Deutsches Kaiserreich
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Deutsches Reich
1871–1918Nationalflagge des Deutschen Reiches: Schwarz-Weiß-Rot
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Norddeutscher Bund ↔
Weimarer Republik Flagge Schwarz-Rot-Gold
VerfassungVerfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871AmtsspracheDeutschHauptstadtBerlinRegierungsformKonstitutionelle MonarchieKaiser
1871–1888
1888
1888–1918
Wilhelm I.
Friedrich III.
Wilhelm II.Fläche (1910)540.858
km²Einwohnerzahl
1871 (1. Dezember)
1890 (1. Dezember)
1910 (1. Dezember)
41.058.792 Ew.
49.428.470 Ew.
64.925.993 Ew.
Bevölkerungsdichte
1871
1890
1910
76 Ew. pro km²
91 Ew. pro km²
120 Ew. pro km²
Staatsgründung
1. Januar 1871
18. Januar 1871
Inkrafttreten der
Novemberverträge
ProklamationNationalhymneKeine.
Kaiserhymne: Heil dir im SiegerkranzNationalfeiertaginoffiziell 2. September (
Sedantag)
Währung1
Mark = 100
PfennigKarteDas
Deutsche Kaiserreich wurde mit der Proklamation des
preußischen Königs Wilhelms I. zum
Deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal des
Schlosses Versailles offiziell
gegründet, unmittelbar im Zusammenhang mit dem Sieg des
Norddeutschen Bundes und der mit ihm verbündeten süddeutschen Staaten im
Deutsch-Französischen Krieg. Auf
kleindeutscher Grundlage und unter der Herrschaft der preußischen
Hohenzollern war damit erstmals ein deutscher
Nationalstaat entstanden.
Der
Bundesstaat mit dem Namen
Deutsches Reich war bis zur
Novemberrevolution und der bei der Republikausrufung verkündeten Abdankung
Wilhelms II. am 9. November 1918 eine am
monarchischen Prinzip ausgerichtete
konstitutionelle Monarchie. Es gab zwar einen nach dem allgemeinen Männerwahlrecht gewählten
Reichstag und
Parteien, allerdings bedurften
Gesetze auch der Zustimmung des
Bundesrats, in dem Preußen den Ton angab. Wie in vielen anderen
Monarchien wurde der
Regierungschef, der Reichskanzler, vom Monarchen ernannt, allerdings gelang es in Deutschland den Parteien nicht, den entscheidenden Einfluss auf die Auswahl zu erlangen.
Während der Zeit des Kaiserreichs war
Deutschland wirtschafts- und sozialgeschichtlich geprägt durch die
Hochindustrialisierung. Ökonomisch und sozial-strukturell wandelte es sich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts von einem
landwirtschaftlich dominierten zu einem
industriell ausgerichteten Staat. Auch der
Dienstleistungssektor gewann mit dem Ausbau des
Handels und des
Bankwesens wachsende Bedeutung. Das Wirtschaftswachstum wurde durch den
Gründerkrach von 1873 und die ihm folgende langjährige Konjunkturkrise zeitweilig getrübt. Trotz erheblicher politischer Folgen änderte dies nichts an der strukturellen Entwicklung hin zum Industriestaat.
Kennzeichnend für den gesellschaftlichen Wandel waren ein rapides
Bevölkerungswachstum,
Binnenwanderung und
Urbanisierung. Die Gesellschaftsstruktur wurde durch die Zunahme der städtischen Arbeiterbevölkerung und – vor allem in den Jahren ab etwa 1890 – auch des neuen Mittelstandes aus Technikern, Angestellten, sowie kleinen und mittleren Beamten wesentlich verändert. Dagegen ging der Einfluss des Handwerks und des Adels – bezogen auf deren Beiträge zum
Bruttosozialprodukt – eher zurück. Allerdings behielt der Adel sein hohes Sozialprestige und konnte weiterhin seine dominante Rolle beim Militär, in der Diplomatie und der höheren Zivilverwaltung behaupten.
[1]
Die innen- und außenpolitische Entwicklung wurde bis 1890 vom ersten und am längsten amtierenden
Kanzler des Reiches,
Otto von Bismarck, bestimmt. Dessen Regierungszeit lässt sich in eine relativ
liberale Phase, geprägt von innenpolitischen Reformen und vom
Kulturkampf, und eine eher konservativ geprägte Zeit nach 1878/79 einteilen. Als Zäsur gilt der Übergang zum Staatsinterventionismus (
Schutzzoll,
Sozialversicherung) und das
Sozialistengesetz. Bismarck versuchte, das Reich durch ein komplexes
Bündnissystem abzusichern. In seine Amtszeit fiel auch der – wenn auch erst später intensivierte – Einstieg in den überseeischen
Imperialismus. Daraus folgten zunehmend internationale Interessenkonflikte mit anderen Kolonialmächten, insbesondere der
Weltmacht Großbritannien.
Die Phase nach der Ära Bismarck wird in der
Historiographie oft als
Wilhelminisches Zeitalter bezeichnet, weil Kaiser Wilhelm II. (ab 1888) nach der Entlassung Bismarcks persönlich in erheblichem Umfang Einfluss auf die Tagespolitik ausübte. Allerdings spielten daneben auch andere, teilweise konkurrierende Akteure eine wichtige Rolle. Sie beeinflussten die Entscheidungen des Kaisers und ließen sie oft widersprüchlich und unberechenbar erscheinen.
Durch den Aufstieg von Massenverbänden und -parteien sowie der wachsenden Bedeutung der Presse gewann zudem die öffentliche Meinung an Gewicht. Nicht zuletzt darum versuchte die Regierung mit einer imperialistischen Weltpolitik, einer antisozialdemokratischen Sammlungspolitik und einer populären Flottenrüstung ihren Rückhalt in der Bevölkerung zu erhöhen. Außenpolitisch führte Wilhelms Weltmachtstreben jedoch in die Isolation; durch diese Politik hat das Reich dazu beigetragen, die Gefahren eines großen Krieges zu erhöhen. Als dieser
Erste Weltkrieg schließlich 1914 ausgelöst wurde, war das Reich in einen Mehrfrontenkrieg verwickelt. Auch in der Innenpolitik gewann das Militär an Einfluss. Mit der zunehmenden Anzahl von Kriegstoten an den Fronten und der sozialen Not in der Heimat begann die Monarchie an Rückhalt zu verlieren.
Erst gegen Kriegsende kam es zu den
Oktoberreformen 1918, die unter anderem bestimmten, dass der Reichskanzler das Vertrauen des Reichstages haben musste. Schon bald darauf wurde in der
Novemberrevolution die
Republik ausgerufen, und die
verfassunggebende Nationalversammlung in Weimar konstituierte das Reich 1919 als
parlamentarische Demokratie. Das heutige Deutschland ist als Staat mit dem Kaiserreich identisch, auch wenn sich
Regierungsform und
Staatsgebiet mehrmals geändert haben.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte [Bearbeiten]
Die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts war bis zur Nationalstaatsgründung geprägt von vielfachen politischen und territorialen Veränderungen, die nach dem Ende des
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ab 1806 in eine neue Phase eingetreten waren. Das
Alte Reich, ein von den
römisch-deutschen Kaisern geführtes
vor- und übernationales Gebilde, war zunehmend geprägt gewesen von den Interessengegensätzen seiner beiden Großmächte:
Österreich und dem aufstrebenden
Preußen. Es zerbrach durch die
Napoleonischen Kriege und die von Frankreich initiierte Gründung des
Rheinbundes.
Die
Französische Revolution seit 1789 und die
Befreiungskriege gegen
Napoleon Bonaparte führten in nahezu ganz Europa, einschließlich des deutschen Sprachraums, zu
Nationalstaatsbewegungen mit der Vorstellung der
Nation als Grundlage der Staatenbildung. Als
Großdeutsche Lösung wurde dabei ein einheitliches Reich unter Einbeziehung des deutschen Siedlungsgebietes des
Kaisertums Österreich bezeichnet, als
Kleindeutsche Lösung ein Reich entsprechend ohne Österreich, sondern unter preußischer Führung.
Nach dem Sieg der gegen Frankreich stehenden Mächte Europas (ihnen voran Großbritannien, Preußen, Russland und Österreich) über die Armeen Napoleons I. hatten die deutschen Fürsten jedoch kein Interesse an einer zentralen Macht, die ihre eigene Herrschaft begrenzen würde. Auf dem
Wiener Kongress wurde 1815 daher lediglich der
Deutsche Bund gegründet, ein lockerer Zusammenschluss jener Gebiete, die vor 1806 zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehört hatten. Die dem Wiener Kongress folgende, in der späteren Geschichtsschreibung als
Vormärz bezeichnete Ära war geprägt von der
Restaurationspolitik, die überstaatlich vom österreichischen Staatskanzler
Clemens Wenzel Fürst von Metternich dominiert war. Im Rahmen der sogenannten
Heiligen Allianz, einem zunächst zwischen Österreich, Preußen und Russland geschlossenen Bündnis, sollte die Restauration innenpolitisch und zwischenstaatlich die Machtverhältnisse des
Ancien Régime in Europa wiederherstellen, wie sie vor der französischen Revolution von 1789 geherrscht hatten.
