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Grizzly 2010: Einmal BiH querbeet und zurück

Montag 26.7.2010

Ich besuche nochmal die Stelle des Attentats, das den Ersten Weltkrieg ausgelöst hat,
und das an dieser Stelle eingerichtete Museum.
Schülerzeitungswitz der 60er Jahre:
"Letzte Meldung !
Soeben erreicht uns die Nachricht, dass Erzherzog Ferdinand lebt.
Der erste Weltkrieg wird damit für ungültig erklärt."
So einfach ging das leider nicht.
Einen Monat nach dem Attentat erklärte die Regierung Österreich-Ungarn Serbien den Krieg, das Deutsche Kaiserreich zog nach, auf Seite Serbiens Russland, Frankriech, Großbritannien und so weiter ...
Vier Jahre später gab es kein Österreich-Ungarn mehr.

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Unter der Karte eine Nachbildung der Fußspuren des Attentäters.
Bis zum letzten Krieg waren sie auf der Straße an der Stelle des Attentats zu sehen, im Krieg wurde die Straße an dieser Stelle und damit auch die in die Straße eingelassenen Fußspuren zerstört.

An der nächsten Brücke flussaufwärts steht das Alte Rathaus/Natuonalbibliothek, das nach den schweren Kriegszerstörungen derzeit renoviert wird.
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An der Stelle des Rathauses stand vor dessen Bau 1896 ein kleines Haus, das dafür abgerissen wurde. Dessen Besitzer machte jedoch so viel Ärger, als sein Haus zerstört werden sollte, dass man es sorgfältig abtrug und am gegenüber liegenden Flussufer wieder aufbaute. Deshalb heisst es Inat Kuca, das Trotzhaus.
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Kurz hinter dem Trotzhaus ist die Altstadt ziemlich plötzlich zu Ende und man kommt auf einen geteerten Wanderweg, der früher die Autostraße in östlicher Richtung war. Ich will bis zur Ziegenbrücke (kozja cuprija), das ist die östlichste der 10 Flussbrücken Sarajevos, die ich vom Bus aus schon mehrere Male gesehen habe. Man läuft vom Altstadtende weniger als eine Stunde dorthin.

Erstmal kommt man durch die Allee der Botschafter, Aleja Ambasadora. Die heisst so, weil nach dem Krieg nahezu alle in Sarajevo akkreditierten Botschafter dort einen Baum gepflanzt haben - manche mehrere.

Der US-Baum muss noch a bisserl wachsen,
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die andern sind zum Teil schon zwei Meter hoch.

Am Eingang der Allee steht eine Pferdekutsche und wartet auf Kundschaft - mit Erfolg, ich werde bald überholt.
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Hier sieht man noch, dass das früher eine Autostraße war,
heute donnern die Autos oben drüber weg.
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Die Teerstraße vermittelt den Eindruck der nahen Zivilisation ...
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die wilde Landschaft daneben den eines tropischen Regenwalds.
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Ein Erdrutsch (unten links), der hier seit ca. 15 Jahren die Straße für Autos sperrt, ist inzwischen längst überwachsen.
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Und da ist sie auch schon, die Ziegenbrücke.
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Die Blicke nach Osten
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und nach Westen (stadteinwärts) könnten unterschiedlicher nicht sein.
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Wie's am anderen Ufer weitergeht, weiss ich nicht, ich wende mich wieder über die Brücke, vorbei an einem nicht ganz fertigen Häusl, nach links in Richtung Stadt.
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Die eben gezeigte Burg kriegen wir gleich noch näher zu sehen -
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leider kommt man dort nicht rein, weil sie, so hört man, zu einem Luxushotel umgebaut wird.

Ob in diesem "Luxushotel" schon Leute wohnen oder nur ihr zukünftiges Heim besichtigen ?
Ersteres wäre durchaus möglich.
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Vorbei an einer imposanten Felsnase (ich kann nur hoffen, dass sie nicht gerade jetzt kippt)
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komme ich wieder in die Botschafter-Allee.
Dieses Bäumchen
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ist sozusagen unseres.
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So plötzlich, wie man aus der Stadt herausgekommen ist, kommt man wieder rein
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(hier ein Blick zurück).

Ein seltsames Gestell, mit einem Zutrittsverbotsschild garniert, erregt meine Neugier
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(Zutritt verboten, archäologische Arbeiten).

