Schädigt der Büstenhalter die weibliche Brust mehr, als er ihr nutzt? Ja, sagt der Sportmediziner Jean-Denis Rouillon. Ein Gespräch darüber, was den Busen wirklich schön macht.
Reizwäsche ist französisches Kulturgut – nicht umsonst heißt es ja auch Dessous. Und jetzt das: Ausgerechnet ein Franzose will herausgefunden haben, dass Büstenhalter unnötig sind. Professor Jean-Denis Rouillon lehrt und forscht am Universitätsklinikum im französischen Besançon, bislang zu eher trockenen Themen wie etwa Redoxreaktionen. Seine jüngste Langzeitstudie aber hat den Sportmediziner schlagartig bekannt gemacht. „Faktoren der morphologischen Entwicklung des Busens nach Aussetzen des Büstenhalter-Tragens“, so lautet der Forschungstitel. Aber dahinter, sagt der 62-Jährige, verberge sich eigentlich „eine echte Frage“ – BH oder nicht?
Die Welt: Monsieur Rouillon, Sie haben 15 Jahre lang Brüste vermessen. Wie sind Sie denn auf diese Idee gekommen?
Jean-Denis Rouillon: Ich habe damals die französische Ski-Nationalmannschaft betreut. Als ich die jungen Frauen dort Belastungsübungen machen ließ, fiel mir auf, dass viele von ihnen dabei keinen BH trugen. Das wunderte mich, also fragte ich nach. Sie meinten, dass sie ohne BH besser atmen könnten, ihre Bewegungsfreiheit größer und ihre Haltung gerader wäre. Das brachte mich auf einen Gedanken: Was, wenn der BH eigentlich nutzlos oder sogar schädlich ist?
Die Welt: Also haben Sie angefangen, selbst zu forschen?
Rouillon: Ganz genau. Wenn Sie Studien über die Wirkung von BHs suchen, werden Sie rein gar nichts finden. Ich habe also im Universitätsklinikum von Besançon herumgefragt, ob es Frauen gebe, die an einer Langzeitstudie teilnehmen und dazu auf ihre Büstenhalter verzichten würden. Das funktionierte ganz gut. Inzwischen habe ich 320 Teilnehmerinnen, die meisten davon Sportlerinnen.
Die Welt: Und dann haben Sie regelmäßig deren Busen ausgemessen?
Rouillon: Richtig. Fotos wären viel zu ungenau, um Veränderungen festzustellen. Außerdem hätte man mir dabei vorwerfen können, dass ich schummele und Ergebnisse fälsche. So aber habe ich erst gemessen und dann allen Frauen ihre Daten mit nach Hause gegeben. Dort konnten sie selbst nachprüfen, ob das, was ich ausgemessen hatte, stimmte.
Die Welt: Und? Stimmte es?
Rouillon: Und wie! Bei fast allen Frauen haben wir festgestellt, dass die Brüste ohne BH nicht erschlaffen. Im Gegenteil: Das Muskelgewebe straffte sich und wurde fester, die Trägerinnen hatten keine Rückenschmerzen mehr und bekamen besser Luft, und teilweise hob sich der Busen sogar an. Sonst übernimmt ja der BH diese Aufgabe.
Die Welt: Also bekommen viele Frauen einen Hängebusen, eben weil sie einen BH tragen?
Rouillon: Das ist meine Vermutung. Denselben Effekt hätten Sie, wenn Sie drei Monate lang ein Korsett trügen und es dann ablegten: Sie würden sich krumm halten und über Rückenschmerzen klagen – weil das Gewebe und die Muskeln die Belastung einfach nicht mehr gewohnt sind.
Die Welt: Und das funktioniert bei allen Körbchengrößen?
Rouillon: Die meisten der Frauen in meiner Studie hatten eher kleinere Cups, Größe B oder C, das stimmt. Allerdings ist vor allem der Fettanteil entscheidend. Brüste werden ja immer auf sexuelle oder erotische Art betrachtet, aber zunächst einmal sind sie ein Körpergewebe wie jedes andere auch – und das Verhältnis von Muskelmasse und Fett darin ist genetisch veranlagt. Bei großen Körbchengrößen ist der Fettanteil höher; da zeigt das Weglassen des BHs nicht unbedingt Wirkung. Ich hatte aber zum Beispiel auch eine Fitnesslehrerin in der Studie, die Cup E trug – das heißt, ihr Busen hatte ungefähr ein Gesamtgewicht von zwei Kilo. Und trotzdem erzielte sie ohne BH eine Straffung des Gewebes und Messergebnisse, die weit über den erwartbaren Werten lagen!
Die Welt: Ist damit das Ende der Büstenhalter besiegelt?
Rouillon: Nein. Die Studie steckt wissenschaftlich gesehen noch in den Anfängen – es müssten erst tausende Probandinnen weltweit vermessen werden, um wirklich belastbare Aussagen treffen zu können. Außerdem haben nur junge, sportliche Frauen zwischen 15 und Mitte 30 teilgenommen. Für Mütter oder übergewichtige Damen gilt die Anti-BH-Hypothese zum Beispiel nicht.
Die Welt: Aber alle anderen Frauen sollten ihre BHs am besten einmotten?
Rouillon: Ich habe 14 Faktoren entwickelt, von denen Aussehen und Form des Busens abhängen, und der BH ist nur einer davon – mit Sicherheit aber einer der wichtigsten. Also: Tragen Sie ihn so selten wie möglich. Mir ist klar, dass es gerade im Berufsleben nicht ohne geht, aber sobald Sie zu Hause sind, weg damit! Gerade beim Sport! Außerdem helfen zum Beispiel regelmäßige Massagen oder Wechselduschen, um die Spannkraft des Gewebes zu stärken.
Die Welt: Sie stammen aus der Nation der Dessous. Sind Ihre Landsleute nicht empört, dass Sie der Reizwäsche jetzt den Kampf ansagen?
Rouillon: Büstenhalter sind ja per se keine französische Erfindung: Schon die Griechinnen der Antike verwendeten Brustbinden, auch in afrikanischen Stämmen schnüren sich Frauen den Busen ab. Meine Studie hat zwar nicht nur in Frankreich für Aufsehen gesorgt – was sicher auch am Thema liegt – aber insgesamt sehen die Franzosen das alles gelassen. An den Ergebnissen werden sich wohl nur Puritaner stören.
Ist der BH noch schädlicher als angenommen?
Laut neuesten Publikationen sei das Tragen eines BHs sogar ungesund. Forschungen, die in verschiedenen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, ergaben, dass BHs die Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs zu erkranken erhöhen würden. Frauen, die keine Büstenhalter verwendeten, hätten demnach ein um die Hälfte geringeres Risiko Brustkrebs zu bekommen. Das sei unteranderem damit begründet, dass die Unterwäsche den Lymphfluss einschränke. Dadurch werde der Abtransport von Giftstoffen und Stoffwechselprodukten aus den Zellen behindert. Auf Dauer könne das die Entstehung von Brustkrebs fördern heißt es.
Das bedeutet nicht, dass Frauen generell keine BHs mehr tragen sollen. Allerdings scheint es sinnvoll, wann immer es geht, auf das Kleidungsstück zu verzichten.
https://www.google.de/amp/s/amp.wel.../Sobald-Sie-zu-Hause-sind-Weg-mit-dem-BH.html
:-k