Jubelnde Revolutionäre nach Barrikadenkämpfen am 18. März 1848 in Berlin
Nationalstaatliche und
bürgerlich-
demokratische Bewegungen standen der Restaurationspolitik entgegen. Sie führten zu zahlreichen
Erhebungen in weiten Teilen Mitteleuropas, zu denen schließlich auch die
Märzrevolution von 1848 in den deutschen Staaten zählt. Abgeordnete des durch die Revolution neu entstandenen ersten gesamtdeutschen, demokratisch gewählten Parlaments, der
Frankfurter Nationalversammlung, boten nach der Verabschiedung der sogenannten
Paulskirchenverfassung dem preußischen König
Friedrich Wilhelm IV. im Rahmen der kleindeutschen Lösung die deutsche Kaiserkrone an. Weil dieser aber mit Berufung auf sein „
Gottesgnadentum“ ablehnte, scheiterte der Versuch, den Großteil der deutschen Staaten auf konstitutioneller Basis zu vereinigen.
Der Deutsche Bund existierte nach der letztlich gewaltsamen Niederschlagung der revolutionären Bewegung von 1848/49 unter österreichischer Führung weiter. Es folgte ein Jahrzehnt der politischen
Reaktion (
Reaktionsära), in dem demokratische und liberale Bestrebungen erneut unterdrückt wurden. Ab Beginn der 1860er-Jahre bildeten sich in den deutschen Staaten die ersten
politischen Parteien im heutigen Sinn.
1864 gelangte der Bund im Sinn eines einheitlichen Bündnisses zu größerer Bedeutung, als sich an der
Schleswig-Holsteinischen Frage der
Deutsch-Dänische Krieg entzündete, in dem Preußen und Österreich aufgrund einer
Bundesexekution Seite an Seite standen. Diese Einvernehmlichkeit der beiden Mächte war jedoch nur von kurzer Dauer. Durch den Streit um
Schleswig-Holstein wurde 1866 der
Deutsche Krieg Preußens gegen Österreich ausgelöst, in dem die
Armeen Preußens und einiger norddeutscher Staaten gemeinsam mit Italien gegen die Truppen Österreichs kämpften, das mit den süddeutschen Staaten, u. a.
Baden,
Bayern,
Hessen und
Württemberg verbündet war. Nach der Niederlage Österreichs, im Endeffekt des Deutschen Bundes, wurde der
Norddeutsche Bund zunächst als
militärisches Bündnis und schließlich als Bundesstaat nach preußischem Willen gegründet. Die zuvor mit Österreich alliierten süddeutschen Fürstentümer schlossen
Schutz- und Trutzbündnisse mit Preußen ab.
Otto von Bismarck und Frankreichs Kaiser Napoleon III. nach der Schlacht bei Sedan (nach einem Gemälde von
Wilhelm Camphausen von 1878)
Ausgelöst durch Streitigkeiten zwischen Preußen und Frankreich um die spanische Erbfolge, begann 1870 der
Deutsch-Französische Krieg. Die Kriegserklärung kam von französischer Seite, nachdem der preußische Ministerpräsident
Bismarck eine redigierte Version der
Emser Depesche veröffentlicht und somit Frankreich politisch bloßgestellt hatte. Die süddeutschen Staaten schlossen sich Preußen an. Bismarck nutzte dies, um die Krönung des preußischen Königs zum
Deutschen Kaiser voranzutreiben und so auch die süddeutschen Staaten im Rahmen einer kleindeutschen Lösung in ein geeintes Reich einzubinden. Die drei Kriege zwischen 1864 und 1871 werden auch als
deutsche Einigungskriege bezeichnet.
Reichsgründung [Bearbeiten]
Proklamation des deutschen Kaiserreiches im Spiegelsaal von Schloss Versailles (idealisierendes Gemälde von
Anton von Werner)
Nach dem deutschen Sieg bei
Sedan und der Gefangennahme des französischen Kaisers
Napoleon III. war der Weg für die
Reichsgründung frei. Bismarck begann mit den süddeutschen Staaten zu verhandeln, die einer kleindeutschen Lösung zustimmten, und konnte dabei seine eigenen Vorstellungen weitgehend durchsetzen. Dies bedeutete den faktischen Beitritt Bayerns, Württembergs und Badens zum Norddeutschen Bund durch die im November 1870 vereinbarte Gründung eines neuen „Deutschen Bundes“.
[2] Andere Pläne wie der eines Doppelbundes, wie ihn etwa
Bayern vorgeschlagen hatten, waren nunmehr chancenlos. Die bismarcksche Lösung garantierte einerseits eine Dominanz Preußens auch im neuen, so genannten
zweiten Deutschen Reich. Andererseits bedeutete der gestärkte monarchische
Föderalismus eine Barriere gegen Tendenzen zur
Parlamentarisierung.
In der deutschen Öffentlichkeit wurde der Drang nach einer Annexion des Elsass und Teilen Lothringens erhoben und Bismarck machte sich diese Forderungen zu Eigen. Dies verlängerte den Krieg, war ein Grund für die Verstärkung der „
deutsch-französischen Erbfeindschaft“, gab der nationalen Begeisterung in Deutschland aber weiteren Auftrieb. Dies erleichterte Bismarck die Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten, die in den
Novemberverträgen mündeten.
Gleichwohl musste er Zugeständnisse machen. So behielt Bayern in Friedenszeiten eine eigene Armee. Überdies hielt es genauso wie Württemberg an einem eigenen Postwesen fest. Die süddeutschen Staaten insgesamt behielten ihre staatlichen Eisenbahnen sowie weitere Reservatsrechte. In der Außenpolitik pochten sie erfolgreich auf eigene
diplomatische Beziehungen. Trotz der weitgehenden Übernahme der
Norddeutschen Bundesverfassung war die Gründung des Deutschen Reiches formal eine Neugründung, da sie der Ratifizierung durch die Legislativen der beteiligten Partner bedurfte; gleichwohl blieb das
Völkerrechtssubjekt nach
herrschender Meinung unangetastet. An die Stelle des Bundespräsidiums trat der preußische König als
Deutscher Kaiser. Diese Umbenennung war
staatsrechtlich von untergeordneter, symbolisch jedoch von erheblicher Bedeutung – die Erinnerung an das Alte Reich erleichterte die Identifikation mit dem neuen Staat. Um die monarchische Legitimität des Nationalstaats zu betonen, war es Bismarck wichtig, dass König
Ludwig II. als Monarch des größten Beitrittslandes König
Wilhelm I. die Kaiserkrone antragen sollte.
[3] Der widerstrebende, aber finanziell angeschlagene Bayer erklärte sich durch die Zusage von Zahlungen von jährlich 4 bis 5 Millionen Mark aus dem
Welfenfonds zu diesem Schritt bereit und schlug in dem von Bismarck vorformulierten
Kaiserbrief König Wilhelm zum deutschen Kaiser vor. Bezeichnend für den Charakter des neuen Reiches war, dass die Vertreter des
norddeutschen Reichstages warten mussten bis die
Bundesfürsten ihre Zustimmung zur Kaiserwürde erklärt hatten. Erst danach durften die Abgeordneten den König um eine Annahme der Kaiserkrone bitten. Dies stand im deutlichen Kontrast zur
Kaiserdeputation von 1849.
König Wilhelm selbst, der nicht zu Unrecht fürchtete, dass der neue Titel die preußische Königswürde überdecken werde, blieb lange ablehnend. Wenn überhaupt verlangte er den Titel eines Kaisers von Deutschland. Die verbündeten Monarchen lehnten diese Titulatur allerdings ab, weil sie als ein weiterreichender Herrschaftsanspruch gedeutet werden konnte. Nur auf massiven Druck von Bismarck akzeptierte Wilhelm schließlich den Titel eines Deutschen Kaisers.
[4] Die
Proklamation erfolgte im Spiegelsaal des
Schlosses von Versailles.
[5]
Am 3. März 1871 kam es dann zu den
ersten Reichstagswahlen. Die erste konstituierende Reichstagssitzung fand am 21. März im
Preußischen Abgeordnetenhaus in
Berlin statt, das zur
Reichshauptstadt erklärt wurde. Die
Reichsverfassung trat am 16. April in Kraft.
Der
Friede von Frankfurt beendete offiziell den Deutsch-Französischen Krieg. Die Unterzeichnung fand am 10. Mai statt. Das
Reichsmünzgesetz vereinheitlichte die deutschen
Währungen, die Mark wurde als einheitliches Zahlungsmittel im Reich eingeführt. Die neue Währung basierte auf dem
Goldstandard.
Struktur des Reiches [Bearbeiten]
Gebietsgliederung [Bearbeiten]
Dem Kaiserreich gehörten 25
Bundesstaaten (
Bundesglieder) – darunter die drei republikanisch verfassten
Hansestädte Hamburg,
Bremen und
Lübeck – sowie das
Reichsland Elsaß-Lothringen an.
