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[h=1]Das ABC des Islamischen Staats[/h]Rund um die Terrorgruppe herrscht Begriffsverwirrung: Obama spricht von Isil. SPD-Generalsekretärin Fahimi will nicht, dass man den IS islamisch nennt. Die Vielstimmigkeit hat historische Gründe.
Von
Matthias Heine Matthias Heine
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Sag bloß nicht "Daesh" zu ihnen! Kämpfer des Islamischen Staates vor einer Polizeistation in der irakischen Provinz Ninive Foto: AP
Eine amerikanische
Zeitungskarikatur zeigt zwei Kämpfer des "Islamischen Staats" in Gebetshaltung vor einem Fernseher, aus dem Barack Obama spricht. Warum die beiden den Fernseher und den US-Präsidenten anbeten, wird nicht klar – es ist halt eine politische Karikatur, gehört also zu einem Genre, in dem Logik noch seltener ist als Witz. Die Anbetung ist umso unerklärlicher, als Obama etwas sagt, worüber die Freischärler mächtig wütend sind: "Isil ist nicht islamisch" – das hatte der Präsident in seiner Rede vom 10. September
betont. Darauf empört sich einer der beiden Bärtigen: "Was glaubt Obama, was wir sind? Mormonen?"
Das Bemühen westlicher Politiker, säuberlich zwischen dem "Islamischen Staat" und dem Islam zu unterscheiden und hundertprozentig sicherzustellen, dass es keinerlei Überschneidungen zwischen den beiden Phänomenen gibt, treibt bisweilen die bizarrsten Blüten. Die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hat sich sogar dagegen ausgesprochen, den "Islamischen Staat" als "islamisch oder radikal-islamisch" zu bezeichnen. Das beleidige die Muslime: ""Islamisch' oder 'radikal-islamisch' müssen aus Sicht von (friedlichen) Gläubigen überhaupt keine negativen Bezeichnungen sein, sondern können genauso gut Ausdruck einer besonders tief empfundenen, vielleicht auch strikten Religiosität sein – so, wie wir hierzulande von 'strenggläubigen Katholiken' sprechen würden, ohne sie damit in die Nähe von Terroristen rücken zu wollen."
Foto: AP Ist das nun islamisch oder islamistisch? Neuerdings will der IS für sich mit solchen Weichzeichner-Bildern auf Twitter von der grausamen Realität ablenken
Man könnte ihr antworten, dass es eben zurzeit auch relativ wenig katholische Terroristen gibt, die Andersgläubige und Abweichler ermorden, und dass man, als es noch welche gab – beispielsweise in Nordirland –, eigentlich nie Probleme damit hatte, sie als "katholische Terroristen" zu bezeichnen. Die meisten Menschen haben damals ganz gut den Unterschied zwischen einem alten Mütterchen, das in einer bayerischen Kirche betet, und einem jungen Mann, der in Belfast Bomben legt, verstanden.
Man wüsste gerne, wie Frau Fahimi zum Wort
islamistisch steht. Aber da sie es nicht ausdrücklich verboten sehen möchte, scheint sie keine großen Probleme damit zu haben.
Islamistisch ist in der Tat vielleicht das etwas trennschärfere Attribut für das ideologische Gemisch aus Religion, Politik und Weltherrschaftssehnsucht, das die Männer des "Islamischen Staats" antreibt.
Islamismus nennt man heute eine Politik, die den wortgläubig, streng und konservativ ausgelegten Koran zur Richtschnur ihres Handelns macht. Die Karriere des Wortes und des dazugehörigen Adjektivs beginnt in den Siebzigerjahren. In der Zeitschrift "Außenpolitik" heißt es beispielsweise 1977 über die Türkei: "Infolgedessen ringen in diesem Land bis heute zwei Kraftströme miteinander: ein kemalistisch-reformistischer und ein islamistisch-konservativer."
[h=2]Alles begann in den Siebzigerjahren[/h]Richtig populär werden
Islamismus und
islamistisch dann 1979, also in jenem Jahr, in dem der Schah im Iran gestürzt wird und der Ajatollah Khomeini einen Gottesstaat einrichtet. Gleich nach der Flucht des Schahs gebraucht der Journalist Dietrich Strothmann das Wort
Islamismus mehrfach in einem "Zeit"-Artikel mit der Überschrift
"Politik als Gottesdienst", in dem er zu erklären versuchte, "wie eine Religion die Lage im Nahen Osten veränderte".
