Die Trümpfe der Jihadisten
Nur einige tausend IS-Kämpfer bringen die irakische Regierung und die kurdischen Peschmerga in Bedrängnis. Dafür gibt es vor allem fünf Gründe.
Die Kampfverbände der Jihadistengruppe Islamischer Staat (IS) sind laut Experten zahlenmässig weniger stark, als es ihr rasantes und nahezu ungehindertes Vorrücken im Irak vermuten lässt. Die Rede ist von einigen tausend Mann, welche die Regierungstruppen seit zwei Monaten vor sich hertreiben. Das sind die Gründe:
1. Modernes Waffenmaterial
Die Jihadisten haben besonders in der Anfangsphase ihres Feldzugs etliche Panzer, Schützenwagen, Raketen und andere schwere Waffen von feindlichen Kampfverbänden erbeutet. Besonders die irakische Armee hat bei ihrem Rückzug moderne Ausrüstung hinterlassen, die zu grossen Teilen aus den USA stammt. Dadurch konnten die IS-Kämpfer «erhebliche Mengen jener Ausrüstung erbeuten, die sie am dringendsten brauchten», schildert der Rüstungsexperte Anthony Cordesman vom Center for Strategic and International Studies in Washington.
2. Erfahrungen aus dem syrischen Bürgerkrieg
Die Jihadistengruppe hat ihre Ursprünge in Syrien, nicht umsonst hiess sie deshalb bis vor kurzem Islamischer Staat im Irak und in Grosssyrien (ISIS). Die Beteiligung an den Gefechten des syrischen Bürgerkriegs habe der IS «unvergleichliche Trainings- und Lernmöglichkeiten geboten», erläutert die auf Aufklärungsdienste spezialisierte US-Firma Soufan.
Die Jihadisten kämpfen in Syrien seit 2013 sowohl gegen die Führung von Machthaber Bashar al-Assad als auch gegen die mit ihm verfeindeten Rebellen, von denen einige ebenfalls islamistische Motive haben. Allerdings hat sich die IS dabei einen Ruf als besonders brutale Bewegung erworben, deren Kämpfer den eigenen Tod nicht fürchten.
3. Strategische Kampfführung
Die Militäroffensive der Jihadisten konzentrierte sich bislang auf sunnitisch geprägte Regionen, in denen die IS Rückhalt erfährt sowie strategisch bedeutsame Infrastruktur oder schwach verteidigte Einrichtungen erobern konnte. Weil der Widerstand in diesen eher dünn besiedelten Regionen sehr überschaubar ausfiel, konnte die IS die Verluste in den eigenen Reihen minimieren sowie Motivation und Zusammenhalt ihrer Milizionäre stärken. Die Jihadisten seien «einfach sehr gut darin, ihre Gegner in die Flucht zu schlagen, wenn diese schon geschwächt sind», meint Michael Knight vom Washington Institute for Near East Policy.
4. Wirkungsvolle Propaganda
Den militärischen Erfolg verdankt die IS auch ihrem Ruf als besonders grausame und blutrünstige Miliz. Dadurch fielen ihr ganze Dörfer kampflos in die Hände. Über das Internet und die sozialen Netzwerke verbreitet die Gruppe gezielt makabere Fotos, etwa von enthaupteten Feinden. Inzwischen wird ihr laut dem Soufan-Sicherheitsexperten Patrick Skinner eine «schier unmenschliche Mordlust» zugeschrieben. In Sindjar flüchteten am Wochenende zehntausende Zivilisten vor den anrückenden Islamisten. Experten halten Einschüchterung deshalb für eine der wichtigsten IS-Taktiken.
5. Schwache Feinde
Eine besondere Stärke der IS ist die Schwäche ihrer Feinde. Die kurdischen Peschmerga-Milizen seien im Vergleich zur irakischen Armee zwar noch relativ kampfstark, sagt der Rüstungsexperte Cordesman, «aber ihre Infanterie ist wirklich schwach». Erfahrene Kämpfer, die schon gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein gefochten hätten, gebe es heute nicht mehr. Ausserdem schmälerten die finanziellen Probleme der Autonomieregierung von Kurdistan auch die Kampfkraft der Peschmerga.
