Paprika
Jackass of the Week
19.03.2001
[h=2]KOSOVOTäuschen und Vertuschen[/h] Die Bluttat von Racak diente der Nato als Rechtfertigung für den Schlag gegen Belgrad. Zweifel allerdings blieben, ob die Serben wirklich ein Massaker angerichtet hatten. Nun belegen Dokumente des Haager Tribunals: Damals wurden Unbewaffnete erschossen - aber nicht nur Unbeteiligte.
Von den Bergen weht ein lauer Wind ins Tal und tilgt den Schnee von den Gräbern. Auf dem Friedhof von Racak türmen sich Blumenkränze aus Kunststoff. Der Grabschmuck soll nicht verwelken und die Erinnerung an die Toten, die hier in vier langen Reihen bestattet sind, nicht vergehen.
43 Menschen wurden hier beerdigt - Albaner, allesamt erschossen Mitte Januar 1999. Unter den Opfern, die man in und bei Racak fand, waren eine Frau, ein Junge, alte Männer.
Zum Friedhof führt ein durch Regen und Tauwetter aufgeweichter Schlammpfad. Den morastigen Weg haben die albanischen Einwohner "William-Walker-Straße" getauft - benannt nach jenem Mann, der am 16. Januar 1999 als OSZE-Beobachter erklärt hatte, in Racak habe ein Massaker stattgefunden. Den Amerikaner trieb es offenbar stets an die Krisenpunkte der Erde - schon als US-Diplomat in Mittelamerika hatte er Aktionen der antisandinistischen Contra-Armee unterstützt. Diesmal hatte er das Stichwort für den Luftkrieg der Nato geliefert. Denn die schrecklichen Bilder der Toten von Racak stärkten die Position derjenigen Politiker im Bündnis, die Jugoslawiens Despoten Slobodan Milosevic an den Verhandlungstisch bomben wollten.
Für ihn sei das Blutbad in der damals noch von Belgrad beherrschten Albaner-Provinz ein "Wendepunkt" gewesen, urteilte Bundesaußenminister Joschka Fischer. Hashim Thaçi, seinerzeit Führer der albanischen Guerrillabewegung UÇK, ist sicher, dass "der Welt erst in Racak klar wurde, das Serbien nicht vorhatte, mit dem Morden aufzuhören". Verteidigungsminister Rudolf Scharping jedenfalls notierte damals in seinem Tagebuch: "Nicht nur in Brüssel wächst die Zahl derer, die glauben, dass ein militärisches Engagement im Kosovo unausweichlich werden kann."
Zwar hat es Massaker an Albanern vor den Erschießungen vom 15. Januar 1999 gegeben und auch danach. Doch der Name des Dorfes Racak ist mit der Entscheidung der Nato, endlich Ernst zu machen, untrennbar verknüpft.
Wohl deshalb finden die Toten hier bis heute keine Ruhe. Noch immer versuchen Gegner und Befürworter des Kosovo-Krieges, ihre Argumente für oder gegen das Bombardement in dem kleinen Dorf zwischen Pristina und Prizren zu finden. Wegen "Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskrieges" haben Frankfurter Rechtsanwälte jetzt sogar Strafanzeige gegen die Minister Scharping und Fischer erstattet. Die Gründe für den militärischen Einsatz der Nato im Kosovo seien "falsch" oder "erfunden".
Für die Albaner ist Racak dagegen zu einer Art Wallfahrtsstätte geworden. Jedes Jahr versammeln sich dort Tausende zum Jahrestag unter der albanischen Nationalflagge und gedenken der Opfer, deren Tod schließlich zum Einmarsch der Kfor führte - ein blutiger Freiheitsmythos in einem traumatisierten Land.
Das Massaker von Racak soll überdies einer der entscheidenden Verhandlungspunkte in einem Verfahren gegen den ehemaligen Belgrader Kriegsherren Slobodan Milosevic werden - vorausgesetzt, das Uno-Kriegsverbrechertribunal von Den Haag kann seiner habhaft werden. Noch Mitte Januar erklärte die Sprecherin der Uno-Anklägerin Carla Del Ponte selbstbewusst, die Beweise seien "klar und belegen, dass es Massenmord gegeben hat und Zivilisten getötet wurden".
Doch hinter den Kulissen in Den Haag klingen die Äußerungen von Anklägern weniger optimistisch. "An das, was wirklich war, können wir uns bislang nur herantasten", sagt ein Ermittler des Tribunals. Denn wichtige Zeugen der Ankläger, unabhängige OSZE-Beobachter, waren nicht in der Nähe, als das Blutbad geschah.
Um die Wahrheit von Racak herauszubekommen, müssen sich die Ermittler deshalb durch ein schier undurchdringliches Gestrüpp aus widersprüchlichen Interessen, Propaganda und Halbwahrheiten kämpfen.
Zwei Jahre nach dem Luftkrieg der Nato scheint die Kernfrage von Racak noch ungelöst. Gab es dort ein Massaker der Serben? Oder hat die kosovarische Guerrillaarmee UÇK das Blutbad inszeniert oder zumindest instrumentalisiert, um den Westen zum Handeln zu zwingen, wie Gegner des Nato-Einsatzes immer wieder behaupten?