Foto: picture-alliance / Sven Simon Mit ihm begann die zweite Karriere des Wortes Islamismus: Ajatollah Ruhollah Khomeini im französischen Pontchartrain am 26. Januar 1979, kurz bevor er nach Teheran zurückkehrte
Der Begriff
Islamismus im heutigen Sinne wurde aus dem Französischen importiert und als
islamism auch ins Englische entlehnt. In Frankreich mit seinen traditionell engen Beziehungen zu Nordafrika und zum Nahen Osten hatte man schon früh Bedarf für ein Wort, das die neuartigen religiös-politischen Bewegungen in den arabischen Staaten und im Iran bezeichnet. Khomeini war ja bekanntlich in Paris im Exil gewesen, bevor er nach Teheran zurückkam.
Man griff auf ein altes Wort zurück, das von einer der höchsten geistigen Autoritäten Frankreichs geprägt worden war: Voltaire. Der Philosoph hatte 1756 in seinem epochemachenden geschichtsphilosophischen Werk "Essai sur les mœurs et l'esprit des nations" die von Mohammed gestiftete Religion erstmals
islamisme genannt, um sie vom älteren Begriff
mahometisme (was man mit
Mohammedanismus übersetzen kann) abzugrenzen. Im siebten Kapitel schreibt Voltaire: "Cette religion s'appela l'Islamisme, c'est-à-dire résignation à la volonté de Dieu." ("Diese Religion nennt sich Islamismus, das heißt: Unterwerfung unter den Willen Gottes.") Wer die Bildung mit
-ismus für eine Religion befremdlich findet, der sei darauf hingewiesen, dass ja auch das Christentum auf Französisch
Christianisme heißt und wir in Deutschland von
Buddhismus und
Hinduismus reden.
Foto: picture alliance Er gilt als der Erfinder des Wortes "Islamismus": François Marie Arouet, genannt Voltaire (1694-1778). Allerdings meinte der Philosoph damit etwas ganz anderes
Das Wort
Islamismus hat sich dann im 19. Jahrhundert, von Frankreich ausgehend, in ganz Europa verbreitet. Tocqueville notierte 1838 in seinen "Notes sur le coran": "Racines de l'islamisme dans le judaïsme" ("Wurzeln des Islamismus im Judaismus"). Gemeint war damit allerdings immer die Religion, der Islam im engeren Sinne. So auch in den frühesten deutschen Belegen. 1759
heißt es in einer Übersetzung von John Grays und William Guthries vielbändiger "Allgemeiner Welthistorie" über einen Araber: "Er war ein geborener Jude, nahm aber zur Zeit des Cafur den Islamismus an." 1766 stellt Johann Peter Süssmilch in seiner Bevölkerungsgeschichte "Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben erwiesen" über die Entvölkerung vieler Länder in Asien fest: "Die Römer machten dazu den Anfang, der Islamismus hat es vollendet." Und 1769 schreibt Christian-Gottlob Heyne in seiner "Geschichte der Araber": "Dieses Jahr schickte der Prophet den Ali ab, diejenigen Einwohner in Najran, die entweder Christen oder Götzendiener waren, zu dem Islamismus zu bringen." Das sind nur drei von zahlreichen Belegstellen für
Islamismus im 18. Jahrhundert.
Mit dieser älteren Bedeutung von
Islamismus ging auch das Adjektiv
islamistisch einher. So heißt es 1932 im "Archiv der Gegenwart": "Die Vertreter der vier islamistischen orthodoxen Glaubensschulen haben in Kairo die Frage der Zulässigkeit einer Übersetzung des Korans aus dem Arabischen in andere Sprachen geprüft."
Islamistisch lässt sich auf Deutsch allerdings erst seit dem späten 19. Jahrhundert belegen. Die Karriere jenes Wortes in der Bedeutung "islamisch, der von Mohammed gestifteten Religion zugehörig" ist wesentlich kürzer.
