Ehrenmorde in der Türkei
In der Türkei fallen alljährlich zahlreiche Menschen sogenannten Ehrenmorden zum Opfer. So wurden, nach Polizeiangaben aus Ankara, zwischen 2000 bis einschließlich 2005 um die 500 Frauen und 700 Männer ermordet. Am 17. Mai 2009 wurden einer 23-jährigen Kurdin in der Türkei Nase und Ohren abgeschnitten; sie wurde mit einer Stichwaffe im Unterleib schwer verletzt und von Familienangehörigen gefoltert.
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Metropol hielten im Jahr 2006 bis zu 30 Prozent aller türkischen Studenten „Ehrenmorde“ für eine legitime Reaktion auf eine Verletzung der Familienehre. Besonders hoch war die Zustimmung an osttürkischen Universitäten.
Die Untersuchung Dynamics of honor killings in Turkey: Prospects for Action des United Nations Development Programme kam im Jahr 2008 zu dem Schluß, dass befragte Türken zwischen Morden um der Ehre Willen und Morden aufgrund von Tradition (Töre), denen ein Beschluß von Familiengremien zugrunde liegt, unterscheiden. In Großstädten wie Istanbul und unter befragten Migraten wurden derartige Traditionsmorde als „das Problem anderer“ betrachtet, insbesondere als eines der östlichen und südöstlichen Regionen des Landes. Als Gründe hierfür wurden die dortige Unterentwicklung, die bestehenden Sozialstrukturen und andere Defizite angeführt. Morde um der Ehre Willen wurde hingegen von den Befragten überwiegend als unvermeidlich beschrieben, da sie auf dem Handeln Einzelner beruhen.
Befragte in den genannten ländlichen Regionen äußerten hingegen zumeist die Auffassung, das zwischen Morden um der Ehre Willen und Traditionsmorden kein Unterschied bestehe. Die Studie kommt an dieser Stelle zu der Schlußfolgerung, das in diesen Gebieten Tradition eine wichtige Rolle darin spielt, welche Werte mit dem Begriff der Ehre in Verbindung gebracht werden. Vor allem wenn Ehre als der einzige Lebenszweck betrachtet oder durch die Kontrolle über den Körper der Frau konstruiert wurde, wurden Ehrenmorde mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als “verständliche” oder “akzeptable” Handlungen betrachtet.
Die Kontrolle von Männern über die Sexualität von Frauen, die Keuschheit von Mädchen, eheliche Untreue und Scheidungen werden in der Studie mit dem Ehrbegriff wiederholt in direkten Zusammenhang gebracht. Weitere Faktoren sind „angemessenes Verhalten“, „angemessene Kleidung“ und die Erfüllung der Erwartungshaltungen bezüglich der vorausgesetzten Pflichten, die Zulässigkeit des Schulbesuchs und der gewählte Freundeskreis der Frauen. Wiederholt wurden von den Befragten Zusammenhänge zwischen ihren Traditionen und den Regeln des Islam genannt. Insbesondere junge Männer zwischen 18-25 nahmen laut Studie harte und intolerante Standpunkte bezüglich Fragen der Jungfräulichkeit und Scheidungen ein, und stellten zwischen dem Verhalten ihrer Familienmitglieder und ihrer eigenen Ehre einen direkten Zusammenhang her, während sich ältere Männer im Vergleich gemäßigter äußerten. Frauen, abgesehen von solchen mit geringerer Bildung, aus abgelegenen traditionellen Gebieten oder mit starker religiöser Bildung äußerten sich häufig weniger streng als Männer.
Im Jahr 2008 stellte die UNDP Studie Human Development Report – Youth in Turkey erneut fest, dass vor allem in den ländlichen Gebieten der Türkei jedes Jahr hunderte von Frauen sterben um die angeblich verletzte Ehre ihrer Familien zu rekonstituieren. Die Furcht das die Ehre eines Mädchens in irgendeinerweise „berührt“ wurde ist hierbei nicht nur die Grundlage für Kinderheirat, sondern gerade auch für Ehrenmorde.
Laut der Studie kamen, nach Angaben der türkischen Polizei, zwischen 2005 und 2008 1.091 Menschen durch Ehrenmorde ums Leben, wobei viele Fälle nicht den Behörden gemeldet werden und/oder sondern als Selbstmorde, Unfälle oder Ähnliches verschleiert werden.