Der erste Auftritt von Helena Ranta, der Chefin des westlichen Gerichtsmediziner-Teams, das die Toten seinerzeit im Kosovo im Auftrag der EU erst sechs Tage nach dem Auffinden mit untersucht hatte, gab mehr Fragen auf als Antworten. Während William Walker auf der gemeinsamen Pressekonferenz im März 1999 in Pristina seine These vom Massaker wiederholte, brach die Finnin wegen der bohrenden Fragen der Journalisten fast in Tränen aus.
Das Wort "Massaker" vermied die gerichtsmedizinisch ausgebildete Zahnärztin schon damals, was Walker, für alle Journalisten sichtbar, mit Kopfschütteln quittierte. In einem Interview mit dem WDR-Magazin "Monitor" erklärte Helena Ranta sogar, ihr sei bewusst, dass die Szene in Racak auch "arrangiert" gewesen sein könnte - was der WDR als "Zweifel" auslegte, "ob es ein Massaker gab".
Doch Ranta fühlt sich missverstanden. Es sei nicht ihre Aufgabe, das Geschehen in Racak juristisch zu qualifizieren, sagt sie. Frau Ranta behält sich vor, den WDR zu verklagen, weil das Magazin "Monitor" ihre Aussagen "völlig verkürzt" wiedergegeben habe.
Was geschah wirklich in Racak? Ein geheimes Dossier, das der SPIEGEL in Den Haag einsehen konnte, belegt: In dem Dorf wurden vor allem Zivilisten von serbischen Uniformierten, vermutlich Sonderpolizisten, erschossen. Doch die Recherchen des Kriegsverbrechertribunals offenbaren auch Manipulationen, Täuschungen und Vertuschungen - auf allen Seiten.
Racak liegt nicht weit von der Verbindungsstraße zwischen der Kosovo-Hauptstadt Pristina und Prizren, einem Provinzzentrum im Westen. In dieser Gegend kam es im Januar 1999 immer wieder zu UÇK-Angriffen auf serbische Polizisten. Um die Region dauerhaft wieder unter Belgrads Kontrolle zu bringen, wurden damals 400 Mann vom 3. jugoslawischen Armeekorps aus Pristina in die Gegend von Racak verlegt. In dem kleinen Dorf vermutete der Belgrader Generalstabschef Dragoljub Ojdanic eine wichtige Schaltzentrale der UÇK.
Nachdem serbische Verbände das Dorf eingekesselt hatten, kam es schon in der Nacht zum 13. Januar zu Gefechten. Wer den ersten Schuss abgegeben hat, bleibt unklar. Racak geriet unter Granatbeschuss, Heckenschützen der UÇK feuerten auf Soldaten.
Die meisten, die darüber Auskunft geben könnten, was am 15. Januar 1999 genau in Racak geschah, sind tot: Als die Beobachter der OSZE, die sich in der Nacht zurückgezogen hatten, am nächsten Tag wieder erschienen, fanden sie im Dorf und außerhalb 45 Tote. William Walker diagnostizierte sofort eine "Exekution".
Die vorangegangenen Gefechte zwischen UÇK und Serben wurden seitens der Albaner im Januar 1999 nie bestritten. Der Informationsdienst der UÇK veröffentlichte damals eine Meldung, nach der "acht Kameraden" in Racak gefallen seien. Doch manche Nachrichtenagenturen übersahen - oder ignorierten - dieses wichtige Detail und erklärten die Opfer allesamt zu Zivilisten. Sind UÇK-Kämpfer zu den übrigen Toten hinzugelegt worden? Auch viele westliche Politiker erwähnten die Rolle der UÇK nicht, als sie mit den Toten von Racak für ein Eingreifen der Nato im Kosovo plädierten.
Doch tatsächlich hatten die meisten der aus Racak stammenden UÇK-Kämpfer das
Dorf bereits verlassen, bevor sich der Ring der serbischen Bewaffneten schloss - viele überlebende Einwohner nehmen den Kämpfern diesen strategischen Rückzug bis heute übel. Denn die Bevölkerung war den serbischen Soldaten und Paramilitärs nun weitgehend schutzlos ausgeliefert. Offiziere der UÇK rechtfertigen den Abzug damit, sie hätten gegen die gewaltige Übermacht der Serben ohnehin nichts ausrichten können. Bis heute wird in ihren Reihen ungern über den Rückzug gesprochen.
Am 15. Januar 1999, so Aussagen von Zeugen in Den Haag, hätten die Serben dann die Männer aus ihren Häusern geholt und den Hügel hinaufgejagt. Aus der Sicht der Serben war jeder männliche Dorfbewohner ein potenzieller Terrorist.
Für die Ankläger in Den Haag scheint wahrscheinlich: Außerhalb des Dorfes feuerten serbische MP-Schützen auf die aus dem Dorf vertriebenen unbewaffneten Albaner. Weil jedoch die Schüsse aus einiger Distanz fielen, ließ sich bei der Obduktion der Opfer eine Exekution schwieriger nachweisen als etwa bei einer Erschießung aus nächster Nähe. Fast alle auf den Hügel getriebenen Männer starben im Kugelhagel - auf die Aussagen der wenigen überlebenden Zeugen stützt sich Chefanklägerin Del Ponte bei ihrer Anklage.
