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Endlosschleife Part 2: Mazedonier vs. Griechen

Weiße Strände, Meer, Sommer, Sonne – Impressionen, die der norwegische Filmemacher Håvard Bustnes bisher mit Griechenland verband. Doch scheint sein ursprünglicher Eindruck in den letzten Jahren durch erschütternde Ereignisse innerhalb des Landes getrübt worden zu sein. Ausgehend des Aufstiegs der rechtsextremen Partei Goldene Morgenröte stellt er sich in seiner Dokumentation Golden Dawn Girls aus dem Jahr 2017 die Frage: „What happened to Greece?“[1]
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Filmplakat der Golden Dawn Girls (2017).
Die Partei Goldene Morgenröte oder auch Chrysí Avgí gilt als neofaschistische, rechtsextreme Partei Griechenlands, die zudem kriminelle Tätigkeiten unterhält. Die Registrierung als solche erfolgte 1993 mit Gründer Nikolaos Michaloliakos als Parteivorsitzendem. Im Jahre 2012 zog die Goldene Morgenröte schließlich erstmals in das griechische Parlament ein.[2] Der beschleunigte Zuwachs an Anhängerschaft in dieser Zeit lässt sich in Verbindung mit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2012 erklären.[3] Diese ermöglichte Wahlkampagnen basierend auf den Sorgen der Bevölkerung zu Immigrationsthemen, Sparpolitik, Arbeitslosigkeit und Ähnlichem, die großen Anklang fanden. Die Wahlen von 2015, deren Zusammenhänge in der folgenden zu besprechenden Dokumentation behandelt werden, führen letztendlich zum Aufstieg der Partei an dritte Stelle innerhalb Griechenlands.[4]
Bis 2019 war die Goldene Morgenröte im Parlament vertreten, bis die Drei-Prozent-Hürde nicht mehr erreicht werden konnte. Ein Jahr später am 7. Oktober 2020 fiel das Urteil zum im Jahre 2015 begonnenen Prozess unter dem Anklagepunkt der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen die Partei, das damit führende Personen und Mitakteure zu Haftstrafen verurteilte.[5]
Zur vertretenen Ideologie zählen zum Beispiel territoriale Ansprüche an Nachbarstaaten, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit oder Positionierung gegen die LGBT-Community, was oft auch durch aktive Anwendung von Gewalt ausgedrückt wird.[6] Ein populäres Beispiel aus dem Jahr 2013, das Håvard Bustnes ebenfalls in seiner Dokumentation thematisiert, ist hier anzuführen: der Mord an dem 34-jährigen antifaschistischen Rapper Pavlos Fyssas in Keratsini. Giorgos Roupakias, Mitglied der Goldenen Morgenröte, wird für das Verbrechen zur Rechenschaft gezogen.[7] Die zahlreichen Anschuldigungen zu rechtsextremen, nationalsozialistischen Agitationen werden von der Partei generell vehement abgelehnt.
Der norwegische Film Golden Dawn Girls thematisiert den Aufstieg der Partei zur generell fünftgrößten des Landes. Dabei werden Werte, Denkweisen und Persönlichkeiten der Partei allgemein und insbesondere von drei Protagonistinnen portraitiert. Die Dokumentation bezieht sich dabei vor allem auf die stellvertretende Machtübernahme beziehungsweise Leitung der Frauen, während einige Hauptakteure der Goldenen Morgenröte im Zuge der Verhaftung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung im Jahre 2013 einige Zeit im Gefängnis verweilen.[8] Dabei handelt es sich um Ourania, Tochter des Gründers und Parteiführers Nikolaos Michaloliakos, Dafni, Mutter von ehemaligem, führendem Mitglied Panagiotis Iliopoulos und Jenny, Frau von Parteimitglied Giorgos Germenis,[9] die regelrecht als Stars an die Spitze der Partei treten.
Der Film gibt einen Überblick über die Ereignisse, die dazu geführt haben und begleitet den weiteren Verlauf der Vorbereitungen zur Wahl 2015 anhand der Protagonistinnen. Dabei werden auch die Entwicklungen der Gerichtsverhandlung verfolgt, die letztendlich auf die Freilassung und Wiederaufnahme der Führung der inhaftierten Mitglieder hinausläuft.[10]
Golden Dawn Girls spiegelt Filmemacher Håvard Bustnes‘ Impressionen und Einschätzung der Geschehnisse im Allgemeinen als auch im Rahmen der Dreharbeiten wider. Er beleuchtet die für ihn erschreckende Kehrseite der Partei zwischen Fakt und politischer Propaganda, die Menschen blenden und die Geschichte einer Nation verdunkeln kann.[11]
Die Dokumentation beginnt mit drei Ausschnitten aus verschiedenen Interviews der drei Protagonistinnen Ourania, Dafni und Jenny. Der Regisseur bittet sie den Unterschied zwischen einem Nationalisten und einem Nazi zu erklären, zusammenhängend mit einer Stellungnahme zu den Anschuldigungen an die Goldene Morgenröte eine Neo-Nazi Partei zu sein. Aus ihren Antworten ergibt sich bereits ein Muster, das sich durch den ganzen Film ziehen wird und die politischen Taktiken der Mitglieder im Allgemeinen verdeutlicht: Abstreiten, Ausweichen, Manipulieren. Ourania sieht sich erst gar nicht in der Position sich erklären zu müssen, indem sie die Frage beantwortet. Sie beendet das Gespräch mit dem Statement „I don’t care about clearing that up“[12]. Dafni nimmt sich der Frage und der Erklärung des Unterschieds an und streitet dabei jegliche Verbindung zur Goldenen Morgenröte ab in der Feststellung „Nazism is for Germany. Nationalism is for Greece.“[13]. Jennys Definition ähnelt dieser: „Neo-Nazi means nationalist in Germany“[14]. Alle drei Aussagen verbindet das Negieren jeglicher Zusammenhänge von Nationalsozialismus und ihrer Partei und politischen Gesinnung, begründet vor allem durch die Eingrenzung auf Hitler und Deutschland, womit man sich nicht identifizieren und zusammenbringen lassen kann. Leugnung und Verdrehung der Tatsachen zu eigenen Zwecken zieht sich wie ein roter Faden durch gezeigte Interview Situationen in denen die Befragten unter anderem direkt mit stichhaltigen Beweisen konfrontiert werden.
So zum Beispiel wird Dafni und Jenny ein Video des Angriffs auf Straßenstände in Rafina vorgelegt, das in den Medien sehr präsent vertreten war. Auf diesem ist zu sehen wie einige Mitglieder der Partei, so auch Dafnis Sohn Panagiotis Iliopoulos und Jennys Mann Giorgos Germenis, die Zulassungspapiere der Verkäufer verlangen, um illegale Einwanderer herauszufiltern. Die Behauptung, die Polizei darüber informiert zu haben, wird zu Protokoll gegeben, dies hält die Männer allerdings nicht davon ab die Dinge in die eigene Hand zu nehmen, denn „[they] did what the Golden Dawn had to do“[15]. So beweisen es die Videoaufnahmen, die Szenen von brutaler Zerstörung und Niedertrampeln der Stände offenbaren, mitten darunter Flaggen von Griechenland hoch erhoben.[16] Was hat aber Jenny zu diesen Ausschnitten zu sagen? Die Frau reagiert entsetzt auf die Formulierung des Regisseurs Bustnes „[t]hey were beating“[17] (unter anderem bezogen auf Germenis) und hängt sich an genau diesem Wortlaut auf. Nach erneuter Analyse des Videos sei eindeutig zu sehen, dass weder Personen zu Schaden gekommen sind noch, dass ihr Mann auf den Aufnahmen des direkten Zerstörungsaktes zu sehen ist. Auf die Frage hin, ob solch ein Verhalten zu tolerieren ist, lautet die Antwort es sei lediglich ein Tisch zerbrochen, was kein großes Verbrechen darstelle. Außerdem richte sich die Tat nicht gegen Ausländer, sondern gegen fehlende Papiere.[18]
Viele solcher Aktionen werden beschönigt, verharmlost, als Missverständnis abgestempelt oder als Verschwörung angesehen. Die Frauen wollen die Dokumentation nutzen, um sich und ihre Partei in gutem Licht zu präsentieren, ihre Seite zu zeigen, ganz im Gegensatz zur angeblichen Dämonisierung in den Medien. Es wird zwar ermöglicht einen größeren Blick hinter die Kulissen zu werfen, aber nur soweit wie es die Protagonistinnen eben zulassen. Die Selbstinszenierung der Frauen in Szenen aus ihren Wohnungen oder in ihrem Garten zusammen mit der Familie vermitteln Normalität, vielleicht sogar Harmlosigkeit. So zeigt Ourania der Kamera stolz ihre Disneyfilm-Kollektion und ihre Brettspiele, die sie in ihrer Freizeit gern mit Freunden spielt. Paradoxerweise befindet sich dann in unmittelbarer Nähe dazu ein Plakat der als Märtyrer empfundenen Parteimitglieder Fountoulis und Kapelonis, die, wie sie scharf anmerkt, aus einem Racheakt heraus nach dem Mord an Rapper Fyssas von „sub-governmental trash“[19] getötet wurden.
Auch Kinder werden im Film oft als Propagandamittel verwendet, wie Filmemacher Bustnes auch selbst anmerkt: „you want me to see only the good things. You with babies…“[20]. Eine Szene mit Dafni und ihrer Enkelin verdeutlicht die Nutzung der Kinder als Untermauerung ihrer These in Bezug auf die Verhaftung des Parteivorsitzenden Nikolaos Michaloliakos. Die allgemeine Feststellung auf die Frage hin, was er gemacht habe, lautet schlichtweg „nichts“.[21] Die Botschaft, die mitschwingt, scheint klar: sogar Kinder sind sich seiner Unschuld bewusst. Ideologie und Ideale werden also von Anfang an späteren Generationen mitgegeben. Allerdings wirken Ausschnitte, in denen Dafnis Enkel freudig mit real aussehenden Schusswaffen und Handgranaten im Garten spielen eher alarmierend als harmlos menschlich.
Der Kontrast zwischen Realität und Propaganda wird durch die Dokumentation des norwegischen Filmemachers sehr deutlich. Im Gegensatz zu den Dingen, die die Frauen von sich und ihren Tätigkeiten innerhalb der Partei während der Abwesenheit der männlichen Führer preisgeben, stehen die Einschnitte und Impressionen von Håvard Bustnes. Es werden Protestszenen begleitet von Ausrufen wie „Blood! Honour! Golden Dawn!“[22] oder „Greece belongs to Greeks!“[23] und Fernsehauftritte gezeigt, die in Gewalt und Rassismus enden oder Fotos von Mitgliedern, die mit Hitlergruß posieren. Die von der Partei ausgehende Bedrohlichkeit zeigt sich zudem im Umgang mit der Filmcrew, sodass Bustnes von Zeit zu Zeit sogar Angst um seine Begleiter haben muss[24]. Die tiefe Verworrenheit von Leben und Politik verkörpert sich in den drei Protagonistinnen und zeigt eine engstirnige, abwehrende Mentalität auf, die unerschütterlich in ihren Idealen scheint.
Der Film endet mit Taufszenen einiger Kinder von Parteimitgliedern. Der für die Eltern und Verwandte freudige Anlass wird jedoch vielmehr als bedrohliche Mahnung und verheerender Ausblick in die Zukunft dargestellt und wahrgenommen. Politik wird bereits im Namen eines Kindes, „Irini Golden Dawn“[25], verankert; eine Ideologie, die Generationen überdauern soll. Ob die Anhänger der Goldenen Morgenröte tatsächlich als Einheit bestehen können oder ob die Frauen nun nach der Verurteilung 2020 erneut an die Spitze der Politik treten bleibt nur zu vermuten.


