konnte es, wann immer ich wollte, in Bewegung setzen. Jeden Abend, ehe ich auf die Bühne ging, schluckte ich ein ganzes Röhrchen Xanax. Jedesmal, wenn das Publikum lachte (das konnte ich voraussehen, ich dosierte die Lacheffekte methodisch, schliesslich war ich ein Profi), fühlte ich mich gezwungen, den Blick abzuwenden, um diese blöden Gesichter nicht zu sehen, Hunderte vor Hass zusammenzuckende Gesichter."
- Michel Houellebecq "Die Möglichkeit einer Insel"