BundesstaatStaatsformHauptstadtFläche in km² (1910)Einwohner (1900)
[7]Einwohner (1910)Gliederung des deutschen Kaiserreichs 1871–1918
[6]PreußenKönigreichBerlin348.78034.472.50940.165.219
BayernKönigreich
München75.8706.524.3726.887.291
WürttembergKönigreich
Stuttgart19.5072.169.4802.437.574
SachsenKönigreich
Dresden14.9934.202.2164.806.661
BadenGroßherzogtumKarlsruhe15.0701.867.9442.142.833
Mecklenburg-SchwerinGroßherzogtum
Schwerin13.127607.770639.958
HessenGroßherzogtum
Darmstadt7.6881.119.8931.282.051
OldenburgGroßherzogtum
Oldenburg6.429399.180483.042
Sachsen(-Weimar-Eisenach)Großherzogtum
Weimar3.610362.873417.149
Mecklenburg-StrelitzGroßherzogtum
Neustrelitz2.929102.602106.442
BraunschweigHerzogtumBraunschweig3.672464.333494.339
Sachsen-MeiningenHerzogtum
Meiningen2.468250.731278.762
AnhaltHerzogtum
Dessau2.299316.085331.128
Sachsen-Coburg und GothaHerzogtum
Coburg/
Gotha1.977229.550257.177
Sachsen-AltenburgHerzogtum
Altenburg1.324194.914216.128
LippeFürstentumDetmold1.215138.952150.937
WaldeckFürstentum
Arolsen1.12157.91861.707
Schwarzburg-RudolstadtFürstentum
Rudolstadt94193.059100.702
Schwarzburg-SondershausenFürstentum
Sondershausen86280.89889.917
Reuß jüngerer LinieFürstentum
Gera827139.210152.752
Schaumburg-LippeFürstentum
Bückeburg34043.13246.652
Reuß älterer LinieFürstentumGreiz31668.39672.769
HamburgFreie StadtHamburg414768.3491.014.664
LübeckFreie StadtLübeck29896.775116.599
BremenFreie StadtBremen256224.882299.526
Elsaß-LothringenReichsland
Straßburg14.5221.719.4701.874.014
Deutsches ReichKaiserreichBerlin540.85856.367.17864.925.993Geografisch-politische Lage in Mitteleuropa [Bearbeiten]
Das Kaiserreich hatte acht Nachbarstaaten:
Im Norden grenzte es an
Dänemark (65 Kilometer), im Nordosten und Osten an das
Russische Reich (1.322 Kilometer), im Südosten und Süden an
Österreich-Ungarn (2.388 Kilometer), im Süden an die
Schweiz (385 Kilometer), im Südwesten an
Frankreich (392 Kilometer), im Westen an
Luxemburg (219 Kilometer) und
Belgien (84 Kilometer), im Nordwesten an die
Niederlande (567 Kilometer).
Die Grenzlänge betrug insgesamt 5.422 Kilometer (ohne Grenze im
Bodensee).
Symbole des Reiches [Bearbeiten]
Das Deutsche Reich hatte keine offizielle
Nationalhymne und zunächst auch keine offizielle
Nationalflagge. Als Ersatz galten die Lieder
Heil Dir im Siegerkranz, dessen Melodie mit der britischen Nationalhymne identisch ist, sowie
Die Wacht am Rhein. Zunächst wurde mit
Schwarz-Weiß-Rot die Bundesflagge des Norddeutschen Bundes als
Marineflagge und
Kauffahrteiflagge übernommen. Erst 1892 wurde
durch Allerhöchsten Erlaß Schwarz-Weiß-Rot zur Nationalflagge bestimmt. Die Farben setzen sich aus den Farben Preußens (schwarz und weiß) und denen der
Freien und Hansestädte (weiß über rot) zusammen.
Verfassung [Bearbeiten]
→
Hauptartikel: Bismarcksche Reichsverfassung
Die
Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 ging aus der 1866 ausgearbeiteten
Verfassung des Norddeutschen Bundes hervor;
Otto von Bismarck hatte sie maßgeblich geprägt und auf sich zugeschnitten. Sie war zum einen ein Organisationsstatut, welches die Kompetenzen der
Staatsorgane, durch die das Reich handelte, und sonstiger Einrichtungen des Reiches gegenseitig nach innen abgrenzte. Sie legte anderseits die Zuständigkeit des Reiches gegenüber den Bundesstaaten fest. Hier folgte sie dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Das Reich durfte nur für diejenigen Angelegenheiten tätig werden, die dem Reich in der
Verfassung ausdrücklich als Zuständigkeit zugewiesen wurden. Im übrigen waren die Bundesstaaten zuständig.
Vereinfachte graphische Darstellung der Reichsverfassung, so gab es keine „Reichsregierung“ mit verantwortlichen Ministern im Wortsinn, sondern nur eine „Reichsleitung“ aus dem Reichskanzler untergeordneten Staatssekretären
Die Verfassung verfügt über keinen
Grundrechtsteil, der die Beziehung zwischen Untertan (Bürger) und
Staat mit Verfassungsrang rechtlich näher ausgestaltet hätte. Lediglich ein Benachteiligungsverbot auf Grund der Staatsbürgerschaft eines Bundesstaates (Inländergleichbehandlung) war normiert. Der fehlende Grundrechtsteil musste sich nicht zwangsläufig nachteilig auswirken. Weil die Bundesstaaten in der Regel die Reichsgesetze vollzogen, wurden nur sie rechtseingreifend gegenüber dem Bürger tätig. Maßgeblich war daher, ob und welche
Grundrechte die Landesverfassungen vorsahen. So enthielt beispielsweise die für das
Königreich Preußen geltende
Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850 einen Grundrechtskatalog.
Die Verfassung verstand das Deutsche Reich als eine Stiftung der Bundesfürsten. Dem entsprach, dass das Deutsche Reich ein
Bundesstaat war. Seine
Gliedstaaten hatten ausgeprägte Eigenzuständigkeiten, wobei ihnen zusätzlich über den
Bundesrat eine bedeutende Gestaltungsfunktion auf Reichsebene zufiel. Der Bundesrat war von Verfassungs wegen als der eigentliche Souverän des Reiches gedacht. Seine Kompetenzen waren dabei sowohl legislativer wie auch exekutiver Art. Realpolitisch blieb seine Bedeutung als eigenständiges Machtzentrum aus verschiedenen Gründen allerdings beschränkt. Ein Aspekt war, dass Preußen als größter Bundesstaat zwar nur über 17 von 58 Stimmen verfügte, sich die nord- und mitteldeutschen Kleinstaaten aber fast immer dem preußischen Votum anschlossen.
[8]
Der König von Preußen bildete das Präsidium des Bundes und trug den Titel eines Deutschen Kaisers. Dem Kaiser standen beachtliche Kompetenzen zu, die weit über das hinausgingen, was die Bezeichnung
Präsidium des Bundes vermuten ließ. Er ernannte und entließ den Reichskanzler und die Reichsbeamten (insbesondere die Staatssekretäre). Er bestimmte mit dem Reichskanzler, der in der Regel auch noch preußischer Ministerpräsident und preußischer Außenminister war, die Außenpolitik des Reiches. Der Kaiser führte den Oberbefehl über die
Kriegsmarine und über das
deutsche Heer (über das
bayerische Heer nur in Kriegszeiten). Insbesondere sah die Verfassung vor, dass der Kaiser, falls erforderlich, mittels des Heeres die innere Sicherheit wieder herstellen konnte. Diese Konzentration der Kommandogewalt wurde oftmals in der Innenpolitik als Druckmittel eingesetzt. Die süddeutschen Königreiche
Württemberg und
Bayern behielten sich bei den Verfassungsverhandlungen
Reservatrechte vor. Allerdings war die Macht weder des preußischen Königs noch des deutschen Kaisers absolut, sondern sie standen in der Tradition des deutschen
Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts wenn auch mit Elementen, die außerhalb der Verfassung standen.
[9]
Der
Reichskanzler war in diesem Machtgefüge der dem Kaiser verantwortliche Reichsminister, dem die Staatssekretäre unterstanden. Er hatte den Vorsitz des Bundesrates inne, stand der Reichsverwaltung vor und war in der Regel zugleich preußischer Ministerpräsident und Außenminister. Das demokratische Defizit dieser Verfassung lag vor allem in der fehlenden parlamentarischen Verantwortlichkeit des Reichskanzlers begründet, den der Reichstag weder wählen noch stürzen konnte. Erst im Oktober 1918 wurde die parlamentarische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers im Rahmen der
Oktoberverfassung eingeführt.
Das eigentliche Gegengewicht zu den verbündeten Regierungen, dem Bundesrat und zur
Reichsleitung bildete der
Reichstag. Die Wahlen waren allgemein (alle Männer ab 25 Jahren), gleich (in Form des Mehrheitswahlrechts) und im Grundsatz geheim (wenn auch lange Zeit nicht unbedingt in der Praxis). Dies war im Vergleich mit anderen europäischen Staaten aber auch mit dem Wahlrecht in vielen Bundesstaaten, etwa dem
Dreiklassenwahlrecht in Preußen, ein besonderer demokratischer Zug der Reichsverfassung. Die Legislaturperiode dauerte anfangs drei Jahre, nach 1888 fünf Jahre. Eine entscheidende Schwäche für die Macht des Reichstages war, dass der Bundesrat mit Zustimmung des Kaisers das Parlament jederzeit auflösen und Neuwahlen ausschreiben konnte. Die Abgeordneten erhielten als Gegengewicht zum allgemeinen Wahlrecht keine Diäten. Die Abgeordneten hatten ein freies Mandat und waren nach dem Verfassungstext nicht an die Aufträge der Wähler gebunden. Tatsächlich gab es in den ersten Legislaturperioden zahlreiche „wilde Abgeordnete.“ In der Praxis setzte sich freilich nach und nach die Fraktionsbildung durch.
