Bevor jetzt die "üblichen Verdächtigen" gleich losbellen - lest auch den letzten Absatz!
Wladimir Putin muss den Offenbarungseid leisten
Von Martin Stricker | 19.07.2014 - 06:00 | Salzburger Nachrichten
Die Zeit der Jahrmarkttricks ist für den Kreml vorüber. Eine internationale Kommission muss die Tragödie untersuchen.
Noch sind letzte Zweifel offen. Doch die Indizien wiegen schwer. 189 Niederländer, 44 Malaysier, 27 Australier, zwölf Indonesier, zehn Briten, vier Deutsche, vier Belgier, drei Philippiner sowie ein Kanadier und ein Neuseeländer mussten sterben, weil ihr Flugzeug über der Ukraine von einer Rakete zerfetzt wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um einen Irrtum - wenigstens ist das zu hoffen. Die sogenannten Separatisten im Osten des Landes haben bereits mehrfach Flugzeuge abgeschossen, darunter eine ukrainische Transportmaschine auf 6500 Meter Flughöhe. Die letzte Rakete aber traf die Boeing 777 der Malaysia Airlines auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat recht. "Diese Tragödie wäre nicht passiert, wenn es auf dieser Erde Frieden gäbe, wenn nicht die Kampfhandlungen im Südosten der Ukraine wieder aufgenommen worden wären", sagte er in Moskau. Es klang wie ein Eingeständnis.
Die tödliche Rakete war russischer Bauart. Genauso wie es russische Panzer, russische Waffen, russische Ausrüstung und russische Kämpfer sind, die seit Wochen über die Grenze in die Ukraine gelangen, wo im Auftrag des Kreml und dank seiner Unterstützung ein wenig nationalistische Geopolitik gespielt wird, wo Tod und Zerstörung in Kauf genommen und ein Konflikt geschürt wird. So wie in Syrien übrigens, das unter der schützenden Hand Moskaus zur Hölle auf Erden geworden ist. Da wie dort ist das Ziel die Wiederherstellung einstiger russischer Macht und die Überwindung der empfundenen eigenen Minderwertigkeit - stets in einem Poker, der immer wieder bis an die Schmerzgrenzen der Weltgemeinschaft geht, diese, wie in Syrien, auch immer weiter hinausschiebt. Doch jetzt ist der Poker schiefgelaufen. Das Maß ist voll. Die Zeit der billigen Putin'schen Tricks ist vorüber.
Sympathisanten in Nachbarländern mit russischen Pässen ausstatten und dann zu deren Schutz ausrücken?
Vor den Olympischen Winterspielen ein paar eingekerkerte Kritiker und drei Pussy-Riot-Mädchen freilassen, ein paar Wochen lang in der merkwürdigen Welt des Sports Hof halten und wenig später in die Ukraine einfallen, die es gewagt hat, sich nach Westen zu wenden und nicht zu Putin?
Fallschirmjäger auf die Krim schicken und vor den TV-Kameras der Welt abstreiten, dass es sie gibt, nur um die Helden der Nation später öffentlich zu belobigen?
Der Mann braucht Grenzen. Eine unabhängige internationale Kommission muss den Absturz von MH17 untersuchen und klären. Die Zusammenstellung des Gremiums könnte vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vorgenommen werden. Der UNO-Sicherheitsrat muss das Mandat erteilen und dieses Mandat darf nicht eingeschränkt sein - so wie es auf Russlands Veranlassung hin der Fall war, als die syrischen Giftgasangriffe in Damaskus untersucht worden sind. Alle Karten müssen auf den Tisch. Sämtliche Satellitenbilder aus Ost und West müssen vorgelegt werden, ebenso die Protokolle und Audiodateien der abgehörten Gespräche der Separatisten. Zeugen müssen vernommen werden, Fachleute und Militärs. Alles muss geprüft werden. Dies muss vor den Augen der Weltöffentlichkeit geschehen.
Wohlgemerkt:
Es geht um die Methoden, nicht die Ziele Russlands. Jedes Land hat das Recht, von alter - oder neuer - nationaler Größe zu träumen und zu versuchen, sie zu erlangen, selbst wenn es seltsam aus der Zeit wirkt.
Auch teilen viele Menschen die Kritik an einer Gesellschaft, die sich weitgehend bedingungslos einem wertfreien Kapitalismus untergeordnet hat, der noch dazu die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstört. Überall sind Kulturen und Religionen auf der Suche nach neuen Wegen und wer immer in dieser großen Debatte mitreden möchte, ist willkommen. Doch weder nationale Größe noch ein neues Gesellschaftsmodell können mit Lüge, Gewalt und Aggression entstehen.
Die Renaissance der untergegangenen UdSSR ist ebenso wenig eine Lösung wie das Kalifat verwirrter Bartträger in den Wüsten des Mittleren Ostens oder der biblische Steinzeit-Fundamentalismus, wie er in Israel und den USA anzutreffen ist; von den kruden Verschwörungstheorien des rechten Randes gar nicht zu reden.
Zeit für Transparenz und Offenheit. Endlich Zeit auch zu zeigen, dass es rote Linien tatsächlich gibt.