"Die iranische Regierung fürchtet gebildete Frauen"Im Iran sind etwa 60 Prozent der Studierenden Frauen. Nun sollen sie aus bestimmten Fächern ausgeschlossen werden. Menschenrechtsverteidigerin Shirin Ebadi im Interview
ZEIT ONLINE: Frau Ebadi, Sie haben einen Brief an die Frauenorganisation der Vereinten Nationen geschrieben, um gegen den Ausschluss der Frauen aus bestimmten Studienfächern zu protestieren. Was ist die Kernaussage Ihres Briefes?
Shirin Ebadi: In dem Brief weise ich darauf hin, dass die Islamische Republik bedrohliche und diskriminierende politische Entscheidungen gegen Frauen trifft. Die Regierenden im
Iran glauben, Frauen gehörten an den Herd und versuchen mit allen Mitteln, sie aus dem aktiven, gesellschaftlichen Leben zu verdrängen. Ihre neueste Maßnahme ist der Ausschluss der Frauen aus 77 Studienfächern. Das Wissenschafts- und Hochschulministerium begründet diese Diskriminierung mit der Regulierung des Arbeitsmarktes. Es gäbe zu viele arbeitslose Akademiker in bestimmten Bereichen. Aber warum sollen für die Lösung dieses Problems nur Frauen Entbehrungen hinnehmen?
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ZEIT ONLINE: Das Wissenschaftsministerium hat die Verantwortung für diese Maßnahmen von sich gewiesen und mitgeteilt, dass die Universitäten autonom gehandelt hätten.
- Aktuelle Maßnahmen
- Frauenrechte im Iran
Aktuelle MaßnahmenIm Iran sollen Frauen an 36 Universitäten des Landes von 77 Studienfächern ausgeschlossen werden. Zu den Fächern gehören verschiedene Ingenieurswissenschaften, Chemie, Politologie, Wirtschaftswissenschaften, Jura, Betriebswirtschaft, Pädagogik, Geschichte, Geografie, Metallurgie, Geologie, Agrarwissenschaften, Forstwirtschaft, Teppichknüpfkunst, englische Literatur und Restauration von historischen Gebäuden.
Frauenrechte im IranNach der islamischen Revolution von 1979 im Iran schaffte die neue Regierung als erstes das fortschrittliche "Gesetz zum Schutz der Familie" aus dem Jahre 1967 ab. An dessen Stelle trat ein Familienrecht, das auf islamischer Tradition beruhte. Danach durften Frauen bestimmte Berufe wie den der Richterin nicht mehr ausüben. Der Schleierzwang war die zweite Maßnahme des islamischen Regimes gegen die Selbstbestimmung der Frauen.
Trotzdem konnten gerade in dem islamischen Staat Frauen Verantwortung übernehmen, auch in typischen Männerberufen in Industrie, Bauwesen und Dienstleistung. Sie traten der Polizei und paramilitärischen Verbänden bei und eroberten fast zwei Drittel aller Studienplätze. Genaue Zahlen gibt es nicht, nur Schätzungen. Iranische Frauen gewannen zahlreiche internationale Preise in den Bereichen Kunst, Kultur, Journalismus und Menschenrechten.
Doch seit Mahmud Ahmadinedschad 2005 die Macht übernahm, verschärfte sich die Situation. Die Regierung hat zum Beispiel die einzige unabhängige Frauenbibliothek geschlossen. Programme, die die Mehrehen für Männer erleichtern wollen oder die Geburtenrate verdoppeln sollten, konnten zwar verhindert werden. Aber viele der Aktivistinnen der Frauenbewegung, u. a. Nasrin Sotoudeh, Narges Mohammadi, Mahboubeh Karami, Bahareh Hedayat, Hanieh Farshid Shotorban, sitzen in den Gefängnissen. Ein anderer Teil – u. a. Shirin Ebadi, Mansoureh Shojaie, Rezvan Moghadam, Shadi Sadr – flüchtete ins Ausland. Der Rest ist durch Drohungen und Gewalt zum Schweigen gezwungen worden. Aber es gibt zahlreiche Internetseiten, die den unzufriedenen Frauen eine Plattform bieten und wo sich der Widerstand zeigt, beispielsweise hier:
Taghir Baraye Barabari,
Ta Ghanoone Khanevadeh Barabar,
Meydane Zanan.