Die irakische Armee wiederum versucht immer noch vergeblich, ihre Selbstauflösungserscheinungen nach den Anfangserfolgen der Jihadisten vergessen zu machen. Von einer schlagkräftigen Truppe kann derzeit keine Rede sein, wie die mangelnden Resultate der angekündigten Gegenoffensive verdeutlichen. «Die IS hat die frappierenden Schwächen ihrer Gegner aufgezeigt», heisst es bei Soufan. «Das zeigt sich ganz besonders im erbärmlichen Erscheinungsbild der irakischen Armee.»
Die Trümpfe der Jihadisten - News Ausland: Naher Osten & Afrika - bazonline.ch
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Islamischer Staat im Vormarsch - Das Erfolgsrezept des Kalifen
Die Kämpfer des Islamischen Staates haben sich in zwei Jahren ein grosses Reich angeeignet. Doch die Erfolge der Jihadisten verbergen ihre Schwäche.
Kämpfer des Islamischen Staats (IS), deren Offensive im Norden des Iraks zum Stehen gekommen ist, haben bereits eine neue Front eröffnet. Am Mittwoch haben sie im Norden Syriens eine Reihe von Dörfern zwischen Aleppo und der türkischen Grenze überrannt. Der IS ist damit wieder in Gebiete zurückgekehrt, aus denen er Anfang dieses Jahres, damals noch unter dem Namen Isis, von anderen Rebellengruppen vertrieben worden war. Die Aufständischen in Nordsyrien drohen nun zwischen den Truppen des Regimes und jenen des IS aufgerieben zu werden.
Überraschungseffekt
Der Vorstoss in der Provinz Aleppo ist typisch für die Taktik der Jihadisten unter der Führung Abu Bakr al-Baghdadis, der sich im Juni zum Kalifen ausrufen liess. Wenn sie an einer Front nicht mehr weiterkommen, stossen sie andernorts vor, wo sie eine Schwachstelle im Verteidigungsdispositiv ihrer Gegner erkennen. Diese Taktik hat einen grossen propagandistischen Wert, denn je dichter die Erfolgsmeldungen der Jihadisten einander folgen, desto mehr festigt sich ihr Ruf, unbesiegbar zu sein – und umso schwieriger wird es tatsächlich, sie zu besiegen.
Auch die jüngsten Ereignisse im Irak spielten sich nach diesem Muster ab. Nach der Eroberung von Mosul und Tikrit im Juni glaubten viele, das nächste Ziel der IS-Kämpfer sei Bagdad, Sitz der verhassten schiitischen Regierung. Die Mobilisierung der irakischen Schiiten und die Ankündigung Teherans, es werde die schiitischen Schreine des Iraks nicht kampflos den sunnitischen Extremisten überlassen, machte aber klar, dass mit einem Vorstoss auf die Hauptstadt kein leichter Sieg zu erringen war. So griffen die sunnitischen Extremisten nicht die Schiiten, sondern die ebenfalls sunnitischen Kurden an. Die Kurden rechneten nicht mit einem Angriff der Jihadisten, waren nicht darauf vorbereitet und zogen nach kurzer Gegenwehr ab.
Der Überraschungseffekt, den die IS-Kämpfer ausnützen, ist umso grösser, als die spärlich besiedelten Wüstengebiete zwischen Syrien und dem Irak es den Jihadisten erlauben, unbemerkt grosse Distanzen zu überwinden. Wie kürzlich in Sinjar, tauchen sie plötzlich vor einer Stadt auf und schlagen zu. Diese alte Taktik des Wüstenkriegs kann der IS ausspielen, weil er die Unterstützung lokaler Beduinenstämme hat, die den Kämpfern den Weg durch die Einöden zeigen.
Kuckucksei-Strategie
Die Grundlage für die Expansion vom «Islamischen Staat im Irak» (Isi) zum «Islamischen Staat im Irak und in Syrien» (Isis) und dann zum «Islamischen Staat» war jedoch eine Strategie, die man als «Kuckucksei-Methode» bezeichnen möchte. Im Jahr 2011 war Abu Bakr al-Baghdadi Anführer einer kaum tausendköpfigen Gruppe, deren einzige Stärke es war, mit Bombenanschlägen Blutbäder zu veranstalten. Da erkannte Baghdadi, welche Chance ihm das Chaos bot, in das der Bürgerkrieg Syrien gestürzt hatte. Er schickte eine Gruppe seiner Kämpfer nach Syrien, die unter dem Namen Jabhat an-Nusra (Unterstützungsfront) am Aufstand gegen Asad teilnahm.
