[h=1]Oliver N. suchte Liebe - und zog in den Krieg[/h]
[h=2]"Krone"-Reportage[/h]
Oliver N. galt als "völlig unauffällig". Bis er sich mit 16 nach Syrien absetzte. Jetzt sprechen sein Vater und die Stiefmutter über mögliche Gründe für das absurde Handeln des Buben.
Handeln des Buben.
Ein schmuckes Einfamilienhaus in Niederösterreich. Holzmöbel, gemütliche Sofas, bunte Bilder an den Wänden. Ihr Wohnort, bitten Thomas und Klaudia N., soll geheim bleiben. "Denn wir müssen", sagen die beiden, "vorsichtig sein."
Thomas N.s Sohn aus erster Ehe, Oliver, sorgt seit Monaten für Schlagzeilen. Im Sommer 2014 setzte sich der damals 16- Jährige nach Syrien ab, um in den Heiligen Krieg zu ziehen. Im Herbst wurde er bei einem Bombenangriff schwer verletzt,
im März 2015 kam er nach Österreich zurück . Seitdem sitzt er in der Justizanstalt Josefstadt in U- Haft. In einer Einzelzelle, aus Sicherheitsgründen – in Verhören hat er über ehemalige Glaubensbrüder und ihre "Rattenfänger- Methoden" ausgepackt.
Die Geschichte des Oliver N.: unfassbar. Ein Bub ohne Migrationshintergrund, nicht religiös erzogen. Ein Bub, der lange als völlig unauffällig galt, mutierte quasi von einem Tag zum anderen zum Dschihadisten. Wie konnte es dazu kommen?
[h=3]Er wuchs in Kinderheimen auf[/h] "Oliver hatte keine einfache Kindheit", verteidigt Thomas N. seinen Sohn. "Seine Mutter und ich ließen uns scheiden, als er fünf war." Das Sorgerecht wurde der Frau zugesprochen. Sie kümmerte sich wenig um den Kleinen, immer wieder musste er in Heimen untergebracht werden. Dennoch, Oliver liebte seine Mama abgöttisch und verzieh ihr jeden Fehler.
"Natürlich", so Thomas N., "habe ich mich darum bemüht, ihn in meine Obhut zu kriegen. Doch er wollte das nicht. Trotzdem, der Kontakt zwischen uns war gut. Und bis zu seinem 15. Lebensjahr gab es mit ihm ja auch keine Probleme. Nach der Schule begann er eine Lehre bei einer Versicherung, er hatte nette Freunde und bekam vom Jugendamt sogar eine eigene Garconniere zur Verfügung gestellt." Und er war kaum von Erwachsenen beaufsichtigt.
Ende 2013 lernte er in einem Park ein paar junge Afghanen kennen. Sie nahmen ihn in eine Moschee mit. Wo er die "Familie" fand, nach der er sich von Kindheit an gesehnt hatte. Schnell konvertierte er zum Islam. Klaudia N.: "Wir schlugen bei der Fürsorge Alarm. Ohne Erfolg." Und dann war Oliver plötzlich weg…
Die "Rattenfänger" hatten für ihn einen Flug nach Istanbul gebucht, von dort ging es nach Syrien und in der Folge in den Irak, in ein "Gehirnwäschelager". "Wo meinem Sohn", so Thomas N., "so vieles versprochen wurde: die Ehe mit einer treuen Frau, ein Haus mit Garten." Und nebenbei bekam er eine Einschulung im Umgang mit Kalaschnikows.
Am Ende des zweimonatigen Camp- Aufenthalts die Frage an ihn: "Willst du ein Selbstmord- Attentäter werden, für den Lohn von 99 Jungfrauen?" Thomas N.: "Mein Bub sagte Nein, er wollte ja nur eine eigene kleine Familie gründen." Zurück in Syrien, ehelichte er per Internet eine Türkin, "von der er nie mehr als ihre Augen gesehen hat".
[h=3]Er hat viele tote Menschen gesehen[/h] Was weiß der Vater noch über Olivers Zeit in Rakka? "Er lebte in einer WG. Er war bei Auspeitschungen dabei. Er sah auf Marktplätzen Köpfe von Toten." Und er schickte an Bekannte in Wien SMS, in denen er vom Heiligen Krieg schwärmte und ihnen mit Ermordung drohte.
Irgendwann wurde Oliver N. ein "Job" zugeteilt. "Er fuhr mit einem gepanzerten Wagen durch die Gegend und sammelte Leichenteile auf." Bis er in einen Bombenangriff geriet. Als er nach tagelanger Bewusstlosigkeit in einem Spital aufwachte, waren ihm eine Niere, die Milz, ein Teil seiner Leber und der Lunge herausoperiert worden. "Da begann er, uns per Handy zu kontaktieren", schildert Klaudia N.: "Er flehte uns an, für ihn einen Fluchtplan zu entwerfen. Wir rieten ihm, sich in die Türkei bringen zu lassen."
Es kam zu der "Überstellung", kurz nach der Grenze geschah ein Autounfall – zwei von Olivers Mitreisenden starben dabei. Thomas N.: "Mein Bub schaffte es, sich bis nach Istanbul durchzuschlagen. Und wir buchten für ihn einen Flug nach Hause." Am 16. März landete er in Wien.
[h=3]Posttraumatische Belastungsstörung[/h] Olivers Zustand jetzt? Laut Gerichtspsychiaterin Gabriele Wörgötter leidet der nun 17- Jährige an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Therapeuten plädieren dafür, den Buben in Freiheit zu entlassen.
Im Sommer soll ihm der Prozess gemacht werden. Die Anklage wird unter anderem auf "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" lauten. Im Falle eines Schuldspruchs drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft. Thomas und Klaudia N. haben dennoch bereits in ihrem schmucken Haus ein Zimmer für ihn eingerichtet.
Oliver N. suchte Liebe - und zog in den Krieg - "Krone"-Reportage - Österreich - krone.at