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Interessanter Artikel:
Radikalislamische Ideologen und der IS
«Sie beschmutzen das Bild des Jihad»
Mona Sarkis 22.10.2014, 05:30 Uhr
Plötzlich ist der Traum vieler salafistischer Fanatiker Realität: Der «Islamische Staat» existiert – und wird von ihnen selbst regiert. Statt Triumph herrschen jedoch Zorn und Zwist. Führende Jihad-Denker verdammen den Terror des IS. Kann dies den Albtraum beenden?
...
Ansprüche ohne Gültigkeit
Die klärende Definition wird freilich so schnell nicht kommen. Abu Muhammad Asem al-Maqdisi bekennt dies implizit, wenn er das Vorgehen des IS wie folgt kritisiert: Der islamische Staat müsse Etappen durchlaufen, in denen er sich Fähigkeiten aneigne; man könne kein nie zuvor da gewesenes Modell von einem Tag zum anderen für «gemacht» erklären. Allerdings verheimlicht er nicht, dass Baghdadis Staat für ihn nicht einmal als Prototyp eines islamischen Staatswesens infrage kommt.
Dies lässt insofern aufatmen, als der 1959 in (dem damals jordanischen) Cisjordanien geborene Maqdisi laut dem amerikanischen Combating Terrorism Center der «Schlüsselideologe der intellektuellen Jihadistenwelt» ist. Auch gilt seine Website «Minbar al-Tawhid» laut Wagemakers als «die wohl umfassendste Online-Bibliothek jihadistischer Literatur».
In entsprechend vielbeachteten Stellungnahmen sprach Maqdisi nun Baghdadi das Recht auf Staatsführung und auf den Emir-Titel ab.
...
Dass der IS das Bild des Jihad beschmutze, unterstreicht auch Abu Qatada al-Filastini, ein weiteres Schwergewicht der Denkschule von al- Kaida. Im September verurteilte er die Hinrichtung der beiden US-Journalisten James Foley und Steven Sotloff scharf: Sie seien Nachrichtenvermittler und somit keine Feinde gewesen. Doch damit nicht genug: Die ganze Art und Weise, wie der IS töte, missachte die Lehre Mohammeds. Anstatt den Akt, wie vorgeschrieben, so kurz und schmerzlos wie möglich durchzuführen, ziehe er die Qualen seiner Opfer sadistisch in die Länge. Für Abu Qatada verwechselt Baghdadi demnach Staatsführung mit der Befriedigung seiner Blutgier. Und seiner Geldgier. So dürfe der IS den Christen Syriens keine Kopfsteuer abverlangen (wie in Raqqa geschehen), da dies einen Staatsvertrag und somit zwei Parteien voraussetze. Diese Grundlage fehle hier jedoch schon deshalb, weil der IS nicht mächtig genug sei, um den Schutz der Christen tatsächlich zu gewährleisten. Aus muslimischer Sicht sei es unannehmbar, «wenn wir ihr Geld nehmen, ohne die Gegenleistung zu erbringen».
...
Es ist unübersehbar: In der Machart des IS hat das vermeintliche Ideal eines «Islamischen Staates» die jihadistische Welt – die sich doch geeint unter seinem Banner erheben sollte – völlig zersplittert. Der Kampf zwischen dem IS und anderen extremistischen Milizen tobt mittlerweile so heftig, dass Maqdisi eine Versöhnung für ausgeschlossen hält und sich nurmehr darauf konzentriert, die Jugend vom IS abzuhalten. Die Frage ist lediglich: Hört ihm diese überhaupt zu?
...
Möglicherweise gelingt dies tatsächlich nurmehr einem: dem IS selbst. Zumindest beginnen sich auf Youtube und in arabischsprachigen Medien die Berichte von IS-Deserteuren zu häufen. Übereinstimmend erzählen sie von einem Alltag, der aus einer psychotisch machenden Intransparenz bestehe. Man wisse nicht, an welchen Checkpoint man weshalb abkommandiert worden sei. Man wisse nicht, auf wen man als Nächstes das Feuer eröffnen müsse und warum. Man sei gekommen, um «Ungläubige» (im Falle Syriens sind vor allem die Alawiten gemeint) zu töten, erschiesse aber nur andere Muslime. Keiner traue sich, Fragen zu stellen, da er andernfalls wie ein Spion wirke und der blosse Verdacht ausreiche, um selbst hingerichtet zu werden. Dabei, so ein junger Tunesier in einem Youtube-Video, habe er doch seine Heimat verlassen, um sich zu fühlen «wie in den glorreichen Tagen Mohammeds».
Selbst wenn sich Abu Qatadas Prognose – der IS werde «bald platzen wie eine Blase» – bewahrheitet, bleibt das Problem einer ungeahnt gewaltbereiten Jugend bestehen. Baghdadis Beispiel kann jederzeit Trittbrettfahrer finden. Dieser neuen, brandgefährlichen Situation muss der Westen tatsächlich mit grösster Vorsicht begegnen. Wagemakers rät deshalb, die innere Entwicklung des Jihads den Muslimen selbst zu überlassen und sich nicht einzumischen. Dem ist umso mehr zuzustimmen, als die Kluft zwischen dem Westen und der muslimischen Welt durch die Gewalttaten der radikalen Islamisten noch weiter aufzureissen droht – und gerade das stellt ein enormes Geschenk an den IS dar. Findet er doch dadurch immer neuen Anlass, aufzutrumpfen und zu sagen: Seht her, wie der Westen die Muslime behandelt – kommt zu uns und rächt euch.
