Die Lüge vom starken Zoll – und der stille ökonomische Aufstand der Vernunft
Sie nennen es wirtschaftliche Befreiung, was sie tun. Doch was da geschieht, ist nichts als die Maskerade einer Ideologie, die sich an der Vergangenheit berauscht, während sie die Zukunft verheizt. Fast 900 Ökonomen – darunter zwei Nobelpreisträger, konservative Veteranen, Berater ehemaliger republikanischer Präsidenten – haben einen Brief unterzeichnet, der klingt wie eine letzte Warnung aus dem Maschinenraum des Verstands. Es ist kein Aufschrei. Es ist ein Seufzen, ein letztes Aufrichten gegen die Flut der Mythen, gegen das nationalistische Gebrüll eines Präsidenten, der Zölle nicht als Mittel begreift, sondern als Waffe. Und wie alle Waffen trifft sie nicht die, die sie führen – sondern die, die ihnen ausgeliefert sind.
„Die Zölle der Regierung basieren auf einem fundamental falschen Verständnis der wirtschaftlichen Realität der Amerikaner“, heißt es in dem Brief. Und weiter: „Die sogenannten reziproken Tarife werden nach einer willkürlichen Formel berechnet, die keinerlei ökonomische Grundlage hat.“ Es sind Sätze von erschütternder Schlichtheit, die wirken, als kämen sie aus einer Welt, die das Rechnen noch über das Rufen stellte. Der Präsident jedoch, der sich als Erlöser inszeniert, verkündet am 2. April den „Tag der Befreiung“ – gemeint ist eine neue Zollrunde gegen Länder rund um den Globus. Eine Woche später rudert er zurück, verhängt eine 90-tägige Pause für die härtesten Maßnahmen, aber hält an zehn Prozent Grundtarif für die meisten Staaten fest. Was bleibt, ist Chaos. Was wächst, ist der Preis. Und was zerstört wird, ist Vertrauen.
Er spricht von Produktionsrückverlagerung, von der Wiedergeburt der amerikanischen Industrie, von nationaler Stärke. Doch hinter diesen Worten liegt ein anderes Amerika: eines, in dem die Preise steigen, die Märkte schwanken, Investitionen ausbleiben. Die Börsen zittern, die Anleihenmärkte senden Notsignale. Die Zukunft verzieht sich unter einer Wolke aus Drohungen und Pausen, Ankündigungen und Rücknahmen. Kanada, Mexiko, Europa, China – alles wird zur Zielscheibe, zum Feindbild, zum Rechtfertigungskörper eines politischen Egos. Und währenddessen entgleitet dem Land, was es einmal ausgezeichnet hat: Berechenbarkeit, Verlässlichkeit, ökonomische Souveränität durch Offenheit.