Chef de Cuisine
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MMn. schon – die ursprüngliche Debatte im 19. Jh. prägte den Begriff ja, um aufzuzeigen, dass man den Kapitalismus nicht durch Revolutionen, sondern eher peu a peu abschafft, ursprünglich beinhaltet er also durchaus einen Zeitfaktor. Im Völkerrecht wird er für Grenzänderungen benutzt, aber gerade da ist es ja ein Unterschied, ob man ein Land aufgrund spontaner Änderungen zusammenhalten will, oder wie Putin über Jahre geplant langfristig am liebsten die ganze Sowjetunion wiederherstellen, mit Russland wird der Begriff ja sowieso in Verbindung gebracht – aber das ist ja alles Wortklauberei. Insgesamt besteht halt ein Unterschied zwischen langfristigem Planen oder einem unüberblickbaren, sich ständig ändernden Chaos wie damals in YU – wie ich in meinem ersten Posting aber schon sagte, sehe ich bei Slobos Argumentation dennoch Parallelen.
Villeicht ist es ein wenig zu schnell, Putin eine langfristige Wiederherstellungsstrategie zu unterstellen. Die Zerfallsdynamik der UdSSR hat er ja nicht beeinflusst. Da war erst Gorbatschow, dann Jelzin am Hebel. Mein Eindruck ist eher das Putin zu Beginn seiner Amtszeit solche Vorstellungen nicht hatte und nicht zielgerichtet auf das hingearbeitet hat, was wir heute sehen. Allein der desaströse Feldzug der Russen lässt keine strategische Weitsicht erkennen. Putin hat aus meiner Sicht eher reaktiv und abwartend, ohne Big Picture laviert. Die Anexxion der Krim ist ebenfalls eher reaktiv erfolgt = Als Reaktion auf den Euromaidan. Dieses Vorgehen lässt eher darauf schließen das Russland seine politisch nicht erreichten Ziele, militärisch im "Hauruck-Verfahren" umsetzt. Nach Weitsicht klingt das aber auch nicht...
Wie gesagt, hier ab Minute 40, während der Verhandlungen 91.
Bzgl. der Abspaltung aller Republiken muss es ein Missverständnis gegeben haben, Milosevic hatte vorher der Trennung von Kroatien zugestimmt, ist dann bei der plötzlichen Änderung und einer kompletten Auflösung der SFRJ völlig aus dem Häuschen und spricht von "tödlicher Gefahr" für die serbischen Minderheiten. Ich schließe es bis heute nicht aus, dass da neben "spontanem Revisionismus" und territorialer Machtgier auch echte Sorge dabei war, so zerstreut wie die Minderheiten in BiH waren und so aprupt wie sich der Verhandlungsverlauf änderte. Bei Putin sehe ich längere Planung und finde die Fadenscheinigkeit der Argumente eindeutiger.
Es bleibt aus meiner Sicht unklar, inwiefern die Änderung Carringtons so bedeutend war, das Milosevic sie zu Recht ablehnen musste, oder ob er sich nur danach gesehnt hat um einen Grund für das Scheitern von Verhandlungen zu haben. Sehen wir es mal realistisch: Jugoslawien war Anfang 1991 faktisch zerfallen. Slobodan Milosevic hat schon im März 1991 angekündigt, den Bundesinstitutionen keine Folge mehr zu leisten1. (so wie Slowenien und Kroatien zuvor).