Radikalislamische Ideologen und der IS: «Sie beschmutzen das Bild des Jihad» - Feuilleton Nachrichten - NZZ.ch
Radikalislamische Ideologen und der IS
«Sie beschmutzen das Bild des Jihad»
Mona Sarkis 22.10.2014, 05:30 Uhr
Plötzlich ist der Traum vieler salafistischer Fanatiker Realität: Der «Islamische Staat» existiert – und wird von ihnen selbst regiert. Statt Triumph herrschen jedoch Zorn und Zwist. Führende Jihad-Denker verdammen den Terror des IS. Kann dies den Albtraum beenden?
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Ansprüche ohne Gültigkeit
Die klärende Definition wird freilich so schnell nicht kommen. Abu Muhammad Asem al-Maqdisi bekennt dies implizit, wenn er das Vorgehen des IS wie folgt kritisiert: Der islamische Staat müsse Etappen durchlaufen, in denen er sich Fähigkeiten aneigne; man könne kein nie zuvor da gewesenes Modell von einem Tag zum anderen für «gemacht» erklären. Allerdings verheimlicht er nicht, dass Baghdadis Staat für ihn nicht einmal als Prototyp eines islamischen Staatswesens infrage kommt.
Dies lässt insofern aufatmen, als der 1959 in (dem damals jordanischen) Cisjordanien geborene Maqdisi laut dem amerikanischen Combating Terrorism Center der «Schlüsselideologe der intellektuellen Jihadistenwelt» ist. Auch gilt seine Website «Minbar al-Tawhid» laut Wagemakers als «die wohl umfassendste Online-Bibliothek jihadistischer Literatur».
In entsprechend vielbeachteten Stellungnahmen sprach Maqdisi nun Baghdadi das Recht auf Staatsführung und auf den Emir-Titel ab.
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Dass der IS das Bild des Jihad beschmutze, unterstreicht auch Abu Qatada al-Filastini, ein weiteres Schwergewicht der Denkschule von al- Kaida. Im September verurteilte er die Hinrichtung der beiden US-Journalisten James Foley und Steven Sotloff scharf: Sie seien Nachrichtenvermittler und somit keine Feinde gewesen. Doch damit nicht genug: Die ganze Art und Weise, wie der IS töte, missachte die Lehre Mohammeds. Anstatt den Akt, wie vorgeschrieben, so kurz und schmerzlos wie möglich durchzuführen, ziehe er die Qualen seiner Opfer sadistisch in die Länge. Für Abu Qatada verwechselt Baghdadi demnach Staatsführung mit der Befriedigung seiner Blutgier. Und seiner Geldgier. So dürfe der IS den Christen Syriens keine Kopfsteuer abverlangen (wie in Raqqa geschehen), da dies einen Staatsvertrag und somit zwei Parteien voraussetze. Diese Grundlage fehle hier jedoch schon deshalb, weil der IS nicht mächtig genug sei, um den Schutz der Christen tatsächlich zu gewährleisten. Aus muslimischer Sicht sei es unannehmbar, «wenn wir ihr Geld nehmen, ohne die Gegenleistung zu erbringen».
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Es ist unübersehbar: In der Machart des IS hat das vermeintliche Ideal eines «Islamischen Staates» die jihadistische Welt – die sich doch geeint unter seinem Banner erheben sollte – völlig zersplittert. Der Kampf zwischen dem IS und anderen extremistischen Milizen tobt mittlerweile so heftig, dass Maqdisi eine Versöhnung für ausgeschlossen hält und sich nurmehr darauf konzentriert, die Jugend vom IS abzuhalten. Die Frage ist lediglich: Hört ihm diese überhaupt zu?
...
Möglicherweise gelingt dies tatsächlich nurmehr einem: dem IS selbst. Zumindest beginnen sich auf Youtube und in arabischsprachigen Medien die Berichte von IS-Deserteuren zu häufen. Übereinstimmend erzählen sie von einem Alltag, der aus einer psychotisch machenden Intransparenz bestehe. Man wisse nicht, an welchen Checkpoint man weshalb abkommandiert worden sei. Man wisse nicht, auf wen man als Nächstes das Feuer eröffnen müsse und warum. Man sei gekommen, um «Ungläubige» (im Falle Syriens sind vor allem die Alawiten gemeint) zu töten, erschiesse aber nur andere Muslime. Keiner traue sich, Fragen zu stellen, da er andernfalls wie ein Spion wirke und der blosse Verdacht ausreiche, um selbst hingerichtet zu werden. Dabei, so ein junger Tunesier in einem Youtube-Video, habe er doch seine Heimat verlassen, um sich zu fühlen «wie in den glorreichen Tagen Mohammeds».
Selbst wenn sich Abu Qatadas Prognose – der IS werde «bald platzen wie eine Blase» – bewahrheitet, bleibt das Problem einer ungeahnt gewaltbereiten Jugend bestehen. Baghdadis Beispiel kann jederzeit Trittbrettfahrer finden. Dieser neuen, brandgefährlichen Situation muss der Westen tatsächlich mit grösster Vorsicht begegnen. Wagemakers rät deshalb, die innere Entwicklung des Jihads den Muslimen selbst zu überlassen und sich nicht einzumischen. Dem ist umso mehr zuzustimmen, als die Kluft zwischen dem Westen und der muslimischen Welt durch die Gewalttaten der radikalen Islamisten noch weiter aufzureissen droht – und gerade das stellt ein enormes Geschenk an den IS dar. Findet er doch dadurch immer neuen Anlass, aufzutrumpfen und zu sagen: Seht her, wie der Westen die Muslime behandelt – kommt zu uns und rächt euch.
Radikalislamische Ideologen und der IS: «Sie beschmutzen das Bild des Jihad» - Feuilleton Nachrichten - NZZ.ch