Dennoch wird von serbischer Seite immer wieder versucht, das Blutbad von Racak herunterzuspielen mit dem Argument, die unbewaffneten Opfer seien "Terroristen in UÇK-Uniformen" gewesen. Und auch im Westen gibt es Stimmen, die sich diese Sicht zu Eigen machen.
Im Januar dieses Jahres eröffnete die "Berliner Zeitung" die jüngste Runde der Debatte mit angeblich neuen Enthüllungen aus der "Verschlusssache Racak". Andere Blätter und TV-Sendungen griffen die Zweifel an der Massaker-These auf. Steckte vielleicht doch mehr dahinter als nur "konjunkturelle Aufwallungen der Gegner des Kosovo-Kriegs", wie die "Frankfurter Allgemeine" pikiert anmerkte? Die zuvor veröffentlichten Berichte über den Einsatz von Uran-Munition im Kosovo hatten schließlich den Verdacht genährt, westliche Politiker und Generäle vertuschten wichtige Details des Krieges.
Doch der für eine medizinische Fachzeitschrift geschriebene Bericht von drei finnischen Forensikern, die 40 Leichen aus Racak mit untersucht hatten, widersprach der These vom Massenmord keineswegs, wie das einige Zeitungen voreilig berichtet hatten. Alle Toten seien an Schussverletzungen gestorben, heißt es in dem streng wissenschaftlich gehaltenen Aufsatz, der jede juristische Bewertung des Vorfalls sorgfältig vermeidet.
Aufgeschreckt durch die jüngsten Spekulationen, in Racak habe womöglich gar kein Massaker, sondern lediglich ein Gefecht stattgefunden, forderte auch die schwedische Regierung als derzeitige Ratsvorsitzende in der EU eine aktuelle Bilanz der finnischen Recherchen. Nach schwierigen Verhandlungen einigten sich das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, die EU-Außenminister und amerikanische Diplomaten auf die Erstellung eines Reports zum internen Gebrauch.
Auch in einem Kurzbericht - die noch immer streng geheime Langfassung umfasst über 1000 Seiten - halten sich die Autoren sehr bedeckt. Die These vom Massenmord wird dort aber - wenn auch nur in verklausulierter Form - erhärtet.
Erst im November 1999 war es den Finnen gelungen, weitere Indizien für die Massaker-Theorie zu finden. Vor Ort durchstreiften Spezialisten die Gegend und suchten mit Metalldetektoren nach Geschossen und Patronenhülsen. Am Platz der vermuteten Exekution wurden sie fündig: Dort stießen die Rechercheure unter Blättern und im Schlamm nur auf Patronenhülsen, nicht auf Kugeln. Die Schlussfolgerung der Ermittler: Es wurde nur aus einer Richtung geschossen, von den Serben. Erst später wurden die Leichen wohl in den nahen Graben gelegt.
Davon, dass bloß die serbische Seite geschossen hat, ging die amerikanische Regierung schon im Januar 1999 aus. Bereits damals nahmen die Krisenmanager im Weißen Haus an, dass das Massaker von Racak auf höchsten Befehl zu Stande kam.
Am 28. Januar, 13 Tage nach dem Blutbad von Racak, berichtete die "Washington Post" unter Berufung auf Geheimdienstkreise von abgehörten Telefongesprächen zwischen dem Chef der Sonderpolizei im Kosovo und der Regierung in Belgrad. Der Mord sei von höchster Stelle angeordnet worden, schrieb das Blatt schon damals: "Greift hart durch", habe der Befehl aus Belgrad gelautet.
Doch Slobodan Milosevic persönlich für das Massaker verantwortlich zu machen, was die Ankläger in Den Haag noch immer vorhaben, wird sehr schwierig. Ob die telefonische Befehlskette bis zu Milosevic lückenlos dokumentiert werden konnte, ist zumindest fraglich - darüber schweigen sich die Ankläger in Den Haag aus.
Die Protokolle der Lagebesprechungen im Belgrader Präsidentenpalast könnten Klarheit bringen, ob der Ex-Diktator persönlich den Befehl gab, in Racak auch Zivilisten nicht zu schonen. Doch die Papiere werden auch von den neuen Machthabern in Serbien gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Denn einige der neuen, demokratisch gewendeten Regierungsmitglieder sind ebenfalls durch ihre Vergangenheit belastet: Sreten Lukic, seit Januar serbischer Vize-Innenminister und ein hoher Funktionär im Anti-Milosevic-Bündnis DOS, war jener Leiter der serbischen Sonderpolizei im Kosovo, dem die Telefongespräche zugeschrieben werden.
Auch vermeintlich wichtige Zeugen entpuppten sich beim Kriegsverbrechertribunal der Uno schon mal als üble Trickser. Beim Verfahren gegen den Kriegsverbrecher Dusan Tadic wurde 1997 ausgerechnet der wichtigste Zeuge der Anklage als Lügner enttarnt.
Dragan Opacic, der Tadic als Leiter eines Internierungslagers in Nordbosnien belastete, sollte als Propagandaagent der bosnischen Seite die Serben in Den Haag zu Monstern machen. Vor Gericht räumte er ein, im Auftrag Sarajevos gelogen zu haben: "Alles gegen Tadic ist frei erfunden."
