Studentinnen in Iran
Bist du Fleisch oder Kater?
Von Mohammad Reza Kazemi
REUTERS
Frauen haben es schwer in Iran, gerade an der Universität: Zwar gibt es mehr als zwei Millionen Studentinnen, doch religiöse Eiferer sehen in ihnen eine unsittliche Verlockung für Männer. Jetzt gibt Präsident Ahmadinedschad den Frauenrechtler - aus taktischem Kalkül.
Ein Mädchen greift zum Lippenstift, ein anderes bemalt mit Eyeliner ihre Lidränder und ein drittes lackiert sich die Fingernägel. Was aussieht wie der Start in eine Partynacht, ist Alltag auf den Damentoiletten an vielen iranischen Universitäten.
Denn seit Hardliner Mahmud Ahmadinedschad als iranischer Präsident regiert, werden Studenten, die sich modern stylen, im erzkonservativen Iran mehr denn je am Eingang der Unis angehalten und ermahnt. Während die Jungen weniger Möglichkeiten haben, die strengeren Kontrollen zu umgehen, lassen sich viele Mädchen von den Sittenwächtern wenig vorschreiben. Sie schminken sich erst innerhalb der Uni, in ihrem improvisierten Make-up-Studio, dem Damenklo.
"Ich hatte manchmal einen zweiten Mantel dabei und zog mich auf der Toilette um. Denn wir durften beim Eintritt keine engen oder kurzen Mäntel tragen", sagt Mehri, 23, die vor kurzem ihr Soziologie-Studium an der Universität Isfahan in Zentraliran abgeschlossen hat. Außerdem sollte der Mantel unbedingt schwarz oder braun sein. "Die Farben mag ich aber gar nicht", sagt sie.
Wie "islamisiert" man 3,5 Millionen Studenten?
Die "Islamisierung" der iranischen Unis mit ihren 3,5 Millionen Studenten, über zwei Millionen davon Frauen, war von Anbeginn der Herrschaft des Hardliners Ahmadinedschad Teil von dessen Agenda. Und damit lag der Präsident auch ganz auf der Linie der strengen Mullahs. Der geistliche Führer Ajatollah Ali Chamenei hat in der Vergangenheit immer wieder auf die Durchsetzung islamischer Alltagsregeln auch an Hochschulen gedrängt.
Darum sind in den letzten Jahren Dutzende liberale, kritische Uni-Professoren entlassen oder zwangsweise in Rente geschickt worden. Trotz massiver Studentenproteste startete das Bildungsministerium außerdem eine Geschlechtertrennung an vielen Unis, um "unsittliche" Kontakte zwischen jungen Männern und Frauen zu verhindern: Getrennte Ein- und Ausgänge, Installation von Trennwänden in manchen Räumen der Unis und sogar eine Trennung der Anwesenheitslisten wurden durchgesetzt.
Die Philosophie dahinter erklärte ein Vertreter des geistlichen Führers an der Khajeh-Nasir-al-Din-Universität, einer der größten Unis in Teheran, mit einem Beispiel aus der Tierwelt: "Die Jungen, die heute an den Unis studieren, besuchten bis vor kurzem geschlechtergetrennte Schulen. Sie sind wie Kater, die in Mädchen ein Stück Fleisch sehen. Wie ist das möglich, dass ein Kater auf das Fleisch verzichtet?"
"Die Vermischung von Männern und Frauen ist islamisch verboten"
Dafür erntete der Tierphilosoph beißenden Spott, vor allem seitens der Studenten. "Die Frage nach dem Geschlecht soll ab jetzt in den offiziellen Formularen heißen: 'Kater' oder 'Fleisch', und nicht mehr 'männlich' und 'weiblich'", schrieb damals ein Student in seinem Blog.
Die Regierung ließ sich von solcher Kritik natürlich nicht beirren. "Die Vermischung von Männern und Frauen ist islamisch verboten. Diese Tatsache ändert sich nicht, auch wenn Psychologen eine Vermischung befürworten", sagte der iranische Wissenschaftsminister Kamran Daneschdschu Anfang Juli. Nach einem Beschluss des Hohen Rats der Kulturrevolution, gefasst vor 24 Jahren, sei es Pflicht, falls möglich, Jungen und Mädchen in unterschiedlichen Klassen zu unterrichten, ergänzte Daneschdschu.
Überraschender Weise kam die Kritik an den Worten des Ministers gleich von ganz oben. In einem Brief an die Wissenschafts- und Gesundheitsminister lehnte Präsident Ahmadinedschad die Trennungsmaßnahmen und Entlassungen von Uni-Professoren als "oberflächlich" und "unwissenschaftlich" ab und forderte deren sofortigen Stopp.
Kampf der "Sittenlosigkeit"
Hardliner Ahmadinedschad als Kämpfer für Frauenrechte und liberale Forscher? Sicher nicht, urteilt die im Exil lebende iranische Journalistin Fahimeh Khezr Heidari. Das Aufbegehren gegen seinen Wissenschaftsminister sei "Populismus pur, der Wissenschaftsminister untersteht Ahmadinedschad und kann ohne seine Zustimmung nicht handeln. Dass sich der Präsident erst jetzt kritisch dazu äußert, ist Heuchelei", sagt Heidari. Der Brief stehe in Zusammenhang mit dem
zwischen Ahmadinedschad und dem geistlichen Führer Ajatollah Chamenei ausgebrochenen Machtkampf .
Ähnlich sieht das auch ein Kommentator der regierungskritischen Nachrichtenseite "Alef", die von dem einflussreichen konservativen Parlamentsabgeordneten Ahmad Tavakoli kontrolliert wird. Bereits einige Tage vor Ahmadinedschads Brief schrieb er, die Regierung behaupte, dass die Idee der Geschlechtertrennung von Chamenei stamme. Das solle wohl dem religiösen Führer schaden. Wahrscheinlich werde dann ein hoher Regierungsvertreter ihn als dogmatisch bezeichnen und annullieren, hatte der "Alef"-Kommentator vorhergesagt - und so kam es auch. Ahmadinedschad hat den Stopp der Maßnahmen befohlen, und der Wissenschaftsminister wird "von ganzen Herzen gehorchen", zitierte ihn die iranische Nachrichtenagentur Irna am Donnerstag. Jetzt schlagen wiederum die Ultrareligiösen verbal gegen den Präsidenten los. Der fanatische Freitagsprediger Ahmad Chatami sagte: "Der Vorsitzende jener Uni, der eine Geschlechtertrennung durchgeführt hat, soll mit einer Ehrenmedaille verehrt werden und nicht getadelt." Die Regierung handle unentschlossen im Kampf gegen "Sittenlosigkeit".
Das Kräftemessen zwischen Ahmadinedschad und den Mullahs ging mit dem Uni-Streit in eine neue Runde - aber zu Ende ist es noch lange nicht.
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