Proteste in der Türkei
Erdogan erwägt Gezi-Referendum
Die türkische Regierung hat ein Referendum über die Umgestaltungspläne des Gezi-Parks in Istanbul angedeutet. Die Möglichkeit einer Volksbefragung wurde von Hüseyin Celik, einem Sprecher der Regierungspartei AKP, nach einem Treffen von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit regierungskritischen Aktivisten ins Spiel gebracht. Weitere Details nannte Celik zunächst nicht. Es ist unklar, ob das Ergebnis des Referendums für die Regierung bindend sein würde und wann es stattfinden könnte.
Ein Volksentscheid wäre die erste große Geste der Regierung an die Demonstranten, die mittlerweile landesweit vor allem gegen Erdogan und seinen Politikstil demonstrieren. Den Vorschlag für ein Referendum habe Erdogan bei einem Treffen mit Künstlern, Wissenschaftler und Publizisten gemacht, sagte Celik.
Drohung mit Polizei-Einsatz
Gleichzeitig forderte Celik die dort campierenden Demonstranten auf, den Gezi-Park sofort zu verlassen. Andernfalls sei die Polizei gezwungen, erneut gegen sie vorzugehen.
Bereits vor Beginn des Treffens im rund 350 Kilometer entfernten Ankara hatte ein Sprecher der Taksim-Platz-Aktivisten deutlich gemacht, dass die Delegation sie nicht repräsentiere. Die Taksim-Plattform, die zu den wichtigsten Organisatoren der Demonstrationen gehört, hatte erklärt, sie sei nicht zu dem Gespräch eingeladen gewesen. "Dieses Treffen wird nur zur Folge haben, dass die Polizei weiterhin erbarmungslos Gewalt einsetzen wird", erklärte die Bewegung.
Erdogan erwägt Referendum zum Gezi-Park
tagesschau 09:00 Uhr, 13.06.2013, Frank Jung, ARD-aktuell
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Dort und am Rande des angrenzenden Taksim-Platzes hatten sich seit dem Abend erneut mehr als 10.000 Menschen versammelt, die friedlich zusammenstehen. Die Polizei ist ebenfalls mit einem Großaufgebot vor Ort, postierte sich aber lediglich am Rand des zentralen Istanbuler Platzes.
In der Nacht zuvor hatte es
schwere Ausschreitungen zwischen Demonstranten und der Polizei gegeben, die den Platz unter Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen geräumt hatte. Hunderte der mehr als 30.000 Demonstranten waren dabei verletzt worden. In der Nacht und auch noch tagsüber wurden immer wieder Menschen festgenommen.
Anwaltsproteste in mehreren Städten
Anwälte demonstrieren in Ankara und fordern "Gerechtigkeit".
Der Protest gegen die Erdogan-Regierung bekommt unterdessen eine breitere Basis: In mehreren Städten demonstrierten Tausende Anwälte gegen die vorübergehende Festnahme von 73 Kollegen in Istanbul am Dienstag. Diese hatten sich mit den Aktivisten auf dem Taksim-Platz solidarisiert.
Allein in der Hauptstadt Ankara gingen nach Angaben regionaler Medien etwa 3000 Anwälte auf die Straße und riefen dabei Slogans wie "Demokratie jetzt" und "Wir wollen Gerechtigkeit". In Istanbul forderte der Vorsitzende der städtischen Anwaltskammer, Ümit Kocasakal, vor Hunderten Anwälten ein "sofortiges Ende der Polizeigewalt gegen Anwälte und das Volk". Die Polizei habe die Kollegen "schamlos" angegriffen und an ihren Roben gezerrt, so Kocasakal.
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Polizei räumt Taksim-Platz: Gewalt in Istanbul eskaliert
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Strafe für Fernsehsender
Die türkische Rundfunkbehörde RTÜK verhängte Strafen gegen Fernsehsender, die besonders intensiv über die Proteste berichten. Halk TV, der anders als Nachrichtensender der großen Medienkonzerne durchgehend über die Demonstrationen berichtet, sei wie drei weitere Stationen zu einer Geldstrafe verurteilt worden, berichteten Medien. Die Rundfunkbehörde wirft den Sendern vor, gegen Prinzipien verstoßen zu haben und mit ihren Programmen die physische, geistige und moralische Entwicklung junger Menschen zu gefährden.
Es geht um mehr als ein Einkaufszentrum
Vor knapp zwei Wochen hatten Bürger zunächst gegen den Bau eines Einkaufszentrums im Gezi-Park am Taksim-Platz demonstriert. Der Protest richtete sich dann aber rasch gegen den Regierungschef. Die Demonstranten kritisieren den
Führungsstil Erdogans als zunehmend autoritär und befürchten eine Islamisierung des Landes.
Freiwillige verteilen Essen an Aktivisten auf dem Taksim-Platz.
Seit Ende Mai gab es nach Angaben von Ärzten bereits mehr als 5000 Verletzte - viele nach dem Einsatz von Tränengas. Zudem kamen mehrere Menschen ums Leben, darunter ein Polizist. Laut Regierung wurden bei den Protesten rund 600 Polizisten verletzt.
Stand: 13.06.2013 05:07 Uhr