Warum der Rassismus aus Griechenland (noch) nicht verschwinden wird



Ein Beitrag von Julia Almohammad
Im folgenden Beitrag werfen wir einen Blick auf Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Griechenland seit der Wirtschaftskrise 2008 bis heute und führen ein Interview mit der afrikanischstämmigen Irakerin Rawda, die 2016 mit der Flüchtlingswelle nach Griechenland kam und uns von ihren subjektiven Eindrücken erzählen wird. Wir reden mit ihr über die Zeit im Flüchtlingslager, Rassismus als Problem in der griechischen und arabischen Gesellschaft und ziehen ein Fazit für die Zukunft.
Mit der zunehmenden Migration aus nicht EU Ländern nach Griechenland ist auch ein Anstieg von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der griechischen Bevölkerung zu beobachten. Ein Teil der Migranten sucht eine bessere Zukunft in Europa und reist häufig nach Deutschland, Frankreich oder Italien weiter, andere fliehen nach Griechenland um Krieg, Folter oder Verfolgung zu entkommen. 2015 brachte die Flüchtlingswelle das Land dann nicht nur politisch, sondern auch menschlich an seine Grenzen.
Seit 2008 häufen sich Übergriffe auf Migranten in Griechenland immer mehr: physische Gewalt auf offener Straße, Beschädigungen von Geschäften der Migranten, Straßenkämpfe zwischen Griechen und Ausländern sowie Attacken mit Rauchbomben auf religiöse Gebäude sind nur einige von vielen. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus entstanden aber nicht von heute auf morgen, sondern waren ein längerer Prozess, in dem mehrere Faktoren zu der Ausbreitung und dem Erstarken von Hass führten.[1]
2008: Die Krise überrollt Griechenland
Anfang des Jahres stürzte Griechenland in seine wohl schlimmste Finanzkrise der letzten Jahrzehnte. Es war nicht nur, dass die Preise für Lebensmittel und den Unterhalt fast unerschwinglich wurden, die Menschen verloren auch zu einem großen Anteil ihre Arbeit. Die Arbeitslosenquote stieg in Griechenland von 8,7 % im letzten Quartal 2006[2], als eines der Länder mit der geringsten Arbeitslosenquote auf 21,4% im zweiten Quartal 2008 und teilte sich somit mit Spanien die höchste Quote der EU.[3] Für Ausländer, die den Griechen die Arbeit in der sowieso so schlechten Lage wegschnappten, war kein Platz mehr.[4] Neben der Jobkonkurrenz trug aber auch noch ein weiterer Faktor zu der steigenden Ausländerfeindlichkeit bei: Mit dem Verlust der Arbeitsplätze nahm auch die Kriminalität in den Städten rasant zu. Die Gesellschaft fühlte sich einer unkontrollierbaren, gefährlichen Bedrohung ausgesetzt. Von 2010 bis 2011 nahm die Quote bewaffneter Raubüberfällen in Häusern um 110 % zu. Und auch im Jahr 2012 war noch fast jeder vierte Grieche arbeitslos.[5]
2012: Die Stunde der Extremisten
Die stagnierende schlechte soziale und wirtschaftliche Lage bescherte rechtsradikalen Parteien wie der „Goldenen Morgenröte“ einen enormen Aufschwung, indem sie die Griechen in ihrer ausländerfeindlichen Haltung bestätigten und ihnen Versprechen für eine Besserung der Situation machten. Parteianhänger und andere rechtsradikale Sympathisanten riefen zu Vergeltungstaten gegen die Migranten auf.[6] Der brutale Tod eines 19-jährigen Irakers in einem Athener Ausländerviertel durch vier Männern schlug in den griechischen Medien 2012 hohe Wellen: Eine Woche zuvor hatte ein Pakistaner eine 15-jährige Griechin misshandelt und schwer verletzt, der Tod des Irakers sollte die Rache dafür gewesen sein. Die Regierung verurteilte diese Art der Selbstjustiz auf das schlimmste, die Medien sprachen von einem rassistischen Amoklauf und einem „unbekannten Krieg“ gegen den Rassismus.[7]
Im selben Jahr startete die griechische Polizei die Operation „Xenios Zeus“, bei der die griechischen Polizisten alle dunkelhäutigen Menschen in den Städten und an den Grenzen kontrollieren sollten, um illegale Einwanderer zu ausfindig zu machen und wieder in ihre Länder zu schicken. Im Parlament wird seitdem über Änderungen von Gesetzen zum besseren Schutz gegen Rassismus, Xenophobie und Intoleranz diskutiert.[8]
2015: Ein Jahr der Gegensätze
2015 verschärfte die Flüchtlingskrise den Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit in der griechischen Bevölkerung weiter. Zu den ohnehin weiterbestehenden sozialen, wirtschaftlichen Problemen und dem Hass der Bevölkerung gegen Migranten kam jetzt auch die Angst vor Verfremdung hinzu, und das, obwohl die Griechen den Flüchtlingen zu Beginn der Krise noch sehr hilfsbereit gegenüber waren.
Dies lag zum einen vermutlich an den Geldsummen, die zur Unterstützung nach Griechenland flossen und zu einer Stärkung der lokalen Wirtschaft beitrugen, sowie an der Tatsache, dass Griechenland da nur ein Transitland für die Flüchtlinge war. Außerdem wurden zu der Zeit auch fast alle führenden Mitglieder der „Goldenen Partei“ vor Gericht geführt und wegen der Gründung krimineller Organisationen für Angriffe auf Migranten, sowie der Ermordung eines Wanderarbeiters und einem antifaschistischen Rapper im Jahre 2013 angeklagt.
Die positive Einstellung änderte sich allerdings mit dem Türkei-Deal im März 2016, durch den die Flüchtlinge nicht mehr in die EU weiterreisen durften und in Griechenland bleiben mussten. Die anhaltende, zusätzliche politische und soziale Belastung des Landes durch die immer neuen kommenden Flüchtlingsströme, sowie die fehlende Hilfe der anderen EU-Länder ließen die griechische Hilfsbereitschaft in noch mehr Hass umschlagen.[9]
Meine Interviewpartnerin Rawda war eine der Flüchtlinge, die 2016 nach Griechenland kam. Die afrikanischstämmige Irakerin schildert ihre subjektiven Eindrücke von ihrer Zeit in einem der griechischen Flüchtlingslager und erzählt von ihren Erfahrungen mit Rassismus.
IA: Hallo Rawda, kannst du uns zunächst ein wenig über dich erzählen?
Rawda:
Hallo. Mein Name ist Rawda, ich bin 21 Jahre alt und wurde in Mossul geboren. Ich bin 2016 als Flüchtling nach Griechenland gekommen. Meine Eltern leben auch heute noch im Irak, aber ich habe einen großen Bruder hier. Meine Mutter ist afrikanischer Abstammung, ihre Vorfahren kamen wahrscheinlich ursprünglich aus dem Sudan. Sie lebt allerdings schon in der 3. Generation im Irak.
IA: Erzähl uns, wie du nach Griechenland gekommen bist.
Rawda:
Mein Vater wollte das so. Nachdem der IS unsere Stadt erobert hatte, wollte er mich und meinen Bruder wegschicken, damit wir in Sicherheit sind. Er bat einen Bekannten darum uns über die Grenze in die Türkei zu schleusen und dann nach Griechenland, da war ich gerade einmal 16. Wir blieben dort ungefähr eineinhalb Jahre in einem Flüchtlingscamp.
IA: Wie war diese Zeit in Griechenland?
Rawda:
Sehr einsam. Ich hatte Glück, dass mein Bruder bei mir war. Jeder Tag war eigentlich gleich: aufstehen, auf die Weiterreise hoffen, schlafen. Wobei schlafen mir am schwersten fiel. Die anderen dort im Lager waren mehrheitlich Männer und ein paar wenige Ehefrauen mit Kindern, eine andere Vertrauensperson außer meinen Bruder hatte ich also nicht wirklich. Die griechische Polizei und die Menschen waren sehr grob, sie haben uns das Essen teilweise auf den Boden geschmissen oder es in der Sonne liegen lassen. Wenn sich jemand darüber aufgeregt hat, sind sie auch laut geworden, was sie aber gesagt haben weiß ich nicht. Wir konnten uns ein wenig auf Englisch mit ihnen verständigen.
IA: Wie würdest du die Griechen beschreiben?