Denn im Laufe des 20. Jahrhunderts kamen
Islamismus und
islamistisch hierzulande ebenso außer Gebrauch wie ihre englischen oder französischen Pendants, man sprach jetzt nur noch vom
Islam und von
islamisch, wenn man die Religion der Muslime meinten. So konnten französische Wissenschaftler und Journalisten den frei gewordenen und durch Voltaire geadelten Begriff wiederbeleben, um damit zweifelsfrei eine bisher unbekannte politische Erscheinung zu bezeichnen. In dieser neuen Bedeutung ist der Ausdruck dann auch wieder in andere Sprachen entlehnt worden
[h=2]In Amerika weiß man noch, was die Levante ist[/h]Die Mühsal, die die Benennung politisch-religiöser Erscheinungen des Nahen Ostens dem Westen manchmal bereitet, zeigt sich auch beim Versuch, eine korrekte Abkürzung für den
Islamischen Staat zu finden. Als Obama jetzt Luftangriffe auf dessen Stellungen in Syrien ankündigte, twitterte Pentagon-Pressesprecher John Kirby: "US military & partner nation forces have begun striking ISIL targets in Syria."
Foto: AFP Frankreichs Präsident François Hollande nennt den Islamischen Staat neuerdings Daesh. Was verbirgt sich dahinter?
Isil ist die in Washington gebräuchliche Bezeichnung für das Gebilde, das hierzulande
Isis oder
IS genannt wird. Der britische Premier David Cameron benutzt sie ebenfalls, während in englischen Medien meist von
Isis die Rede ist. Der "Guardian"-Autor Ian Black
spottete über die linguistische Nibelungentreue Camerons: "Es ist dieselbe transatlantische Solidarität, die Washington und London einst von UBL (Usama Bin Laden) sprechen ließ, obwohl alle anderen die gängigere Abkürzung OBL (Osama Bin Laden) benutzten."
Die Abkürzung steht für
Islamic State in Iraq and the Levant und bezieht sich auf
Levante, eine in Deutschland etwas aus der Mode gekommene Bezeichnung für die Länder des östlichen Mittelmeeres. Das Wort stammt aus dem Italienischen, ist im Deutschen seit dem 15. Jahrhundert gebräuchlich und entstand einst aus der Vorstellung, es handele sich um die Länder der aufgehenden Sonne.
Levare heißt auf Italienisch "in die Höhe heben".
Im Arabischen nennt man diese Region
Asch-Sham, "der Norden" – gemeint ist damit, dass sie sich nördlich des arabischen Entstehungsgebiets des Islams befindet. 2013 etikettierte sich die Terrorgruppe, die sich vorher nur
ISI (
Islamischer Staat im Irak) nannte, um und hieß nun auf Arabisch
ad-daula al-islamiya fi l-iraq wa-sch-scham. Isil ist die genaueste Übersetzung dieses Terminus. Das im Deutschen gebräuchliche
Isis (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) blendet aus, dass der Machtanspruch der Gruppe längst über die beiden genannten Länder hinausgeht. Um ihre universellen Ziele zu betonen, haben sich die Kopfabschneider Ende Juni 2014 schlicht in
IS (
Islamischer Staat) umbenannt. Die alten Staatengrenzen wurden damit für bedeutungslos erklärt.
[h=2]Frankreich hat wieder mal ein ganz eigenes Wort[/h]Einen Sonderweg geht seit Kurzem die französische Regierung. Präsident François Hollande spricht von
Daesh statt der vorher im Nachbarland gebräuchlichen Abkürzung
EIL (l'état islamique de l'Irak et du Levant). Daesh ist zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben der arabischen Bezeichnung des Islamischen Staats. Die IS-Kämpfer mögen diese Abkürzung nicht, weil sie wie ein ausgespucktes Schimpfwort klingt und von ihren Feinden auch so benutzt wird. Auch im Französischen hat es einen abwertenden Klang, erinnert an
dèche ( "Pleite").
Mit dem neuen Terminus vermeidet Hollande auch allzu direkte Anklänge an den Islam, denn in Frankreich haben sich muslimische Geistliche und Politiker – ähnlich wie hierzulande die SPD-Frau Fahimi – dagegen verwehrt, dass ihr Glauben sprachlich mit Verbrechern in Verbindung gebracht wird, deren Opfer ja in der Tat zum großen Teil selbst Muslime sind.