Diese Blamage steckt den Anklägern noch immer in den Knochen. Nichts fürchten sie mehr als einen neuen falschen Zeugen im Racak-Prozess. Und fast hätte es schon wieder einen gegeben.
Bei der Vernehmung der Überlebenden galt Zeuge F. - bis zum Ende eines Prozesses muss die Identität von Zeugen aus Ex-Jugoslawien geheim bleiben - den Ermittlern lange als wichtige Quelle. Alle Angaben, die der 45-jährige Albaner machte, klangen glaubwürdig und deckten sich mit einer Reihe von Indizien. Doch nachdem ein Mitarbeiter des französischen Geheimdienstes Funksprüche der UÇK an Den Haag weitergereicht hatte, herrschte Katastrophenstimmung im Büro der Chefanklägerin.
Zwar hatte Zeuge F., so ergab die Auswertung der abgehörten Kommunikation, die UÇK oft wegen ihrer Taktik, Zivilisten als Schutzschilde zu missbrauchen, kritisiert. Eine auch von ihm mitorganisierte Bürgerwehr in Racak hielt deshalb zunächst auf Distanz zu den Guerrilleros.
Doch in den dramatischen Tagen vor dem Aufmarsch der Serben vor Racak arbeitete seine Bürgerwehr schließlich doch mit den UÇK-Kämpfern eng zusammen - für das Uno-Tribunal Grund genug, sich von F. zu trennen. Bei einer Verhandlung gegen einen der serbischen Hauptverantwortlichen hätte die Verteidigung leichtes Spiel gehabt, die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen in Frage zu stellen.
Jedes künftige Verfahren wird Schwierigkeiten haben, Schuldige und Unschuldige eindeutig zu benennen. Hinter vorgehaltener Hand geben die Uno-Ermittler zu, etwa die Hälfte der Opfer seien UÇK-Helfer oder Sympathisanten der so genannten Befreiungsarmee gewesen. Wehrlose Zivilisten zum Zeitpunkt ihres Todes zwar - aber eben auch Menschen, die vorher Anschläge und Attentate gegen serbische Einrichtungen und Beamte guthießen oder selbst durchgeführt hatten.
Der ehemalige UÇK-Führer Hashim Thaçi gibt heute freimütig zu: "Uns fiel damals ein Stein vom Herzen, als Walker kam und ohne zu zögern sagte: Das ist ein Massaker an Zivilisten." Was Ex-Rebell Thaçi bis heute leugnet: Bei den Massakern von Donje Prekaz und Qirez, wo im Februar und März vor drei Jahren 87 Leichen gefunden wurden, sorgte die UÇK dafür, dass die Zahl der Toten höher erschien. Um die Verbrechen der Serben noch grausamer erscheinen zu lassen, legten UÇK-Männer gefallene Kämpfer aus anderen Landesteilen neben ermordete Zivilisten.
Solche Manipulationen sind genau dokumentiert. Anders als die serbische Armee verfügte die UÇK damals noch nicht über ein gesichertes Telefon- oder Funksystem. Zur Jahreswende 1998/99 hatten die Balkan-Guerrilleros im Kosovo-Gebiet nur 32 Funktelefone im Einsatz. Alle Geräte waren von einfachster Bauart und ohne Verschlüsselungstechnik. Aus Kostengründen waren sie in Frankreich angemeldet. Über dieses Kommunikationssystem liefen alle für die UÇK wichtigen Einsatzbefehle - und der französische Geheimdienst hörte eifrig mit.
Nur ein Bruchteil dieser Abhörprotokolle erreichte seither das Uno-Tribunal in Den Haag. Doch was die Experten dort schon zu Gehör bekamen, soll die UÇK kompromittieren - auch in Bezug auf Racak.
Zwar steht außer Zweifel, dass in Racak Unbewaffnete heimtückisch ermordet worden sind. Doch die Beteuerungen vieler Dorfbewohner, die Toten hätten nie aktiv etwas mit der UÇK zu tun gehabt, sind offenbar nicht wahr. Noch wenige Tage vor dem Massaker sollen einige der späteren Opfer gegen die anrückenden Serben gekämpft haben.
Nun hat der Streit um die Abhörprotokolle begonnen: Washington, Berlin und vor allem Belgrad versuchen, in den Besitz des brisanten Materials zu gelangen. Vielleicht erfahren die Richter in Den Haag deshalb als Letzte, was wirklich in Racak passiert ist.
RENATE FLOTTAU, CLAUS CHRISTIAN MALZAHN,
ROLAND SCHLEICHER
* Mit dem damaligen britischen Verteidigungsminister George Robertson und dem damaligen Generalinspekteur Hans-Peter von Kirchbach bei einer Pressekonferenz im Bonner Verteidigungsministerium am 7. April 1999.
Von Renate Flottau, Claus Christian Malzahn und Roland Schleicher
KOSOVO: Täuschen und Vertuschen - DER SPIEGEL 12/2001
- - - Aktualisiert - - -
Wenn man sich das alles vor Augen hält, die ganze Intervention, die teils auf Basis von Manipulation und Lügen, in Gang gebracht wurde und in welchem Umfang die UCK vom Westen unterstützt und bewaffnet wurde, kann man erkennen, wie weit Kosovo, von einem Gleichnis mit Krim, entfernt ist.
Zumal man Kosovo sowieso nicht aus dem Kontext der YU-Kriege setzen kann.