Rawda:
Als sehr stolz. Sie sind stolz auf ihre Kultur und ihre Geschichte, was ich auch nachvollziehen kann. Ich persönlich sehe schon einige Parallelen zu der arabischen Kultur, auch wenn das jetzt für viele wahrscheinlich nicht nachvollziehbar ist. Im Irak ist Griechenland als eines der schönsten Länder Europas bekannt.
IA: Welche Erfahrung hast du mit den Griechen während der Zeit dort gemacht?
Rawda:
Die Anwohner um das Camp haben immer große Bögen um mich gemacht, ein älterer Mann hat mich einmal angespuckt als ich ihm seine Zeitung aufgehoben habe. Physisch angegriffen worden bin ich aber nicht, habe es aber bei anderen gesehen. Menschen wie ich, denen man ihre afrikanische Herkunft ansieht, sind im Irak schon eine sehr seltene Besonderheit, aber nicht im positiven Sinne. Ich war negative Reaktionen und Anfeindungen deshalb schon vorher gewohnt und war um ehrlich zu sein nicht schockiert sie von den Griechen auch zu bekommen. Allerdings habe ich schon irgendwo gedacht, die Griechen wären da offener als wir in den arabischen Ländern. Europa hat ja den Ruf der Gleichheit und Freiheit.
IA: Die Iraker haben auch ein Problem mit Rassismus?
Rawda:
Sagen wir es so: die „richtigen“ Araber akzeptieren Leute wie uns nicht als ihresgleichen. Die jüngere Generation ist da schon aufgeschlossener, sie haben im Hinterkopf aber manchmal schon noch das Denken ihrer Eltern. Leute, die mich nicht kannten fragten erstmal vorsichtig woher ich denn komme, und waren ganz erstaunt wenn ich in perfektem arabisch meinte, ich bin Irakerin mit afrikanischen Wurzeln in der 4. Generation. „Aha! Dann bist du aber keine Araberin, sondern eine „Schwarze“!“ war da die gängige Reaktion. Als Kind hat mich das schon sehr traurig gemacht. Als ich ins Teenageralter kam meinten die andere Mütter zu meiner, ich müsse jemanden finden der so ist „wie ich“ , denn ihre Söhne würden sie niemals erlauben eine „Schwarze“ zu heiraten, nicht mal wenn sie auch Muslimin wäre.
IA: Dann warst du ja praktisch „doppelt belastet“ in Griechenland.
Rawda:
Ja. Wobei ich aber nicht sagen kann, ob es die Tatsache war, dass ich ein Flüchtling bin oder meine Hautfarbe. Bei der Aufnahme der Personalien und den Kontrollen wurde mir aber oft nicht geglaubt, dass ich Irakerin bin. Sie dachten, ich würde lügen. Ich kann mich aber auch noch gut an einen Vorfall im Sommer erinnern. Die griechische Polizei kontrollierte gerade einen Mann afrikanischer Herkunft und fragten ihn, woher er kommt. Er meinte in schlechten Englisch nur Syria, Syria. Nachdem die Polizisten gegangen waren, sprach ich ihn auf Arabisch an, er schüttelte aber nur den Kopf und gab mir ein Handzeichen, dass er mich nicht verstehen konnte. Solche Fälle bestärken die ausländerfeindliche Stimmung dort natürlich.
IA: Kannst du das Verhalten der Griechen denn verstehen?
Rawda:
Naja es ist natürlich falsch, keine Frage. Sie sind aber auch schon durch viele negative Erfahrungen mit Migranten vorbelastet, trotzdem sollte man aber nie in ein Kastendenken verfallen. Sobald das passiert, ist es schwer sich wieder vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Ich denke sie haben teilweise aber auch Angst sich selbst und ihre Kultur zu verlieren, wenn sie sich auf andere, so gegensätzliche Kulturen einlassen. Eben weil sie so stolz und nationalbewusst sind, sehen sie andere Kulturen, die vielleicht auch so stark wirken als Bedrohung. Schon alleine deshalb beschäftigen sie sich gar nicht mit ihr und versuchen auch nicht sie zu verstehen. Unwissen schürt aber die Angst und Feindseligkeit weiter.
IA: Wie könnte man das ändern?
Rawda:
Die junge Generation ist da entscheidend. Sie sind die Zukunft und heutzutage größtenteils auch sehr aufgeschlossen gegenüber anderen Kulturen, sie interessieren sich für sie und sehen sie als eine Bereicherung statt eine Last.
IA: Aber?
Rawda:
Die älteren Generationen und die Erziehung spielen da schon noch eine sehr große Rolle. Auch die Jungen werden durch die Sichtweisen ihrer Eltern geprägt, wie diese von ihren usw. Das kann man nicht komplett von einem Tag auf den anderen ablegen, und das ist auch gut so. Mann muss das auch nicht. Es reicht, wenn man die Ohren für Neues offen hält, sich mit gegenseitigem Respekt behandelt und nicht aufeinander herabschaut. Aber die arabische und die griechische Kultur können beide sehr stur sein. Es wird noch sehr lange dauern bis diese Einsicht bei der Mehrheit ankommt.
IA: Das griechische Parlament diskutiert ja über die Änderung von Gesetzen zum Schutz gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Wird das denn etwas an der Situation ändern?
Rawda:
Aus meiner Sicht nicht. Es müssen die Menschen sein, die sich ändern, nicht die Gesetze, nur dann funktioniert das. Es bringt nichts, durch Gesetze Toleranz als eine Richtlinie vorzugeben, die nicht aus eigener Überzeugung in den Menschen da ist. Deshalb ist Aufklärung so wichtig. Die Griechen sind was das angeht aber schon viel weiter als die arabische Welt, sie thematisieren Rassismus ja auch offen in den Medien, was den ein oder anderen bestimmt auch zum Umdenken anregt. Rassismus in der arabischen Welt war als Thema lange verboten und „existiert nicht“, weil es niemanden gibt, der es kritisiert.[10]
2018-heute: Eine Tür zur Zukunft?
Seit 2017 erholt sich Griechenlands Wirtschaft langsam wieder von der Finanzkrise. Die Arbeitslosenquote liegt aber immer noch weit über den ursprünglichen 8,7% vor 2008.[11] Faschistische Parteien wie die „Goldene Morgenröte“ beginnen sich wieder neu zu bilden und auch die Umfragen zeichnen sich die Ängste der griechischen Bevölkerung vor den Migranten ab: das griechische Zentrum für Sozialforschung veröffentlichte 2018 einen Bericht, nach dem die Griechinnen und Griechen angaben, die Migration als Bedrohung für ihre Wirtschaft, Kultur, Identität und Gesellschaft im Allgemeinen zu sehen.[12] Und auch die gewalttätigen Übergriffe auf Ausländer gehen weiter: im September 2020 legten Brandstifter im Flüchtlingslager bei Moria auf der Insel Lesbos ein Feuer, bei dem mehrere Menschen starben. Allerdings ist ein weiterhin starkes Interesse der Medien an der Aufklärung und Kritik der Themen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit zu beobachten.[13]
Mein Fazit?
Die Wirtschaftskrise 2008 und das damit verbundene soziale und wirtschaftliche Elend der Bevölkerung sowie die hohe Kriminalität führte zu dem Aufstieg der Rechtsextremisten, die den Hass gegen Ausländer weiter antreiben. Mit der Flüchtlingskrise und der zusätzlichen sozialen Belastung kam auch die Angst vor Verfremdung. Der Rassismus ist in Griechenlands Gesellschaft auch heute noch weit verbreitet. Das zunehmende Interesse der Medien sowie die offenen Diskussionen, die ein Unterstützen und Verbreiten dieser Denkweisen kritisieren und aufklären, zeigen aber, dass das Problem erkannt und ernst genommen wird. Die Jugend spielt dabei eine besonders wichtige Rolle als Vermittler zwischen den älteren Generationen und dem neuen, modernen Wandels den wir durchleben. Dass die griechische Gesellschaft dazu fähig ist, ihre voreingenommenen Denkweisen abzulegen, bewies sie zu Beginn der Flüchtlingskrise 2015. Der Rassismus ist also noch da, ja, aber ihm wird auch immer mehr entgegengewirkt, was uns eine berechtigte Hoffnung auf ein toleranteres Miteinander in der Zukunft geben kann.