Der Reichstag war neben dem Bundesrat gleichberechtigtes Organ bei der Verabschiedung von Gesetzen. Dieses zentrale Parlamentsrecht war im Zeitalter des
Rechtspositivismus von wachsender Bedeutung, beruhte das Regierungshandeln doch im Kern auf Gesetzen. Verordnungen der Regierung spielten nach der Entwicklung der Lehre vom
Gesetzesvorbehalt nur noch nach parlamentarischer Ermächtigung eine Rolle. Verwaltungsrichtlinien kam nur verwaltungsinterne Wirkung zu. Die zweite Kernkompetenz des Parlaments war die Verabschiedung des Haushalts in Form eines Gesetzes. Die Haushaltsdebatte entwickelte sich rasch zur Generaldebatte über das gesamte Handeln der Regierung. Allerdings war die Entscheidungsmöglichkeit über den Militäretat, der den Hauptausgabeposten des Reiches bildete, begrenzt. Bis 1874 war der Etat ohnehin festgelegt und später sorgten die
Septennate und später die Quinquennate für eine Begrenzung der Parlamentsrechte in diesem Bereich.
[10] Die
Gesetzesinitiative, also das Recht, mögliche neue Gesetze vorzuschlagen, hatte der Reichstag ebenso wie der Reichskanzler.
Damit war die politische Leitung des Reiches auf die Zusammenarbeit mit dem Reichstag angewiesen. Die
verfassungsrechtliche Fiktion des Fürstenbundes entsprach somit nicht der Wirklichkeit. Vielmehr stellte die Verfassung einen Kompromiss zwischen den nationalen und demokratischen Forderungen des aufstrebenden Wirtschafts- und Bildungsbürgertums und den dynastischen Herrschaftsstrukturen dar (
konstitutionelle Monarchie).
Machtzentren des Reiches [Bearbeiten]
Die Verfassungsordnung war ein wichtiger Rahmen für die tatsächliche Herrschaftsordnung. Tatsächlich waren die in der Bismarckschen Reichsverfassung verankerten Institutionen wie der Reichstag oder der Kanzler für das
politische System von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus gab es weitere Machtzentren, die von der geschriebenen Verfassung nur teilweise abgebildet wurden.
Bürokratie und Verwaltung [Bearbeiten]
So gut wie keine Erwähnung fand in der Verfassung etwa die Bürokratie. Bei allen innenpolitischen Konflikten sorgte der bürokratische Apparat für Kontinuität. Gleichzeitig mussten die politischen Entscheidungsträger – auch Reichskanzler und Kaiser – mit dem Eigengewicht der höheren Beamten rechnen. Allerdings hatte das Reich selbst zu Anfang nur einen bescheidenen Apparat und war lange Zeit auf die Zuarbeit der preußischen Ministerien angewiesen.
Neben dem Reichskanzler gab es keine regelrechte Reichsregierung. Anstelle von Ministern gab es lediglich eine Reihe von dem Kanzler unterstellten Staatssekretären, die
Reichsämtern vorsaßen. So entstanden im Laufe der Zeit neben dem
Reichskanzleramt, ein
Reichseisenbahnamt, ein
Reichspostamt, ein
Reichsjustizamt, ein
Reichsschatzamt, ein Amt für die
Verwaltung des Reichslandes Elsaß-Lothringen, das
auswärtige Amt,
Reichsamt des Innern, ein
Reichsmarineamt und schließlich ein
Reichskolonialamt. Die verwaltungsmäßige Abhängigkeit von Preußen verringerte sich zwar mit dem personellen Ausbau der Reichsverwaltung. Bis zum Schluss aber war die organisatorische Verbindung zwischen Preußen und dem Reich von großer Bedeutung.
In den höheren Positionen auch der höheren Reichsverwaltung waren Protestanten ebenso wie Angehörige des Adels überrepräsentiert. So gehörten von insgesamt 31
Reichsstaatssekretären zwölf dem Adel an und 1909 waren 71 % evangelischer Konfession. Politisch allerdings waren diese anfangs noch vergleichsweise liberal ausgerichtet. Erst eine langfristige Nachwuchspolitik sorgte auf längere Sicht für eine konservative Ausrichtung der höheren Beamtenschaft.
[11]
Monarchie und Hof [Bearbeiten]
Adolph Menzel:
Das Ballsouper, 1878
Die Verfassung garantierte dem Kaiser einen erheblichen Handlungsspielraum. Für die Entscheidungen der Monarchen spielten die verschiedenen kaiserlichen Beratungsgremien wie das
Zivil-,
Militär- und
Marinekabinett wichtige Rollen. Hinzu kamen der Hof und die engen persönlichen Vertrauten der Kaiser. Bereits mit Wilhelm I. nahm der Monarch erheblichen Einfluss auf die Personalpolitik, ohne in der Regel in die Tagesgeschäfte einzugreifen. Vor allem unter Kaiser Wilhelm II. mit seinem Anspruch eines „
persönlichen Regiments“
[12] war diese Ebene eines der zentralen Machtzentren des Reiches.
Kaum zu unterschätzen ist auch der Wandel des Kaisers von einem Präsidenten des Bundes zu einem Reichsmonarchen. Auch außerhalb Preußens wurden nicht mehr nur die Gedenktage der verschiedenen Dynasten, sondern auch
Kaisers Geburtstag gefeiert. Der Kaiser wurde zunehmend zu einem Symbol des Reiches. Die Frage, inwieweit Kaiser Wilhelm II. tatsächlich ein persönliches Regime durchsetzen konnte, ist freilich in der Geschichtswissenschaft umstritten. Unstrittig ist, dass der kaiserliche Einfluss bis 1897 noch begrenzt war, während die Bedeutung des Kaisers bis 1908 deutlich zunahm, um danach wieder an Bedeutung zu verlieren. Dazu beigetragen hat die
Affäre um den Vertrauten des Kaisers
Philipp zu Eulenburg. Diese und die anschließende
Daily-Telegraph-Affäre haben mit dazu geführt, das Ansehen des Kaisers – nicht aber der Monarchie als Institution – in der Öffentlichkeit zu verringern.
[13]
Militär [Bearbeiten]
→
Hauptartikel: Deutsches Heer (Deutsches Kaiserreich)
→
Hauptartikel: Kaiserliche Marine
Das Heer und die Marine blieben abgesehen von der Bewilligung der nötigen Finanzmittel nach der Verfassung weitgehend der Verfügungsgewalt des preußischen Königs beziehungsweise des Kaisers unterstellt. Die Grenzen der absolutistisch anmutenden „Kommandogewalt“ waren dabei kaum definiert. Es blieb daher eine der zentralen Stützen der Monarchie. Unterhalb des „obersten Kriegsherrn“ existierten mit dem
Militärkabinett, dem
preußischen Kriegsministerium und dem Generalstab drei Institutionen, die zeitweise untereinander um Kompetenzen stritten. Insbesondere der Generalstab bereits unter
Helmuth Karl Bernhard von Moltke und später
Alfred von Waldersee versuchte Einfluss auch auf politische Entscheidungen zu nehmen. Dasselbe gilt für
Alfred von Tirpitz in Marinefragen.
[14]
Die Armee richtete sich nicht nur gegen äußere Feinde, sondern sollte nach dem Willen der militärischen Führung auch im Innern etwa bei
Streiks zum Einsatz kommen.
[15] In der Praxis wurde die Armee allerdings bei den großen Streiks kaum eingesetzt. Gleichwohl bildete die Armee als Drohpotential einen nicht zu unterschätzenden innenpolitischen Machtfaktor.
Die enge Verbundenheit mit der Monarchie spiegelte sich zunächst noch im stark adelig geprägten
Offizierskorps wieder. Auch später behielt der Adel eine starke Stellung unter den Führungsrängen, allerdings drang im mittleren Bereich mit der Vergrößerung der Armee und der Flotte der bürgerliche Anteil stärker vor. Die entsprechende Auswahl und die innere Sozialisation im Militär sorgten allerdings dafür, dass auch das Selbstverständnis dieser Gruppe sich kaum von der ihrer adeligen Kameraden unterschied.
[16]
Zwischen 1848 und den 1860er Jahren hat die Gesellschaft das Militär eher mit Misstrauen betrachtet. Dies änderte sich nach den Siegen von 1864 bis 1871 fundamental. Das Militär wurde zu einem zentralen Element des entstehenden Reichspatriotismus. Kritik am Militär galt als unpatriotisch. Dennoch unterstützten die Parteien eine Vergrößerung der Armee nicht unbegrenzt. So erreichte das Militär erst 1890 mit einer Friedenspräsenzstärke von fast 490.000 Mann ihre von der Verfassung vorgegebenen Stärke von einem Prozent der Bevölkerung. In den folgenden Jahren wurden die Landstreitkräfte weiter verstärkt. Zwischen 1898 bis 1911 forderte die kostspielige Flottenrüstung Einschränkungen beim Landheer. Bemerkenswert ist, dass sich in dieser Zeit der Generalstab selbst gegen einen Ausbau der Truppenstärke gewandt hatte, weil er eine Verstärkung des bürgerlichen zu Lasten des adeligen Elements im Offizierskorps befürchtete. In dieser Zeit entstand mit dem
Schlieffenplan das Konzept für einen möglichen Zwei-Fronten-Krieg gegen Frankreich und Russland unter Berücksichtigung einer Teilnahme Englands auf Seiten der Gegner. Nach 1911 wurde die Aufrüstung intensiv vorangetrieben. Die für die Durchführung des Schlieffenplanes notwendige Truppenstärke wurde dabei letztlich nicht erreicht.