[h=2]KOSOVOTäuschen und Vertuschen[/h] Die Bluttat von Racak diente der Nato als Rechtfertigung für den Schlag gegen Belgrad. Zweifel allerdings blieben, ob die Serben wirklich ein Massaker angerichtet hatten. Nun belegen Dokumente des Haager Tribunals: Damals wurden Unbewaffnete erschossen - aber nicht nur Unbeteiligte.
Von den Bergen weht ein lauer Wind ins Tal und tilgt den Schnee von den Gräbern. Auf dem Friedhof von Racak türmen sich Blumenkränze aus Kunststoff. Der Grabschmuck soll nicht verwelken und die Erinnerung an die Toten, die hier in vier langen Reihen bestattet sind, nicht vergehen.
43 Menschen wurden hier beerdigt - Albaner, allesamt erschossen Mitte Januar 1999. Unter den Opfern, die man in und bei Racak fand, waren eine Frau, ein Junge, alte Männer.
Zum Friedhof führt ein durch Regen und Tauwetter aufgeweichter Schlammpfad. Den morastigen Weg haben die albanischen Einwohner "William-Walker-Straße" getauft - benannt nach jenem Mann, der am 16. Januar 1999 als OSZE-Beobachter erklärt hatte, in Racak habe ein Massaker stattgefunden. Den Amerikaner trieb es offenbar stets an die Krisenpunkte der Erde - schon als US-Diplomat in Mittelamerika hatte er Aktionen der antisandinistischen Contra-Armee unterstützt. Diesmal hatte er das Stichwort für den Luftkrieg der Nato geliefert. Denn die schrecklichen Bilder der Toten von Racak stärkten die Position derjenigen Politiker im Bündnis, die Jugoslawiens Despoten Slobodan Milosevic an den Verhandlungstisch bomben wollten.
Für ihn sei das Blutbad in der damals noch von Belgrad beherrschten Albaner-Provinz ein "Wendepunkt" gewesen, urteilte Bundesaußenminister Joschka Fischer. Hashim Thaçi, seinerzeit Führer der albanischen Guerrillabewegung UÇK, ist sicher, dass "der Welt erst in Racak klar wurde, das Serbien nicht vorhatte, mit dem Morden aufzuhören". Verteidigungsminister Rudolf Scharping jedenfalls notierte damals in seinem Tagebuch: "Nicht nur in Brüssel wächst die Zahl derer, die glauben, dass ein militärisches Engagement im Kosovo unausweichlich werden kann."
Zwar hat es Massaker an Albanern vor den Erschießungen vom 15. Januar 1999 gegeben und auch danach. Doch der Name des Dorfes Racak ist mit der Entscheidung der Nato, endlich Ernst zu machen, untrennbar verknüpft.
Wohl deshalb finden die Toten hier bis heute keine Ruhe. Noch immer versuchen Gegner und Befürworter des Kosovo-Krieges, ihre Argumente für oder gegen das Bombardement in dem kleinen Dorf zwischen Pristina und Prizren zu finden. Wegen "Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskrieges" haben Frankfurter Rechtsanwälte jetzt sogar Strafanzeige gegen die Minister Scharping und Fischer erstattet. Die Gründe für den militärischen Einsatz der Nato im Kosovo seien "falsch" oder "erfunden".
Für die Albaner ist Racak dagegen zu einer Art Wallfahrtsstätte geworden. Jedes Jahr versammeln sich dort Tausende zum Jahrestag unter der albanischen Nationalflagge und gedenken der Opfer, deren Tod schließlich zum Einmarsch der Kfor führte - ein blutiger Freiheitsmythos in einem traumatisierten Land.
Das Massaker von Racak soll überdies einer der entscheidenden Verhandlungspunkte in einem Verfahren gegen den ehemaligen Belgrader Kriegsherren Slobodan Milosevic werden - vorausgesetzt, das Uno-Kriegsverbrechertribunal von Den Haag kann seiner habhaft werden. Noch Mitte Januar erklärte die Sprecherin der Uno-Anklägerin Carla Del Ponte selbstbewusst, die Beweise seien "klar und belegen, dass es Massenmord gegeben hat und Zivilisten getötet wurden".
Doch hinter den Kulissen in Den Haag klingen die Äußerungen von Anklägern weniger optimistisch. "An das, was wirklich war, können wir uns bislang nur herantasten", sagt ein Ermittler des Tribunals. Denn wichtige Zeugen der Ankläger, unabhängige OSZE-Beobachter, waren nicht in der Nähe, als das Blutbad geschah.
Um die Wahrheit von Racak herauszubekommen, müssen sich die Ermittler deshalb durch ein schier undurchdringliches Gestrüpp aus widersprüchlichen Interessen, Propaganda und Halbwahrheiten kämpfen.
Zwei Jahre nach dem Luftkrieg der Nato scheint die Kernfrage von Racak noch ungelöst. Gab es dort ein Massaker der Serben? Oder hat die kosovarische Guerrillaarmee UÇK das Blutbad inszeniert oder zumindest instrumentalisiert, um den Westen zum Handeln zu zwingen, wie Gegner des Nato-Einsatzes immer wieder behaupten?