Afrogriechen und Afrotürken im Vergleich



Ein Beitrag von Louisa Knörrich
Afrogriechen und Afrotürken verbindet eine Gemeinsamkeit, sie sind beide Schwarz. Doch ist das das einzige, die die beiden Gruppen verbindet? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es in ihren Leben? Und wie ist das Leben in einem Land, in dem der Großteil der Bevölkerung weiß ist?
Die meisten Afrogriechen leben heute in Avato, einem Dorf in der Nähe der nordgriechischen Stadt Xanthi. Obwohl in diesem Dorf hauptsächlich Schwarze Menschen leben, ist es den meisten Menschen in Griechenland gar nicht bewusst, dass es überhaupt Schwarze Griechen gibt (The African Greeks of Avato (Full Documentary), 2016).
Ähnlich sieht es bei den Afrotürken aus. Die meisten von ihnen leben heute in Izmir, einer Stadt an der Ägäis-Küste. Auch in der Türkei sind die meisten Menschen erstaunt, wenn sie herausfinden, dass es Schwarze Türken gibt (Afrotürken sprechen über Sklaverei in der Türkei | Fokus Europa, 2019).
Die afrikanischen Wurzeln der Afrogriechen und Afrotürken
Wie sind die Afrogriechen und Afrotürken überhaupt in ihr heutiges Heimatland gekommen? Historiker sind sich über die Geschichte der Afrogriechen unsicher, einige sagen, dass die ersten Afrikaner während der Osmanischen Herrschaft nach Griechenland gebracht wurden, um dort als Sklaven zu arbeiten. Andere glauben jedoch, dass sie schon viel früher ankamen, nämlich bereits in der Antike (Papapostolou, 2016). Einer der Dorfbewohner erzählt, dass in Avato 2500 Jahre alte Skulpturen gefunden wurden, welche die Existenz von Schwarzen zur Zeit der Antike beweisen könnte. Er fügt hinzu, dass wenn er den Weißen Griechen erzählen würde, dass er ein Nachfahre von Democritus ist, diese ausflippen würden. Das würde nämlich bedeuten, dass er seine griechischen Wurzeln bekam als es Griechenland als solches noch überhaupt nicht gab. Ihnen wurde erzählt, dass ihre Vorfahren vor etwa 200 Jahren aus dem Sudan als Sklaven in das Osmanische Reich gebracht worden sind. Welche Geschichte wahr ist, ist nicht klar, eventuell liegt in beiden ein wahrer Kern (The African Greeks of Avato (Full Documentary), 2016).
Geschichte und Herkunft der Afrotürken sind andererseits besser bekannt. Die Afrotürken sind Nachfahren von afrikanischen Sklaven aus dem osmanischen Reich welche in der Mitte des 19. Jahrhunderts in die Türkei gebracht worden sind (Afrotürken sprechen über Sklaverei in der Türkei | Fokus Europa, 2019). Die afrikanischen Sklaven wurden damals von der wohlhabenden Schicht aufgekauft und arbeiteten dann beispielsweise auf den Feldern von Izmir oder lebten in den Harems von Konstantinopel. Nach der Abschaffung der Sklaverei wurden die Schwarzen Sklaven von einem auf den anderen Tag zu freien, türkischen Staatsbürgern. Doch ihre Hautfarbe änderte sich nicht und wird vermutlich immer an ihre schmerzhafte Vergangenheit erinnern (Billette, 2016).
Die Herkunftsgeschichte der beiden Gruppen ist ähnlich und viele ihrer Vorfahren haben vermutlich ähnliche Schicksale erlebt. Aber was denken sie heute über ihre Wurzeln? Sind sie ihnen wichtig?
Die Afrogriechen aus Avato sehen Griechenland als ihr Zuhause und ihr Heimatland an. Obwohl ihre Wurzeln in Afrika liegen, würden sie dieses nicht als ihr zweites ,,Mutterland‘‘ bezeichnen. Sie alle wuchsen in Griechenland auf, einige dienten der griechischen Armee und laut ihrer Aussage wird deshalb Griechenland immer ihr Heimatland bleiben. Trotzdem würden viele gerne eine Reise nach Afrika machen, um zu sehen, wo sie herkommen (The African Greeks of Avato (Full Documentary), 2016).
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Die Afrogriechen aus Avato bei einer Zusammenkunft. Quelle: Greek Reporter
Bei den Afrotürken aus Izmir sieht es ähnlich aus. Der Großteil der schwarzen Türken kennt seine afrikanischen Wurzeln nicht. Die Afrotürken sehen sich als Türken, genau wie die Afrogriechen sich als Griechen sehen. Auch sie sind in diesem Land geboren und fühlen sich dort zuhause (Afrotürken sprechen über Sklaverei in der Türkei | Fokus Europa, 2019). Die Afrotürken pflegen die türkische Kultur und auch ihre Küche ist türkisch. Sie tragen türkische Kleidung und ihr Dialekt entspricht der in der Ägäis-Region gesprochenen, in welcher sie leben. Außer ihrer Hautfarbe unterscheidet sie nichts von den weißen Türken. Sie leben seit über einem Jahrhundert dort, es ist ihre Heimat. Ihre Vorfahren kamen vor über einem Jahrhundert als Arbeiter und Soldaten nach Anatolien. Für sie ist die Türkei ihre einzige Heimat. Sie fühlen sich nicht fremd in dem Land, schon ihre Eltern sind hier geboren. Sie sind sogar zum türkischen Militär gegangen. Ihre Väter waren Soldaten und ihre Vorfahren haben im Ersten Weltkrieg in Canakkale mitgekämpft (Die Afro-Türken aus Izmir, 2018). Doch trotzdem interessiert es sie, wo ihre Wurzeln liegen. Die Nachforschung ist jedoch relativ schwer, da es so gut wie keine Dokumente aus dieser Zeit gibt. Auch in der Schule werden keine allgemeine Information über die Geschichte der afrikanischen Sklaven im osmanischen Reich gelehrt (Afrotürken sprechen über Sklaverei in der Türkei | Fokus Europa, 2019).
Zelebration der afrikanischen Kultur
Die Afrogriechen aus Avato haben keine besonders große Verbindung zu der afrikanischen Kultur ihrer Vorfahren. Die einzige Verbindung, die die Bewohner des griechischen Dorfs zu der afrikanischen Kultur haben, ist die Musik. Einer der der Dorfbewohner erzählt, dass er Schlagzeug spielt, er hat es sich selbst beigebracht und spielt heute auf Hochzeiten. Nun bringt er es auch seinem Sohn bei, dessen größter Traum ist es ein Schlagzeuger in einer Band zu sein. Er sagt, dass die Musik im Blut der Familie liegt, sie ist mit den Afrogriechen aus Afrika mitgekommen. Doch es gibt keine anderen Dinge, die die Dorfbewohner tun, die an ihre afrikanische Seite erinnert. Sie sind durch und durch Griechen (The African Greeks of Avato (Full Documentary), 2016).
Anders als die Afrogriechen pflegen die Afrotürken ihre afrikanische Seite. Durch die Assimilierung geriet die afrikanische Seite ihrer Kultur in Vergessenheit, doch das soll sich nun ändern. Dafür wurde nicht nur ein Verein gegründet, sondern es findet auch einmal im Jahr ein Festival in Izmir statt, zu dem viele Besucher, unter anderem aus Amerika und Afrika, kommen. Zum Abschluss des jährlichen Festivals gibt es stets ein großes gemeinsames Picknick an dem es allerdings türkisches Essen und Musik gibt. Auf der anderen Seite tragen die Menschen dort neuerdings Baströckchen und bunt bedruckte Hemden, welche als Hinweise auf ihre afrikanische Kultur zu verstehen sind. Insofern zelebriert das Festival in Izmir sowohl die afrikanischen Wurzeln der Afrotürken als auch ihr Heimat, die Türkei. Dadurch ist auch die Afrotürkische Gemeinschaft in den letzten Jahren stärker und größer geworden. Vor allem aber durch den neuen Zustrom an Migration aus dem afrikanischen Kontinent erfährt die Gemeinschaft einen großen Zuwachs. Die alteingesessenen Afrotürken freuen sich sehr, wenn sie Afrikaner dort treffen welche ihnen über ihre Kultur und Heimat berichten können. Die meisten Afrotürken können sich keine Reise nach Afrika leisten, somit können diese Erfahrungen sehr wichtig und besonders für sie sein (Afrotürken sprechen über Sklaverei in der Türkei | Fokus Europa, 2019).
Das Rassismus Problem und politische Unterstützung
Schwarze Menschen auf der ganzen Welt erleben jeden Tag Rassismus. Wie sieht es bei den Afrogriechen und Afrogriechen aus?
Heute leben nicht mehr so viele Schwarze Familien in dem griechischen Dorf wie früher, viele sind inzwischen selbst entweder nach Deutschland oder in die Niederlande ausgewandert. Durch die geringe Zahl an Schwarzen Griechen, sind die meisten nun miteinander verwandt. Dadurch sind sie praktisch dazu gezwungen, weiße Menschen zu heiraten. Dadurch wird die Farbe ihrer Haut von Generation zu Generation heller, wie sie in der Dokumentation berichten. Einer der Dorfbewohner sagt mit einem leichten Lächeln im Gesicht, dass das, was nicht mit Seife gereinigt werden kann, durch die Generationen hinweg gereinigt wird. Dies ist als Anspielung an ein rassistische Sprichwort zu verstehen (siehe dazu die Beiträge von Laura Maria Fetz und Franziska Gerschler in diesem Blog). Es ist nicht zu leugnen, dass sich Rassismus überall versteckt. Einer der Bewohner von Avaton ist sich sicher, dass Rassismus immer existieren wird, denn Rassismus wird jedem Kind beigebracht. Es ist die Erziehung, diese ist nicht mehr aus dem Gehirn zu löschen. Seine Lösung für Alltagsrassismus sind Liebe und Respekt. Denn die Hautfarbe eines Menschen sollte irrelevant sein. Dadurch, dass sie Schwarz sind, erleben sie sehr viel ungewollte Aufmerksamkeit. Polizisten glauben ihnen nicht, dass sie Griechen sind. Und dass nur weil sie Schwarz sind. Im Ausland sind Menschen unglaublich begeistert, wenn sie erfahren, dass sie Griechen sind. Diese Art von Begeisterung erleben sie in ihrem Heimatland nicht.
Obwohl das Ende der Sklaverei nun schon Jahrzehnte her ist, haben die Bürger von Avaton bis heute keinerlei Hilfe vom Staat bekommen. Sie konnten weder lesen geschweige denn auf gute Schulen und Universitäten gehen da der Staat in Bezug auf die Bildung überhaupt nicht geholfen hat. Sie versuchen, auf eigene Faust zu überleben. Laut den Dorfbewohnern ist es ein täglicher Kampf, auch wenn es schlimmer wird, ist es in Ordnung. Sie leben mit dem was ihnen gegeben ist (The African Greeks of Avato (Full Documentary), 2016).
In der Türkei fängt es damit an, dass Afrotürken häufig selbst in ihrer Heimatstadt für Flüchtlinge gehalten werden. Rassistische und abwertende Bezeichnungen wie ,,Araber‘‘ kommen häufig vor. Sogar Bekannte der Afrotürken machen manchmal scherzhaft rassistische Bemerkungen. Auch wenn das nicht verletzend gemeint ist, ist es dennnoch Rassismus (Afrotürken sprechen über Sklaverei in der Türkei | Fokus Europa, 2019). Alltagsrassimus kommt immer vor, aber selten wird den Afrotürken wirklich das Gefühl gegeben, dass sie Fremde in der Türkei sind. Hierin zeigt sich die Absurdität der Skalierung von Rassismus und der Ausmaß an Ignoranz, gehen doch immer noch bestimmte Menschen davon aus, dass die Schwarzen Türken gar keine Türken sind und halten sie für Geflüchtete. Sobald die Afrotürken zeigen, dass sie fließend türkisch sprechen, sind sie still. Ist es der simplen Angst vor dem Fremden zu verschulden? Manchmal bekommen sie komische Fragen gestellt, die sie nicht besonders gerne hören. Es sind die typischen Fragen, die jeder Mensch hört, der nicht dem stereotypischen Aussehen seines Landes entspricht. ,,Wo kommst du her? Also, wo kommst du wirklich her?’’. Doch die meisten Afrotürken wissen überhaupt nicht aus welchem afrikanischen Land, geschweige denn aus welchem Stamm sie ursprünglich herkommen. Hierin kann man durchaus eine Parallele zu den Afroamerikanern sehen, die kaum etwas über ihre Vorfahren wissen. Die Afrotürken sind in der Türkei geboren, sie sind Türken. Wenn sie dann nach ihrer Nationalität gefragt werden und mit ,,Türkisch’’ antworten und sagen, dass sie aus Izmir kommen, glauben viele das nicht. Die schwarze Hautfarbe verwirrt viele, die noch nie von Schwarzen Türken gehört haben (Die Afro-Türken aus Izmir, 2018).
Die Afrotürken wollen etwas in der Türkei ändern, Yalcin Yanik ließ sich zum Beispiel als Parlamentskandidat einer linken Partei aufstellen. Er ist der Meinung, dass die Afrotürken inzwischen in der Gesellschaft sichtbar sind, nur in der Politik mangelt es an Diversität. Immerhin war der Bürgermeister Izmirs bei dem Festival anwesend, um mit den Afrotürken zu feiern und das liberale Image der Stadt hervorzuheben (Afrotürken sprechen über Sklaverei in der Türkei | Fokus Europa, 2019).
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Parlamentskandidat Yalcin Yanik in seiner Werkstatt. Quelle: La Croix
Sowohl die Afrogriechen als auch die Afrotürken erleben in ihrem Leben Rassismus, hauptsächlich Alltagsrassismus. Die Welt entwickelt sich aber weiter und die Toleranz und Akzeptanz von Menschen, die nicht wie sie selber sind, nimmt zu.
Im abschließenden Vergleich lässt sich sagen, dass das Leben der beiden Gruppen sowohl Unterschiede als auch viele Gemeinsamkeiten aufweist. Die größte Gemeinsamkeit ist: Afrogriechen sind Griechen und Afrotürken sind Türken. Ja, sie haben afrikanische Vorfahren, aber das ändert nichts an ihrem Selbstverständnis und ihrer Identität. Beide Gruppen würden gerne in die Heimat ihrer Vorfahren reisen aber aufgrund des Mangels an finanziellen Mitteln ist dies nicht möglich. Dies ist sicherlich ein weiterer, gemeinsamer Aspekt; denn die Kraft der Geldbörse trägt erheblich zur gesellschaftlichen Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz bei. Am schwerwiegendsten ist allerdings der institutionelle Rassismus, über den es jedoch noch sehr wenige Untersuchungen gibt. Bezüglich des im Alltag erlebten Rassismus kann man jedoch positiv darauf blicken, dass die Afrogriechen und Afrotürken großteils als Teil der Gesellschaft aufgenommen werden, auch wenn es immer wieder Fälle von Rassismus gibt. Mit der Zeit wird die Zahl an rassistischen Menschen hoffentlich immer kleiner.
Hinweis: Bei der Verwendung des Generischen Maskulinums sind alle Geschlechter gemeint.

