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Balkanreise 1975

Das Folgende fällt mir erst jetzt ein bzw. war mir vorher nicht klar.

Meine Gastfamilie in Dvor na Uni sprach nie über Nationalitäten, d.h. wer Serbe, Kroate oder sonstwas war. Ich hatte den Eindruck, das war ein Tabuthema bei denen - wie ich drauf kam, weiss ich nicht mehr, und es gibt auch niemanden aus der Familie, den ich jetzt fragen könnte. Vielleicht bildete ich mir das auch ein.

Jedenfalls fragte ich dann auch nie nach, und reimte mir im Kopf mein Eigenes über die Nationalitäten in Jugoslawien zusammen - durchaus fehlerhaft, wie ich heute weiss.

Also, mein Jugoslawien-Bild von 1975 :rolleyes:

In Kroatien leben Kroaten. Die einen von denen sind katholisch, andere sind Atheisten. Die älteren Frauen laufen in Schwarz herum, wie ich das aus Italien kannte. Die Schrift ist lateinisch.

In Bosnien leben Bosnier. Und ein paar Albaner, die Slastičarne betreiben. Die Bosnier sind Muslime (erkennbar an den Minaretten in den Ortschaften) oder Atheisten. Die älteren Frauen, zumindestens auf dem Land, laufen in bunten Pluderhosen herum. Ihre Schrift ist kyrillisch.


Ich sah wohl auch in Dvor Leute, die Zeitungen in Cirilica lasen. Von denen dachte ich, das sind halt Bosnier, die Grenze ist ja nur ein paar Kilometer weiter. Dass ich mich, sowohl in Dvor als auch in Bosanski Novi, in der kroatischen bzw. bosnischen Krajina, also im - damals - mehrheitlich serbisch besiedelten Gebiet befand, ahnte ich nicht.

Bis zum Bosnienkrieg unterlag ich diesem Irrtum. Dass man in Sarajevo Latinica schreibt, erkannte ich erst 1993 durch ein Zeitungsfoto, auf dem ein Schild abgebildet war: PAZI SNAJPER ... :confused:
 
Irgendwann kam meine Arbeitsbereitschaft dann doch noch zum Einsatz.
In einem Dorf namens Udetin, damals (heute weiss ich nicht) nur über einen abenteurlichen Feldweg erreichbar, wollte St. ein neues Haus bauen. In größeren Dvor gab es nämlich eine Vorschrift, dass Neubauten nur noch mindestens zweigeschossig erlaubt seien, aber für ein Obergeschoss fehlte das Geld, und es war für die beiden alten Herrschaften auch nicht nötig.

Also schuckelte Stojan mit seinem Sohn und einem Freund in seinem alten Zastava die 10 km nach Udetin - ich sollte nachkommen, wenn mein Kater transportabel genug sei. D.h. sie fuhren nach dem Frühstück einfach los und liessen mich schlafen. Zu Fuß und auf einem vorbeikommenden Traktor war ich bis ca. Mittag dann auch da.

Am unteren Rand seiner mit Zwetschgenbäumen bestandenen Wiese gruben wir mit 2 Spitzhacken ein Fundament. D.h. zwei pickelten und zwei ruhten sich aus - es war ein gemütliches Arbeiten. Bis abends hatten wir tatsächlich einen viereckigen Graben ausgehoben.

So weit ich weiss, ist der Hausbau nie weiter fortgeschritten als bis zu diesem Fundament. Der arme Stojan ist nämlich ein paar Jahre später gestorben, und sein Sohn hat an einer anderen, weniger abgelegenen, Stelle gebaut.


P.S.
Der Zastava 1300 war ein Nachbau des Fiat 1300 - von letzterem gibt's im Gegensatz zum Zastava ein Wikipedia-Bild, das man kopieren darf. Stojan's gutes Stück hat wie dieser Fiat ausgesehen, nur gelb.