Als sich die Jabhat an-Nusra dank der Erfahrung ihrer Kämpfer als anerkannte Verbündete der Rebellen etabliert hatte, offenbarte sich Baghdadi als ihr eigentlicher Chef. Das führte zwar zur Spaltung der Gruppe, erlaubte es jedoch Baghdadi, in einer Reihe von Mini-Putschs die Kontrolle über zuvor von den Aufständischen befreite Gebiete zu übernehmen. Mit der gleichen Mischung aus Täuschung und brutaler Gewalt benutzte der Isis danach die Konflikte zwischen Arabern und Kurden in Syrien und im Irak sowie das Seilziehen zwischen den irakischen Sunniten mit der Maliki-Regierung, um in neue Gebiete zu expandieren. Die blutige und groteske Gewalt, die der IS anwendet, ist dabei nicht Ausfluss der islamistischen Doktrin, die der IS verkündet. Sie ist zu einem grossen Teil gegen andere Sunniten gerichtet und wurde auch von den Kaida-Führern bin Ladin und Zawahri als kontraproduktiv verurteilt.
Viele Beobachter erkennen darin das Wiederaufleben der Methoden Saddam Husseins, dessen frühere Offiziere im IS offenbar eine wichtige Rolle spielen. Wie der gestürzte irakische Diktator hat Baghdadi ein weitverzweigtes Spitzelnetz aufgebaut und benutzt Gewalt, um seine Gegner und seine Untertanen in Angst und Schrecken zu versetzen und jeden Widerstand zu brechen.
Die meisten Videos, welche die Verbrechen seiner Kämpfer dokumentieren, verbreitet der IS selber. Die mittelalterlichen Hinrichtungsarten wie Köpfungen, Kreuzigungen oder Steinigungen verstärken die propagandistische Wirkung der Gewalt. Wie die Bärte und die frommen Sprüche der IS-Kämpfer dienen sie dazu, den Terror islamisch zu verbrämen und der Welt vorzugaukeln, Baghdadis Islamischer Staat richte sich nach historischen Vorbildern. Mit der Proklamierung Baghdadis zum Kalifen entfaltet diese Lüge ihre volle Wirkung. Baghdadi bietet den jungen Muslimen nicht nur die Möglichkeit, in den Jihad zu ziehen, sondern auch, in einem islamischen Staat zu leben. Er hat die Utopie, für deren Verwirklichung die Islamisten kämpfen, für verwirklicht und real existierend erklärt.
Widerstand hinter der Front
Die Botschaft des IS soll junge Muslime aus der ganzen Welt anziehen, ob sie nun der westlichen Konsumgesellschaft oder einem autoritären und korrupten Regime entkommen wollen. Dort, wo Baghdadis Lehren aber umgesetzt werden, verlieren sie schnell an Glaubwürdigkeit. Die islamische Befreiung erweist sich als die alte Unterdrückung, nur mit neuer Begründung. Davon zeugt der immer wieder aufbrechende Widerstand, den der IS brechen muss, sei es in Syrien oder im Irak. In der syrischen Provinz Deir az-Zur, aus der die Anti-Asad-Rebellen vertrieben worden sind, hat der IS in den letzten Tagen 20 Angehörige eines Beduinenstammes exekutiert, der sich gegen ihn erhoben hatte.
Gerade die Beduinen, die in den Gebieten des IS einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung ausmachen, lassen sich nicht in ihre Angelegenheiten hineinreden. Auf Unterdrückung und gebrochene Versprechen reagieren sie mit Widerstand und suchen sich neue Bündnispartner. Diese innere Schwäche verdeckt der IS, indem er immer neue Gebiete überrennt und seine Macht demonstriert. Doch die Expansion wird den IS unweigerlich zur Überdehnung seiner Kräfte führen. Wenn die hintergangenen Bündnispartner abgesprungen sind und hinter der Front die Kämpfer fehlen, um die Macht des Kalifen durchzusetzen, dürfte Abu Bakr al-Baghdadis Karriere zu Ende sein.