Erotokritos und das „Blackfacing“. Im Gespräch mit Giorgos Gousis und Dimosthenis Papamarkos



Ein Beitrag von Luisa Bollweg
Erotokritos gleicht schon fast einer mythologischen Figur, handelt es sich doch um die wohl bekannteste in die Folklore übergegangene Erzählung Griechenlands. Und vielleicht auch genau deshalb ist sie immer wieder mit Kontroversen verbunden. In unterschiedlichen Medien wird die Figur des Erotokritos im 4. Teil des Versromans mit unterschiedlicher dunkler Tönung seiner Haut gezeichnet und beschrieben. In einigen Übersetzungen und Editionen ist diese Verdunkelung der Hautfarbe auch negativ konnotiert „…sie schwärzt ihn und kohlrabenschwarz wird er bis in die Poren so hässlich ist geworden er, so tief war seine Schwärze, dass selbst die eigene Mutter ihn nicht hätt´erkennen können.“ So in der deutschen Übersetzung von Hans Eideneier der Bühnenfassung von Spyros Evangelatos (vergleiche dazu den Beitrag von Jonathan Beise). In einigen visuellen Editionen wird er wie eine Karikatur, mit schwarzer Haut und roten Lippen dargestellt. Können wir hier noch von Zeitgeist reden oder handelt es sich gar schon um Rassismus? Kann man das im Versroman für die Geschichte wichtige „Blackfacing“ zeitgemäß und politisch korrekt umsetzten? Im Folgenden möchte ich zunächst einen historischen und allgemeinen Rahmen schaffen, um dann auf ein Gespräch mit den Machern des 2016 bei Polaris Publishers erschienenen Erotokritos-Comicbuches, Giorgos Gousis und Dimosthenis Papamarkos einzugehen.
Historischer Hintergrund
Das Hauptwerk der kretischen Renaissance ist wohl der Versroman Erotokritos. Verfasst wurde dieser im frühen 17. Jahrhundert im heutigen Iraklio. Der Verfasser Vincenzos Cornaros kam aus einer gräzisierten venezischen Familie, hier ist anzumerken, dass sich die Forschung bis heute nicht sicher sein kann, wer genau Cornaros war. Laut seinen eigenen Angaben ist er im ostkretischen Sitia 1545 geboren. Die Frage, wie eine venezianische Familie nach Kreta kommt, ist historisch einfach zu beantworten und zu verfolgen. Hier möchte ich gerne der Vollständigkeit halber aus der Einführung der auf deutsch übersetzten Bühnenfassung zu Erotokritos von Prof. Dr. Eideneier zitieren:
„Mit der Eroberung Konstantinopels im Rahmen des Vierten Kreuzzuges 1204 wurden die Staatsgebiete des Byzantinischen Kaiserreichs unter den siegreichen Kreuzfahrern (unter den griechischsprachigen Orthodoxen des Kaiserreichs als „Franken“ bezeichnet) aufgeteilt. Konstantinopel wurde bereits 1261 zurückerobert, doch andere Teile des ehemals byzantinischen Großreiches verblieben unter der fränkischen das heißt westlichen Oberhoheit. Der Stadtstaat Venedig, der die Flotte der Kreuzfahrer finanziert hatte, bemächtigte sich neben anderen Besitzungen der Insel Kreta, wo zwischen 1211 und 1252 insgesamt 250 Familien aus der venezianischen Oberschicht zur Beherrschung und Ansiedlung eintrafen.“
Anfänglich war der venezianische Adel aufgrund seines katholischen Glaubens in dem von Byzanz und Orthodoxie geprägten Umfeld verhasst, eine allmähliche Integration führte jedoch im 15. Jahrhundert zu der oben erwähnten kretischen Renaissance. Cornaros‘ Erotokritos ist in einer poetischen Kunstsprache oberhalb des gesprochenen regionalen Dialekts, aber unterhalb der gelehrten offiziellen Schul- und Schriftsprache entstanden.
Erotokritos
Hans Eideneier übersetzt den Namen des Erotokritos als „der Leidgeprüfte“. Für Cornaros ist der Versroman ein Werk über die „Umkehrung des Schicksals“, die „Macht der Liebe“, und den „Beschwernissen des Waffenhandwerks“. Für mich ist es eine in die vorchristliche Zeit verortete Liebesgeschichte, ähnlich wie der von Romeo und Julia. Eine durch Standesunterschiede erschwerte, eine, die mit einer Prise Magie und gemeisterten Prüfungen ein Happy End bekommt. Eine ausführliche Zusammenfassung liefert Linos Politis in seiner Geschichte der Neugriechischen Literatur von 1984:
„Aretoussa ist die einzige Tochter des Königs Herakles, Erotokritos der Sohn des Ratgebers. Erotokritos fühlt eine starke und wegen des Standesunterschieds ungehörige Liebe zu Aretoussa, und im ersten Teil können wir verfolgen, wie das gleiche Gefühl in ihr heranreift. Der Dichter, der mit seiner Heldin sympathisiert (die wie Romeos Julia 13-14 Jahre alt ist), zeigt uns in bewundernswerter Weise das Aufblühen und die allmähliche Verwandlung des unschuldigen Kindes in eine Frau, die ganz von ihrem Gefühl beherrscht wird. Der zweite Teil enthält eine Beschreibung des Turniers, das der König zur Zerstreuung seiner Tochter veranstaltet. Junge Männer aus allen Teilen Griechenlands marschieren auf und nehmen ihren Platz ein in diesem kriegerischen Spiel. Sieger ist natürlich Erotokritos, besonders zeichnet sich aber der Sohn des Königs von Byzanz (Konstantinopel) und der Sohn des Königs von Zypern neben dem Kreter aus. Sehr charakteristisch ist die später eingeschobene Episode mit dem Zweikampf des Kreters gegen Karamanitis aus Anatolien, „der lange Zeit ein Feind der Insel Kreta war“. Den beiden Geliebten gelingt es, sich um Mitternacht an einem vergitterten Fenster des Palastes zu treffen, er draußen, sie drinnen. Aber als der König davon erfährt, gerät er außer sich, schickt Erotokritos in die Verbannung und sperrt Aretoussa ins Gefängnis (3. Teil). Aber inzwischen ist Krieg ausgebrochen zwischen den Athenern und den Vlachen. Erotokritos, durch ein geschwärztes Gesicht und mit einer Zauberflüssigkeit unkenntlich gemacht, hilft seinem König, und am Ende besiegt er im Zweikampf Aristos, des Sohn des Königs der Vlachen (4. Teil). Dann folgt das Ende: König Herakles gibt seine Tochter und sein Königreich dem unbekannten Helden, der ihn gerettet hat, und nach vielen weiteren Abenteuern gibt sich dieser am Ende zu erkennen.“
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Theater, TV, Musik und Comics: um nur einige der zeitgenössischen Medien zu nennen, in denen Erotokritos präsent ist. Die erste Begegnung mit dem Versroman haben die meisten jungen Griechen schon vor ihrer Schulzeit, durch Musik. Ερωτόκριτος (Erotokritos) von Nikos Xilouris ist eines der bekanntesten Lieder für Bouzouki und erzählt die Geschichte der zunächst aussichtslos erscheinenden Liebe des Erotokritos und seiner Aretoussa. In den 1950er Jahren erschien das erste Comicbuch zu Erotokritos auf Griechisch in der Reihe der Illustrierten Klassiker. 2016 die Version von Giorgos Gousis, Dimosthenis Papamarkos und Yannis Ragos auf Griechisch und Englisch. In dieser 2016, in modernem Griechisch erschienenen Version des Comicbuches ist die verzauberte Figur des Erotoktritos, im Gegensatz zu anderen Versionen, nicht mit einer schwarzen Tönung der Haut dargestellt. Hier ist die Haut viel mehr von einer dunkleren Oliv-Tönung und sein Gesicht wird von einem dichten schwarzen Bart bedeckt. (s. Bild)
Gespräch mit Erotokritos-Illustrator Giorgos Gousis