Der erste Auftritt von Helena Ranta, der Chefin des westlichen Gerichtsmediziner-Teams, das die Toten seinerzeit im Kosovo im Auftrag der EU erst sechs Tage nach dem Auffinden mit untersucht hatte, gab mehr Fragen auf als Antworten. Während William Walker auf der gemeinsamen Pressekonferenz im März 1999 in Pristina seine These vom Massaker wiederholte, brach die Finnin wegen der bohrenden Fragen der Journalisten fast in Tränen aus.
Das Wort "Massaker" vermied die gerichtsmedizinisch ausgebildete Zahnärztin schon damals, was Walker, für alle Journalisten sichtbar, mit Kopfschütteln quittierte. In einem Interview mit dem WDR-Magazin "Monitor" erklärte Helena Ranta sogar, ihr sei bewusst, dass die Szene in Racak auch "arrangiert" gewesen sein könnte - was der WDR als "Zweifel" auslegte, "ob es ein Massaker gab".
Doch Ranta fühlt sich missverstanden. Es sei nicht ihre Aufgabe, das Geschehen in Racak juristisch zu qualifizieren, sagt sie. Frau Ranta behält sich vor, den WDR zu verklagen, weil das Magazin "Monitor" ihre Aussagen "völlig verkürzt" wiedergegeben habe.
Was geschah wirklich in Racak? Ein geheimes Dossier, das der SPIEGEL in Den Haag einsehen konnte, belegt: In dem Dorf wurden vor allem Zivilisten von serbischen Uniformierten, vermutlich Sonderpolizisten, erschossen. Doch die Recherchen des Kriegsverbrechertribunals offenbaren auch Manipulationen, Täuschungen und Vertuschungen - auf allen Seiten.
Racak liegt nicht weit von der Verbindungsstraße zwischen der Kosovo-Hauptstadt Pristina und Prizren, einem Provinzzentrum im Westen. In dieser Gegend kam es im Januar 1999 immer wieder zu UÇK-Angriffen auf serbische Polizisten. Um die Region dauerhaft wieder unter Belgrads Kontrolle zu bringen, wurden damals 400 Mann vom 3. jugoslawischen Armeekorps aus Pristina in die Gegend von Racak verlegt. In dem kleinen Dorf vermutete der Belgrader Generalstabschef Dragoljub Ojdanic eine wichtige Schaltzentrale der UÇK.
Nachdem serbische Verbände das Dorf eingekesselt hatten, kam es schon in der Nacht zum 13. Januar zu Gefechten. Wer den ersten Schuss abgegeben hat, bleibt unklar. Racak geriet unter Granatbeschuss, Heckenschützen der UÇK feuerten auf Soldaten.
Die meisten, die darüber Auskunft geben könnten, was am 15. Januar 1999 genau in Racak geschah, sind tot: Als die Beobachter der OSZE, die sich in der Nacht zurückgezogen hatten, am nächsten Tag wieder erschienen, fanden sie im Dorf und außerhalb 45 Tote. William Walker diagnostizierte sofort eine "Exekution".
Die vorangegangenen Gefechte zwischen UÇK und Serben wurden seitens der Albaner im Januar 1999 nie bestritten. Der Informationsdienst der UÇK veröffentlichte damals eine Meldung, nach der "acht Kameraden" in Racak gefallen seien. Doch manche Nachrichtenagenturen übersahen - oder ignorierten - dieses wichtige Detail und erklärten die Opfer allesamt zu Zivilisten. Sind UÇK-Kämpfer zu den übrigen Toten hinzugelegt worden? Auch viele westliche Politiker erwähnten die Rolle der UÇK nicht, als sie mit den Toten von Racak für ein Eingreifen der Nato im Kosovo plädierten.
Doch tatsächlich hatten die meisten der aus Racak stammenden UÇK-Kämpfer das
Dorf bereits verlassen, bevor sich der Ring der serbischen Bewaffneten schloss - viele überlebende Einwohner nehmen den Kämpfern diesen strategischen Rückzug bis heute übel. Denn die Bevölkerung war den serbischen Soldaten und Paramilitärs nun weitgehend schutzlos ausgeliefert. Offiziere der UÇK rechtfertigen den Abzug damit, sie hätten gegen die gewaltige Übermacht der Serben ohnehin nichts ausrichten können. Bis heute wird in ihren Reihen ungern über den Rückzug gesprochen.
Am 15. Januar 1999, so Aussagen von Zeugen in Den Haag, hätten die Serben dann die Männer aus ihren Häusern geholt und den Hügel hinaufgejagt. Aus der Sicht der Serben war jeder männliche Dorfbewohner ein potenzieller Terrorist.
Für die Ankläger in Den Haag scheint wahrscheinlich: Außerhalb des Dorfes feuerten serbische MP-Schützen auf die aus dem Dorf vertriebenen unbewaffneten Albaner. Weil jedoch die Schüsse aus einiger Distanz fielen, ließ sich bei der Obduktion der Opfer eine Exekution schwieriger nachweisen als etwa bei einer Erschießung aus nächster Nähe. Fast alle auf den Hügel getriebenen Männer starben im Kugelhagel - auf die Aussagen der wenigen überlebenden Zeugen stützt sich Chefanklägerin Del Ponte bei ihrer Anklage.