Das Heer gewann während des Kaiserreichs einen sehr starken gesellschaftlichen Nimbus. Das Offizierskorps galt in weiten Teilen der Bevölkerung als „Erster Stand im Staate.“ Dessen Weltbild war dabei geprägt von der Treue zur Monarchie und der Verteidigung der Königsrechte, es war konservativ, antisozialistisch und grundsätzlich antiparlamentarisch geprägt.
[17] Der militärische Verhaltens- und Ehrenkodex
[18] reichte weit in die Gesellschaft hinein. Auch für viele Bürger wurde der Status eines
Reserveoffiziers nunmehr zu einem erstrebenswerten Ziel.
Von Bedeutung war das Militär zweifellos auch für die innere Nationsbildung. Der gemeinsame Dienst förderte die Integration der katholischen Bevölkerung in das protestantisch dominierte Reich. Selbst die Arbeiter blieben gegenüber der Ausstrahlung des Militärs nicht immun. Dabei kam dem mindestens zwei Jahre (bei der Kavallerie drei Jahre) dauernden
Wehrdienst als sogenannter „Schule der Nation“ eine prägende Rolle zu. Wegen des Überangebots an Wehrpflichtigen in Deutschland leistete allerdings nur gut die Hälfte eines Jahrgangs aktiven Militärdienst. Wehrpflichtige mit höherer Schulbildung – fast ausschließlich Angehörige der Mittel- und Oberschicht – hatten das Privileg, als
Einjährig-Freiwilliger verkürzten Militärdienst zu leisten.
Heinrich Manns Untertan, der
Hauptmann von Köpenick oder die
Zabern-Affäre spiegeln die Bedeutung des
Militarismus in der deutschen Gesellschaft wider. Überall im Reich wurden die neuen Kriegervereine zu Trägern einer militaristischen Weltanschauung. Welche Breitenwirkung diese entfalteten, zeigt die Mitgliederzahl von 2,9 Millionen im
Kyffhäuserbund (1913). Der Bund war damit die stärkste Massenorganisation des Reiches. Die vom Staat geförderten Vereine sollten die militärische, nationale und monarchische Gesinnung pflegen und die Mitglieder gegenüber der Sozialdemokratie immunisieren.
[19]
Bevölkerung, Wirtschaft und Gesellschaft [Bearbeiten]
→
Hauptartikel: Hochindustrialisierung in Deutschland
Bevölkerungsdichte des Deutschen Reiches
In die Zeit des Kaiserreichs fielen fundamentale demografische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen, die in einem erheblichen Maß auch Kultur und Politik beeinflussten. Ein Kennzeichen dafür war das enorme Wachstum der Bevölkerung. Im Jahr 1871 lebten im Reich 41 Mio. Einwohner, 1890 waren es über 49 Mio. und 1910 zählte man fast 65 Mio. Einwohner. Nicht zuletzt durch Binnenwanderungen zunächst aus der Umgebung später auch durch Fernwanderungen etwa aus den agrarischen preußischen Ostgebieten nach Berlin oder Westdeutschland wuchs die Stadtbevölkerung und insbesondere die Großstadtbevölkerung stark an. Lebten 1871 noch 64 % der Bevölkerung in Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern und nur 5 % in Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern, kam es bereits 1890 zu einem Gleichstand zwischen Stadt- und Landbewohnern. Im Jahr 1910 lebten nur noch 40 % in Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern aber 21,3 % in Großstädten. Damit verbunden war auch eine Veränderung der Lebensweisen. So unterschied sich das Leben etwa in den
Mietskasernen von Berlin grundlegend vom Leben auf dem Dorf.
Industrie, Bergwerke und Hütten
Dieser Wandel war nur möglich, weil die Wirtschaft genügend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen konnte. Eine wichtige Voraussetzung war der Aufschwung des Bankwesens und insbesondere die Entwicklung der großen Universalbanken.
[20] In diese Zeit fällt der Übergang Deutschlands von einem landwirtschaftlich geprägten Land zu einem modernen Industriestaat. Dabei dominierten zu Beginn des Reiches eindeutig der Eisenbahnbau und die Schwerindustrie, später kamen als neue Leitsektoren die chemische Industrie und die Elektroindustrie hinzu. 1873 hatte der Anteil des primären Sektors am Nettoinlandsprodukt bei 37,9 % und das der
Industrie bei 31,7 % gelegen. 1889 war der Gleichstand erreicht und 1895 kam die Landwirtschaft nur noch auf 32 %, der sekundäre Sektor dagegen auf 36 %. Diese Veränderung spiegelte sich auch in der Entwicklung der Beschäftigungsverhältnisse wider. Lag die Relation der landwirtschaftlich Berufstätigen gegenüber denen in Industrie, Verkehr und Dienstleistungssektor 1871 noch bei 8,5 zu 5,3 Millionen, betrug das Verhältnis 9,6 zu 7,5 Millionen im Jahr 1880 und 9,6 zu 10 Millionen im Jahr 1890. Im Jahr 1910 zählte man 10,5 Millionen Beschäftigte in der Landwirtschaft, hingegen in Industrie, Verkehr und Dienstleistungsberufen 13 Millionen Arbeitnehmer.
Landwirtschaft
Wirtschaftssektor188218951907Erwerbstätige und Angehörige in % der Gesamtbevölkerung
[21]Landwirtschaft41,635,028,4Industrie/Handwerk34,838,542,2Handel/Verkehr9,411,012,9Häusliche Dienste5,04,33,3Öffentl. Dienst/freie Berufe4,65,15,2Berufslose/Rentner4,76,18,1Sozialgeschichtlich war das Kaiserreich vor allem geprägt vom Aufstieg der Arbeiterschaft. Dabei entwickelten die unterschiedlichen Herkunftsgruppen aus Ungelernten, Angelernten und gelernten Arbeitern bei allen weiterbestehenden Unterschieden durch die gemeinsamen Erfahrungen am Arbeitsplatz aber auch in den Wohnquartieren tendenziell ein spezifisches Selbstverständnis der Arbeiterbevölkerung.
[22] Mit der Entstehung von Großbetrieben, neuen staatlichen Dienstleistungen und der Zunahme von Handel und Verkehr nahm daneben die Zahl der Angestellten sowie der kleineren und mittleren Beamten zu. Diese achteten auf soziale Distanz zu den Arbeitern, auch wenn sich ihre ökonomische Lage von der der Industriearbeiter nur unwesentlich unterschied.
Zu den stagnierenden Teilen der Gesellschaft gehörte der alte städtische Mittelstand. Vor allem die Handwerker fühlten sich oft von der Industrie in ihrer Existenz bedroht. Die Realität war allerdings unterschiedlich. Es gab auf der einen Seite überbesetzte traditionelle Handwerksberufe, andererseits profitierte das Bau- und Nahrungsmittelhandwerk von der wachsenden Bevölkerung und der Stadtentwicklung. Daneben passten sich viele Berufe an die Entwicklung an. So stellten die Schuhmacher keine Schuhe mehr her, sondern reparierten sie nur noch. Dennoch blieb die Sorge um den sozialen Abstieg ein Kennzeichen der Handwerkspolitik des Kaiserreichs.
Es gelang dem Bürgertum seine kulturellen Normen weitgehend durchzusetzen, wobei das Wirtschaftsbürgertum vor allem in Form der großen Industriellen ökonomisch führend war und die Bildungsbürger Deutschland zu einem Zentrum der Wissenschaft und Forschung machten.
[23] Gleichzeitig aber blieb der politische Einfluss des Bürgertums durch die Eigenarten des politischen Systems aber auch durch den Aufstieg der Arbeiter und der neuen Mittelschichten begrenzt.
Wirtschaftlich war die Existenz des grundbesitzenden Adels vor allem in
Ostelbien durch die zunehmende internationale Verflechtung des Agrarmarktes bedroht. Die Forderung des Adels und der landwirtschaftlichen Interessenverbände nach staatlicher Hilfe wurde ein Merkmal der Innenpolitik während der Kaiserzeit. Gleichzeitig sorgte die preußische Verfassung dafür, dass der Adel im größten Staat des Reiches zahlreiche Sonderrechte behielt. Auch konnte der Adel in Militär, Diplomatie und Bürokratie seinen Einfluss bewahren.
[24]
Konfessionen und nationale Minderheiten [Bearbeiten]
Weniger stark verändert als Wirtschaft und Gesellschaft haben sich in dieser Zeit die konfessionellen Unterschiede. Aber auch sie waren für die Gesamtgeschichte des Reiches bedeutend. Gleiches gilt für den Widerspruch zwischen dem Anspruch, Nationalstaat zu sein und dem Vorhandensein von zahlenmäßig nicht unbedeutenden nationalen Minderheiten.