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Giorgos Gousis wurde 1986 in Athen geboren. Er arbeitet als Illustrator und Comicbuch-Designer. Gerade arbeitet er an seinem Debütfilm als Regisseur. Der Comic Erotokritos ist wohl sein bekanntestes Werk außerhalb der griechischen Comicbuchszene, ist es doch auch in den von Touristen beliebten Museen auf Englisch und Griechisch erhältlich. Auch Giorgos erste Begegnung mit Erotokritos war über die Musik. Auf die Frage nach der Essenz des Erotokritos verweist er auf eine typische Nachtromanze mit einem feministischen Twist. Aretoussa sei vielseitiger, nicht nur ein Mädchen das auf dem Balkon auf ihren Liebsten wartet, sondern ein sehr viel komplexerer Charakter die ihren Part und ihre „Frau“ innerhalb der Geschichte steht. „Es ist eine viel modernere Version der klassischen Nachtromanze auch wegen der magischen, mystischen Komponente“ so Gousis.
In der Umsetzung des Comics, so erklärt er mir, versuchten sie so präzise wie möglich am Original des Versromans zu bleiben. Und in dieser originalen Version wird Erotokritos in seiner magischen Verkleidung als Sarazenischer Kämpfer beschrieben. Der Begriff Sarazenen -von lateinisch sar[r]acenus; wahrscheinlich über arabisch شرقيون†, šarqīyūn ‚Menschen des Ostens‘ bezeichnet ursprünglich einen im Nordwesten der arabischen Halbinsel siedelnden Volksstamm. Infolge der islamischen Expansion wurde der Begriff in lateinischen Quellen und im christlichen Europa als Sammelbezeichnung für die islamisierten Völker verwendet, die ab etwa 700 n. Chr. den östlichen und südlichen Mittelmeerraum beherrschten.
Giorgos Gousis beschreibt mir einen Sarazenischer Kämpfer als Nahöstlich, Nordafrikanisch aussehend. Besonders Kreta habe eine sehr enge Beziehung zu diesen gehabt, nicht nur wegen des Handels über das Mittelmeer- „Mediterraneum war damals mehr als eine interkontinentale Region, die Menschen haben zusammengelebt, sich ausgetauscht, es gab nicht die Art von Rassismus, die es heute gibt.“
„Die Tatsache, dass der König Erotokritos als den besten Krieger, in seiner Sarazenischen Verkleidung anerkennt, zeigt dem Leser, dass es keine Limitation gibt- er entschied sich für den dunkleren Sarazenischen Krieger, um die Griechen zu repräsentieren.“
Für Giorgos Gousis ist der originale Versroman und damit auch die direkt übernommene Comicadaption liberal und „open minded“ wie er sagt. „Beim Kreieren hatte ich im Kopf, dass wir uns im Mediterraneum befinden, nicht nur in Griechenland, und beim verzauberten Erotokritos hatte ich einen Nordafrikaner im Kopf“ schließt er erklärend an.
Gespräch mit Erotokritos-Autor Dimosthenis Papamarkos
Dimosthenis Papamarkos wurde 1983 in Malessina, das ist etwa 100 km südöstlich der Stadt Lamia, wie er mir erklärt, geboren.
Er ist Historiker, Autor für Bücher, Fiktion und Drehbücher für Film und Theater. Sein renommiertes Buch Gkiak ist eine Sammlung von Kurzgeschichten. In dem 2014 erschienenen Buch beschreibt Papamarkos das Leben von Soldaten die aus dem griechisch-türkischen Krieg zwischen 1919 und 1922 zurückkehrten. Gkiak wurde auch erfolgreich auf der Theaterbühne inszeniert.
Der Comicadaption habe er sich über den orginalen Versroman von Cornaros genähert, sagt auch Dimosthenis. „Cornaros nähert sich der Figur des Fremden, im Original sehr neutral, er benutzt das Wort Sarazen (s.o.), in dieser Zeit war das der Begriff der zur Beschreibung von Muslimen im Mediterraneum genutzt wurde, wenn also jemand damals diesen Begriff nutzte, dachte man automatisch an jemanden mit einer dunkleren Hautfarbe.“- „Die Sarazener sind schlecht, solange du gegen sie kämpfst, ansonsten sind sie nur ein Teil derer, mit denen Kultur und Territorium geteilt werden.“
Ansonsten liege Cornaros Fokus weniger auf Erotokritos‘ Hautfarbe als vielmehr darauf, dass er ein Fremder ist. „Der Umgang mit nicht-weißen Menschen in dieser Zeit war, sagen wir, ‚tolerant’“. Um diese Aussage zu untermauern, verweist Dimosthenis Papamarkos darauf, dass, als die Kreuzritter 1204 nach Konstantinopel einfielen, dort bereits eine Moschee stand. Als diese von den westlichen Christen angegriffen wurde, verteidigten Muslime wie auch Christen diese.
Auch die Sprache des Versromans mache dies deutlich, ein Mix antiker griechischer Redensarten, kretischen Idioms, byzantischen „Slangs“ und venezischem Vokabular- „Eine Repräsentation der Atmosphäre der Zeit“. Die heutige Vorstellung eines weißen Griechen, ist nicht deckungsgleich mit der des Aussehens aus Cornaros‘ Zeit, schließt er an, sie hätten einen viel dunkleren Teint gehabt – näher am verzauberten Erotokritos.
Die negative und rassistische Konnotation und wie z.B. oben zitiert „…sie schwärzt ihn und kohlrabenschwarz wird er bis in die Poren so hässlich ist geworden er, so tief war seine Schwärze…“ ist für Dimosthenis Papamarkos, der mit mir diesen Teil des Originals von Cornaros durchgeht, nicht als rassisitisch zu interpretieren, es gehe mehr um die Verwandlung des Erotokritos in das exakte Gegenteil seiner Erscheinung. Von blond und einem sehr hellen Teint zu einem dunklen Teint mit dunkler Haarfarbe. „Das Orginal ist mehrdeutig, Cornaros verbindet Schwarz zwar mit hässlich, aber ich persönlich glaube, dass er die Emphase mehr auf die gegensätzliche Verwandlung des Erotokritos legt als auf ein rassistisches Gedankengut“.
Persönliches Fazit
Letzendlich ist die wahre Intention von Vincenzos Cornaros nicht mehr zu eruieren, äußert er sich rassistisch oder genau das Gegenteil? Erotokritos der Held, der tapfere Krieger ist schließlich bei der Vollbringung seiner Heldentaten eine „person of color“ und wird auch als solche vom König Herakles belohnt. Vielleicht ist es mehr das Unbekannte das Cornaros als „hässlich“ bezeichnet und nicht die Tönung von Erotorkritos‘ Hautfarbe? Für mich greift bei Cornaros – In dubio pro reoim – im Zweifel für den Angeklagten.
Ohne Frage ist für mich die Übersetzung der Bühnenfassung von Spyros Evangelatos von rassisitischen und herabwürdigen Phrasen gesäumt, dies ist absolut nicht mehr zeitgemäß! Die Mehrdeutigkeit im Original ist durch die Übersetzung verloren gegangen.
Die respektvolle und kultursensitive Herangehensweise des Erotokritos-Comicbuches von 2016, finde ich hingegen sehr gut. Die Entscheidung dem Original treu zu bleiben, und sich nicht einer Überinszenierung des dunklen Erotokritos anzuschließen, halte ich für sehr weise. Es handelt sich hier um ein lehrreiches, der kulturellen Tradition des Versromans anschließendes Werk.
Während des Schreibens dieses Textes wurde ich immer wieder selbst damit konfrontiert, mir die Frage nach meiner eigenen „political correctness“ zu stellen, wie nenne ich eine dunkle Tönung der Haut, was muss ich vermeiden, was kann ich sagen, was will ich sagen?
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Kann ich, muss ich, darf ich dem Autor des Versromans und dessen Übersetzer einen gewissen Rassismus vorwerfen, oder fällt das Ganze unter den Mantel des Zeitgeistes, der Übersetzungsgenauigkeit und der Unbedachtheit? In wievielen literarischen Kulturgütern, deutschen sowie griechischen, können wir eine solche Tendenz zum politisch inkorrekten finden, wenn wir nur danach suchen? Trotzdem, oder genau deshalb, müssen die Fragen nach politischer Korrektheit immer wieder gestellt werden. Letztendlich braucht Literatur und Kunst Austausch und Diskussion, sonst kann sie weder existieren noch sich weiterentwickeln.