Anscheinend sucht man die Reste dieses Schmuckstücks,
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das, wenn ich's richtig gelesen habe, 1957 der Straße und einer Tankstelle weichen musste.
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Mittwoch 27.7.2010

Jetzt heisst es definitiv Abschied nehmen von Sarajevo, mittags geht der Bus.
Wenn man in Kroatien mit einem Überlandbus fährt, muss man erstmal auf den Sitzplatz Platz nehmen, dessen Nummer auf der Fahrkarte steht (es sei denn, man führt sich bei Fahrer gleich als Hobbyphotograph ein).
In Bosnien geht das alles ein bissl anders. Den Sitz mit meiner Nummer finde ich erst gar nicht, dafür taucht eine andere Nummer gleich dreimal auf. Vermutlich wurden irgendwann defekte Sitze ausgetauscht mit weniger defekten aus anderen auszurangierenden Bussen, und die Sitzplatznummern waren dabei wurscht.
Ich such mir einen Platz, der noch frei ist, und den macht mir auch keiner streitig. Er ist eng genug.

Nach einem anregenden Gespräch mit einer deutsch sprechenden Russin, das ein plötzliches Ende findet, weil sie aussteigen muss, und einem Schläfchen haben wir plötzlich eine halbe Stunde Pause. Alles wickelt seine Knochen zusammen und wackelt hinaus auf die Straßen von Donji Vakuf.

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Auf den verbliebenen 34 Kilometern nach Jajce haben wir ein bissl mehr Platz, weil einige Leute nicht mehr mitfahren.

Jajce hab ich mir als nächstes Ziel ausgesucht, weil es eine historische Stadt ist. Der Namen, das wusste ich vorher nicht, kommt von jaja, das sind die Eier, deren zermahlene Schalen zum Kalken der ehemals weissen Häuser dieser ehemaligen bosnischen Königsstadt benutzt worden sind.

In Jajce residierten die ersten bosnischen Könige, bis die Osmanen die Stadt eroberten. Ein paar Jahrhunderte später machte die Stadt noch einmal Geschichte, indem die jugoslawische Volksbefreiungsarmee unter Tito dort 1943 ihren ersten Volkskongress auf befreitem Gebiet abhielt.

Im letzten Krieg kam die Stadt dann bös unter die Räder. Bis Oktober 1992 wurde sie erst gemeinsam von kroatischen und bosniakischen Truppen gegen serbischen Beschuss verteidigt, bis sich - angeblich aufgrund eines Geheimabkommens zwischen Tudjman und Milosevic - die kroatischen Verbände weitestgehend zurückzogen und die Bosniaken sich nicht mehr halten konnten, so dass die inzwischen weitestgehend zerstörte und entvölkerte Stadt im Oktober 1992 von serbischen Truppen erobert wurde; im September 1995 eroberten dann kroatsche Truppen Jajce zurück, worauf die meisten serbischen Bewohner flohen.

Mit derzeit 28.000 Einwohnern (2/3 Kroaten, 1/3 Bosniaken) leben weitaus weniger Menschen in Jajce als vor dem Krieg, allein 5000 der ehemals 45.000 Bewohner sind nach Schweden ausgewandert.



Wir sind vorangemeldet, allerdings weiss unter Gastgeber noch nicht, dass wir mittlerweile zu dritt statt zu zweit sind. Da seine Pension mit einer großen Gruppe von Archäologie-Studenten, die auf der Burg mit Ausgrabungen beschäftigt sind, ohnehin voll besetzt ist, bringt er uns mit seinem etwa 30 Jahre alten Renault R5 zu einer Wohnung, in der er die Küche mit einem Klappbett zum dritten Übernachtungsraum umfunktioniert. 30 Mark pro Nacht und Zimmer, Frühstück und Transport zum Busbahnhof inclusive, da kann man nix sagen.

Nach einer kurzen Wiederaufbrezelung machen wir uns auf zum Abendspaziergang.

