Türkische Angriffe auf PKK-Lager
Eskalation der Enttäuschten
Von Jürgen Gottschlich, Istanbul
DPA
Türkische Armee überführt Opfer des PKK-Hinterhalts: "Zeit des Redens ist vorbei"
Angriff und Vergeltung: Kämpfer der PKK attackieren türkische Einheiten, die Luftwaffe bombardiert Lager der Kurden. Auslöser für die Eskalation waren gebrochene Versprechen nach der Parlamentswahl - und Geheimgespräche mit dem inhaftierten PKK-Chef Öcalan.
Es war ein "Schlag gegen Mörder", kommentierten türkische Zeitungen den Luftangriff auf Lager der verbotenen kurdischen PKK an diesem Donnerstag. Die "Mörder", davon gehen die meisten Türken aus, sitzen im Hauptquartier der PKK in den Kandil-Bergen im Nordirak. Es sind allen voran die Militärchefs der PKK, Murat Karayilan und Cemil Bayik, auf deren Befehl die letzte Angriffserie der PKK gestartet worden sein soll
Nicht zuletzt ihnen persönlich galten auch die Luftschläge gegen fünf Lager der PKK im Nordirak, in denen man die PKK-Führer zu treffen hoffte. Ob die türkische Luftwaffe erfolgreich war, ist noch nicht bekannt, die PKK-nahe Nachrichtenagentur "Firat" behauptet jedenfalls, es habe keine Opfer unter den kurdischen Kämpfern gegeben.
Offiziell sollte das Ziel der Militäroperation im Nordirak die "entscheidende Schwächung der Terrororganisation PKK" sein, wie es in Ankara beim türkischen Generalstab hieß. Tatsächlich dienen die Luftangriffe, die in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag in drei Wellen vorgetragen wurden, wohl eher dem Ziel, der angestauten Wut über die PKK Angriffe der letzten Wochen ein Ventil zu bieten.
Der jüngste Angriff erfolgte am Mittwochvormittag: Kurz vor der Provinzhauptstadt Hakkari ganz im südöstlichsten Zipfel der Türkei hatte die PKK einen Hinterhalt für eine türkische Einheit gelegt, bei dem acht Soldaten und ein mit dem Militär verbündeter kurdischer Dorfschützer starben. Dieser Hinterhalt, bei dem der Militärkonvoi mittels einer ferngezündeten 100-Kilo-Bombe gestoppt wurde, ist der letzte in einer Serie, die Mitte Juli begann und bis heute fast 40 Soldaten, zumeist junge Wehrpflichtige, das Leben gekostet hatte.
PKK droht mit weiterer Eskalation
Verhindern, das wissen alle Beteiligten aus langjähriger Erfahrung, werden die Luftangriffe neue Attentate nicht. Eher besteht die Gefahr, dass die Auseinandersetzung noch weiter eskaliert. Die PKK-Führung um Murat Karayilan, dessen Festnahme in Iran am vergangenen Wochenende fälschlicherweise gemeldet worden war, hat schon angekündigt, dass sie bislang erst "fünf Prozent" ihrer Kapazitäten mobilisiert hätten und die Türkei in eine "Hölle" verwandeln könnten, wenn das Militär sie weiter angreift.
Die Attentate und Luftangriffe sind der bisherige Höhepunkt einer neuen militärischen Konfrontation, die sich schon zu Beginn des Jahres angedeutet hatte, obwohl die PKK zu der Zeit einen Waffenstillstand verkündet hatte, den sie auch weitgehend einhielt. Parallel dazu gab es immer wieder Gespräche zwischen dem inhaftierten PKK Chef Abdullah Öcalan und Mitarbeitern des türkischen Geheimdienstes, die für die Regierung erkunden sollten, unter welchen Bedingungen Öcalan bereit wäre, die PKK zur Niederlegung ihrer Waffen aufzufordern.
Das von vielen erhoffte Szenario sah eigentlich vor, dass nach den Wahlen Mitte Juni, die Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erwartungsgemäß haushoch gewann, der offizielle Einstieg in Verhandlungen mit den dann im Parlament vertretenen Kurden der BDP verkündet werden würde. Doch diese Erwartung wurde von beiden Seiten enttäuscht.
Gebrochene Versprechen nach der Wahl
Zunächst einmal ließ die Regierung Erdogan in den Monaten vor der Wahl Hunderte Kurden unter dem Vorwurf festnehmen, sie seien zivile Vertreter der PKK, um so die legale Kurdenpartei BDP zu schwächen. Nach den Wahlen wurde dann noch sechs von 36 gewählten Kurden der Einzug ins Parlament verwehrt, eben weil ein Ermittlungsverfahren gegen sie im Gang ist, woraufhin die anderen kurdischen Abgeordneten erklärten, sie würden das Parlament so lange boykottieren, bis alle gewählten Vertreter zugelassen würden.
Auf der anderen Seite stießen die Geheimgespräche, die Öcalan mit Vertretern des Staates führte, bei den amtierenden PKK-Bossen auf tiefes Misstrauen. Seit längerem kursiert das Gerücht, die türkische Regierung könnte im Gegenzug für einen Gewaltverzicht der PKK eine umfassende Amnestie verkünden, ausgenommen für die höheren Kader der Guerilla. Die sollten beispielsweise nach Norwegen ins Exil gehen.
Leute wie Murat Karayilan oder Cemil Bayik wollen aber nicht nach 30 Jahren in den Bergen ihr weiteres Leben im Exil verbringen, sondern legal in der Türkei Politik machen können. Nicht zuletzt aus Angst, dass sie und die anderen PKK-Führer bei einer von Öcalan ausgehandelten Lösung übergangen werden könnten, starteten sie die gegenwärtige Anschlagsserie.
Ein Ende ist derzeit auch nicht abzusehen, weil Erdogan jetzt erst einmal verkündet hat, die "Zeit des Redens sei vorbei", aber auch, weil auf beiden Seiten das Misstrauen so groß ist, dass niemand seine vermeintlichen Trümpfe aus der Hand geben will.
Die PKK zeigt wieder einmal, dass sie den Konflikt zu jeder Zeit eskalieren kann und längst nicht bereit ist, ihre Waffen nieder zu legen, und Erdogan hofft immer noch, dass er mit kleineren kulturellen Zugeständnissen und Geldern zur regionalen Wirtschaftsförderung so viele konservative und religiöse Kurden auf seine Seite ziehen kann, dass er mit den kurdischen Nationalisten in der BDP und PKK erst gar nicht ernsthaft zu reden braucht.