Veröffentlicht am 08/04/2021Schlagwörter Araber, Blackface, Comic, Erotokritos, Gousis, Graphic Novel, Kornaros, Kreta, Papamarkos, Sarazene, VenezianerSchreibe einen Kommentar zu Erotokritos und das „Blackfacing“. Im Gespräch mit Giorgos Gousis und Dimosthenis Papamarkos

Der „Mohr“ in Erotokritos – eine realitätsfremde Übersetzung



Ein Beitrag von von Jonathan Beise
Wir dachten, dass er fremd hier sei, wir nannten ihn den Fremden, in Wahrheit war’s Rotokritos, der Quell des Heldenmutes, und da er dir als Mohr gefiel, wie alle mir versichern, jetzt wo er blond ist und ganz weiß, gefällt er dir noch besser.[1]
Dieser handlungsentscheidende Satz aus dem griechischen Versroman „Erotokritos“ von Vicenzos Cornaros, dem wichtigsten Literaturstück Kretas, liest sich heute nur noch mit einem schlechten Beigeschmack. Er wirkt wie eine Aussage aus einer realitätsfremden, vergangenen Welt. Der Rassismus springt einen förmlich an und wird durch das Wort „Mohr“ obendrein noch benannt. Das Werk wurde im frühen 17. Jahrhundert geschrieben, also zu einer Zeit, als sowohl der Rassismus als auch dessen Sprache in der Weißen Welt fest verankert waren. Genau genommen stammt der zitierte Satz allerdings nicht aus dem Original, sondern aus der deutschen Übersetzung von Hans Eideneier aus dem Jahr 2018. Der Inhalt ist derselbe, das rassistische Motiv geht also nicht verloren, aber die Sprache wurde leicht verändert. Im Original wird der griechische Held als „μαύρος (mavros)“ bezeichnet, was sich mit „Schwarzer“ übersetzen lässt, während er in der deutschen Ausgabe als „Mohr“ betitelt wird. Warum wählt Eideneier diesen Begriff? Ist der menschenverachtende Ausdruck „Mohr“ wirklich eine zeitgemäße Übersetzung, besonders wenn das griechische Wort nicht danach verlangt?
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Der „verwandelte“ Erotokritos besucht seine geliebte
Aretousa im Gefängnis. Illustration aus der ältesten
erhaltenen Handschrift Harleian MS 5644.
Bevor wir diese Frage beantworten können, müssen wir klären, was zeitgemäß in unserem Zusammenhang überhaupt bedeutet und wie der Begriff „Mohr“ in der deutschen Sprache einzuordnen ist. Letzteres zuerst. Laut dem Etymologischen Wörterbuch des Deutschen und dem Duden Herkunftswörterbuch ist „Mohr“ eine heute veraltete Bezeichnung für dunkelhäutige Bewohner Mauretaniens, bzw. dunkelhäutige Afrikaner im Allgemeinen. „Mohr“ entwickelte sich demnach von dem mittelhochdeutschen, bzw. althochdeutschen Wort mōr, das sich wiederum von dem lateinischen „Maurus“ ableitet, was soviel bedeutet wie „dunkelheutiger Bewohner von Mauretania“.[2] Die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt merkt aber in ihrem Nachschlagewerk „Afrika und die deutsche Sprache“ an, dass das Wort außerdem das griechische „moros“ beinhaltet, das „töricht“, „einfältig“, „dumm“, und auch „gottlos“ bedeutet. Zudem wurden in Europa auch Muslime der iberischen Halbinsel und aus dem westlichen Maghreb als „Moros“, bzw. „Mauren“ bezeichnet. Die Christen unterschieden bald nicht mehr zwischen verschiedenen nordafrikanischen Kulturen, sondern verwendeten pauschal den Begriff „Moros“, auch als Synonym für Menschen mit islamischem Glauben.[3]
Diese verschiedenen Auslegungen der Begriffsherkunft befeuern schon lange eine heftige Diskussion über die Verwendung des Wortes und seine damit verbundene rassistische Konnotation. Ausgehend von stereotypischen Wappenbildern über die etwa hundert bis heute bestehenden Mohrenapotheken und Mohrenstraßen in Deutschland bis hin zu den verschiedensten Sprichwörtern und Süßigkeitennamen hat „Der Mohr“ weiterhin einen zentralen Platz in unserer Gesellschaft. Eine trügerische Idylle, die schon lange in Frage steht. Der Streit wurde nicht zuletzt wiederbelebt durch den rassistisch motivierten Mord an George Floyd vergangenen Jahres.[4]
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Szenen aus der 2005 stattgefundenen Bühnenaufführung des Erotokritos der studentischen Theatergruppe ΘΕΠΑΚ der Universität Zypern. Das Stück wurde auch in München in der Black Box im Gasteig aufgeführt, die Fotos stammen aus der Begleitedition. Im Foto unten links, Erotokritos mit schwarzem Gesicht.
Kehren wir zurück zu unserer Übersetzung von Erotokritos. Wir müssen uns den Begriff nun also unter verschiedenen inhaltlichen Aspekten anschauen: etymologisch, historisch und aus einer heutigen, modernen und aufgeklärten Sicht. Zunächst etymologisch: Erotokritos ist kein Schwarzer und er hat auch keinen islamischen Hintergrund. Er verändert sein Aussehen durch ein verzaubertes Wasser, mit dem er sich das Gesicht wäscht, um seine wahre Identität zu verbergen. Sich als Weißer das Gesicht zu schwärzen, heute weitaus bekannt als Blackfacing, ist ohnehin schon ein Problem, auch wenn es lange in Kunst und Gesellschaft akzeptiert wurde, aber die Beschreibungen, die daraufhin in der Geschichte folgen, sind durch und durch rassistisch. Es heißt dort zum Beispiel: „[…] kohlrabenschwarz wird er bis in die Poren, so hässlich ist geworden er, so tief war seine Schwärze […]“, oder „[o]bwohl er angestrichen war mit dieser schwarzen Farbe, war er noch immer hübsch genug, ein ansehnlicher Jüngling“.[5] Im griechischen Text steht zudem, er würde aussehen „wie ein Sarazene“. Ein Begriff, der „Bewohner des Morgenlandes“ beschreibt und auf das mittelhochdeutsche Wort Sarrazīn zurückgeht, das mit „Morgenländer“, „Araber“, aber auch mit „Maure“ übersetzt wird.[6] Dadurch wird die anfangs unerklärliche Übersetzung Eideneiers des Wortes „mavros“ „Schwarzer“ mit „Mohr“ etwas verständlicher, da der Begriff auch weitestgehend für Menschen mit islamischem Hintergrund verwendet wurde. Allerdings verlangt eine solche Übersetzung bei den deutschen Lesern viel, vielleicht zu viel, etymologisches Fachwissen.
Erotokritos ist zu einer Zeit geschrieben worden, als rassistische und Minderheiten diskriminierende Sprache alltäglich war. In Deutschland war das Wort „Mohr“ zur selben Zeit der gängige Begriff für Schwarze und Menschen islamischen Glaubens jeglicher Herkunft. Die deutsche Übersetzung, wenngleich sie 2018 erschienen ist, beschreibt eine Welt in der Vergangenheit, in der veraltete Sprache benutzt wird, die die damalige Gesellschaft und deren Werte widerspiegelt. Das Stück spielt aber nicht im mittelalterlichen Deutschland. Es ist also nicht die deutsche Sprache und deren Wertevermittlung von Relevanz, sondern die des Griechischen. Hierbei stellt sich die Frage, warum der Autor Vicenzos Cornaros an Stelle von „mavros“ nicht das Wort „αράπης (arapis)“ verwendete, das „Mohr“ im Griechischen am äquivalentesten ist, zumal sich das nach dem Vergleich des Helden mit einem Sarazenen durchaus angeboten hätte. Da wir darauf fürs Erste allerdings keine Antwort bekommen können, bleibt unser Problem ungelöst.
Das Problem haben wir im Hier und Jetzt und es bedarf einer Klärung in unserer modernen Gesellschaft. Aus heutiger Sicht ist ein solcher Sprachgebrauch nicht zu akzeptieren. Er führt zum selben Streit, bei dem auch über die Umschreibung von alten Kinderbüchern debattiert wird; wie in Pippi Langstrumpf und Die Abenteuer des Huckleberry Finn, in denen ähnlich rassistische Sprache verwendet wird.
Ist die Übersetzung also zeitgemäß oder nicht? Es bleibt ein schwieriges Thema in einer Zeit der political correctness, in der man aber die Vergangenheit nicht ausblenden kann und Sachfragen auch aus historischer Perspektive erörtert werden müssen. Vielleicht hilft es, Literatur zu Rate zu ziehen, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat. Ein gutes Beispiel dafür ist Shakespeares Othello und dessen deutsche Übersetzung von Frank Günther.
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Orson Welles bei den Dreharbeiten zu Othello (1950, Film von 1952)
Shakespeares Meisterwerk Othello ( engl.: The Tragedy of Othello, the Moor of Venice) ist ziemlich genau zur selben Zeit entstanden wie Erotokritos, 1604, und beschäftigt sich sozialkritisch mit ähnlichen Fragen. Othello ist ein Schwarzer Feldherr, der aufgrund seiner Hautfarbe mit Rassismus und Intrigen zu kämpfen hat. Wie der englische Untertitel schon sagt, wird er als „Mohr“ beschrieben und es stellt sich somit dieselbe Problematik der Übersetzung dieses Wortes wie bei Erotokritos; aber mit dem entscheidenden Unterschied, dass im Original tatsächlich das englische Wort für „Mohr“ benutzt wird und nicht das für Schwarzer. Der deutsche Übersetzer des Stücks, Frank Günther, ist sich der Schwierigkeit seiner Aufgabe durchaus bewusst. Im Anhang der dtv-Ausgabe von 1995 widmet er diesem Problem ein kurzes Kapitel unter der Überschrift „Aus der Übersetzungswerkstatt“ und erklärt seine Vorgehensweise. Er stellt fest, dass der Begriff in jeglicher Hinsicht realitätsfremd ist: „Das eigentliche Wort „Mohr“ steht nicht mehr für eine Realität und kann daher auch keine Realität mehr transportieren.“ Es muss also ein anderes Wort her. Man sollte sich dabei aber bewusst sein, „daß [sic] Begriffe immer Spiegel des historischen Augenblicks sind und ihre Bedeutungen sich ändern“. Schlussendlich entschied er sich für den Begriff „Schwarzer“, „als einigermaßen neutrale und bislang auch akzeptierte Bezeichnung für einen dunkelhäutigen Menschen […]“.[7] Das galt damals und gilt noch heute. Zu der Zeit, in der das Stück spielt, wäre „Mohr“ die passendere Bezeichnung gewesen, besonders da es die direkte Übersetzung wäre. Das wäre moralisch trotzdem verwerflich, entspreche aber der Sprache der damaligen Zeit.
Frank Günther hat die richtige Entscheidung getroffen, den Text an unsere heutige, aufgeklärte Sprache anzupassen. Er hat das Problem gelöst, anstatt ein neues zu schaffen. Hans Eideneier ist den gegensätzlichen Weg gegangen, welcher der historisch zeitgemäßen Sprache gerecht wird, aber nicht unserer heutigen.
Die Sensibilität des Themas und gleichzeitig dessen Relevanz machen es schwierig, eine eindeutige Entscheidung zu treffen, denn die verschiedenen Aspekte, die das Wort ausmachen, können unterschiedlich beleuchtet und erklärt werden. Es stellt sich auch die Frage, wie weit ist es Aufgabe eines Autors oder Übersetzers, Sprache zu verändern und zeitgemäß anzupassen, und wie viel kann man vom Wissensstand des Lesers abhängig machen? Wenn aber bestimmte Wörter benutzt werden, besonders wenn sie menschenverachtend sind, sollte der Verfasser verständlich machen, warum er diese Ausdrücke gewählt hat; sei es in einer Fußnote, Anmerkung oder im Anhang. Besonders in unserem Beispiel des Erotokritos ist das erforderlich, weil das Wort eindeutig aus einem bestimmten Grund gewählt wurde und vom Original abweicht. Sprache verändert sich stetig und deshalb muss sie in größere Zusammenhänge eingeordnet, erklärt und verstanden werden. Letzteres ist die Aufgabe jedes Einzelnen von uns. Wenn wir diskriminierende Sprache erkennen und verstehen, nehmen wir ihr Macht und Einfluss und somit die Bedeutung.
Literatur- und Quellenangaben
Arndt, Susan / Antje Hornscheidt (Hg.): Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2009.
Cornaros, Vicenzos: Erotokritos, Berlin 2018.
Duden Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache, Mannheim 2001.
Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, online unter: https://www.dwds.de/wb/etymwb/Mohr, abgerufen am 26.03.2021.
Messerich, Helena / Merdes, Dominik: Mohrenapotheke. Mehr als nur ein Name?, in: Pharmazeutische Zeitung (2020), online unter: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/mehr-als-nur-ein-name-122580/, abgerufen am 26.03.2021.
Shakespeare, William: Othello, München 2018.

