[h1]Baskenland und Amselfeld[/h1]
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13. Oktober 2008 BARCELONA, im Oktober
Aus Sicht der serbischen Regierung war die vergangene Woche keine gute Woche für Serbien, auch wenn es zumindest eine erfreuliche Nachricht gab: Belgrad feierte die Entscheidung der UN-Vollversammlung, den Internationalen Gerichtshof um eine Einschätzung der Frage zu bitten, ob die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo mit dem Völkerrecht vereinbar war, als wichtigen Etappensieg. Doch wurde der Erfolg in New York von zwei Niederlagen eingerahmt: Kurz zuvor hatte Portugal das Kosovo als Staat anerkannt, unmittelbar danach folgten Mazedonien sowie Montenegro. Vor allem der Schritt des "Brudervolkes" aus dem Land der schwarzen Berge hat in nationalistischen Kreisen Serbiens für Empörung gesorgt, und selbst bei gemäßigten Kräften war Unverständnis nicht die seltenste Reaktion. Dass dann das Nobelkomitee in Oslo auch noch den ehemaligen UN-Vermittler Martti Ahtisaari, einen der geistigen Väter der kosovarischen Unabhängigkeit, zum Friedensnobelpreisträger kürte, war aus regierungsamtlich-serbischer Sicht nur die Bestätigung der einem gewissen Herrn Murphy zugeschriebenen Sentenz, nach der im Leben alles misslingt, was nur irgend misslingen kann.
Abgesehen vom "Verrat" Montenegros, schmerzte im Belgrader Außenamt vor allem das diplomatische Erdbeben von Lissabon. Kurz vor der Abstimmung der UN-Vollversammlung hatte die portugiesische Regierung mitgeteilt, dass sie als nunmehr 22. Regierung eines EU-Staates die Eigenständigkeit der ehemaligen Provinz Serbiens anerkenne. Zuvor war Portugal neben Spanien, Rumänien, Griechenland, der Slowakei und Zypern Teil jener schrumpfenden Koalition der Unwilligen in der EU gewesen, die Serbiens Position zumindest indirekt unterstützt. Für Belgrad war Lissabons frühere Haltung wertvoll, weil sich der portugiesischen Ablehnung kein innenpolitisches Kalkül unterstellen ließ. Alle anderen EU-Gegner eines unabhängigen Kosovo stehen dessen Eigenstaatlichkeit mit Rücksicht auf eigene Querelen mit Minderheiten (respektive im Fall Griechenlands aus Rücksicht auf Zypern) ablehnend gegenüber - Portugals Haltung hingegen schien tatsächlich von einem Unbehagen am völkerrechtlichen Präzedenzfall der kosovarischen Staatswerdung getragen. Bemerkenswert ist daher die in den serbischen Medien ausführlich wiedergegebene Begründung, die der portugiesische Außenminister Luís Amado für die Entscheidung seiner Regierung gab - denn er sprach, mit Blick auf den Kaukasus, von "Veränderungen im geopolitischen Kontext". Durch die Anerkennung Abchasiens und Ossetiens "hat Russland direkt auch die Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt", zitierte der Belgrader Sender "B92" den Minister.
Immer deutlicher zeichnet sich nun ab, dass Belgrad im aussichtslosen, aber wohl bis auf weiteres innenpolitisch nötigen Ringen um das Kosovo verstärkt auf Madrid als Bundesgenossen setzen wird. Schließlich ist Spanien neben Griechenland, das zumindest regionale Bedeutung hat, das einzige verbliebene EU-Mitglied von Gewicht, das sich einer Anerkennung des Kosovo widersetzt. Davon berichtete auch der spanische Politikwissenschaftler Jordi Vaquer i Fanés von der in Barcelona ansässigen Stiftung für internationale Beziehungen und Entwicklungsstudien (Cidob), die von dem ehemaligen spanischen Verteidigungsminister Narcís Serra geleitet wird und als eine der führenden spanischen Denkfabriken gilt. Cidob hatte in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und der auf Studien zu Südosteuropa spezialisierten Europäischen Stabilitätsinitiative (Berlin/Istanbul) unlängst zu einer Balkan-Konferenz nach Barcelona geladen, bei der es auch um Spaniens Haltung zum Kosovo ging.
