Über den Kriegsreporter Erich Rathfelder von Wiglaf Droste
Es gibt keine Arbeit, die spurlos vorüberginge an denen, die sie tun. Das gilt für Lehrer, für Automechaniker und Chefredakteure, für Schauspieler, Köche und Kopfschlächter, für Taxifahrer, Minister und Journalisten. Eine besondere Spezies von Journalisten sind die Kriegsberichterstatter. Im Laufe ihres Berufslebens sehen sie jede Menge Uniformen, Gemeinheit, Blut, Leid und Leichen, und vieles davon sehen sie live. Das ist mitunter gefährlich, sogar lebensbedrohlich; da man Kriegsreporter aber aus freien Stücken wird, darf eine gewisse Faszination vom Krieg ebenso angenommen werden wie die Abstumpfung durch Gewöhnung, die es in jedem Beruf gibt.
Zudem ist eine Nachricht - auch wenn das gern ethisch bepinselt und geleugnet wird - immer auch eine Ware, die verkauft wird. Wenn also ein Kriegsjournalist behauptet, er wolle mit seinen möglichst öffentlichkeitsaufpeitschenden Berichten vor allem die Menschheit retten, darf man, ohne besondere Niedrigkeit zu unterstellen, skeptisch sein. Trotzdem wäre es falsch, Kriegsberichterstatter egalweg für abgebrühte
Burschen zu halten, denen die Opfer des Krieges gleichgültig wären. Emotionalität gehört im Gegenteil unbedingt zum Berufsbild; in Zeiten, in denen Kriege moralisch begründet und gerechtfertigt werden, ist sie sogar ganz unverzichtbar. Das Publikum mag Reporter, die bewegt erscheinen; ob und wie sie es tatsächlich sind, ist dabei insofern wichtig, als es Einfluß hat auf das, was Glaubwürdigkeit genannt wird - also die Fähigkeit, mit einer Rolle möglichst identisch zu sein. Der Kriegsjournalist nimmt, wie jeder andere auch, die Welt subjektiv wahr; es kann leicht geschehen, daß er sich einseitig mit den Opfern einer Kriegspartei identifiziert - und diese Parteinahme dann als die objektive Nachricht verkauft, die es nicht gibt. So wird der Kriegsreporter - manchmal durchaus unbeabsichtigt - selbst zur Kriegswaffe.
Dies alles ist Zeitungs-, Radio- und sogar Fernsehredakteuren bekannt, und deshalb werden Kriegsberichterstatter auch regelmäßig aus ihrem Einsatzgebiet abgezogen und in ein anderes versetzt. So soll der Verfilzung von Reportern und Kriegsparteien Einhalt geboten werden.
Umso erstaunlicher ist es, wenn ein Kriegsreporter dafür gefeiert wird, daß er diese wohlbegründete Regel permanent verletzt: "Erich Rathfelder war und ist der längstgediente Korrespondent auf dem Bosnien-Schlachtfeld", schreibt Rupert Neudeck. Zwar weiß Neudeck, daß diese Tatsache eher gegen Rathfelders Arbeit spricht, aber er bastelt an einer Heldengedenktagslegende: "Rathfelder ist der einzige Journalist, der es die gesamte Kriegszeit seit 1992 - im heißen Sommer wie im eisigen Winter, ohne Strom und gutes Wasser - bei den Eingeschlossenen in Bosnien und Sarajewo ausgehalten hat." Doch Undank, das weiß Neudeck, ist der Welten Lohn: "Er hat damit nicht den Ruhm erlangt, den er verdient hat."
In einem gewissen Sinn stimmt das. Rathfelder, der seit 1992 einen publizistischen Feldzug gegen Serbien führt, ist dafür tatsächlich kaum adäquat gewürdigt worden. Zwar wurde er in eher marginalen linken Publikationen "Pendler des Todes" und "fanatischer Serbenfresser" genannt, weiter herumgesprochen aber hat sich das kaum. "Rathfelder hetzte immer von einem Schauplatz zum anderen", heißt es - unfreiwillig doppeldeutig - bei Neudeck. Vom Hetzen versteht Rathfelder etwas. Ein Beispiel: Am 20. April 1994 machte die taz mit dem Schlachtruf "Bombardiert Pale!" auf. In solchen Momenten findet Erich Rathfelders Berufsauffassung ganz zu sich selbst.
Nicht einmal seine nachweislichen Falschmeldungen haben Rathfelder bisher geschadet: Am 5. August 1998 - Rathfelder ist mittlerweile im Kosovo unterwegs - meldet er triumphierend: "Massengräber jetzt auch im Kosovo entdeckt". Rathfelder erzählt von "Augenzeugen" die ganz genau wissen wollen, daß "567 Menschen verscharrt" worden seien, darunter "die Leichen von 430 Kindern".
Gerade die Genauigkeit dieser Angaben ist ein Indiz dafür, daß sie so nicht stimmen können: Wer hätte Gelegenheit und Zeit haben sollen, die Leichen so exakt zu zählen? Die Chefredaktion der taz aber hievt die Geschichte dennoch auf ihre Seite 1: "taz-Reporter stößt bei Orahovac auf hunderte Leichen". Das behauptet nicht einmal Rathfelder selbst; er will nur "den Gestank der Leichen" gerochen haben - der Rest ist Hörensagen. Am nächsten Tag muß die taz einen Rückzieher machen: "Widersprüche über Opfer bei Orahovac" heißt es. Das ist kühn formuliert - "berechtigte Zweifel" käme der Sache näher. Das Massengrab im Sommerloch ist zu diesem Zeitpunkt nichts als ein Gerücht; eine herbeialarmierte offizielle Delegation der EU stellt nur die Gräber von 37 bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und der UCK Getöteten fest, die von serbischer Seite auch nicht bestritten worden waren.