Dennoch wird von serbischer Seite immer wieder versucht, das Blutbad von Racak herunterzuspielen mit dem Argument, die unbewaffneten Opfer seien "Terroristen in UÇK-Uniformen" gewesen. Und auch im Westen gibt es Stimmen, die sich diese Sicht zu Eigen machen.
Im Januar dieses Jahres eröffnete die "Berliner Zeitung" die jüngste Runde der Debatte mit angeblich neuen Enthüllungen aus der "Verschlusssache Racak". Andere Blätter und TV-Sendungen griffen die Zweifel an der Massaker-These auf. Steckte vielleicht doch mehr dahinter als nur "konjunkturelle Aufwallungen der Gegner des Kosovo-Kriegs", wie die "Frankfurter Allgemeine" pikiert anmerkte? Die zuvor veröffentlichten Berichte über den Einsatz von Uran-Munition im Kosovo hatten schließlich den Verdacht genährt, westliche Politiker und Generäle vertuschten wichtige Details des Krieges.
Doch der für eine medizinische Fachzeitschrift geschriebene Bericht von drei finnischen Forensikern, die 40 Leichen aus Racak mit untersucht hatten, widersprach der These vom Massenmord keineswegs, wie das einige Zeitungen voreilig berichtet hatten. Alle Toten seien an Schussverletzungen gestorben, heißt es in dem streng wissenschaftlich gehaltenen Aufsatz, der jede juristische Bewertung des Vorfalls sorgfältig vermeidet.
Aufgeschreckt durch die jüngsten Spekulationen, in Racak habe womöglich gar kein Massaker, sondern lediglich ein Gefecht stattgefunden, forderte auch die schwedische Regierung als derzeitige Ratsvorsitzende in der EU eine aktuelle Bilanz der finnischen Recherchen. Nach schwierigen Verhandlungen einigten sich das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, die EU-Außenminister und amerikanische Diplomaten auf die Erstellung eines Reports zum internen Gebrauch.
Auch in einem Kurzbericht - die noch immer streng geheime Langfassung umfasst über 1000 Seiten - halten sich die Autoren sehr bedeckt. Die These vom Massenmord wird dort aber - wenn auch nur in verklausulierter Form - erhärtet.
Erst im November 1999 war es den Finnen gelungen, weitere Indizien für die Massaker-Theorie zu finden. Vor Ort durchstreiften Spezialisten die Gegend und suchten mit Metalldetektoren nach Geschossen und Patronenhülsen. Am Platz der vermuteten Exekution wurden sie fündig: Dort stießen die Rechercheure unter Blättern und im Schlamm nur auf Patronenhülsen, nicht auf Kugeln. Die Schlussfolgerung der Ermittler: Es wurde nur aus einer Richtung geschossen, von den Serben. Erst später wurden die Leichen wohl in den nahen Graben gelegt.
Davon, dass bloß die serbische Seite geschossen hat, ging die amerikanische Regierung schon im Januar 1999 aus. Bereits damals nahmen die Krisenmanager im Weißen Haus an, dass das Massaker von Racak auf höchsten Befehl zu Stande kam.
Am 28. Januar, 13 Tage nach dem Blutbad von Racak, berichtete die "Washington Post" unter Berufung auf Geheimdienstkreise von abgehörten Telefongesprächen zwischen dem Chef der Sonderpolizei im Kosovo und der Regierung in Belgrad. Der Mord sei von höchster Stelle angeordnet worden, schrieb das Blatt schon damals: "Greift hart durch", habe der Befehl aus Belgrad gelautet.
Doch Slobodan Milosevic persönlich für das Massaker verantwortlich zu machen, was die Ankläger in Den Haag noch immer vorhaben, wird sehr schwierig. Ob die telefonische Befehlskette bis zu Milosevic lückenlos dokumentiert werden konnte, ist zumindest fraglich - darüber schweigen sich die Ankläger in Den Haag aus.
Die Protokolle der Lagebesprechungen im Belgrader Präsidentenpalast könnten Klarheit bringen, ob der Ex-Diktator persönlich den Befehl gab, in Racak auch Zivilisten nicht zu schonen. Doch die Papiere werden auch von den neuen Machthabern in Serbien gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Denn einige der neuen, demokratisch gewendeten Regierungsmitglieder sind ebenfalls durch ihre Vergangenheit belastet: Sreten Lukic, seit Januar serbischer Vize-Innenminister und ein hoher Funktionär im Anti-Milosevic-Bündnis DOS, war jener Leiter der serbischen Sonderpolizei im Kosovo, dem die Telefongespräche zugeschrieben werden.
Auch vermeintlich wichtige Zeugen entpuppten sich beim Kriegsverbrechertribunal der Uno schon mal als üble Trickser. Beim Verfahren gegen den Kriegsverbrecher Dusan Tadic wurde 1997 ausgerechnet der wichtigste Zeuge der Anklage als Lügner enttarnt.
Dragan Opacic, der Tadic als Leiter eines Internierungslagers in Nordbosnien belastete, sollte als Propagandaagent der bosnischen Seite die Serben in Den Haag zu Monstern machen. Vor Gericht räumte er ein, im Auftrag Sarajevos gelogen zu haben: "Alles gegen Tadic ist frei erfunden."