Laut Vaquer i Fanés, der zu diesem Thema jüngst einen Beitrag in "El País" veröffentlichte, ist nicht mit einem baldigen Sinneswandel Madrids zu rechnen: "Die Entscheidung, das Kosovo nicht anzuerkennen, genießt bei Regierung und Opposition Rückhalt. Der Druck anderer EU-Staaten wird daran kaum etwas ändern." Er erinnert daran, dass sich sein Land zur Zeit der Proklamation von Prishtina am 17. Februar bereits tief im Wahlkampf für die Parlamentswahlen vom 9. März befand, und Mariano Rajoy, der Spitzenkandidat der oppositionellen spanischen Volkspartei, damals deutlich gemacht habe, dass für ihn nur die unumwundene Ablehnung der Unabhängigkeit in Frage komme. Darauf habe die Regierung reagieren müssen. "Die Sozialisten fürchteten, dass auch das leiseste Zögern beim Thema Kosovo von der Volkspartei als Zeichen der Schwäche vor katalanischen und baskischen Nationalisten, die kein Geheimnis aus ihrer Unterstützung für die kosovarische Unabhängigkeit machten, ausgeschlachtet werden könne." Die Regierung Zapatero habe zwar stets hervorgehoben, dass es zwischen spanischen und balkanischen Verhältnissen keinerlei Parallelen gebe, sich jedoch auch beeilt, der Opposition in der Verurteilung der Ereignisse von Prishtina nicht nachzustehen. Außenminister Moratinos verglich die Geschehnisse auf dem Amselfeld gar mit der unpopulären Besetzung des Irak, an der Spanien unter der Vorgängerregierung von Ministerpräsident José María Aznar mitgewirkt hatte. Moratinos tat sich auch durch andere öffentlichkeitswirksame Verurteilungen der Loslösung des Kosovo von Serbien hervor, was man ihm in Belgrad bis heute dankt. Da auch der persönliche Werdegang der Akteure nun einmal eine Rolle spielt in der Politik, ist es dabei wohl zumindest erwähnenswert, dass Moratinos seinen ersten Auslandsposten als Diplomat an der spanischen Botschaft in Belgrad hatte, wo er von 1980 bis 1984 tätig war.
Serbiens Außenminister Vuk Jeremic dankte dieser Tage wieder für Spaniens Unterstützung. Man hofft in Belgrad, dass sich auch die Staaten Südamerikas weiter an das spanische Beispiel halten und die Brasilianer dem portugiesischen nicht folgen werden. Die serbische Dankbarkeit rief indessen bei der Regierung Zapatero, die Madrid nach den "transatlantischen" Jahren Aznars doch wieder näher an Europa führen wolle, eher Betretenheit hervor, so Vaquer: "Wenn das Vorgehen der EU als unrechtmäßig gilt, weil es nicht von den Vereinten Nationen gebilligt wird, bedeutet das, einem Zusammenschluss ziemlich vieler undemokratischer Staaten, wie es die Vereinten Nationen sind, mehr Legitimität zuzugestehen als einer Vereinigung von Staaten mit sehr hohen demokratischen Standards, wie es die EU ist. Da stellen sich viele die Frage, ob Spanien nicht auf der falschen Seite steht." Sarkastisch verortete der kosovarische Publizist Veton Surroi Spanien denn auch als Teil einer Achse "Moskau-Madrid-Managua".
Im Baskenland scheint man allerdings auf das "Modell Amselfeld" ohnehin nicht sonderlich erpicht zu sein, da man ein besseres Beispiel vom Balkan parat zu haben glaubt: Nie zuvor und nie danach wurden jedenfalls so viele baskische Journalisten in der Region gesichtet wie am 21. Mai 2006 in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica. Damals stimmte Montenegro in einem Referendum über die Unabhängigkeit von Serbien ab.
Text: F.A.Z.