De fakto hat Milosevic mit diesem Schritt nicht nur Kroatien und Slowenien anerkannt, sondern auch die eigene Souveräntität proklamiert und das Ende der jugoslawischen Verfassungsmäßigkeit zementiert. Es bedeutet nichts anderes, als das durch den Zerfall des übergeordneten Staatenbundes die Rechtsgrundlage des Staates entzogen war. Am besten erkennt man das am Beispiel des Staatspräsidiums: Es war durch den Fortgang Sloweniens und Kroatiens prinzipiell handlungsunfähig, wurde aber durch die zweifelhaften Verfassungsänderungen der Joghurt-Revolucija nun serbisch dominiert. Einen föderalen Staat innerhalb dieses Rahmens (Vorstellung Milosevic) zu definieren halte ich für gewagt. Was also war (villeicht) die Intention von Carrington ? Nehmen wir das Beispiel der Präambel der Verfassung der SR BiH mit den Anpassungen (Amandman) von 1990, also noch weit vor den Krieg:
"Socijalistička Republika Bosna i Hercegovina je demokratska suverena država ravnopravnih gradjana naroda Bosnia i Hercegovine - Muslimana, Srba i Hrvata......”2
Die Badinter Kommission sollte dem später in den Gutachten 1, 4, 8 und 9 folgen (utis possidetis iuris - Sorry für mein Scheiss Latein). Somit war der Ansatz von Carrington eher folgerichtig: Die jugoslawischen Republiken müssen kraft ihrer Souveränität einen neuen Staat bilden, da sie nur als teilweise Träger der jugoslawischen Gesamtsouveränität die eigene Souveränität in den neuen Staat überführen müssen, der dann die Rechtsnachfolge geregelt antreten kann. Slobodan Milosevic wollte jedoch, wie bei der Joghurt-Revolucija, stets das beste aus allen Welten für sich rausholen. Das war nicht weniger als im Jahr 1987 die serbische Verfassung auf den Stand der 60-er zurückzusetzen um die Autonomie der Vojvodina und des Kosovo einzukassieren, während man die Regelungen zu Stimmrechten des jugosl. Staatspräsidiums aus 1974 vorteilhafter Weise für sich mitnimmt...welche es in den 60-er nicht gab. Cherry Picking, oder ?
Diese Umstände berücksichtigend -so meine Meinung- sehe ich in seiner Ablehnung kein umsichtiges Handeln, sondern mit dem Carrington-Vorschlag sah er für sich ein Stopschild und musste nun das tun was er am besten konnte...lavieren. Ein neues Jugoslawien war mit dem alten Rahmen einfach nicht zu machen
1(Borislav Jovic ("Knjiga o Milosevicu", S.307)
2 Sl list BiH 21/1990 - Autonomies locales, intégrité territoriale et protection des minorités. Actes
Genau den beiden Beweggründen hält er in dem Video ja die Sorge um die Minderheiten entgegen. Ging es bei der Badinterkommission nicht um Slowenien und Kroatien? Deren Unabhängigkeit hätte er ja bei Carrington noch unterschrieben. Warum allerdings die Minderheiten in BiH in größerer Gefahr gewesen sein sollen, als die in Kroatien, erschließt sich mir auch nicht. Vllt. weil sie so zerstreut im Land waren, aber es klingt ehrlicherweise auch nicht eindeutig glaubwürdig, was er sagt.
siehe oben.
Kann man wie gesagt schon so sehen, der Zeitrafferaspekt macht aber mMn. einen Unterschied, gerade, wenn sich wie bei Carrington Dinge innerhalb von Stunden ändern. Nationalismus wurde allerdings auf allen Seiten geschürt. Auch gab es angeblich in Vukovar im Vorfeld schon Morde an Minderheiten, sicher auch im Donbass sowie Odessa, was aber in keinem der Fälle rechtfertigt, Städte dem Erdboden gleichzumachen. Auch hier kann man wieder Parallelen sehen, wenn man so will.
Genau das ist der springende Punkt: Die Verhältnismäßigkeit und zudem auch die zeitlichen Aspekte. Das Preprequel für die Blockade und den Beschuss von Sarajevo (nach Ansicht vieler Serben für den Krieg überhaupt) war die Ermordung des serbischen Bräutigams Nikola Gardovic. Ab diesem Moment griffen die Wochen zuvor rund um Sarajevo errichteten Blockadeeinrichtungen und es setzte der Beschuss von den ebenfalls sein Wochen implementierten serbischen Stellungen, ein.
Hat man also in den Wochen zuvor auf die Ermordung von Gardovic gewartet, oder war man dann doch für den Krieg gerüstet ?
Auch hier ist meine Sicht: So strategisch wie wir das alle vermuten, handelt Putin nicht. Er hält die Krisenherde auf Temperatur, schlägt dann zu...aber mit welchen langfristigen Zielen ?
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