Ebadi: Das ist nicht wahr. Die 36 Hochschulen, von denen die Frauen verdrängt werden sollen, sind staatliche Universitäten, die dem Wissenschaftsministerium untergeordnet sind. Sie dürfen solche gewichtigen Entscheidungen nicht ohne die Zustimmung des Wissenschafts- und Hochschulministeriums beziehungsweise der Regierung treffen.
ZEIT ONLINE: Die Rektoren der betroffenen Universitäten haben unterschiedliche Gründe für den Ausschluss der Frauen genannt. Unter anderem wird gesagt, bestimmte Fächer seien "männlich" und für Frauen nicht geeignet. Wie ist das Selbstverständnis iranischer Frauen? Wollen sie beispielsweise überhaupt als Agraringenieurin arbeiten?
Ebadi: Iranische Frauen haben bewiesen, dass sie in allen Fächern mit ihren männlichen Kommilitonen nicht nur konkurrieren, sondern sie auch überholen können. In den letzten Jahren waren schätzungsweise mehr als 60 Prozent aller Studierenden Frauen. Das sind gebildete, aufgeklärte Frauen, die Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts nicht mehr hinnehmen werden. Aus diesem Grund hat sich auch die feministische Bewegung im Iran enorm entwickelt.
ZEIT ONLINE: Das heißt, die Akademikerinnen haben für den Aufschwung der feministischen Bewegung gesorgt?
Ebadi: Die feministische Bewegung hat sich mit anderen Bewegungen, wie der Studenten- und Arbeiterbewegung, zusammengeschlossen und konnte so in allen Schichten der Gesellschaft Fuß fassen. Das macht dem Staat sowieso Angst. Die Regierung fürchtet aber besonders die gebildeten Frauen. Deshalb versucht sie mit verschiedenen Maßnahmen und Tricks, den Aufstieg der Frauen zu stoppen. Eine dieser Maßnahmen ist ihr Ausschluss von bestimmten universitären Fächern.
Frauenrechte: "Die iranische Regierung fürchtet gebildete Frauen" | Gesellschaft | ZEIT ONLINE
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"Die iranische Regierung fürchtet gebildete Frauen"Im Iran sind etwa 60 Prozent der Studierenden Frauen. Nun sollen sie aus bestimmten Fächern ausgeschlossen werden. Menschenrechtsverteidigerin Shirin Ebadi im Interview
ZEIT ONLINE: Frau Ebadi, Sie haben einen Brief an die Frauenorganisation der Vereinten Nationen geschrieben, um gegen den Ausschluss der Frauen aus bestimmten Studienfächern zu protestieren. Was ist die Kernaussage Ihres Briefes?
Shirin Ebadi: In dem Brief weise ich darauf hin, dass die Islamische Republik bedrohliche und diskriminierende politische Entscheidungen gegen Frauen trifft. Die Regierenden im
Iran glauben, Frauen gehörten an den Herd und versuchen mit allen Mitteln, sie aus dem aktiven, gesellschaftlichen Leben zu verdrängen. Ihre neueste Maßnahme ist der Ausschluss der Frauen aus 77 Studienfächern. Das Wissenschafts- und Hochschulministerium begründet diese Diskriminierung mit der Regulierung des Arbeitsmarktes. Es gäbe zu viele arbeitslose Akademiker in bestimmten Bereichen. Aber warum sollen für die Lösung dieses Problems nur Frauen Entbehrungen hinnehmen?
ZEIT ONLINE: Das Wissenschaftsministerium hat die Verantwortung für diese Maßnahmen von sich gewiesen und mitgeteilt, dass die Universitäten autonom gehandelt hätten.
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- Frauenrechte im Iran
Aktuelle MaßnahmenIm Iran sollen Frauen an 36 Universitäten des Landes von 77 Studienfächern ausgeschlossen werden. Zu den Fächern gehören verschiedene Ingenieurswissenschaften, Chemie, Politologie, Wirtschaftswissenschaften, Jura, Betriebswirtschaft, Pädagogik, Geschichte, Geografie, Metallurgie, Geologie, Agrarwissenschaften, Forstwirtschaft, Teppichknüpfkunst, englische Literatur und Restauration von historischen Gebäuden.