Verkauft hatte Rathfelder seine Geschichte außer an die taz auch an die österreichische Tageszeitung Die Presse. Er wurde aus dem Kosovo ausgewiesen; der ARD-Mann Friedhelm Brebeck, in Jugoslawien nicht als Parteigänger der Regierung aufgefallen, sagte: "Der Erich hat etwas berichtet, was nicht passiert ist", und Die Presse handelte sich vom österreichischen Presserat wegen "Verletzung der Berufspflicht" eine Rüge ein.
Nach dem Krieg der Nato gegen Jugoslawien kehrt Erich Rathfelder ins Kosovo zurück. Wieder tut sich ein Sommerloch auf, und wieder buddelt er. Die Sache vom August 1998 wurmt ihn; wenigstens retrospektiv will er recht gehabt haben. Fast auf den Tag genau ein Jahr nach seiner ersten Massengrab-Geschichte, am 27. Juli 1999, kommt Rathfelder wieder damit angelaufen. "Die stummen Zeugen der Verbrechen" heißt die Variante diesmal.
"Daß es Massengräber bei Orahovac gegeben hat, steht inzwischen fest", schreibt die taz; in einer Erklärung der Chefredakteurin Bascha Mika ist einmal von "112 Albanern", ein anderes Mal von "150 Menschen" die Rede. Was also sind Rathfelders "567 Leichen, darunter 430 Kinder"? Erstunken und erlogen? Man erfährt es nicht.
Auf Nachfrage erklärt die Chefredakteurin zwar, daß im Sommer 1998 "Fehler gemacht wurden - von Erich Rathfelder, und von der Redaktion". Aber hält sie es nicht für äußerst heikel, daß Rathfelder jetzt in derselben Angelegenheit wieder unterwegs ist? Hat er nicht ein massives persönliches Interesse daran, seine damaligen Behauptungen zu stützen? Steht er nicht geradezu unter Beweisdruck? Davon will Bascha Mika nichts wissen, "denn die Existenz der Massengräber ist ja gesichert. Erich Rathfelder ist unser Experte, unser Fachmann vor Ort." Flachmann wäre die korrekte Berufsbezeichnung; Rathfelder, der - so berichten es verschiedene Kollegen, die mit ihm beruflich zu tun haben - "morgens um zehn regelmäßig eine Flasche Schnaps intus" hat, darf, obwohl tief in diese Sache verstrickt, weiter Leichen addieren. Es ist, als ob ein angeklagter Hochstapler sich seinen eigenen Freispruch schreibt.
In der taz sieht man Rathfelders Rückendeckung durch die Chefredakteurin mit großem Unmut. "Ich verstehe nicht, daß man Erich Rathfelder über dieses Thema schreiben läßt. Der ist schlicht und einfach befangen", sagt eine Redakteurin. "Von Rathfelder kann man nicht verlangen, daß er sich quasi selbst überführt. Man müßte aber dafür sorgen, daß er seine Propaganda nicht auch noch fortsetzen kann."
"Es geht hier ja nicht um feuilletonistische Petitessen", sagt ein Redakteur. "Wenn Wolf Biermann zur CSU rennt und sich im Spiegel dafür selber gute Zensuren ausstellen darf, ist das journalistisch peinlich. Der Fall Rathfelder geht über Peinlichkeit weit hinaus. Rathfelder ist kein Journalist. Er ist parteiisch, und er macht Politik."
Ein ehemaliger Redakteur Rathfelders erzählt: "Als wir seine wüstesten anti-serbischen Tiraden eine Zeitlang nicht druckten, tauchte er eines Morgens plötzlich in Berlin auf, in der Redaktion - in einem kroatischen Kampfanzug! Es war gruselig. Aber auch seine Anrufe waren gefürchtet. Wir halfen uns mit einem Trick: Wir scheuerten am Hörer herum und behaupteten, die Verbindung sei zu schlecht, wir könnten ihn nicht verstehen. Irgendwann legte er entnervt auf."
Eine Reporterin berichtet von einem Treffen mit Rathfelder im Kosovo. "Wer hat dich geschickt? Du sollst mich kontrollieren!" habe Rathfelder sie paranoid angeherrscht: "Die taz ist ein Faschistenblatt! Die drucken meine Texte nicht!"
Legendär ist die Qualität dieser Texte. "Gestammel", stöhnt ein Redakteur, der mittlerweile das Ressort gewechselt hat. "Man muß stundenlang redigieren, bis das Zeug wenigstens formal halbwegs druckbar ist." Rathfelder gilt in der taz als "Problemfall, den man aus sozialen Gründen nicht entlassen kann." Auf keinen Fall aber will man ihn in der Redaktion haben. Ein Kollege, der Rathfelder seit mehr als 20 Jahren kennt, faßt das Problem so zusammen: "Rathfelder ist abhängig - vom Schnaps, aber mehr noch vom Krieg. Der braucht das richtig." So erklärt sich auch Rathfelders Motiv, "in Kellern zu sitzen und bei Kerzenlicht auszuhalten", wie es bei Rupert Neudeck pfadfinderschwärmerisch heißt.
Trotz allem bleibt Rathfelder bis auf weiteres der Balkan-Berichterstatter der taz; der interne Vorschlag, der Mann solle doch "über Kaninchenzüchter schreiben", weil er da "wenigstens keinen Schaden anrichtet", ist verweifelter Galgenhumor. Die Kaninchenzüchter würden sich im übrigen bedanken. taz-Leser dürfen das schon jetzt.