250px-Fiat1300a.jpg
 
Wow, hört sich echt abenteuerlich an und voller Leben.
Danke für die Blumen :birdman:
Dann grab ich mal weiter in meinen Erinnerungen:


Irgendwann besuchte A. mit mir eine Freundin plus Ehemann und Kleinkind (das mit 2 Jahren die gängigen deutschen Automarken unterscheiden konnte) in Bosanski Novi. Das liegt 3 km von Dvor entfernt - heute heisst es Novi Grad und ist von Dvor durch die kroatisch-bosnische Grenze getrennt. Beiden Orten und ihrer Bevölkerung ist im späteren Krieg übel mitgespielt worden.

Dieser Ehemann, ein Gymnasiallehrer namens Ante, kannte den Fluss Una, der Dvor von Bosanski Novi trennt, wie seine Hosentasche. Da er gerade vor hatte, mit ein paar Freunden die Una per Schlauchboot zu durchfahren, fragte ich, ob ich ein Stück mitfahren dürfe. Nach längerer Erörterung der Risiken - ich kannte die Sprache kaum und war vollkommen untrainiert - erlaubte man mir, ein Stück mitzukommen. Meine Vorfreude auf dieses Abenteuer war groß.

Wie, vereinbart, fuhr ich ein paar Tage später nach in ein Dorf namens Ripac, das eine Bahnstation hinter Bihac, dem größten Ort in West-Bosnien, liegt (im Bosnien-Krieg war Bihac fast drei Jahre von serbischen Truppen eingekesselt). Dort sollte ich auf die Schlauchbootfahrer warten.

Ripac war damals ein wunderschönes Dorf - wie es heute aussieht, weiss ich nicht.
Wenn man vom Bahnhof oder mit dem Auto in den Ort kam (Bahn und Straße verlaufen parallel), sah man erst ein paar Häuser, eine Slasticarna, das ist eine Art Cafe, in dem es im Wesentlichen Süßes gibt, und ein kleines Hotel. Von dort ging eine Straße zur Una hinunter, wobei sich der Fluss dort teilt und viele kleine Inseln setzt - ein Großteil der Häuser lag auf diesen durch kleine Brücken verbundenen Inseln.

Ante hatte mir eine Insel beschrieben, auf der ich warten sollte. Ich verliess also den Bahnhof, fand einen Wegweiser mit "otoka" (Inseln) und folgte dem. Als ich an der Slasticarna vorbeikam, rief ein Mann aus der Tür heraus:
"Gutten Tag - wie gäht's ?"
 
"Gutten Tag - wie gäht's ?"
Es stellte sich heraus, dass dies die einzigen deutschen Worte waren, die der albanische Slastičarna-Inhaber kannte. Aber das war nicht weiter schlimm. Inzwischen hatten eine größere Menge Kinder auf der Straße versammelt, die unbedingt wissen wollten, was für ein Exot sich da in ihr Dorf verrirrt hatte. Da ein fliessend österreichisch sprechendes Migrantenmädchen - vielleicht zehn Jahre alt - dabei war, lief es auch sprachlich ohne Probleme.

Die Kinder wichen mir nicht mehr von der Seite. Besonders mein kleines gelbes Wörterbuch war heiss umkämpft. Die kommenden zwei Tage, die ich im Dorf verbringen würde, gab es einen neuen Gruß: Nema čamac = kein Boot da. Grammatikalisch ist das wahrscheinlich nicht ganz richtig, aber die Kinder nahmen wohl Rücksicht auf meine bescheidenen Sprachkenntnisse.

Am ersten Abend stellte sich dann die Frage, wo ich schlafen sollte. Denn das Hotel konnte ich mir nicht leisten. Zuerst war von einer alten Mühlen-Ruine die Rede, aber dann gab es wohl einen kleinen Wettstreit unter den Kindern, welche Eltern als erstes einer Einquartierung meinerseits zustimmen würden; der ca. 15jährige Sieger packte meinen Rucksack in ein kleines Boot, mich dazu und fuhr uns dann auf eine Insel, mit einer Schaufel als Ruder. Ich weiss noch, dass der Familienvater Medo hiess; ansonsten wurde es eine lange, feucht-fröhliche Nacht.
 
Du schreibst gut Grizzly, vielleicht solltest du mal ein Büchlein darüber schreiben? ;)
 
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