Dinarski-Vuk
Vuk sa Dinare
Das gilt in erster Linie für die orthodoxen Völker des osmanischen Reiches, und das liegt an dem hohen Maß an Freiheit und Macht, die die orthodoxe Kirche innerhalb des osmanischen Reiches noch besaß. In Nordalbanien und Kosovo war vor allem die Clanzugehörigkeit das Identitätsmaß, und wenn ich das richtig einschätze ebenso bei den Montegrinern (obwohl sie orthodox sind). Die kroatische Nation ist v.a. aus dem Stadtstaat Ragusa entstanden und ähnelt eher der Entstehungsgeschichte Italiens. Eigentlich ist eine religiöse Bindung eher die Ausnahme bei den europäischen Nationen, denn bei den meisten waren die religiösen Institutionen bereits sehr geschwächt, als die Nationen entstanden sind. In Westeuropa haben Adelsfamilien, das Bürgertum, und die Aufklärung den Machtkampf gegen die Kirchen schon lange gewonnen. In Griechenland, Serbien, usw. hingegen waren die orthodoxen Kirchen noch eine der mächtigsten Institutionen der Gesellschaft, als sie ihre Unabhängigkeit vom osmanischen Reich erlangt haben.
Nehmen wir mal 1830 als Ausgangspunkt. In Frankreich stürzten zu diesem Zeitpunkt die Bourbonen und eine neuerliche Revolutionswelle erfasste Europa, bzw. damit trat auch der moderne Nationalismus auch in Südosteuropa in einem neuem Gewand auf. Das komplizierte an der Sache ist, das man sich heute immer noch über den Begriff der "Nation" uneinig ist, sprich ihre Entstehung und ihren Gehalt. Ältere Theorien plädieren von einer überzeitlichen, sprachlich-kulturellen bestimmten Existenz der Völker, während die neuere Wissenschaft zwar die eigentliche Identität ethnischer Gemeinschaften anerkennt, betont aber auch die sozialen, kommunikativen und kulturellen Faktoren, welche sie erst im Verlauf eines längeren Prozesses zu modernen Nationen geformt hätten. Ich würde das nicht nur auf die orthodoxen Völker eingrenzen.
Wie in Deutschland oder in Italien, beharrten die südosteuropäischen Nationalbewegungen auf die "Kultur-Nation", also auf sprachlich-kulturelle Gemeinsamkeiten. Auftrieb erhielt der Nationalismus vor allem durch den Zeitgeist der Romantik, der durch eine grössere Emotionalität geprägt war als die Aufklärung mit ihrer Verehrung der abstrakten Vernunft. Die Serben, Rumänen und Griechen haben bereits Ende des 18. Jahrhunderts Forderungen nach einem eigenem Staat gestellt, die Kroaten, Slowenen und Bulgaren erst ab 1830. Die Albaner und Bosniaken artikulierten sich diesbezüglich erst nach 1870.
In Bezug auf dein Beispiel mit Ragusa stimmt das meiner Meinung nach nur bedingt, da sich die kroatische ähnlich wie die tschechische Nationalbewegung auf das historische Staatsrecht darauf berufen hat. Die Argumentation lautete stets, dass der kroatische Adel im Mittelalter zwar die Oberhoheit des ungarischen Königs anerkannt hat, aber die Eigenständigkeit Kroatiens nie aufgegeben hatte. Und ja, bin bei dir wenn man sagt, dass es am schwersten diejenigen Nationen hatten, die in der Vergangenheit kein eigenes Staatswesen besessen haben, seien es die Slowenen, Albaner, Rumänen und Makedonier. Da sich ihr Nationalismus nicht auf historische Gräösse oder Kontinuität berufen konnte, traten Kultur und Sprache sowie Ethnizität als Identifikationsbasis in den Vordergrund.