Ein übles Stück Zeitgeschichte, von Anfang an Scheiße gelaufen.
Auf der einen Seite ist die Ukraine natürlich ein souveräner Staat und von Russland unabhängig, jedenfalls pro forma. In den vergangenen Jahren hat man das nicht so richtig wahrgenommen, weil immer wieder Herrscher das Land regiert haben, die es quasi als Anhang Russlands positioniert haben. Nun aber, nachdem die Bevölkerung vor allem aus dem westlichen Landesteil monatelang auf dem Majdan protestiert hat und die alte Regierung entmachtet wurde, strebt die Ukraine westwärts- zumindest ihr westlicher Teil. Das ist nachvollziehbar, Lemberg oder Kiew sind nicht weit von der EU und wer als Ukrainer Städte wie Rzeszów, Košice oder Nyíregyháza von früher kennt und heute sieht, und sie mit ukrainischen Städten gleicher Rangordnung vergleicht, der wird den Verdacht nicht los, daß sein Land nur den zweitbesten Weg beschreitet. Was liegt also näher, als ebenfalls die Annäherung an die EU zu suchen? Moskau ist schließlich weit weg.
Auf der anderen Seite leben in der Ukraine vor allem im Osten und Süden, nicht erst seit sowjetischen Zeiten, eine Menge Menschen, die eigentlich eher ethnische Russen sind und die sich emotional eher nach Osten orientieren. Und neben dieser emotionalen Bindung gibt es auch eine ganz rationale. Die Industrie im Donbass, von der die meisten Menschen dort leben, ist wirtschaftlich eng mit Russland verflochten; auf dem (west-) europäischen Markt sind die Produkte praktisch nicht verkäuflich. Und natürlich gibt es Zukunftsängste. Möglich, daß eine Annäherung an die EU Wohlstand brächte, was aber wenn nicht? Auch wenn die Option Anbindung an Russland noch deutliche Optimierungsreserven hat, so ist sie doch eine relativ sichere Sache, da weiß man, was auf einen zukommt und eine gewisse Zukunftssicherheit ist ja nicht das Verkehrteste. Jedenfalls besser als ein weit entferntes Luftschloß im ebenso weit entfernten Brüssel.
Und dann ist da noch Russland, dem man anläßlich der deutschen Einigung mal versprochen hat, daß der Westen sein Einflußgebiet nicht weiter nach Westen ausweiten wird. Bekanntermaßen sind weite Teile des ehemaligen Warschauer Paktes mittlerweile Mitglied in NATO und EU, mit den drei baltischen Staaten sogar Teile der ehemaligen UdSSR. Und nun also auch noch die Ukraine, die allein von ihrer Größe her schon ein ganz anderes Kaliber ist. Nicht zu vergessen, daß auf diesem Gebiet auch der Ursprung der russischen Nation liegt, die Ukraine ist also den Russen, was den Serben der Kosovo. Und anscheinend braucht Putin auch innenpolitisch ein bißchen Glanz und Gloria.
Der Westen trägt also eine Mitschuld an den Ereignissen, die längst eine Eigendynamik entwickelt haben, die niemand mehr so richtig beherrscht. Und das ist das eigentlich besorgniserregende an der ganzen Sache. Noch wird miteinander geredet (oder zumindest aneinander vorbei) und mit Handelssanktionen agiert. Aber die Geschichte hat gelehrt, daß solche Situationen schnell eskalieren können.
Am Ende wird die ukrainische Führung wohl doch mit den "Terroristen" verhandeln müssen. Immerhin richtete sich der Aufstand im Osten ja auch nicht gegen eine demokratisch gewählte Regierung, sondern gegen eine revolutionäre Übergangsregierung.
Was spräche eigentlich gegen eine Teilung der Ukraine?