Islamischer Staat im Vormarsch: Das Erfolgsrezept des Kalifen - International Nachrichten - NZZ.ch
- - - Aktualisiert - - -
https://www.youtube.com/watch?v=eBEU-OiEvII#t=73
Nur einige tausend IS-Kämpfer bringen die irakische Regierung und die kurdischen Peschmerga in Bedrängnis. Dafür gibt es vor allem fünf Gründe.
Die Kampfverbände der Jihadistengruppe Islamischer Staat (IS) sind laut Experten zahlenmässig weniger stark, als es ihr rasantes und nahezu ungehindertes Vorrücken im Irak vermuten lässt. Die Rede ist von einigen tausend Mann, welche die Regierungstruppen seit zwei Monaten vor sich hertreiben. Das sind die Gründe:
1. Modernes Waffenmaterial
Die Jihadisten haben besonders in der Anfangsphase ihres Feldzugs etliche Panzer, Schützenwagen, Raketen und andere schwere Waffen von feindlichen Kampfverbänden erbeutet. Besonders die irakische Armee hat bei ihrem Rückzug moderne Ausrüstung hinterlassen, die zu grossen Teilen aus den USA stammt. Dadurch konnten die IS-Kämpfer «erhebliche Mengen jener Ausrüstung erbeuten, die sie am dringendsten brauchten», schildert der Rüstungsexperte Anthony Cordesman vom Center for Strategic and International Studies in Washington.
2. Erfahrungen aus dem syrischen Bürgerkrieg
Die Jihadistengruppe hat ihre Ursprünge in Syrien, nicht umsonst hiess sie deshalb bis vor kurzem Islamischer Staat im Irak und in Grosssyrien (ISIS). Die Beteiligung an den Gefechten des syrischen Bürgerkriegs habe der IS «unvergleichliche Trainings- und Lernmöglichkeiten geboten», erläutert die auf Aufklärungsdienste spezialisierte US-Firma Soufan.
Die Jihadisten kämpfen in Syrien seit 2013 sowohl gegen die Führung von Machthaber Bashar al-Assad als auch gegen die mit ihm verfeindeten Rebellen, von denen einige ebenfalls islamistische Motive haben. Allerdings hat sich die IS dabei einen Ruf als besonders brutale Bewegung erworben, deren Kämpfer den eigenen Tod nicht fürchten.
3. Strategische Kampfführung
Die Militäroffensive der Jihadisten konzentrierte sich bislang auf sunnitisch geprägte Regionen, in denen die IS Rückhalt erfährt sowie strategisch bedeutsame Infrastruktur oder schwach verteidigte Einrichtungen erobern konnte. Weil der Widerstand in diesen eher dünn besiedelten Regionen sehr überschaubar ausfiel, konnte die IS die Verluste in den eigenen Reihen minimieren sowie Motivation und Zusammenhalt ihrer Milizionäre stärken. Die Jihadisten seien «einfach sehr gut darin, ihre Gegner in die Flucht zu schlagen, wenn diese schon geschwächt sind», meint Michael Knight vom Washington Institute for Near East Policy.
4. Wirkungsvolle Propaganda
Den militärischen Erfolg verdankt die IS auch ihrem Ruf als besonders grausame und blutrünstige Miliz. Dadurch fielen ihr ganze Dörfer kampflos in die Hände. Über das Internet und die sozialen Netzwerke verbreitet die Gruppe gezielt makabere Fotos, etwa von enthaupteten Feinden. Inzwischen wird ihr laut dem Soufan-Sicherheitsexperten Patrick Skinner eine «schier unmenschliche Mordlust» zugeschrieben. In Sindjar flüchteten am Wochenende zehntausende Zivilisten vor den anrückenden Islamisten. Experten halten Einschüchterung deshalb für eine der wichtigsten IS-Taktiken.
5. Schwache Feinde
Eine besondere Stärke der IS ist die Schwäche ihrer Feinde. Die kurdischen Peschmerga-Milizen seien im Vergleich zur irakischen Armee zwar noch relativ kampfstark, sagt der Rüstungsexperte Cordesman, «aber ihre Infanterie ist wirklich schwach». Erfahrene Kämpfer, die schon gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein gefochten hätten, gebe es heute nicht mehr. Ausserdem schmälerten die finanziellen Probleme der Autonomieregierung von Kurdistan auch die Kampfkraft der Peschmerga.