Konfessionen und Kirchen im Kaiserreich [Bearbeiten]
Konfessionskarte (evangelisch/katholisch) des Deutschen Reiches (ca. 1890)
Verbreitung der israelitischen Religion im Deutschen Reich (ca. 1890)
An der allgemeinen Konfessionsverteilung der
Frühen Neuzeit änderte sich grundsätzlich kaum etwas. Weiterhin gab es fast rein katholische Gebiete (
Nieder- und
Oberbayern, nördliches
Westfalen,
Oberschlesien und andere) und fast rein protestantische (Schleswig-Holstein, Pommern, Sachsen, etc.). Die konfessionellen Vorurteile und Vorbehalte, insbesondere gegenüber gemischt konfessionellen Ehen, waren daher weiterhin erheblich. Nach und nach kam es durch Binnenwanderung zu einer allmählichen konfessionellen Durchmischung. In den östlichen Reichsgebieten kam häufig auch ein nationaler Gegensatz hinzu, da dort weitgehend die Gleichung
protestantisch = deutsch, katholisch = polnisch galt. In den Zuwanderungsgebieten etwa im
Ruhrgebiet und Westfalen oder in einigen Großstädten kam es zum Teil zu erheblichen konfessionellen Verschiebungen (insbesondere im katholischen Westfalen durch protestantische Zuwanderer aus den Ostprovinzen).
Politisch hatte die Konfessionsverteilung erhebliche Folgen. In den katholisch dominierten Gebieten gelang es der
Zentrumspartei, die überwiegende Mehrzahl der Wähler für sich zu gewinnen. So gelang es den
Sozialdemokraten und ihren
Gewerkschaften kaum, in den katholischen Teilen des Ruhrgebiets Fuß zu fassen. Erst mit der zunehmenden
Säkularisierung in den letzten Jahrzehnten des Kaiserreichs begann sich dies zu ändern.
[25]
GebietProtestantenKatholikenSonst. ChristenJudenAndereReligionsbekenntnisse im Deutschen Reich 1880Deutsches Reich28.331.15216.232.65178.031561.61230.615Preußen17.633.2799.206.28352.225363.79023.534Bayern1.477.9523.748.2535.01753.52630Sachsen2.886.80674.3334.8096.518339Württemberg1.364.580590.2902.81713.331100Baden547.461993.1092.28027.278126Elsaß-Lothringen305.3151.218.5133.05339.278511
Judentum und Antisemitismus [Bearbeiten]
Neben den christlichen Konfessionen gab es eine kleine
jüdische Bevölkerungsgruppe, deren Anteil 1871 bei etwas über einem Prozent der Gesamtbevölkerung lag. Ihr prozentualer Anteil nahm in der Folgezeit leicht ab. Die Ursache für die relative Abnahme des jüdischen Bevölkerungsanteils lag in der geringeren Geburtenzahl und dem zunehmenden Anteil christlich-jüdischer Mischehen, bei denen die Kinder meist christlich erzogen wurden. Die jüdische Bevölkerung konzentrierte sich zunehmend in den großen Städten. Um 1910 lebten ein Drittel aller
deutschen Juden allein in der Stadt Berlin (mit Umlandgemeinden), in der der jüdische Bevölkerungsanteil etwa 5–10 % ausmachte. Ähnliche Prozentzahlen an jüdischer Bevölkerung ergaben sich für Frankfurt am Main, Breslau und Hamburg. Andererseits gab es auch ländliche Regionen mit über dem Durchschnitt liegendem jüdischen Bevölkerungsanteil: im Osten die
Provinz Posen,
Westpreußen, sowie Oberschlesien, und im Westen Hessen,
Unterfranken, die
Rheinpfalz und Elsaß-Lothringen.
In den Ostprovinzen mit gemischt deutscher und polnischer Bevölkerung zählten sich die Juden ganz überwiegend zum Deutschtum. Unter den Juden war die Tendenz zur Assimilation in die bürgerliche deutsche Gesellschaft lange Zeit stark ausgeprägt. Der
Zionismus, der eine nationale Heimstätte für die Juden in Palästina zu begründen suchte, wurde von der ganz überwiegenden Mehrheit der deutschen Juden abgelehnt. 1893 wurde der
Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens gegründet und der Name des Vereins war Programm. Der
Central-Verein machte sich die Bekämpfung des Antisemitismus zur Aufgabe, lehnte aber alle Vorstellungen von den Juden als einem Volk oder eigenen Rasse ab, sondern betrachtete die deutschen Juden gewissermaßen als einen der deutschen Stämme. Insgesamt waren die Juden im Bereich von Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und den akademischen Berufen außerordentlich erfolgreich. Nach der Statistik von 1910 lag der jüdische Bevölkerungsanteil bei 0,95 % (615.000 von 64.926.000). Davon waren 60.000 nicht-deutscher Staatsangehörigkeit (meist Flüchtlinge aus Polen und Russland) und 555.000 deutsche Staatsbürger. 4,28 % der deutschen Staatsanwälte und Richter, 6,01 % der Ärzte, 14,67 % der Anwälte und Notare waren Juden.
[26]
Überproportional viele prominente Musiker und Virtuosen waren jüdischer Abstammung. Besonders deutlich war der jüdische Beitrag naturgemäß in den Städten mit hohem jüdischem Bevölkerungsanteil, insbesondere in Berlin. Damit leisteten die Juden einen Beitrag zum deutschen und europäischen Kulturleben, der weit über ihrem prozentualen Bevölkerungsanteil lag.
Trotzdem konnte der
Antisemitismus aus unterschiedlichen Gründen gerade im Kaiserreich gesellschaftlich und politisch Fuß fassen.
[27][28] Bestimmte Berufe waren den Juden praktisch verschlossen. So war es für einen Juden unmöglich, Offizier zu werden (was eine schwerwiegende Einschränkung war, da der Offiziersstand zu den angesehensten Berufen des Kaiserreichs gehörte). Beispielhaft äußerte der preußische Kriegsminister
Karl von Einem 1907, dass „
ein Eindringen jüdischer Elemente in das aktive Offizierskorps nicht nur für schädlich, sondern für direkt verderblich zu erachten sei“.
[28] Der Anteil jüdischer Universitätsprofessoren lag prozentual deutlich unter dem Anteil jüdischer Privatdozenten, was zumindest zum Teil Ausdruck eines antisemitischen Vorurteils bei der Lehrstuhlbesetzung war.
[29] Führende Gelehrte – auch wenn sie die Antisemitenbewegung als primitiv ablehnten – äußerten sich voller Misstrauen gegenüber dem Eindringen der Juden in die akademischen Berufe und zeichneten das Phantasiegebilde einer möglichen Herrschaft der Juden über die deutschen Universitäten.
Juden wurden nie auf einen Lehrstuhl für
deutsche Sprache und Literatur oder für
klassische Altertumswissenschaft und Sprachen berufen und bekamen vorwiegend nur in den sich neu entfaltenden mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern und der Medizin eine Chance. Der spätere Nobelpreisträger
Richard Willstätter bekannte später:
…viel tieferen Eindruck, entscheidenden, hat auf mich die Haltung der Fakultäten gemacht, nämlich die häufigen Fälle, daß die Berufung jüdischer Gelehrter bekämpft und verhindert wurde, und die Art und Weise in der dies geschah. Die Fakultäten ließen Ausnahmen zu, gewährten aber keine Gleichberechtigung.[30]
Trotz des hohen Prozentsatzes jüdischer Anwälte war diesen die höhere juristische Laufbahn weitgehend verschlossen. Insbesondere
Richterämter wurden nur restriktiv mit Juden besetzt, was mit dem Argument gerechtfertigt wurde, dass das Richteramt besonderes Vertrauen voraussetze und man es daher mit Rücksicht auf die Empfindungen der Bevölkerung nicht mit Juden besetzen könne, auch könne ein Jude schlecht einem Christen einen Eid abnehmen. Juden war es sehr erschwert oder unmöglich, ein höheres Staatsamt zu erhalten. Einen jüdischen Minister gab es im Kaiserreich nicht (im Gegensatz z. B. zu Großbritannien, wo ein getaufter Jude –
Benjamin Disraeli – sogar Premierminister hatte werden können). Einzelne Personen jüdischer Abstammung, die in ein höheres Staatsamt gelangten, wie z. B. der Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts
Bernhard Dernburg, blieben Ausnahmen.
In den aufblühenden Seebädern an Nord- und Ostsee breitete sich der
Bäder-Antisemitismus aus. Antisemitische Vorurteile und karikaturhafte Darstellungen von Juden waren in fast allen Bevölkerungsschichten zu finden. Als Gegenreaktion auf den Antisemitismus wurde von liberalen Gelehrten und Politikern (u. a.
Theodor Mommsen,
Rudolf Virchow,
Johann Gustav Droysen) 1890 der
Verein zur Abwehr des Antisemitismus („Abwehrverein“) gegründet. Politisch gelang es den Antisemiten nicht, eine einheitliche Partei zu formieren. Der Stimmenanteil antisemitischer Parteien lag bei allen Reichstagswahlen vor dem Weltkrieg bei unter fünf Prozent, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass der Antisemitismus ein ernstzunehmendes Problem war.