Das dürfte der Rest einer serbisch-orthodoxen Kirche sein -
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da von den (laut Wikipedia) über 8.000 Serben in der Stadt vor dem Krieg 1999 nur noch 260 übrig waren, scheint es an den Finanzmitteln zum Wiederaufbau zu fehlen. Die Muslime hatten offensichtlich bessere Möglichkeiten, die potentielle Gemeinde ist auch größer (1999 7.600 Leute).
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Die Burg ist von allen Seiten unübersehbar.
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Hier hat jemand einen Tisch reserviert und wartet auf die ausbleibenden Gäste.
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Letztendlich bekommen auch wir unsere hungrigen Mägen gefüllt, in der Nähe des Wasserfalls, an dem die Pliva aus 21 Meter Höhe in den Vrbas herunterdonnert. Der Wasserfall ist neben der Burg das zweite Wahrzeichen der Stadt, den beehren wir noch vor dem Abendessen
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(links Pliva, rechts Vrbas, dazwischen 21 Meter).

Der Fußweg zum Fuß der Wasserfalls ist derzeit durch einen Erdrutsch unterbrochen.
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Ich gehe also den inzwischen abgesperrten Weg zurück, umgehe die Absperrung (dazu, d.h. zum Umgehen, ist sie da) und nutze die letzten Sonnenstraßen für ein paar romantische Panoramaphotos von Jajce.
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Zuletzt bearbeitet:
Jajce 28.7.2010

Der Nebel vor dem Fenster unseres Quartiers löst sich nur zögerlich,
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aber irgendwann bricht dann doch die Sonne durch.
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Meine Mitreisende F. war an der Entstehung dieses Bildes nicht unbeteiligt.
Während ich erst nur die mit mäßigem Erfolg verputzten Einschusslöcher aufnehmen wollte, schlug sie vor, das ganze Fenster aufzunehmen und das Bild Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft zu nennen.

Vergangenheit - das sind die Einschüsse.
Gegenwart - das ist die aufgehängte Wäsche.
Zukunft - das ist die Satellitenschüssel ...

Nach dem Frühstück statten wir dem Wasserfall nochmal einen Besuch ab.
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Die Nebelschwaden sind echt und keine Bildstörung, dieses majestätische Naturschauspiel fasziniert mich ausserordentlich.

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Nochmal von der anderen Seite ...
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und bewegt bzw. mit lautem Rauschen kriegen wir das auch hin.

YouTube - 11 Jajce Wasserfall
 
Wie wärs mal mit nem Buch? :D

Den Tipp krieg ich nicht das erste Mal, aber ich hab einfach keine Zeit, den umfangreichen organisatorischen Kram dazu in die Wege zu leiten. Zumal ich einen Fulltimejob hab, zwischendrin auch noch schlafen möchte, und dieser verdammte Tag nicht mehr als 24 Stunden hat - so eine Sauerei aber auch.
 
Den Tipp krieg ich nicht das erste Mal, aber ich hab einfach keine Zeit, den umfangreichen organisatorischen Kram dazu in die Wege zu leiten. Zumal ich einen Fulltimejob hab, zwischendrin auch noch schlafen möchte, und dieser verdammte Tag nicht mehr als 24 Stunden hat - so eine Sauerei aber auch.
Am Wochenende hat der Tag sogar 25 Stunden, Zeit genug :D
 
Nach dem kühlenden Nebel des Wasserfalls ist Schwitzen angesagt - ich will rauf zur Burg.

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Der o.g. Kirchturm ist eine Ruine und ich denke erstmal, dass daran der letzte Krieg schuld ist - bis ich eine Ansichtskarte von 1984 finde, wo dieser Bau auch schon als Ruine zu sehen ist. Lukasturm heisst er übrigens, war ursprünglich eine Kirche und später Moschee. Ich frage einige Passanten, ob sie wissen, seit wann diese Kirche kaputt ist, niemand weiss es. Nach meiner Rückkehr stelle ich im Internet fest, dass sie ohne Kriegseinwirkungen ausgebrannt ist (das geht sogar in Bosnien ...), schon im 19. Jahrhundert war das.

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Diese Katakomben sind mehrere Jahrhunderte alt, im 2. Weltkrieg nutzte Tito diese geschützte Lage zeitweise als Hauptquartier (Herbst 1943). Davon ist aber ausser einer Gedenktafel nichts mehr zu sehen. Man kann rein, für 1 KM, aber es ist so dunkel da drin, dass die Photos alle nichts werden.

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Das ist jetzt nochmal der Lukasturm, diesmal von oben.
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Nachdem ich nochmal 1 KM abgedrückt habe (sind ja humane Preise), darf ich hier auch rein bzw. hoch
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und werde mit einer phantastischen Aussicht belohnt.
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