Diese Blamage steckt den Anklägern noch immer in den Knochen. Nichts fürchten sie mehr als einen neuen falschen Zeugen im Racak-Prozess. Und fast hätte es schon wieder einen gegeben.
Bei der Vernehmung der Überlebenden galt Zeuge F. - bis zum Ende eines Prozesses muss die Identität von Zeugen aus Ex-Jugoslawien geheim bleiben - den Ermittlern lange als wichtige Quelle. Alle Angaben, die der 45-jährige Albaner machte, klangen glaubwürdig und deckten sich mit einer Reihe von Indizien. Doch nachdem ein Mitarbeiter des französischen Geheimdienstes Funksprüche der UÇK an Den Haag weitergereicht hatte, herrschte Katastrophenstimmung im Büro der Chefanklägerin.
Zwar hatte Zeuge F., so ergab die Auswertung der abgehörten Kommunikation, die UÇK oft wegen ihrer Taktik, Zivilisten als Schutzschilde zu missbrauchen, kritisiert. Eine auch von ihm mitorganisierte Bürgerwehr in Racak hielt deshalb zunächst auf Distanz zu den Guerrilleros.
Doch in den dramatischen Tagen vor dem Aufmarsch der Serben vor Racak arbeitete seine Bürgerwehr schließlich doch mit den UÇK-Kämpfern eng zusammen - für das Uno-Tribunal Grund genug, sich von F. zu trennen. Bei einer Verhandlung gegen einen der serbischen Hauptverantwortlichen hätte die Verteidigung leichtes Spiel gehabt, die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen in Frage zu stellen.
Jedes künftige Verfahren wird Schwierigkeiten haben, Schuldige und Unschuldige eindeutig zu benennen. Hinter vorgehaltener Hand geben die Uno-Ermittler zu, etwa die Hälfte der Opfer seien UÇK-Helfer oder Sympathisanten der so genannten Befreiungsarmee gewesen. Wehrlose Zivilisten zum Zeitpunkt ihres Todes zwar - aber eben auch Menschen, die vorher Anschläge und Attentate gegen serbische Einrichtungen und Beamte guthießen oder selbst durchgeführt hatten.
Der ehemalige UÇK-Führer Hashim Thaçi gibt heute freimütig zu: "Uns fiel damals ein Stein vom Herzen, als Walker kam und ohne zu zögern sagte: Das ist ein Massaker an Zivilisten." Was Ex-Rebell Thaçi bis heute leugnet: Bei den Massakern von Donje Prekaz und Qirez, wo im Februar und März vor drei Jahren 87 Leichen gefunden wurden, sorgte die UÇK dafür, dass die Zahl der Toten höher erschien. Um die Verbrechen der Serben noch grausamer erscheinen zu lassen, legten UÇK-Männer gefallene Kämpfer aus anderen Landesteilen neben ermordete Zivilisten.
Solche Manipulationen sind genau dokumentiert. Anders als die serbische Armee verfügte die UÇK damals noch nicht über ein gesichertes Telefon- oder Funksystem. Zur Jahreswende 1998/99 hatten die Balkan-Guerrilleros im Kosovo-Gebiet nur 32 Funktelefone im Einsatz. Alle Geräte waren von einfachster Bauart und ohne Verschlüsselungstechnik. Aus Kostengründen waren sie in Frankreich angemeldet. Über dieses Kommunikationssystem liefen alle für die UÇK wichtigen Einsatzbefehle - und der französische Geheimdienst hörte eifrig mit.
Nur ein Bruchteil dieser Abhörprotokolle erreichte seither das Uno-Tribunal in Den Haag. Doch was die Experten dort schon zu Gehör bekamen, soll die UÇK kompromittieren - auch in Bezug auf Racak.
Zwar steht außer Zweifel, dass in Racak Unbewaffnete heimtückisch ermordet worden sind. Doch die Beteuerungen vieler Dorfbewohner, die Toten hätten nie aktiv etwas mit der UÇK zu tun gehabt, sind offenbar nicht wahr. Noch wenige Tage vor dem Massaker sollen einige der späteren Opfer gegen die anrückenden Serben gekämpft haben.
Nun hat der Streit um die Abhörprotokolle begonnen: Washington, Berlin und vor allem Belgrad versuchen, in den Besitz des brisanten Materials zu gelangen. Vielleicht erfahren die Richter in Den Haag deshalb als Letzte, was wirklich in Racak passiert ist.
RENATE FLOTTAU, CLAUS CHRISTIAN MALZAHN,
ROLAND SCHLEICHER
* Mit dem damaligen britischen Verteidigungsminister George Robertson und dem damaligen Generalinspekteur Hans-Peter von Kirchbach bei einer Pressekonferenz im Bonner Verteidigungsministerium am 7. April 1999.
Von Renate Flottau, Claus Christian Malzahn und Roland Schleicher
KOSOVO: Täuschen und Vertuschen - DER SPIEGEL 12/2001
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Wenn man sich das alles vor Augen hält, die ganze Intervention, die teils auf Basis von Manipulation und Lügen, in Gang gebracht wurde und in welchem Umfang die UCK vom Westen unterstützt und bewaffnet wurde, kann man erkennen, wie weit Kosovo, von einem Gleichnis mit Krim, entfernt ist.
Zumal man Kosovo sowieso nicht aus dem Kontext der YU-Kriege setzen kann.