Konservative Parteien liebäugelten zeitweilig mit antisemitischen Programmpunkten. So wandte sich die
Deutschkonservative Partei in ihrem
Tivoli-Programm von 1892 gegen
den vielfach sich vordrängenden und zersetzenden jüdischen Einfluss auf unser Volksleben[31] und forderte eine
christliche Obrigkeit und christliche Lehrer. Es gab Bestrebungen, den Juden die im Verlauf des 19. Jahrhunderts erlangte bürgerliche Gleichberechtigung wieder zu entziehen. Eine
Antisemitenpetition verlangte 1880/81 die Zurücknahme der
bürgerlichen Gleichstellung der Juden, wurde jedoch von der preußischen Regierung und den liberalen Parteien im Reichstag zurückgewiesen. Immer wieder auftretende antisemitische Regungen und Aktionen auf regionaler Ebene, wie sie z. B. in der
Konitzer Mordaffäre 1900–1902 zum Ausdruck kamen, wurden durch die Behörden unterdrückt.
Nationale Minderheiten [Bearbeiten]
Muttersprachliche Minderheiten des Deutschen Reiches je
Kreis
Das Deutsche Reich verstand sich als einheitlicher
Nationalstaat. Dennoch gab es 1880 neben den damals fast 42 Millionen deutschen Muttersprachlern rund 3,25 Millionen Nichtdeutschsprachige, darunter 2,5 Millionen mit polnischer oder tschechischer Sprache, 140.000
Sorben, 200.000
Kaschuben, 150.000 Litauisch-Sprechende, 140.000 Dänen sowie 280.000 französische Muttersprachler.
[32] Diese lebten überwiegend in der Nähe der Außengrenzen des Reiches.
Nicht nur die Regierung, sondern auch das national gesinnte Bürgertum befürwortete grundsätzlich eine Politik der kulturellen
Germanisierung. Dabei spielte die Schule mit dem Ersatz des muttersprachlichen Unterrichts durch die deutsche Sprache eine zentrale Rolle.
[33] Im Zusammenhang mit dem Kulturkampf aber eben auch der Nationalisierungspolitik wurden die polnischen Pfarrer durch weltliche, meist deutsche Lehrer ersetzt. War der preußische Staat vor der Reichsgründung gegenüber seinen nationalen Minderheiten überwiegend tolerant gewesen und hatte den Schulunterricht in der Muttersprache ausdrücklich gefördert, so wich diese Toleranz insbesondere in den polnischsprachigen Gebieten im Osten zunehmend einer Politik der kulturellen Germanisierung. Eine gewisse Ausnahme bildeten die überwiegend französischsprachigen Gebiete Elsaß-Lothringens, wo die französische Sprache auch als Schulsprache zugelassen war. Wichtig war die Einführung des Deutschen als Amts- und Gerichtssprache. Im Fall der polnischen Bevölkerung kamen später auch Maßnahmen hinzu, die den polnischen Großgrundbesitz zu Gunsten deutscher Siedler begrenzen sollten. Auch hat die
Preußische Ansiedlungskommission mit wenig Erfolg versucht, polnischen Grundbesitz für deutsche Neusiedler zu erwerben.
Dennoch hatte diese Politik nur begrenzten Erfolg oder war, wie Kritiker bemerkten, sogar kontraproduktiv, da sie die Polen, die zuvor mit der toleranten Haltung des preußischen Staates recht gut leben konnten, gegen die neue Obrigkeit aufbrachte. Trotz finanzieller Anstrengungen und markiger nationalistischer Reden („Wir gehen hier keinen Schritt zurück!“) kam es eher zu einer Zunahme des polnischsprachigen Bevölkerungsanteils und Rückgang des deutschen Bevölkerungsanteils beispielsweise in der Provinz Posen. Die Minderheiten versuchten ihre eigene Identität zu bewahren. Alle Nationalitäten waren beispielsweise relativ stabil im Reichstag vertreten. Selbst die ins Ruhrgebiet ausgewanderten Polen hielten an ihrer Herkunft fest. Dort entstanden starke polnische Gewerkschaften.
[34]
MutterspracheAnzahlAnteilMuttersprache der Einwohner des Deutschen Reichs
(12. Januar 1900)
[35]Deutsch51.883.13192,05
Deutsch und eine Fremdsprache252.9180,45
Polnisch3.086.4895,48
Französisch211.6790,38
Masurisch142.0490,25
Dänisch141.0610,25
Litauisch106.3050,19
Kaschubisch100.2130,18
Wendisch (Sorbisch)93.0320,16
Niederländisch80.3610,14
Italienisch65.9300,12
Mährisch64.3820,11
Tschechisch43.0160,08
Friesisch20.6770,04
Englisch20.2170,04
Russisch9.6170,02
Schwedisch8.9980,02
Ungarisch8.1580,01
Spanisch2.0590,00
Portugiesisch4790,00andere Fremdsprachen14.5350,03
Reichsbürger am 1. Dezember 190056.367.187100Wandel und Entwicklung der politischen Kultur [Bearbeiten]
Das Kaiserreich war prägend für die
politische Kultur in Deutschland weit über das Ende der Monarchie hinaus. Industrialisierung, Urbanisierung sowie die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten (z. B. die Verbreitung der Tageszeitungen bis in die unteren Schichten hinein) und andere Faktoren veränderten auch den Bereich der politischen Kultur. War die Politik zuvor überwiegend eine Sache der Eliten und Honoratioren, kam es nunmehr zu einer Fundamentalpolitisierung, an der in unterschiedlicher Weise fast alle sozialen Gruppen einen Anteil hatten. Dazu beigetragen hat zweifellos auch das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht (ab dem Alter von 25 Jahren) auf Reichsebene. Ein Indiz dafür war die Zunahme der Wahlbeteiligung. Beteiligten sich 1871 nur 51 % der Wahlberechtigten an den Reichstagswahlen, waren es 1912 84,9 %.
[36]
Entstehung der politischen Lager [Bearbeiten]
In die Reichsgründungszeit fällt die Ausprägung der verschiedenen politischen Lager.
Karl Rohe unterscheidet dabei ein sozialistisches, ein katholisches und ein nationales Lager. Andere Autoren unterteilen letzteres noch einmal in ein nationales und ein liberales Lager. Ungeachtet von Parteispaltungen, Zusammenschlüssen oder ähnlichen Ereignissen prägten diese Lager bis in die
Weimarer Republik hinein das politische Leben weitgehend mit. Alle diese Grundorientierungen hatte es in der ein oder anderen Weise bereits vor der Gründung des Kaiserreichs gegeben. Allerdings entstand mit der
Deutschen Zentrumspartei (Zentrum) erstmals eine starke katholische Partei, die annähernd alle sozialen Gruppen von der katholischen Landbevölkerung, die Arbeiterschaft bis hin zu Bürgertum und Adel erreichte. Doch blieb die Parteiorganisation schwach und das Zentrum entwickelte sich nicht zu einer Massenpartei. Ein weiteres Kennzeichen war der Aufstieg der Sozialdemokratie. Insgesamt hatte sich deren Anhängerschaft von 1874 bis 1912 verachtfacht. Von einem Stimmenanteil von etwa 9,4 Prozent (1877) stieg der Stimmenanteil auf 28,9 Prozent (1912).
Dem Aufstieg der Sozialdemokraten stand dabei kein bedeutsamer Abstieg des bürgerlichen und des katholischen Lagers gegenüber. Obwohl das Zentrum seinen Mobilisierungsgrad aus der Kulturkampfzeit nicht vollständig halten konnte, gelang es dieser Partei, sich auch angesichts einer wachsenden Wählerzahl zu behaupten. Bei allen Verwerfungen gelang es auch dem bürgerlichen Lager, weiterhin etwa ein Drittel der Wahlberechtigten zu erreichen. Nach der überproportionalen Stellung der Nationalliberalen und der Freikonservativen Partei zu Beginn des Kaiserreichs gab es innerhalb dieses Bereichs erhebliche Verschiebungen. Am Ende des Kaiserreichs lagen Linksliberale, Konservative und Nationalliberale mit jeweils etwas mehr als zehn Prozent gleichauf.
Nicht zuletzt auf Grund des
Kulturkampfes und später des
Sozialistengesetzes entwickelten die katholische Bevölkerung und die Anhänger der Sozialdemokratie einen besonders starken inneren Zusammenhalt. Begünstigt durch weitere Faktoren entstand ein
katholisches und sozialdemokratisches Milieu. In deren Umfeld entwickelte sich jeweils ein Organisations- und Vereinswesen, das die Bedürfnisse der jeweiligen Gruppe von der „Wiege bis zur Bahre“ erfüllte. Im katholischen Milieu war die Entwicklung differenziert. Vor allem in den agrarischen Teilen des katholischen Deutschland banden die Pfarrer, die Kirche sowie die traditionellen gemeindenahen Vereine die Menschen an das Milieu. In den Industriegebieten und Städten dagegen entwickelten sich zur Integration der katholischen Arbeiterbevölkerung mit dem
Volksverein für das katholische Deutschland und den christlichen Gewerkschaften Organisationen mit Millionen von Mitgliedern.
Im sozialdemokratischen Bereich entwickelten sich nach dem Ende des Sozialistengesetzes nicht nur die
SPD zu einer Massenorganisation. Noch stärker stiegen die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften an. Außerdem entstand teilweise auf älteren Grundlagen ein weit verzweigtes
Vereinswesen der
Arbeiterbildungsvereine, der Arbeitersänger oder der
Arbeitersportvereine. Konsumgenossenschaften rundeten dieses Bild ab.