Die irakische Armee wiederum versucht immer noch vergeblich, ihre Selbstauflösungserscheinungen nach den Anfangserfolgen der Jihadisten vergessen zu machen. Von einer schlagkräftigen Truppe kann derzeit keine Rede sein, wie die mangelnden Resultate der angekündigten Gegenoffensive verdeutlichen. «Die IS hat die frappierenden Schwächen ihrer Gegner aufgezeigt», heisst es bei Soufan. «Das zeigt sich ganz besonders im erbärmlichen Erscheinungsbild der irakischen Armee.»
Die Trümpfe der Jihadisten - News Ausland: Naher Osten & Afrika - bazonline.ch
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Islamischer Staat im Vormarsch - Das Erfolgsrezept des Kalifen
Die Kämpfer des Islamischen Staates haben sich in zwei Jahren ein grosses Reich angeeignet. Doch die Erfolge der Jihadisten verbergen ihre Schwäche.
Kämpfer des Islamischen Staats (IS), deren Offensive im Norden des Iraks zum Stehen gekommen ist, haben bereits eine neue Front eröffnet. Am Mittwoch haben sie im Norden Syriens eine Reihe von Dörfern zwischen Aleppo und der türkischen Grenze überrannt. Der IS ist damit wieder in Gebiete zurückgekehrt, aus denen er Anfang dieses Jahres, damals noch unter dem Namen Isis, von anderen Rebellengruppen vertrieben worden war. Die Aufständischen in Nordsyrien drohen nun zwischen den Truppen des Regimes und jenen des IS aufgerieben zu werden.
Überraschungseffekt
Der Vorstoss in der Provinz Aleppo ist typisch für die Taktik der Jihadisten unter der Führung Abu Bakr al-Baghdadis, der sich im Juni zum Kalifen ausrufen liess. Wenn sie an einer Front nicht mehr weiterkommen, stossen sie andernorts vor, wo sie eine Schwachstelle im Verteidigungsdispositiv ihrer Gegner erkennen. Diese Taktik hat einen grossen propagandistischen Wert, denn je dichter die Erfolgsmeldungen der Jihadisten einander folgen, desto mehr festigt sich ihr Ruf, unbesiegbar zu sein – und umso schwieriger wird es tatsächlich, sie zu besiegen.
Auch die jüngsten Ereignisse im Irak spielten sich nach diesem Muster ab. Nach der Eroberung von Mosul und Tikrit im Juni glaubten viele, das nächste Ziel der IS-Kämpfer sei Bagdad, Sitz der verhassten schiitischen Regierung. Die Mobilisierung der irakischen Schiiten und die Ankündigung Teherans, es werde die schiitischen Schreine des Iraks nicht kampflos den sunnitischen Extremisten überlassen, machte aber klar, dass mit einem Vorstoss auf die Hauptstadt kein leichter Sieg zu erringen war. So griffen die sunnitischen Extremisten nicht die Schiiten, sondern die ebenfalls sunnitischen Kurden an. Die Kurden rechneten nicht mit einem Angriff der Jihadisten, waren nicht darauf vorbereitet und zogen nach kurzer Gegenwehr ab.
Der Überraschungseffekt, den die IS-Kämpfer ausnützen, ist umso grösser, als die spärlich besiedelten Wüstengebiete zwischen Syrien und dem Irak es den Jihadisten erlauben, unbemerkt grosse Distanzen zu überwinden. Wie kürzlich in Sinjar, tauchen sie plötzlich vor einer Stadt auf und schlagen zu. Diese alte Taktik des Wüstenkriegs kann der IS ausspielen, weil er die Unterstützung lokaler Beduinenstämme hat, die den Kämpfern den Weg durch die Einöden zeigen.
Kuckucksei-Strategie
Die Grundlage für die Expansion vom «Islamischen Staat im Irak» (Isi) zum «Islamischen Staat im Irak und in Syrien» (Isis) und dann zum «Islamischen Staat» war jedoch eine Strategie, die man als «Kuckucksei-Methode» bezeichnen möchte. Im Jahr 2011 war Abu Bakr al-Baghdadi Anführer einer kaum tausendköpfigen Gruppe, deren einzige Stärke es war, mit Bombenanschlägen Blutbäder zu veranstalten. Da erkannte Baghdadi, welche Chance ihm das Chaos bot, in das der Bürgerkrieg Syrien gestürzt hatte. Er schickte eine Gruppe seiner Kämpfer nach Syrien, die unter dem Namen Jabhat an-Nusra (Unterstützungsfront) am Aufstand gegen Asad teilnahm.