Frauenrechte im IranNach der islamischen Revolution von 1979 im Iran schaffte die neue Regierung als erstes das fortschrittliche "Gesetz zum Schutz der Familie" aus dem Jahre 1967 ab. An dessen Stelle trat ein Familienrecht, das auf islamischer Tradition beruhte. Danach durften Frauen bestimmte Berufe wie den der Richterin nicht mehr ausüben. Der Schleierzwang war die zweite Maßnahme des islamischen Regimes gegen die Selbstbestimmung der Frauen.
Trotzdem konnten gerade in dem islamischen Staat Frauen Verantwortung übernehmen, auch in typischen Männerberufen in Industrie, Bauwesen und Dienstleistung. Sie traten der Polizei und paramilitärischen Verbänden bei und eroberten fast zwei Drittel aller Studienplätze. Genaue Zahlen gibt es nicht, nur Schätzungen. Iranische Frauen gewannen zahlreiche internationale Preise in den Bereichen Kunst, Kultur, Journalismus und Menschenrechten.
Doch seit Mahmud Ahmadinedschad 2005 die Macht übernahm, verschärfte sich die Situation. Die Regierung hat zum Beispiel die einzige unabhängige Frauenbibliothek geschlossen. Programme, die die Mehrehen für Männer erleichtern wollen oder die Geburtenrate verdoppeln sollten, konnten zwar verhindert werden. Aber viele der Aktivistinnen der Frauenbewegung, u. a. Nasrin Sotoudeh, Narges Mohammadi, Mahboubeh Karami, Bahareh Hedayat, Hanieh Farshid Shotorban, sitzen in den Gefängnissen. Ein anderer Teil – u. a. Shirin Ebadi, Mansoureh Shojaie, Rezvan Moghadam, Shadi Sadr – flüchtete ins Ausland. Der Rest ist durch Drohungen und Gewalt zum Schweigen gezwungen worden. Aber es gibt zahlreiche Internetseiten, die den unzufriedenen Frauen eine Plattform bieten und wo sich der Widerstand zeigt, beispielsweise hier:
Taghir Baraye Barabari,
Ta Ghanoone Khanevadeh Barabar,
Meydane Zanan.
Ebadi: Das ist nicht wahr. Die 36 Hochschulen, von denen die Frauen verdrängt werden sollen, sind staatliche Universitäten, die dem Wissenschaftsministerium untergeordnet sind. Sie dürfen solche gewichtigen Entscheidungen nicht ohne die Zustimmung des Wissenschafts- und Hochschulministeriums beziehungsweise der Regierung treffen.
ZEIT ONLINE: Die Rektoren der betroffenen Universitäten haben unterschiedliche Gründe für den Ausschluss der Frauen genannt. Unter anderem wird gesagt, bestimmte Fächer seien "männlich" und für Frauen nicht geeignet. Wie ist das Selbstverständnis iranischer Frauen? Wollen sie beispielsweise überhaupt als Agraringenieurin arbeiten?
Ebadi: Iranische Frauen haben bewiesen, dass sie in allen Fächern mit ihren männlichen Kommilitonen nicht nur konkurrieren, sondern sie auch überholen können. In den letzten Jahren waren schätzungsweise mehr als 60 Prozent aller Studierenden Frauen. Das sind gebildete, aufgeklärte Frauen, die Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts nicht mehr hinnehmen werden. Aus diesem Grund hat sich auch die feministische Bewegung im Iran enorm entwickelt.
ZEIT ONLINE: Das heißt, die Akademikerinnen haben für den Aufschwung der feministischen Bewegung gesorgt?
Ebadi: Die feministische Bewegung hat sich mit anderen Bewegungen, wie der Studenten- und Arbeiterbewegung, zusammengeschlossen und konnte so in allen Schichten der Gesellschaft Fuß fassen. Das macht dem Staat sowieso Angst. Die Regierung fürchtet aber besonders die gebildeten Frauen. Deshalb versucht sie mit verschiedenen Maßnahmen und Tricks, den Aufstieg der Frauen zu stoppen. Eine dieser Maßnahmen ist ihr Ausschluss von bestimmten universitären Fächern.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-08/frauenrechte-iran-shirin-ebadi