Das Selbstverständnis und die Lebensweise von Katholiken, von Sozialdemokraten und der protestantischen bürgerlichen Gesellschaft fielen deutlich auseinander. Ein Wechsel zwischen ihnen war kaum möglich. Der Zusammenhalt wurde durch die jeweilige Sozialisation auch nach dem Ende von Kulturkampf und Sozialistengesetze weiter getragen.
[37]
Massenorganisationen [Bearbeiten]
Nicht nur im politischen Bereich, sondern auch in fast allen Lebensbereichen entfaltete sich die Massenmobilisierung zur Durchsetzung von Interessen und anderen gesellschaftlichen Zielen.
Propagandapostkarte des Flottenvereins
Auf der rechten Seite des politischen Spektrums mobilisierten ein übersteigerter
Nationalismus und die Kolonialbewegung Anhänger aus verschiedenen sozialen Gruppen. Der
Deutsche Flottenverein stützte sich auf 1,2 Millionen Mitglieder. Zumindest zeitweise gelang es auch dem
Antisemitismus, beachtliche Resonanz zu gewinnen. Dazu gehörte die
christlich-soziale Partei um den Prediger
Adolf Stoecker. Einige wirtschaftliche Interessenorganisationen griffen diese populistischen Forderungen auf, um so ihre eigene Position zu stärken. Besonders stark ausgeprägt war der Antisemitismus etwa im
Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband. Eng verbunden waren Nationalismus und Antisemitismus im
Alldeutschen Verband.
Besonders erfolgreich organisierte der
Bund der Landwirte (BdL) auch mit nationalen und antisemitischen Untertönen Landwirte aus dem ganzen Reich, wobei die Führung jedoch stets bei den ostelbischen
Agrariern lag. Er stützte sich dabei auf eine gut ausgebaute Organisation mit Millionen von Mitgliedern. Der Unterstützung des Bundes verdankten eine große Zahl von Reichs- und Landtagsabgeordneten ihr Mandat. Diese waren daher auch inhaltlich dem BdL verpflichtet. Weniger erfolgreich in dieser Hinsicht waren die Industriellenverbände wie der
Centralverband deutscher Industrieller (CdI). Aber auch diesem gelang es, durch eine erfolgreiche Lobbyarbeit im Hintergrund etwa in der Schutzzollfrage die Politik zu beeinflussen.
Mit den großen Industrieverbänden CdI und dem
Bund der Industriellen verbunden waren die vor allem seit den 1890er-Jahren entstehenden
Arbeitgeberverbände, die sich primär gegen die Mitspracheansprüche der Gewerkschaften richteten. Neben den großen Interessenverbänden gab es zahlreiche weitere wirtschaftlich orientierte Organisationen. Allein im Bereich Industrie, Handwerk, Handel und Gewerbe existierten 1907 500 Verbände mit ca. 2000 angeschlossenen Organisationen.
Entwicklung der Gewerkschaften in Deutschland nach ihrer politischen Richtung, 1887–1914
Ein Aspekt der Verknüpfung von Politik und Interessenvertretung in der Arbeiterbevölkerung war die Entstehung von
Richtungsgewerkschaften. Träger waren der (soziale) Liberalismus, das katholische Milieu und die Sozialdemokratie. Dabei hatten die sogenannten
freien Gewerkschaften im Umfeld der SPD nach dem Ende des Sozialistengesetzes die meisten Mitgliederzahlen. In wichtigen Industriegebieten, wie dem
Ruhrgebiet, waren die
christlichen Gewerkschaften teilweise aber ebenso stark oder sogar stärker. Hinzu kamen in diesem Gebiet nach der Jahrhundertwende auch Organisationen der polnischsprechenden Bergarbeiter, sodass die nichtsozialistischen Gewerkschaften in diesem industriellen Kernbereich des Reiches sehr bedeutend waren. Besonders schwer tat sich der linke Flügel des
Liberalismus mit dieser neuen Form der Politik. Zwar bestanden seit den 1860er-Jahren mit den
Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen liberal ausgerichtete Gewerkschaften, ihr Mobilisierungserfolg blieb allerdings vergleichsweise gering.
[38]
Nationalismus im Wandel [Bearbeiten]
Kaiser Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica um 1895
Zwar gab es weiterhin einzelstaatliche und dynastisch geprägte Sonderidentitäten. Aber im Überblick gewann die Identifikation mit der Gesamtnation eine gesellschaftlich prägende Bedeutung. Während des Kaiserreichs hat sich die Nationalstaatsidee deutlich gewandelt. Der alte
Nationalismus war bis 1848/1849 eine auf Veränderung abzielende
Oppositionsbewegung, die sich aus den klassisch-
liberalen Idealen der französischen Revolution gespeist und sich gegen die zu der Zeit als
konservativ geltenden Kräfte der
Restaurationsära gerichtet hatte. Spätestens mit der Reichsgründung begannen sich die Schwerpunkte zu verlagern. Die bisherigen Gegner auf der Rechten übernahmen nationale Ideen und Ziele. Der Nationalismus wurde tendenziell konservativ geprägt. Auf längere Sicht verlor dabei das
demokratische Element an Gewicht.
Wichtiger als die „Freiheit“ wurde die „Einheit“. Dies führte unter anderem zu einer Wendung gegen die nationalen und kulturellen Minderheiten im Reich, insbesondere gegen die Polen und – in Verbindung mit dem ab Ende der 1870er-Jahre an Bedeutung gewinnenden rassistisch begründeten
Antisemitismus – gegen die Juden (→
Berliner Antisemitismusstreit). In diesen Zusammenhang gehören auch die nationalen Leidenschaften im Kampf gegen den
ultramontanen Katholizismus. Im weiteren Verlauf der Reichsgeschichte richtete sich der Nationalismus nicht zuletzt gegen die
Sozialdemokratie. Deren
internationalistische und revolutionäre Ideologie schien der politischen Elite und ihren Anhängern ein Beleg für ihre Reichsfeindschaft zu sein. Vor diesem Hintergrund wurden die Sozialisten/Sozialdemokraten seit Ende des 19. Jahrhunderts noch während der
Ära Bismarck als „
vaterlandslose Gesellen“ diffamiert, beziehungsweise deren entsprechender Ruf in den damaligen regierungsfreundlichen und kaisertreuen Zeitungen lanciert.
Der Nationalismus im Kaiserreich entfaltete seit der Reichsgründung eine bis dahin unbekannte Breitenwirkung und erfasste im Zusammenwirken mit dem sich ebenfalls verstärkenden
Militarismus nunmehr auch die kleinbürgerlichen und bäuerlichen Bevölkerungsteile. Getragen wurde der Nationalismus von den Turn-, Schützen-, Sänger- und vor allem den Kriegervereinen. Aber auch Schule, Universität, die (evangelische) Kirche und das Militär haben zur Verbreitung beigetragen. „Kaiser und Reich“ setzte sich als feststehender Begriff durch. Dagegen hat die Verfassung des Reiches keinen eigenständigen Symbolwert entwickeln können. Von den Institutionen gewannen nur der Reichskanzler und der Reichstag in dieser Hinsicht eine gewisse Bedeutung.
Der Reichstag und die allgemeinen Wahlen wurden zu einem sichtbaren Stück nationaler Einheit. Mit den Feiern zu den Kaisergeburtstagen, dem Sedanstag
[39] und anderen Gelegenheiten durchdrang das Nationale den Jahreskalender vor allem der bäuerlichen und bürgerlichen Bevölkerung. Sichtbar wurde der Nationalismus auch in den zahlreichen Nationaldenkmälern wie dem
Niederwalddenkmal, dem
Hermannsdenkmal, später den
Kaiser-Wilhelm-Denkmälern auf dem
Deutschen Eck oder der
Porta Westfalica, den zahlreichen
Bismarcktürmen bis hin zu den lokalen Kriegerdenkmalen.
Auf längere Sicht konnten sich auch die „Reichsfeinde“ der Zugkraft des Nationalen nicht entziehen. Auf den
Katholikentagen wurde seit 1887 nicht nur ein Hoch auf den Papst, sondern auch eins auf den Kaiser ausgebracht. Vor allem nach Kriegsbeginn 1914 zeigte sich, dass auch die Arbeiter vom Nationalismus keineswegs unbeeinflusst blieben.
Vor allem während der wilhelminischen Epoche trat neben den halboffiziellen Nationalismus immer stärker ein
völkischer Radikalnationalismus, wie ihn etwa der
Alldeutsche Verband repräsentierte. Er propagierte nicht nur die Schaffung eines großen Kolonialreiches, sondern auch einen von Deutschland beherrschten mitteleuropäischen Machtbereich.
[40]
Ära Bismarck [Bearbeiten]
Die ersten Jahrzehnte des neuen Kaiserreichs waren innen- wie außenpolitisch in hohem Maße von der Person Bismarcks geprägt. Dabei zerfällt die Zeit zwischen 1871 und 1889 deutlich in zwei Phasen. Von 1871 bis 1878/79 arbeitete Bismarck vornehmlich mit den Liberalen zusammen. In der folgenden Zeit dominierten die Konservativen und das Zentrum.
Liberale Ära bis 1878 [Bearbeiten]
Angesichts des
Verfassungskonflikts der sechziger Jahre in Preußen ist