Als sich die Jabhat an-Nusra dank der Erfahrung ihrer Kämpfer als anerkannte Verbündete der Rebellen etabliert hatte, offenbarte sich Baghdadi als ihr eigentlicher Chef. Das führte zwar zur Spaltung der Gruppe, erlaubte es jedoch Baghdadi, in einer Reihe von Mini-Putschs die Kontrolle über zuvor von den Aufständischen befreite Gebiete zu übernehmen. Mit der gleichen Mischung aus Täuschung und brutaler Gewalt benutzte der Isis danach die Konflikte zwischen Arabern und Kurden in Syrien und im Irak sowie das Seilziehen zwischen den irakischen Sunniten mit der Maliki-Regierung, um in neue Gebiete zu expandieren. Die blutige und groteske Gewalt, die der IS anwendet, ist dabei nicht Ausfluss der islamistischen Doktrin, die der IS verkündet. Sie ist zu einem grossen Teil gegen andere Sunniten gerichtet und wurde auch von den Kaida-Führern bin Ladin und Zawahri als kontraproduktiv verurteilt.
Viele Beobachter erkennen darin das Wiederaufleben der Methoden Saddam Husseins, dessen frühere Offiziere im IS offenbar eine wichtige Rolle spielen. Wie der gestürzte irakische Diktator hat Baghdadi ein weitverzweigtes Spitzelnetz aufgebaut und benutzt Gewalt, um seine Gegner und seine Untertanen in Angst und Schrecken zu versetzen und jeden Widerstand zu brechen.
Die meisten Videos, welche die Verbrechen seiner Kämpfer dokumentieren, verbreitet der IS selber. Die mittelalterlichen Hinrichtungsarten wie Köpfungen, Kreuzigungen oder Steinigungen verstärken die propagandistische Wirkung der Gewalt. Wie die Bärte und die frommen Sprüche der IS-Kämpfer dienen sie dazu, den Terror islamisch zu verbrämen und der Welt vorzugaukeln, Baghdadis Islamischer Staat richte sich nach historischen Vorbildern. Mit der Proklamierung Baghdadis zum Kalifen entfaltet diese Lüge ihre volle Wirkung. Baghdadi bietet den jungen Muslimen nicht nur die Möglichkeit, in den Jihad zu ziehen, sondern auch, in einem islamischen Staat zu leben. Er hat die Utopie, für deren Verwirklichung die Islamisten kämpfen, für verwirklicht und real existierend erklärt.
Widerstand hinter der Front
Die Botschaft des IS soll junge Muslime aus der ganzen Welt anziehen, ob sie nun der westlichen Konsumgesellschaft oder einem autoritären und korrupten Regime entkommen wollen. Dort, wo Baghdadis Lehren aber umgesetzt werden, verlieren sie schnell an Glaubwürdigkeit. Die islamische Befreiung erweist sich als die alte Unterdrückung, nur mit neuer Begründung. Davon zeugt der immer wieder aufbrechende Widerstand, den der IS brechen muss, sei es in Syrien oder im Irak. In der syrischen Provinz Deir az-Zur, aus der die Anti-Asad-Rebellen vertrieben worden sind, hat der IS in den letzten Tagen 20 Angehörige eines Beduinenstammes exekutiert, der sich gegen ihn erhoben hatte.
Gerade die Beduinen, die in den Gebieten des IS einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung ausmachen, lassen sich nicht in ihre Angelegenheiten hineinreden. Auf Unterdrückung und gebrochene Versprechen reagieren sie mit Widerstand und suchen sich neue Bündnispartner. Diese innere Schwäche verdeckt der IS, indem er immer neue Gebiete überrennt und seine Macht demonstriert. Doch die Expansion wird den IS unweigerlich zur Überdehnung seiner Kräfte führen. Wenn die hintergangenen Bündnispartner abgesprungen sind und hinter der Front die Kämpfer fehlen, um die Macht des Kalifen durchzusetzen, dürfte Abu Bakr al-Baghdadis Karriere zu Ende sein.
Islamischer Staat im Vormarsch: Das Erfolgsrezept des Kalifen - International Nachrichten - NZZ.ch
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