[1] Cornaros, Vicenzos: Erotokritos, Berlin 2018, S. 122.
[2] Vgl. „Mohr“, in: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, online unter: https://www.dwds.de/wb/etymwb/Mohr, abgerufen am 26.03.2021; Vgl. „Mohr“, in: Duden Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache, Mannheim 2001.
[3] Arndt, Susan / Antje Hornscheidt (Hg.): Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster 2009, vgl. S. 168 f..
[4] Vgl. Messerich, Helena / Merdes, Dominik: Mohrenapotheke. Mehr als nur ein Name?, in: Pharmazeutische Zeitung (2020), online unter: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/mehr-als-nur-ein-name-122580/, abgerufen am 26.03.2021.
[5] Cornaros: Erotokritos, S. 96, 110.
[6] Vgl. „Sarazene“, Etymologisches Wörterbuch, abgerufen am 27.03.2021.
[7] Shakespeare, William: Othello, München 2018, S. 273.

Veröffentlicht am 08/04/2021Schlagwörter Blackface, Erotokritos, Kornaros, Kreta, Mohr, Othello, Shakespeare, Theater, Venezianer1 Kommentar zu Der „Mohr“ in Erotokritos – eine realitätsfremde Übersetzung

„Dieses Volk hat von all den anderen Völkern die schönsten Lippen“



Über eine in Rethymnon entdeckte Postkarte
Ein Beitrag von Charikleia Valentina Kiagia
In einer engen Gasse in der Altstadt von Rethymnon auf der Insel Kreta gibt es eine Altwarenhandlung. Auf einem alten Holztisch der draußen im Freien steht, legt der Händler hunderte von alten Postkarten und Fotos aus.
Einige von den Postkarten sind fast 100 Jahre alt und wurden meistens von griechischen Auswanderern an ihre Familien nach Griechenland geschickt. Fotos von Sehenswürdigkeiten, Straßen von Hauptstädten, Blumen und Strände werden als Beweis von Liebe und Sehnsucht an die Familie in die Heimat geschickt.
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Eine in Rethymnon entdeckte Postkarte, datiert auf den 29.6.1913
Als ich die Postkarten durchsuchte, fiel mir ein Foto in die Hände, das sich stark von den anderen Postkarten unterschied: auf der Vorderseite ist ein Schwarzer Mann vor einem orangenen Hintergrund zu sehen. Auf der Rückseite steht mit kleinen, feinen Buchstaben auf Griechisch geschrieben:
Ich schicke dir meinen Landsmann damit du siehst was für schöne Menschen sie sind, wie gefällt es dir? Dieses Volk hat von all den anderen Völkern die schönsten Lippen. Mit Küssen, Athiná
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Rückseite der Postkarte mit der Handschrift der Schreiberin Athiná. Sie spielt mit den Wörtern „phyle=Volk, oder auch Rasse“ und „philí=Kuss“.
Dabei spielt die Schreiberin Athiná mit den Wörtern „phyle=Volk“ und „philí=Kuss“. „Phyle“ kann man mit „Volk“ oder „Rasse“ ins Deutsche übersetzen, für das Wort „Rasse“ gibt es allerdings auch das griechische Wort „ratsa“. Da im Wort „Rasse“ historische Konnotationen mitschwingen, die vermutlich weniger in Athinás Sinne waren, wurde hier das Wort „Volk“ für die Übersetzung gewählt. Athinás Schreiben offenbart zudem eine exotische erotische Neugier, die man sonst eher von männlichen Schreibern kennt und die sich selten von der weiblichen Seite zeigt.
Der Aufdruck auf der Vorderseite verrät, dass der Mann auf der Postkarte dem Shilluk-Stamm angehört. Für den heutigen Leser liest sich dieser Hinweis nicht ohne über Rassismus nachzudenken. Geschrieben steht konkret: „Shilluk Neger“. Die Herkunft dieses Volkes ist der Südsudan, von der obersten Provinz des Nils bis zu der westlichen Küste entlang des Sobat Flusses. Die Shilluks haben eine hierarchische Struktur und sind das einzige Volk im Land das heute noch einen König und eine Königin hat. Zu der Zeit, zu der die Karte geschrieben wurde, stand der Sudan allerdings unter der Herrschaft Ägyptens (Türkisch- Ägyptischer Sudan). Bald darauf wurde es zum Anglo-Ägyptischen Sudan und war de facto eine britische Kolonie.
Auch wenn es im Sudan durchaus eine griechische Gemeinde gab, wurde die Karte wahrscheinlich von Ägypten aus verschickt, vermutlich von den Minerva-Bädern in der Nähe von Kairo, denn auf der Vorderseite steht „Minerve“ geschrieben. Datiert ist sie auf den 29.6.1913, ein paar Monate vor der Union Kretas mit Griechenland unter Ministerpräsident Venizelos. Hergestellt ist die Postkarte von „The Cairo Postcard Trust“. Die Karte trägt die Nummer 436.
In Ägypten befand sich schon seit der Hellenistischen Zeit bis hin zur Ägyptischen Revolution in 1952 eine große Gemeinschaft von Griechen, auch bekannt mit den Namen Egyptiotes (Αιγυπτιώτες). Somit gab es seit mehreren Generationen Griechen die in Ägypten geboren und aufgewachsen waren und dies ihre Heimat war. Ägyptens geographische Lage im Übergang zwischen drei Kontinenten ist paradigmatisch für die Vermischung und das Nebeneinander von Völkern mit verschiedenen Herkünften und Einflüssen, die nicht nur von Unterdrückung, sondern auch von Bewunderung über das Andersartige und einem respektvollen Nebeneinander Zeugnis ablegen können. Der Sudanese wird dem Rezipienten der Postkarte in Griechenland als Landsmann vorgestellt und möchte in orientalisierender Entzückung die Verschiedenheit der Völker vorbringen, um beeindruckt auf die Schönheit und das Besondere im anderen Aussehen hinzuweisen.
Die Entwicklungsgeschichte der menschlichen Gemeinschaften hat uns gezeigt, wie vielseitig und divers Länder eigentlich sind und wie historische Ereignisse den Blick auf diese Diversität und Vielseitigkeit verändern können. Dies zeigt sich in Griechenland am Deutlichsten am Beispiel des erzwungenen griechisch-türkischen Völkeraustausches und der Zwangsumsiedelung von Minderheiten unter Venizelos und Atatürk, der die Gesellschaft und ihren Blick auf diese Vielseitigkeit und Andersartigkeit nachhaltig prägen sollte. Darum sollte die Vergangenheit immer auch die Funktion der Lehre übernehmen, um das Begehen derselben Fehler zu vermeiden und um zu verstehen, dass uns Menschen immer mehr Sachen verbinden, als trennen.

 
Jetzt muss hier jedem klar sein, dass die antiken Griechen bzw. Hellenen ganz klar von den Makedonen zu unterscheiden sind.
 
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