[h=1]Griechenland streitet um Makedonien und mit Albanien: Angst vor der Geschichte[/h]
Von Michael Thumann
Florina/Thessaloniki
Pavlos Voskopoulos erregt sich: „Die Athener Regierung behauptet, wir seien slawophone Griechen. Aber wir sind Makedonien wir sind Slawen!“ Der junge Architekt sitzt auf dem Hauptplatz des nordgriechischen Städtchens Florina, schlürft griechischen Kaffee und klagt, die Regierung unterdrücke die „makedonische Minderheit“. Florina heiße eigentlich Lerin, sogar sein eigener Nachname sei von den Griechen verfälscht worden; richtig sei Filipov. „Wir haben keine Schulen in unserer Sprache“, redet sich der bekennende Slawe in Rage, „wir dürfen keine Vereine gründen, ja, wir werden sogar gerichtlich verfolgt!“
Das klingt erschreckend und scheint jene Behauptungen zu untermauern, die im jungen nördlichen Nachbarland – in der ehemaligen jugoslawischen Republik Makedonien – seit langem kursieren und bereits Menschenrechtsorganisationen beunruhigt haben.
Wie leben die „Slawen“ im griechischen Makedonien?
In dem 200-Seelen-Dorf Lofi bei Florina wohnen alteingesessene makedonische Familien. Die Männer des Dorfes drängen sich im Kaffeehaus um vier Spieler, Karten fliegen über den Tisch. Sie fluchen auf griechisch, auf slawisch. Sind sie Slawen? „Nein, natürlich sind wir Griechen.“ Einer ist anderer Meinung: „Ich bin Slawe.“ Ist er unterdrückt? „Unfug, von wem denn? Ich bin doch genauso griechischer Bürger wie alle anderen.“ Einer slawo-makedonischen Bewegung würde er sich nicht anschließen: „Das sind Aktivisten. Bei uns im Dorf gibt es auch einen. Soll er doch protestieren, niemand hindert ihn.“ Das Kartenspiel geht weiter.
Lofi ist keine Ausnahme. Die meisten slawisch sprechenden Makedonier in Nordgriechenland fühlen sich nicht als unterdrückte Minderheit, sondern als Teil der erdrückenden Mehrheit. Zwischen 50 000 und 100 000 Griechen beherrschen den slawischen Dialekt, einige haben ihn nachträglich gelernt – fürs Geschäft, denn der Dialekt ist Marktsprache. Und er wird gesungen.
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Die slawophonen Griechen Makedoniens[/h]Die Untersuchung gliedert die politische Geschichte der slawophonen Einwohnerschaft in der griechischen Provinz Makedonien in einen aktuellen und in einen historischen Teil. Der aktuelle Teil hat zwei Schwerpunkte. Er analysiert zum einen die Ergebnisse einer Feldforschungsreise durch Makedonien und untersucht zum anderen die politische Standortbestimmung einer dort agierenden makedonischen Nationalbewegung. Auf diese Weise wird der Verbreitungsgrad eines makedonischen Nationalbewusstseins festgestellt und ein vorhandener Gegensatz mit der griechischen Mehrheitsgesellschaft auf seine Intensität hin untersucht.
Der historische Teil informiert zunächst über die Gesellschaftsstruktur des Osmanischen Reiches im 19. Jahrhundert, da sich erstmals in diesem Milieu eine slawische Emanzipationsbewegung organisierte. Sie sammelte sich unter bulgarischen Vorzeichen und argumentierte sowohl gegen die griechisch-orthodoxe Kirchenhierarchie als auch gegen die osmanische Staatsmacht. Die dadurch in Gang gesetzten Handlungsabläufe ließen die europäischen Großmächte aktiv werden. Diese begannen, das politische Schicksal Makedoniens mitzubestimmen. Letztlich konnten sie jedoch nicht verhindern, dass revolutionäre Vereinigungen pro-bulgarischer und pro-griechischer Provenienz Makedonien zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einen Bürgerkrieg führten.
Der weitere Fokus richtet sich auf die regionale südosteuropäische Politik, da die hier vertretenen Mächte bei der Zukunftsgestaltung Makedoniens aktiv mitmischten. Im Zuge zweier Balkankriege, des Ersten Weltkrieges sowie eines Griechisch-Türkischen Krieges verschoben sich nicht nur Grenzen sondern veränderten Flüchtlingsströme nachhaltig das ethnographische Gesicht Makedoniens. Als Ergebnis erhielt Griechenland einen Großteil dieser Region, welche auch zur neuen Heimat zahlreicher griechischer Vertriebener aus der Türkei wurde. Ihre Ansiedlung kam einer breit angelegten Hellenisierungskampagne gleich, deren moralische Kehrseite besonders während der Metaxas-Diktatur der Unterdrückung einer vorhandenen südslawischen Identität entsprach. In dem Maße in dem die politische Rechte Griechenlands bemüht war, die slawophonen Makedonier zu hellenisieren, in dem Maße war die Kommunistische Internationale daran interessiert, diese Bevölkerungsgruppe als Klientel für eigene politische Strategien zu gewinnen.
Konflikte waren vorprogrammiert, welche während des Zweiten Weltkrieges und des anschließenden Griechischen Bürgerkrieges blutig ausgefochten wurden. Zunächst sahen sich die slawophonen Einwohner von bulgarischen und italienischen Besatzungsbehörden umworben, um schließlich auch für die politisch links stehende griechische Widerstandsbewegung als Machtfaktor gegen die Besatzungsmächte interpretiert zu werden. Im benachbarten Jugoslawien förderten die politischen Entscheidungsträger derweilen ein makedonisches Nationalbewusstsein, welches zusätzlich die slawophonen Makedonier Griechenlands beeinflusste. Die hierunter subsumierten Kräfte konnten sich politisch jedoch nicht durchsetzen und mussten ihre angestammte Heimat gegen Ende des Griechischen Bürgerkrieges verlassen. Zurück blieben jene slawophonen Einwohner, die sich pro-griechisch zeigten oder denen es gelang, ihre politische Neutralität glaubhaft zu machen. Insofern wurde es in den folgenden Dekaden still um die slawophone Einwohnerschaft Griechenlands. Erst die Gründung einer makedonischen Partei zu Beginn der neunziger Jahre unterstrich, dass es diese Bevölkerungsgruppe überhaupt noch gab.